Emil Gött
Die Wallfahrt
Emil Gött

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Verschiedener Zauber

Maimorgen. Sonniger, lachender, duftiger, weinfarbener Maimorgen.

Eine fröhliche Gesellschaft aus der Stadt war schon in aller Frühe aufgebrochen, um den voraussichtlich prächtig werdenden Tag auf dem Rücken des waldigen, quellenreichen Schauberges zu verbringen und gegen Abend durch den rauschenden Mühlentobel heimzukehren.

Auf einer Bank des Philosophenweges, wie der eine Strecke eben am schattigen Bergfuße hinlaufende Pfad scherzhaft genannt wird, hatte man einen älteren Herrn überrascht und übermütig umzingelt, der nachdenklich dasaß, den spitz zulaufenden, von einer einzigen spärlichen Haarlocke gekrönten Kahlkopf in eine Hand gestützt, und mit seinem Stocke allerhand Striche in den feinen Kies zeichnete.

»Ah, der Herr Doktor! – Der Herr Doktor Heuberger! – Guten Morgen, Herr Doktor! – Das ist mal schön, Herr Doktor! – Auch schon ausgeschlüpft, Herr Doktor? – Sie kommen natürlich mit uns, Herr Doktor!«

So hatte es lachend durcheinander geklungen und geklappert, daß der Überfallene die vom »Herr Doktor« schmerzenden Ohren zuhalten mußte und sich schließlich mit dem geteilten Lächeln eines empfindlich, aber im Grunde doch nicht unliebsam gestörten Menschen gutmütig dem Zuge anschloß.

Nun lagerte man schon eine Weile nach einem recht genußreichen Frühstück auf dem dichten, weichen Berggrase, unter den lichten, goldig durchflossenen junggrünen Buchen. Man war so angenehm satt und in jenem wohligen Zustande zwischen gelinder Ermüdung und genügender Rast, daß man sich vielleicht 106 allgemein auf ein Ohr oder alle zwei gelegt und ein wenig geschlummert hätte, wenn es nur jemandem eingefallen wäre, den Anfang zu machen. So begnügte man sich eben, satt, behaglich und still vergnügt zu sein, fast träumerisch.

Einmal aber, als gerade die Kinder besonders laut im Walde tollten, fiel doch einem die herrschende Stille als ungewohnt und ungewöhnlich auf.

»Warum ist eigentlich alles so duckmäuserisch heute!« rief er. »Daran sind wohl unsere Damen schuld, deren liebliches Geläute verstummt zu sein scheint.«

»... oder nur leise durch ihr Gemüt zieht!« ergänzte liebenswürdig ein Dritter den Stich des Zweiten.

»Das wäre wirklich bequem, uns die Kosten der Unterhaltung tragen zu lassen!« nahm eine muntere Dame das Wort. Aber wissen Sie, wer schuld ist? Da, sehen Sie nur unsern Doktor an! Ist er's noch oder haben wir ihn verwechselt? Er, dem es sonst so frisch wie von der neuen Wasserleitung fließt! Gleicht er heute nicht einem altmodischen, vertrockneten Pumpbrunnen, von dem man höchstens ein Quietschen zu hören bekommt, wenn man den Schwengel zieht?«

»Sehr richtig, sehr richtig! – Frau Hiller hat recht! – Was fehlt Ihnen, Doktorchen? – Ist Ihnen was über den Weg gekrochen?« hieß es von verschiedenen Seiten.

»Geflogen, wenn Sie so wollen! Man hat so seine Stimmungen!« entgegnete der Gefragte, wirklich etwas melancholisch.

»Stimmungen? – So, Sie haben auch Stimmungen! – Was für Stimmungen? – Darf man es nicht wissen? – Was war's denn, was Ihnen über den Weg geflogen ist?« ging es wieder um ihn her.

»Ach, was haben Sie davon? – Ein Kuckuck war's!«

»Ein Kuckuck? Hört, hört! – Wie interessant! – Was hat er Ihnen denn getan?«

»Getan hat er nichts, nur gerufen!«

107 »Wie viel mal denn?«

»Ich hab es nicht gezählt – aber eine Erinnerung, ein Stück Kindheit hat er mir geweckt und auftauchen lassen, als ein solcher Kuckucksruf ein junges Leben tötete ...«

Eine unwillkürliche Bewegung lief durch den Hörerkreis.

»... und das hat mir«, ergänzte nach kurzer Pause der Doktor, »heut das Herz so schwer gemacht; ich weiß nicht, wie; aber es geht einem manchmal so.«

»Wollen Sie denn nicht erzählen?« bat man.

»Warum nicht. Es ist zwar traurig, aber ...«

»Bitte, bitte!« hieß es, und jene Dame sagte:

»Muß denn alles lustig sein, wenn es gefallen soll? Erzählen Sie doch!«

Der Doktor bedeckte einen Augenblick die Augen, fuhr dann langsam mit der flachen Hand über seine Glatze, von der Stirne bis in den Nacken, und begann dann:

 


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