Emil Gött
Die Wallfahrt
Emil Gött

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Rosenpunsch

Ich hatte sechs Tage gearbeitet, da kam der siebente, und ich hatte genug und beschloß, mir einen guten Tag der Ruhe zu gönnen, blau zu machen. Ich wusch mich also gründlicher als sonst und zog ein frisches Hemd an. – Dann trat ich hinaus, in Hemdsärmeln, in den Morgensonnenschein, in die frische, duftige, herrliche Landschaft, die gleichfalls ihr Sonntagsgewand anhatte, grüne Seide und silbrig grauen Samt, darüber ein leuchtendes Blau – es war schön.

Ein Stückchen dieser schönen Welt beherrschte ich; ich durchschritt es und besah, was ich getan hatte, und manches war auch gut und schön, manches weniger.

Aber ich war zufrieden, und weil ein zufriedener Mensch an einem guten Tag sich gern auch was Gutes gönnt, so beschloß ich, mir auch etwas Gutes zu gönnen.

Ich hatte keinen Hunger und keinen Durst und war nicht müde; ich hatte eine jener köstlichen Stunden, wo man seinen Körper nicht spürt, weil die Seele ihn spannt und hebt, mit Haut und Haar und Haus und Hof, und so der Mensch wie ein freier Punkt schwebt. Aber ich hatte Verlangen nach einer Zärtlichkeit, eine zu empfangen und eine zu spenden. Da ich aber meinesgleichen nicht habe, so ging ich zu meinen Geschöpfen, um mir ein Opfer zu suchen. Da fiel mein Blick auf meine Rosen. Vor allem andern lieb ich meine Rosen; sie sind auch das Schönste von allem. Und ich beschloß, einen Rausch daran zu trinken, mir ein Rosenopfer darzubringen. Aber ein Massenopfer mußte es sein, denn stark lieb ich diese Getränke. Und ich brauche nicht zu geizen und zu sorgen: ich habe viele Rosen und es ist der zwanzigste Juni; sie sind in voller Blüte.

So hab ich in meiner größten Schale einen Berg der 50 köstlichsten Rosen vor mir aufgehäuft und planvoll regellos gruppiert, tief purpurne, flammenrote, gelbe, reinweiße, und weiße mit gelbem und rosigem Schoß – in allen Farben und Schatten, von jedem Duft und jeder Form der Blüte. Aber nur die schönsten und edelsten habe ich ausgewählt, von Tausenden habe ich nur dieses Häufchen auf meinen Altar gelegt. Wohl liebe ich meine Rosen, liebe sie zärtlich und bin gut und gerecht gegen alle, und schütze alle so gut ich kann gegen ihre Feinde; aber was mir nicht gefällt, das schmeiße ich doch zum Teufel – oder ich schenke es Kindern und solchen, die weniger anspruchsvoll sind. Da liegt es nun vor mir, ein Rausch von Farbe, Duft, Zartheit, Schönheit; es zwingt mich nieder, diese weich gewellten Häupter, diese sanften Gesichter, diesen halb geöffneten Mund, diesen voll aufgeblühten, glühenden Schoß zu küssen, oder hinzusinken und zu meinem Opfer zu beten. Ich! ... zu meinem Opfer! – –

Ich bin sein Gott und Herr, denn ich habe Recht und Macht darüber. Und doch nicht ganz und unbestritten. Denn siehe da, die Käfer und die Raupen erheben auch Anspruch, und ich muß den meinigen gegen sie verteidigen; sie wollen davon leben, ich will mich daran freuen. Und offenbar habe ich mehr Recht als jene, weil ich sie zertreten und zerdrücken kann, sie mich nur ärgern. Es ist aber auch noch das Wetter da, und dieses kann ich nicht zurückdrücken; da muß ich Geduld und Gelassenheit entwickeln. Es steht aber noch ein anderes meiner Allmacht im Weg: meine Lieblinge haben auch einen Eigenbau und Eigenwillen, über den ich nur ganz bedingt Herr bin. Ich habe nur volle Gewalt über ihren Tod, ich kann sengen und brennen unter ihnen, wie ich will, aber ihr Leben kann ich nur steuern, wenn sie dem Drucke meiner Hand Folge leisten wollen, und nur so weit, wie sie dies wollen. Wenn ich nicht ungeduldig und unbillig in meinen Ansprüchen bin, genügt dies auch zu einem angenehmen Verhältnis. Heute glühen wir sogar füreinander, nur 51 wissen sie nicht, für wen sie glühen, und spüren meine Glut für sie nur als unverantwortlichen Schmerz, den sie erleiden!

 

Ich selber habe mir die Finger an ihnen zerstochen, aber das war ein liebliches Leiden. Es schmerzte mich nicht. Es schmerzte mich aber auch der Gedanke nicht, daß sie sterben müssen, um mir, dem Lebendigen, eine höhere Lebensfreude zu verschaffen. Ich rausche auf, und sie sinken zusammen! Noch nicht, aber in einigen Stunden. Noch sind sie im Aufgehen, im Aufrauschen auch sie. Denn ich bin raffiniert. Wann pflück' ich meine Rosen? Am Morgen, eh die volle Sonne darauf fiel und wenn der Tau noch darauf liegt; an ihrem Morgen, als aufbrechende Knospen pflücke ich sie, wo sie schön, aber noch nicht ganz am schönsten sind; eine Stunde, einen Tag vorher. Den Todesstoß im Herzen, haben sie noch Zeit und Mut, noch Leben genug, um sich zur vollen Schönheit zu entfalten – eine Stunde, einen Tag vor ihrem Tode. Sie verlangen nur noch Wasser, wie der verblutende Mensch.

Und doch schmerzt es mich nicht. Bin ich nicht grausam? Aber ich weiß, sie hätten ja auch am Stock nach einigen Tagen sterben müssen, verfärbt, verblüht, verwelkt, entblättert, entduftet, entweiht, ihrem Träger zur Last und den nachquellenden Knospenschwestern zur Bedrückung; nun finden diese Raum und Saft zu ihrem schönen Erblühen. Sie hätten auch nicht diese mächtige Lust geweckt, ihren Gott erregt, berauscht und andächtig gemacht; sie hätten den Zweck ihres Daseins nicht dadurch erhöht, daß sie das eines Gewaltigeren erhöhten und reizten, zu – wer weiß – welch höherem Schaffen. So strömt ihre letzte, erhöhte, durch den Tod im Innern gespornte Lebenskraft in eine Welle höheren Lebens hinüber, und mit diesem in ein noch höheres – o, die Himmel sind tief! Ach, und sie wissen nichts und spüren nichts davon, als allein den Drang, noch zu blühen, und den Schmerz, daran zu vergehen. Sie ahnen die Lust nicht, 52 die sie erregen, sie wissen nicht, ob sie in dieser Schale da vor meinen trunkenen Augen vergehen, oder am Stock entblättern, oder am Busen eines schönen Weibes welken, oder von einer hungrigen Geiß gefressen werden. Es kränkt mich, daß ich sie nicht erleuchten kann, diese da vor mir. Aber wäre ich ein Lichtbringer für diese Auserwählten, wäre ich nicht ein Teufel für die Verworfenen, Verpfuschten, Vergessenen und Gefressenen? Laß ihnen die Blindheit, in der ihnen wohler ist? Laß sie drangvoll in eine tiefdunkle Welt hineinschwellen, die kein Strahl erleuchtet, hineinschwellen, aufbrechen, blühen, glühen und vergehen. Freue du dich ihrer, Lichtauge, Menschenauge, mein Auge, berausche dich an ihr, lichtdurstige, farbenfrohe Menschenseele, meine Seele! – Du süßes Opfer vor mir, komm näher, nein bleib, wo du bist, damit ich mich nicht vergesse. Du bist schön. So scheine mir in die Seele, sieh mir in die Augen. Hättest du Augen, du sähest deine Schönheit sich in meinen spiegeln. Sie tragen dein Bild auf ihrem Grunde. Ist es dir nicht genug, in meinen Augen flammen zu dürfen? Wenn unsere Nacht kommt, wollen wir beide schließen, sanft und geduldig, gleichmütig, satt vom genossenen Leben und zufrieden mit unserm Lose.

Noch einen Atemzug über dir, geliebtes Opfer: noch einen Hauch deines Duftes, einen Blick deiner Farbe, einen Schimmer deiner Schönheit, einen Wink deines Schicksals – und nun sei es genug. – –

Es lächelt dem sonderbaren Schwärmer nach.

Trunken naht er, und festen Schrittes geht er!

Sind so die höheren Räusche?

Es scheint! 53

 


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