Emil Gött
Die Wallfahrt
Emil Gött

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Eines Jägers letzter Schuß

»Na, und Sie, schweigen Sie sich grundsätzlich über Ihre Jagdabenteuer aus, oder haben Sie nie gejagt?« fragte der Forstmeister sein Gegenüber im Altherrenstübchen.

»Wie? Das wissen Sie nicht, daß der Oberst noch nie eine Flinte in die Hand genommen hat?« warf ein Dritter ein.

»Sie irren!« sagte trocken der alte Oberst, eine frische Zigarre ansteckend.

»Wie, Sie hätten doch? Das erste Wort, das ich davon höre!« gab jener zurück.

»Sogar recht eifrig!«

»Nun, so geben Sie doch auch einmal etwas zum besten!« nahm der Forstmeister wieder auf. »Es darf auch etwas gelogen sein, nur nicht zu dick!« setzte er schalkhaft hinzu; er war selbst 88 der stärkste Lateiner in der Runde.

»Ich wüßte nur wenig, ja eigentlich nichts so Lustiges, wie's die Herren lieben!« entgegnete der Oberst.

»Es darf auch traurig sein, nur schießen Sie auch einmal mit etwas los! Auf eine Träne soll es mir nicht ankommen«, drängte der andere weiter.

Man lächelte um den Tisch; nur der Aufgeforderte blieb ernst. »Traurig?« meinte er. »Nun, traurig und vielleicht auch einigermaßen interessant dürfte wenigstens ein Vorfall sein, bei dem ich meinen letzten Schuß tat.«

»Den letzten Schuß? Erzählen, erzählen!« tönte es im Kreise.

Der Oberst sah eine Weile vor sich hin, mit der Hand eine Rauchwolke von seinem Gesicht scheuchend, wie einen Schleier von seinem Gedächtnis. Die anderen warteten geduldig. Endlich begann er:

»Es war – nun, ich lag damals in einer kleinen, langweiligen Garnison, deren Hauptvergnügen die Ausflüge nach X. und die Ausübung des sogenannten edlen Waidwerkes waren, dem ich eifrig oblag und fast die ganze freie Zeit widmete. Der Wildstand war nicht besonders. Man schoß eben, was einigermaßen schießbar war, der Kunst und des Vergnügens halber. Ja, des Vergnügens.«

Sein Gesicht wurde um einen Schatten düsterer. Nach sekundenlanger Pause nahm er wieder auf:

»Ich war nicht gerade ein ›Schießer‹ im ganz gemeinen Sinne des Wortes; aber ich war doch einer. Damals wußte ich's nicht, aber heute. Ich habe zu viel geschossen, viel zu viel. Bis der letzte Schuß kam.«

Er atmete hörbar schwerer, und die Worte kamen wie aus gedrücktem Herzen.

»Ich war an einem schönen Spätsommertage durch Buchenwälder gestreift, die Flinte auf dem Rücken, meinen Teckel an der Leine. Vor den Lauf war mir noch nichts gekommen, und es 89 war mir fast gleichgültig; kaum daß ich noch manchmal daran dachte, daß ich eine Büchse trug.

Da, wie ich über eine Lichtung schritt, klang ein Lockruf über mir. Zwei Holztauben flogen wie im Spiel durch die warme, duftsatte Luft. Mein Teckel hob sich bellend nach ihnen. Das reizte mich, ganz mechanisch. Gedankenlos nahm ich die Flinte von der Schulter, ja, gedankenlos, und holte eine der beiden da droben herunter. Zwanzig Schritte vor mir stürzte sie, mit den Flügeln schlagend, aber bald verendend. Ich legte nochmals an, auf die andere, aber ohne etwas Besonderes dabei denkend.

Da hatte ich sie noch nicht auf dem Korn, da schoß sie von selbst, laut schreiend, wie ich noch nie ein ähnlich Geschöpf habe schreien hören, herunter, sich auf die verendende Gefährtin werfend, mit ausgebreiteten Schwingen und wehklagend, wie ein menschlich Wesen um einen toten Lieben, dem es helfen möchte und doch nicht mehr kann. Es war der Täuberich, sein sterbendes Weibchen liebkosend. Mir aber war's, als ob ich ein Verbrechen begangen hätte. Und diesen Jammer, den ich 90 verschuldet, ich konnte ihn nicht mit ansehen. Ich wandte mich wie zur Flucht.

Aber die klagende Stimme des Männchens verfolgte mich, und ich kam mir schändlich feige vor. Ich kehrte mich dem Pärchen wieder zu, und immer noch klagte das arme Tier in haltlosem Schmerze um seine Geliebte.

Es schnitt mir ins Herz; ja, Tränen des Mitleids, der Scham, der Wut stiegen mir in die Augen. Den Jammer nicht schauen, nicht helfen und nicht fliehen können!

Was tun? – Die Flinte riß ich an die Backe und – es war ein Stück Selbstmord! schoß die zweite Taube tot.

Es war mein letzter Schuß – auf der Jagd. Ich hab den großen Krieg mitgemacht – auf ein Tier aber hab ich nie mehr angelegt. Ich mag auch die Jagd nicht mehr!«

Der Oberst schwieg. Tiefe Ruhe lag über dem Raum. Der Forstmeister räusperte sich, um ein befreiendes Wort zu sagen. Aber er fand den Mut nicht dazu.

Es war eine nachdenkliche Geschichte. 91

 


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