Emil Gött
Die Wallfahrt
Emil Gött

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Mißgeschick

Zwischen Konstanz und Hamburg gibt es viele Eisenbahnstationen. Große, kleinere und ganz kleine, und das ist mir ganz lieb; denn dem allzu neugierigen Leser, der dieser Geschichte nachspüren wollte, die auf einem der kleinsten Statiönchen zwischen den genannten Städten passiert ist, würde so das Handwerk einigermaßen erschweren, das doch nur einem braven Mann die Verlegenheit vergrößern müßte, davon er schon mehr als genug gehabt hat.

Der Herr Expeditor also der Haltestelle, von der die Rede ist oder nicht ist, betreibt zu seinem Nutzen oder Pläsier oder zu beidem eine kleine Landwirtschaft neben seinem Amte, obzwar man heutzutage sagen muß, daß es leider Gottes weder mit dem Nutzen noch mit dem Pläsier in der so löblichen Landwirtschaft weit her ist.

Sein Viehbestand ist nicht groß; denn außer einigen Hasen, die uns weiter nichts angehen, besitzt er nur eine Geiß, die es dafür um so mehr tut, eine Geiß, deren halber Liter täglicher Eutersaft zur notwendigen Aufklärung des dunklen Morgentrankes der Expeditorsleute dient, ob es nun der werktägliche Kneipp oder der sonntägliche Java ist.

Aber dieses sonst so nützliche Vieh, vertrackt, wie die Geißen manchmal sein können, hat nun die persönliche Eigentümlichkeit, daß es sich nur von einer Person seines eigenen Geschlechtes melken lassen will, also von einer Frau. Und zwar besorgt dieses kleine Geschäft, in Ermangelung eines anderen weiblichen Wesens, die Frau Expeditor selbst.

Nun war dieselbe neulich einmal mit dem Frühzuge auf den Markt nach O... gefahren, und der Herr Expeditor mußte seinen Kaffee selber machen, was er an sich nicht gerade ungern tat; 85 denn so kam er wieder einmal zu einem extra starken aus echten Bohnen. Den Malzkaffee, sagt er immer, »kneippt« er nämlich lieber im Braustübel. Zu seinem Morgenkaffee gehörte aber, das war er halt schon so gewohnt, seine Geißenmilch, und wohl oder übel mußte er sich entschließen, die Fanny heut selbst zu melken.

Aber vergebliche Mühe. Das Luder war und blieb, er mochte streicheln und schmeicheln oder fluchen und prügeln, ein viel zu charakterfestes Frauenzimmer, ein »Muster«, was sogar der erboste Expeditor zu wiederholten Malen anerkannte.

Endlich, als er vor diesem hartnäckigen Widerstande schon die Belagerung aufgeben und grollend abziehen wollte wie Wallenstein von Stralsund, kam ihm noch ein genialer Gedanke, eine feine Kriegslist: Er ging hin, zog einen Rock und eine Jacke von seiner Frau an, setzte eine Haube von ihr auf und kam hoffnungsvoll wieder. Und richtig, er hatte sich nicht getäuscht. Die Fanny war zwar charakterfest, aber dumm; geduldig ließ sie sich melken.

Aber siehe da, mitten im besten Zuge, wie die Milch in melodischem Takte in den Topf rauschte und so appetitlich drin schäumte und dampfte, da pfiff der Halbachtuhrzug. Im Ärger und Eifer des Melkgeschäftes hatte der Unglückselige nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war. Entsetzt sprang er auf, stürzte Hals über Kopf ins Dienstzimmer, an den Apparat, gab die notwendigen Signale, riß die Haube vom Kopf und wollte aus seinen Weiberkleidern schlüpfen. Aber, o Schreck, er hatte zu gut genestelt und geknöpft, und seine fieberhaft arbeitenden Finger verwirrten durch Zerren und Zappeln mehr, als daß sie lösten.

Näher und näher rauscht und rollt der Zug, schon knirschen die Bremsen, und keine Rettung ist aus der Verwicklung möglich!

Verzweifelt stülpt der unglückliche Expeditor die Dienstmütze 86 auf den Kopf und springt, flammende Röte im Gesicht und vernichtende Scham im Herzen, auf seinen Posten auf den Bahnsteig.

In Gottes Namen, denkt er, besser, sich so blamieren, als den Dienst verlieren.

Was weiter geschah, mag sich jeder gescheite Leser selbst an die Wand malen. Jedenfalls, solange der eiserne Strang von Konstanz nach Hamburg an Dingskirchen vorbeizieht und das Dampfroß darauf landauf, landab rennt, und wenn es noch tausend Jahre so fortmacht, bis es den Atem verliert, so heiter wie an dem Tag ist noch nie »eine Minute Aufenthalt« verlaufen und kann es nie mehr tun. Die Reisenden sprengten schier die Wagenwände auseinander und quetschten sich fast zu den Fenstern hinaus, um das Bild zu sehen.

Und selbst der gestrenge Herr Bahninspektor, der ein paar Tage darauf den Herrn Expeditor wegen der Geschichte ins Gebet nahm, lehnte sich behaglich lächelnd im Stuhl zurück und sagte tröstlich:

»Schon gut, schon gut, Herr Expeditor! – Pech – Pech! Kurioses Pech! Aber ein andermal –«

Der Herr Expeditor aber, der ihm schamrot gegenüberstand, fiel ihm ins Wort:

»O, Herr Inspektor, was das betrifft – das Luder ist schon so gut wie aus dem Haus. Ich hab sie dem Bahnwärter Schnäbele verkauft. Heut morgen holt er sie.«

Woraus der geneigte Leser ersehen kann, daß jetzt an der ganzen Geschichte die dumme Geiß schuld gewesen sein muß! 87

 


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