Emil Gött
Die Wallfahrt
Emil Gött

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Die gewaschene Not

Melancholisch und verdrossen ging ich einst einen Weg, den ich gehen mußte. Kam an einen Bach, war ein Steg darüber, saß ein Weib darauf, in dichten Gewändern, finster, hart, höhnisch, bitter, frierend – ganz wie ich.

»Mach Platz!« sag ich.

»Schaff Platz!« knurrte sie.

Ich stoße sie an; sie rührt sich nicht; ich renne sie an; und pralle zurück; ich rüttle an ihr – sie hockt wie gewachsener Fels.

»Wer bist du denn?« frag ich verwundert.

»Rate!« sagt sie.

Ich denke hin und her, endlich frage ich:

»Gehörst du zu mir?«

»Ja!« sagte sie.

»Dann – bist du die Not!«

Ein kurzes Lachen.

»Die Not? Weiß nicht, warum die Menschen mich immer die Not rufen: ich bin die – Lust!«

Nun lache ich giftig, wie ein Hund bellt.

»Die Lust? Da scheinst du dich heute noch nicht gewaschen zu haben!«

»Wie, wenn die Ungewaschenheit bei dir läge?« fragte sie ironisch.

Ich errötete. Sollte sie mir ansehen, daß – – ich war heute morgen so unlustig, daß ich – – aber das sagt kein Mensch gern.

»Das ist Wasser!« machte sie spöttisch, und ich fühle einen Drang, mich – nun – mich zu waschen. Ich knie nieder und netze das Gesicht; da packt mich ein Durst nach mehr Frische. Die Kleider fliegen mir vom Leib – ein Kopfsprung – hinab auf den klaren Grund, zu den blanken Kieseln da – zu dem grünen 48 Gewirr dort – hinauf, auf die sonnige Oberfläche – ein paar Schwimmstöße links, ein paar rechts – ein paarmal herum und dann auf den Rücken – dann eine Minute wohliges Gewälze und Sprudeln – dann noch einmal hinunter – und dann herauf und heraus –

»Na, du?« will ich fragen – aber wo ist sie, die – ? – Sitzt da, wie ich die Augen trocken und klar hab: das Weib, jung, frisch, rosig, blitz- und sieghaft das Gewand von den Schultern geworfen, und blickt mich mit einem diabolischen Spott an, der etwas Seliges an sich hat – oder hab ich es an mir? – und weidet sich an meiner Verwirrung, in die sich schon Unternehmungsgeist mischt. Dann reicht sie mir lächelnd die Hand:

»Nun«, fragt sie, »haben wir uns – gewaschen?«

Und ich hob sie auf die Arme wie eine Feder – eine wundersame Feder: sie schien mich hinaufzureißen – nicht um mir Platz auf der Brücke zu machen, sondern um sie mit auf den vorher so sauern Weg zu nehmen, und es war eine Lust, mit der lieblichen Last durch die lachenden Auen zu schreiten, zu rennen, zu fliegen, zu – – oh, ich kenne die Gangarten nicht mehr alle – – – es war eine Lust, die sich – oder halt: es war die Not, die sich gewaschen hatte! 49

 


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