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Siebenunddreißigstes Kapitel.
Ein Vorschlag Herrn Doktor Dimsdales

Während Romanowna Nachdenken wollte, schlief sie ein und erwachte erst wieder, als die Abendsonne ihre letzten Strahlen durch das Fenster ihres Zimmers sandte. »Freundliche Sonne,« dachte sie leise, durch das sanfte und helle Licht heiterer gestimmt.

»Sagten Sie etwas?« fragte die angenehme Stimme Frau Dimsdales in russischer Sprache – sie hatte inzwischen mit Eifer diese Sprache erlernt.

»Ich sah nach der Sonne,« sagte Romanowna. »Ach! sie kann meinen Vater nicht mehr bescheinen.«

»Sie wünschen meinen Mann zu sprechen?« fragte Frau Dimsdale, um Romanownas Gedanken abzulenken. »Ich werde ihn rufen, aber nehmen Sie erst etwas Nahrung zu sich«; bei diesen Worten bot sie dem jungen Mädchen eine milde und doch kräftige Speise an, die sie selbst bereitet und während der letzten Stunde warm erhalten hatte. Ihre Mühe aber wurde reichlich belohnt, denn die Patientin ließ es sich sehr gut schmecken.

»Sagen Sie mir doch einmal, liebe Frau Doktor,« sagte Romanowna, »habe ich nicht sonderbar gegen Herrn Lowitz gehandelt? Ich fürchte das, denn ich glaube, ich bin damals im Begriff gewesen, den Verstand zu verlieren.«

»Nein,« antwortete Frau Dimsdale auf französisch, da sie noch nicht fähig war, ein längeres Gespräch in russischer Sprache zu führen. »Sie haben sehr edel und selbstlos gehandelt. Der junge Lowitz ist hingerissen von Ihrer Handlungsweise und sehnt Ihre Genesung ungeduldig herbei, um Ihnen selbst seinen Dank aussprechen zu können.«

»Nein,« sagte Romanowna, »mein Anblick kann doch für ihn nur unangenehm sein, und darum gehe ich ihm lieber aus dem Wege; aber, Frau Doktor,« fragte sie lebhaft, »hat Milna jetzt in die Heirat gewilligt?«

»Milna wünscht erst Ihre Absichten kennen zu lernen und hat sich von Lowitz das Versprechen geben lassen, nicht auf die Heirat zu dringen, ehe sie sich vollkommen davon überzeugt hat, daß Sie auch ohne ihre Gesellschaft glücklich werden können. Ich würde Ihnen das nicht gesagt haben,« fügte Frau Dimsdale hinzu, »wenn ich Ihnen nicht einen Vorschlag zu machen hätte.«

In diesem Augenblick trat Herr Doktor Dimsdale leise ein und wurde durch seine Frau herbeigewinkt. »Ich wollte,« sagte sie, »Romanowna gerade unseren Vorschlag machen.«

»Gut,« sagte er, und darauf fragte Frau Dimsdale Romanowna, ob sie als Pflegetochter und Freundin mit ihnen nach England gehen wolle.

»Wie Sie wissen,« sagte der Doktor, »haben wir keine Kinder, und die Bekanntschaft mit Ihnen hat uns so viel Freude gemacht, daß wir sogleich den Plan faßten. Ihnen diesen Vorschlag zu machen.«

Eine hohe Röte bedeckte Romanownas Antlitz; offenbar that ihr der Vorschlag sehr wohl; trotzdem sagte sie, nachdem sie einige Augenblicke nachgedacht hatte, mit trübem Lächeln: »Die Tochter des Rebellen darf an keine Lebensfreude mehr denken, sie muß in einem Kloster für viele Sünden büßen.«

Der Doktor wollte etwas sagen; aber Romanowna winkte ihm mit der Hand und fuhr fort: »Die Herzlichkeit, die Sie mir immer erzeigt haben, giebt mir den Mut, eine Bitte an Sie zu richten; nämlich, ob Sie mir dazu behülflich sein wollen, in das Kloster des Pater Alexius einzutreten, und ob Sie dafür sorgen wollen, daß Milnas Heirat zustande kommt.«

Herr und Frau Dimsdale sahen einander enttäuscht an und versuchten vergeblich, Romanowna auf andere Gedanken zu bringen. Die Notwendigkeit der Bußübung stand so fest bei ihr, daß sie gar nicht von dem Gedanken abzubringen war. Frau Dimsdale konnte sich keinen rechten Begriff von dem machen, was sie Romanownas »sonderbare Ideen« nannte; aber ihr Mann riet ihr, Romanowna nicht zu widersprechen und sie sich erst ganz erholen zu lassen, ehe man den Vorschlag wiederhole.

Der Arzt sagte dies jedenfalls nicht ohne Absicht; er schien den einen oder anderen Plan zu haben, aber er ließ weder Romanowna noch seine Frau etwas von seinem Vorhaben merken.

Frau Dimsdale und Milna leisteten Romanowna jetzt abwechselnd Gesellschaft, während diese langsam wieder zu Kräften kam; aber beide vermieden es, viel mit der Patientin zu sprechen, und Romanowna war meist so in Gedanken versunken, daß sie wenig Lust hatte, sich zu unterhalten, so hatte sie mit Milna noch kein Wort über Herrn Lowitz gewechselt.

Ungefähr sechs Wochen nach dem ersten Besuch des Arztes war Romanowna wieder soweit hergestellt, daß sie das Krankenzimmer zum erstenmal verlassen durfte. In dem Wohnzimmer hatte Frau Dimsdale es so behaglich wie möglich gemacht, und für Romanowna war ein bequemer Sitz hergerichtet worden, auf dem sie Platz nahm; aber kaum hatte sie sich hingesetzt, als Herr Lowitz ins Zimmer trat. Erschreckt flog sie auf und wollte das Gemach verlassen, als dieser ihr zuvorkam und fragte: »Warum fliehen Sie vor mir?«

»Weil meine Gesellschaft Ihnen doch nur sehr unangenehm sein kann,« antwortete Romanowna.

»Durchaus nicht,« versicherte der junge Mann, »Sie haben mich durch Ihren Brief so glücklich gemacht, daß es mir eine große Freude ist, Ihnen meinen Dank dafür aussprechen zu können.«

»Ich hätte Ihnen so gern das schmerzliche Gefühl erspart, das mein Anblick in Ihnen erwecken muß,« versetzte Romanowna.

»Aber wahrhaftig,« sagte Herr Lowitz, »es ist mir wirklich eine große Freude, Sie wiederhergestellt zu sehen. Sie beleidigen mich fast durch die Voraussetzung, daß ich so gehässig sein könnte, die unschuldige Tochter zu hassen wegen einer Missethat, die ihr unglücklicher, verblendeter Vater begangen hat,« fügte er hinzu, als er sah, daß Romanowna noch immer beabsichtigte, das Zimmer zu verlassen.

»Nein, so meine ich es nicht,« sagte Romanowna, während sie sich wieder setzte, »aber ich habe die Empfindung, als sei ich verantwortlich für alle Sünden, die mein unglücklicher Vater begangen hat.«

»Verzeihen Sie,« sagte Lowitz, »aber ich glaube. Sie sehen die Sache verkehrt an.«

Romanowna lächelte matt, und der Doktor sagte, um dem Gespräch ein Ende zu machen: »Die Sache ist schon abgemacht, nicht wahr Romanowna? Sie gehen in ein Kloster, um zu büßen?«

Romanowna nickte dem Arzte dankbar zu und gab ihm mit einem Blick auf Milna zu verstehen, er möge weiter darüber sprechen. »Und Milna,« fuhr er fort, »soll nicht mitgehen, denn sie ...«

»Soll mich glücklich machen,« vollendete Lowitz freudestrahlend.

Milna sah Romanowna an, und diese sagte leise:

»Sage doch ›ja, Milna‹, denn ich werde nicht zugeben, daß du Herrn Lowitz um meinetwillen unglücklich machst.«

»Wie sehr wünschte ich,« entgegnete Milna, »daß du dich unter Frau Dimsdales mütterliche Obhut stelltest; dann könnte ich mich entschließen, auch an mich selbst zu denken; aber wenn du in ein Kloster gehst, gehe ich mit, denn ich weiß, du würdest dich sehr unglücklich fühlen, wenn du in der Einsamkeit und Abgeschlossenheit nicht jemand bei dir hättest, der dich liebte, und der immer mit dir über deine Erlebnisse sprechen könnte. Aber glaube nicht,« fuhr Milna fort, »daß ich dich dränge, von deinem Entschlusse abzustehen, du mußt ganz deiner eigenen Überzeugung folgen.«

»Nun, meine Lieben, verschieben Sie die weiteren Besprechungen auf ein anderes Mal,« sagte der Doktor heiter. »Nein, nein,« fuhr er zu Lowitz, der die Verhandlungen gern noch weiter geführt hätte, gewendet fort: »wir feiern das Fest der Genesung unserer lieben Freundin, und wir wollen vorerst kein Thema behandeln, über das wir uns augenblicklich noch nicht einigen können. In einigen Tagen erwarte ich einen Gast, mit dem wir die Sache ins reine bringen können.«

»Wen denn?« fragte Frau Dimsdale, ebenso neugierig wie die anderen; aber der Doktor wollte sich nicht näher erklären. »Die Zeit soll Euch das Rätsel lösen,« sagte er und erzählte dann allerlei interessante Begebenheiten aus seinem Leben in so launiger Weise, daß alle abgelenkt wurden und den Abend über vergaßen, daß ein Geheimnis und ein verbotenes Gesprächsthema vorhanden seien, die so leicht eine angenehme Unterhaltung hätten hindern können.


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