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Viertes Kapitel.
Ein trauriger Tag

Nachdem Milna in den Palast zurückgekehrt war, begab sie sich sogleich in die Gemächer der Prinzessin; aber es vergingen viele Stunden, ehe dieselbe ihrer Hilfe bedurfte, denn die Gesellschaft dauerte länger als gewöhnlich. Milna hatte schnell ihre kleinen Obliegenheiten verrichtet und setzte sich an das Feuer; die Stille und Wärme um sie her ließen sie bald in Halbschlummer fallen. In diesem Zustande ruhte ihr Geist aber nicht, sie fing an, zu träumen. In ihrem Traum sah sie sich in der Kapelle, die sie eben verlassen hatte, auf einem Throne sitzend, der von Juwelen glänzte. Das ganze Gebäude war herrlich erleuchtet und alles, was sie umgab, von großer Pracht. Ihre Kleidung war die schönste, die sie je gesehen, und sie saß auf Kissen, die von derselben Seide gemacht waren wie das Kleid der Kaiserin.

Die Kaiserin und Romanowna knieten vor ihr nieder und überreichten die eine eine Krone, die andere ein goldenes Scepter; viele junge, weißgekleidete Mädchen sangen ein herrliches Lied zu ihrer Ehre. Alles um sie her war Freude, Pracht und Herrlichkeit; Milna genoß es in vollen Zügen, bis sie plötzlich gerade vor sich den bewußten Fremden sah, der gekleidet war wie die Kirchenfürsten an hohen Festtagen. Er hatte einen blanken Dolch in der Hand, die er hinter sich hielt, aber Milna sah den Stahl blinken und verstand seine Absicht, als er hinter der Kaiserin stehen blieb. Sie wollte diese warnen, aber als sie sich bückte, fiel sie von dem Thron herunter in einen Abgrund, den sie nicht gesehen, weil ein Teppich darüber gelegen hatte. Sie fühlte, wie sie immer tiefer und tiefer sank, bis sie endlich auf einem Schneeberg liegen blieb. »Wo bin ich?« rief sie entsetzt und wurde mit einem Schrei wach, als der Fremde sich ihr mit unheilverkündendem Gesicht näherte. »Wo bin ich?« wiederholte sie noch einmal, während sie mit schläfrigen Augen um sich blickte. Das fröhliche Lachen Romanownas brachte sie schnell zur Besinnung.

»Guten Morgen,« rief diese lachend.

»Verzeihung, Prinzessin,« stammelte Milna, »ich bin wider Willen schläfrig geworden und hörte Sie nicht kommen, weil ich ...«

»So ruhig schlief,« ergänzte Romanowna; »ich habe dir nichts vorzuwerfen, liebe Milna, denn ich wäre selbst schläfrig geworden, wenn ich bis jetzt hätte warten sollen. Es hat lange gedauert, aber für mich nicht lange genug, denn ich habe noch kaum je soviel Vergnügen genossen. Ach, es war ein so schöner Abend,« fügte sie hinzu.

Romanowna sprach in ihrer Aufregung während des Auskleidens immerzu, und obgleich Milna erst nur hörte, ohne zu verstehen, fing sie doch nach und nach an, mehr Interesse an der Erzählung zu finden, und schließlich blieb sie noch, nachdem die Prinzessin schon zu Bett lag und lauschte mit Vergnügen den Mitteilungen derselben.

Erst später, als sie selbst sich zur Ruhe begeben, fiel ihr der wunderbare Traum wieder ein. »Sonderbar,« dachte sie, mit leichtem Schauder sich an denselben erinnernd, »daß ich so tief sank, gerade als ich auf dem Gipfelpunkt der Ehre war. Soll das ein Vorzeichen sein? oder vielleicht eine Warnung, nicht mehr auf den fremden Mann zu hören? Ach geh', Träume sind immer trügerisch und bedeuten gerade das Gegenteil; der Traum verheißt mir nur Glück; ich werde immer den Befehlen des heiligen Mannes gehorchen.«

Und während Milna noch darüber nachdachte, wie sie durch das Annehmen eines geheimnisvollen Tones Romanownas Neugierde am besten wachrufen könne, fiel sie in Schlaf.

Es wurde ihr nicht schwer, Romanowna am folgenden Tage auf den erwünschten Gegenstand zu bringen, da die ersten Worte der Prinzessin die arme Näherin betrafen. Milna zog Vorteil daraus, indem sie Romanowna noch einige Einzelheiten mitteilte, ihr aber riet, mit der Kaiserin nicht davon zu sprechen.

»Verlange das nicht,« sagte Romanowna entschlossen, »ich habe die Kaiserin schon um eine besondere Unterredung bitten lassen und ...«

»Aber, Prinzessin,« sagte Milna, »in Ihrem eigenen Interesse wird es besser sein, nicht davon zu sprechen, denn die Kaiserin wird Ihre Bitte nicht gewähren und ...«

»Nun,« fiel ihr Romanowna ein wenig ungeduldig in die Rede, »das wird die Zeit lehren. Aber, was verstehst du unter meinem Interesse?«

»Nichts,« antwortete Milna, »oder doch etwas, aber ich kann es Ihnen nicht sagen.«

»Ah so,« sagte Romanowna, »du kannst nicht? Geh', thu' es doch, denn du hast mich jetzt neugierig gemacht, und du weißt, daß ich immer gern alles weiß. Ist es wirklich etwas Wichtiges? etwas, was mich angeht?«

Milna nickte bejahend mit dem Kopf.

»Ist vielleicht von einer Heirat die Rede?« fragte die Prinzessin.

»Nein,« sagte Milna.

»Aber von was denn?« fragte Romanowna, indem sie mit ihrem Fuß ungeduldig den Boden stampfte, »wenn dahinter ein Geheimnis steckt, muß ich es wissen, und wenn du es mir nicht sagen willst, werde ich die Kaiserin darüber fragen.«

»Thun Sie das nicht,« warnte Milna.

»Willst du es mir dann sagen?«

»Ja,« sagte Milna, nach einigem Überlegen, »Sie sind so gewohnt, alles aus mir herauszubringen, daß ich mich wohl auch jetzt entschließen muß, es Ihnen zuzuflüstern.«

»Zuflüstern?« wiederholte Romanowna lachend.

»Ja gewiß, mit einem Geheimnis kann man nicht vorsichtig genug sein,« antwortete Milna wichtig.

»Nun, ich höre,« sagte Romanowna, indem sie ihr Ohr mit komischem Ernst Milna näherte.

»Es ist ein Geheimnis, das Ihre Abkunft betrifft,« sagte Milna kaum hörbar.

»Und was für ein Geheimnis?« fragte Romanowna.

Diese Frage brachte Milna in große Verlegenheit, da sie durchaus nicht wußte, was sie antworten solle. Sie hatte wörtlich wiederholt, was der Fremde ihr vorgesagt, aber auf diese Frage war sie gänzlich unvorbereitet.

»Das weiß ich nicht,« sagte sie endlich, als Romanowna ihre Frage noch einmal wiederholt hatte.

Romanowna schüttelte ungläubig das Köpfchen und sagte:

»Nein, Milna, das glaube ich nicht, du weißt mehr, als du sagen willst. Komm, sei nicht so geheimnisvoll und sage mir schnell, was du mir bis jetzt verborgen hast.«

»Aber, im Ernst, Prinzessin,« stammelte Milna, »ich kann Ihnen doch nichts sagen, was ich selbst nicht weiß.«

»Aber, was weißt du denn?« fragte Romanowna.

»Nur, was ich Ihnen erzählt habe, ich habe« ... Milna hielt auf einmal ein, »ich habe hie und da etwas munkeln hören über Ihre Abstammung, aber richtig habe ich die Sache nie begriffen.«

»Früher hast du immer die Wahrheit gesprochen,« sagte Romanowna kühl, »aber jetzt scheinst du das nicht mehr zu wollen; bah, was liegt mir daran, ich gehe jetzt doch zu meiner Mutter und werde sie um Auskunft bitten über deine geheimnisvollen Worte. Warte hier,« fügte sie in befehlendem Ton hinzu, »dann kann ich dir mitteilen, was Ihre Majestät für die Familie thun will, für die Puga ... Pugo ... wie ist doch der Name?«

»Pugatscheff,« sagte Milna, »aber hören Sie doch auf mich, Prinzessin.«

»Es ist Zeit, zur Kaiserin zu gehen,« sagte Romanowna kurz und ließ sich von Milna die Thüre öffnen.

Es war Milna, als läge ihr eine schwere Last auf dem Herzen, als Romanowna weg war. »Wie leid thut es mir,« dachte sie, »daß ich mich von dem fremden Mann als Werkzeug habe gebrauchen lassen. Jetzt ist die Prinzessin natürlich böse auf mich, und wenn sie ihre Drohung ausführt und mit der Kaiserin darüber spricht, und ich aufgefordert werde, zu sagen, was ich damit meinte, ach Himmel! was soll ich nur anfangen?«

Ihr Herz klopfte hörbar, während sie dasaß und wartete und auf die Fußtritte in der Halle lauschte. Bald glaubte sie, Romanowna zu hören, und öffnete die Thüre, ohne jemand zu finden; dann glaubte sie, die Prinzessin rufe sie, und wenn sie angestrengt lauschte, hörte sie wieder nichts. Mehr als zwei volle Stunden schlichen buchstäblich dahin, ohne daß die Prinzessin sich blicken ließ. Endlich wurde die Thüre heftig aufgerissen, und zu Milnas nicht geringer Verwunderung trat nicht Romanowna, sondern ein Offizier der Wache herein.

»Sind Sie Milna, das Kammermädchen der Prinzessin Romanowna?« fragte er, indem er sich Milna mit einer leichten Verbeugung näherte.

»Ja,« sagte Milna verwundert.

»Dann habe ich von unserer gnädigsten Gebieterin, Kaiserin Katharina, den Auftrag, Sie in Gewahrsam zu nehmen,« sagte der Offizier, seine Hand auf ihre Schulter legend.

»Mich in Gewahrsam zu nehmen?« wiederholte Milna in fragendem Ton, ohne den Sinn der Worte recht verstanden zu haben. »Warum denn?« fragte sie nach einigen Augenblicken, während der Offizier sie mit vielem Interesse beobachtete.

»Das werden Sie wohl selbst am besten wissen,« war die Antwort.

»Ich bin mir nichts bewußt,« sagte Milna, obschon das verräterische Erglühen ihrer Wangen bewies, daß sie eine Ahnung davon hatte.

»Desto besser,« sagte der Offizier, »aber kommen Sie, meine schöne Gefangene, ich muß Sie sogleich abführen.«

»Sogleich?« fragte Milna erschrocken. »Ach, Herr,« bat sie, »lassen Sie mich erst mit Prinzessin Romanowna sprechen, sie wird sicher mit wenigen Worten das Mißverständnis aufklären.«

»Mein Auftrag ist bestimmt,« antwortete der Offizier mit festem Ton, »und Sie müssen sogleich mit mir gehen.«

»Hat die Kaiserin den Befehl gegeben?« fragte Milna.

»Sie selbst,« war die Antwort.

»Werde ich sie sehen?« fragte Milna.

»Gewiß nicht. Aber Sie würden mich zu Dank verpflichten, wenn Sie sogleich mit mir gehen wollten,« sagte der Offizier in strengerem Ton, »denn wenn ich Sie nicht sofort aus dem Palast entferne, verliere ich meine Stellung.« Milna begriff nun, daß sie nichts Besseres thun könne, als zu gehorchen, wenn sie sich nicht noch einer weniger höflichen Behandlung aussetzen wollte. Sie stand deshalb auf und folgte schweigend.

Zu ihrer Freude sah sie in dem Gang, den sie durchschreiten mußte, den Leibeignen vom gestrigen Abend stehen, und während der Offizier stehen blieb, um seinen Säbel fester zu schnallen, fand sie Gelegenheit, leise zu sagen: »Geh' rasch zu ihm und sage, daß Milna verhaftet worden ist und ...«

Der Offizier verhinderte sie, mehr zu sagen, da er ihr befahl, ihm zu folgen. Der Leibeigne nickte zustimmend, wie um Milna zu sagen, er wisse genug und ging dann sogleich nach dem Haus, in das er von dem Mann beschieden worden war, dessen Bekanntschaft wir soeben gemacht haben, ohne seinen Namen zu erfahren. Wir werden gleich etwas mehr von ihm hören, da es uns gestattet sein wird, ein Gespräch zu belauschen, das zwischen der Kaiserin und einer ihrer vertrautesten Hofdamen stattfand.


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