Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.
Das neue seidene Kleid

Unsere Erzählung beginnt in dem kalten Winter des Jahres 17.. und versetzt uns in den Palast Katharinas II., die damals Kaiserin aller Reußen war. Innerhalb der Mauern des Palastes schien es fast unglaublich, daß es draußen so bitter kalt sei, denn schon in den Vorzimmern und in den langen Gängen brachten die großen Holzfeuer, die Tag und Nacht in den Kachelöfen brannten, eine angenehme Wärme hervor, und außerdem hielten dreifache Thüren und Fenster jeden Zug ab. Das Wort Kälte war darum für die Bewohner des prächtigen Gebäudes wenig mehr als ein leerer Schall, und wenigstens in diesem Augenblick dachte niemand in demselben an die vielen armen Menschen, welche die Opfer der grimmigen Kälte wurden.

Ohne uns aufzuhalten, wollen wir unsere Leser sogleich in Prinzessin Romanownas Gemach begleiten, die sich gerade für die große Gesellschaft ankleiden läßt, die heute abend ihr zu Ehren gegeben werden soll.

Das Zimmer bietet einen hübschen Anblick dar; zwei schöne Krystallkronleuchter hängen von der Decke herab, und die doppelten Reihen Wachskerzen, die an ihnen brennen, verbreiten ein angenehmes Licht in dem geschmackvoll ausgestatteten Gemach. Zwei große Spiegel, die unter dem Kronleuchter in der Mitte des Zimmers einander gegenüberstehen, machen es der Bewohnerin so bequem wie möglich, sich selbst zu betrachten, oder vielmehr zu bewundern, denn das thut sie in diesem Augenblick.

Das Kammermädchen hat ihr eben das Kleid zugeschnürt und sagt: »Jetzt dürfen Sie sehen, Prinzessin.« Milna Wolodna war für Romanowna eigentlich mehr als ein Kammermädchen; durch das beständige Zusammenleben schienen die jungen Mädchen mehr Freundinnen als Herrin und Dienerin geworden zu sein, und sie hatten sich immer soviel zu sagen, daß Romanowna nach dem Ankleiden meistens noch geraume Zeit erzählte oder zuhörte. Milna war fröhlicher und lebhafter Natur, und niemand konnte sich leicht bei ihr langweilen; aber an diesem Abend war sie besonders still und in sich gekehrt, so daß sie beinahe kein Wort sprach. Romanowna aber gab nicht viel darauf acht, so erfüllt war sie von dem neuen Kleid, das sie heute tragen sollte.

»Bah, eine Prinzessin entzückt von einem neuen Kleid«, höre ich eine meiner Leserinnen verwundert fragen, »was war denn Besonderes an demselben?«

Es war eben ein allerliebstes Kleid von französischer Seide. Jetzt ist Seide in Rußland nichts Ungewöhnlicheres als bei uns, aber damals war der Stoff dort noch unbekannt, und die Kaiserin und Romanowna sollten heute zum erstenmal in seidenen Gewändern erscheinen. Stellt euch nun einmal vor, daß ihr noch nie Seide gesehen hättet, und niemand in eurer Umgebung sie kenne, und daß ihr zum erstenmal ein so prächtiges, glänzendes Kleid tragen solltet, und daß ihr ein bißchen eitel wäret – und das war Romanowna – nun, dann würde es euch ebenso gehen, und ihr würdet auch den Wunsch haben, euch zu betrachten und nicht darauf achten, wenn eure Kammerjungfer ein bißchen in sich gekehrt wäre.

Als Milna hereingekommen, befand sich das Kleid in einem Kasten, den sie in eine Ecke des Zimmers hinstellte.

»Komm, laß mich einmal sehen, Milna,« sagte Romanowna, auf den Kasten zugehend, »ich bin so neugierig.«

»Nein, nein,« antwortete Milna neckend, »Sie dürfen es erst sehen, wenn Sie ganz angekleidet sind.«

»Geh, Dummheit,« sagte Romanowna, »öffne doch den Kasten.«

»Nein, gewiß nicht,« wiederholte Milna bestimmt, »ich bin fest entschlossen, Ihnen diesmal nicht den Willen zu thun.«

»Und wenn ich es dir nun als deine Gebieterin befehle?« fragte Romanowna.

»Das werden Sie nicht thun,« antwortete Milna, »denn dazu kenne ich Sie viel zu gut. Aber kommen Sie nur, Gebieterin,« fuhr sie in spöttischem Tone fort, während sie vor Romanowna niederkniete, »halten Sie einmal Ihren Fuß hin, damit ich Ihnen die Tanzschuhe anziehen kann.«

»Glaubst du,« fragte Romanowna, während Milna ihr die weißen Atlasschuhe anzog, die mit einem schmalen Pelzrande besetzt waren, »daß ich schön aussehen werde?«

»Zweifellos,« antwortete Milna gleichgültig.

»Weißt du, Milna,« fragte Romanowna wieder, »daß die Kaiserin die Absicht hat, diesen Winter ein prächtiges Fest in Zarsko Selo zu geben?«

»Nein,« sagte Milna kurz, während sie sich aus ihrer knieenden Stellung erhob.

»Ja,« fuhr Romanowna aufgeregt fort, »ein so prächtiges Fest, wie noch nie eines in Rußland gewesen ist. Ich glaube, das Feuerwerk soll aus Paris verschrieben werden. Du begreifst doch, Milna, wie herrlich das werden muß, aber,« fügte sie in demselben Atem hinzu, indem sie von ihrem Stuhl aufsprang, »ich muß doch einmal sehen, was du an meinen Haaren machst.«

»Geduld, Geduld, schöne Prinzessin,« war Milnas Antwort, während sie Romanowna zurückhielt, »ich habe nun einmal fest beschlossen, daß Sie keinen Blick in den Spiegel thun sollen, ehe Sie ganz fertig sind und ich Ihnen die Erlaubnis gebe, sich nach Herzenslust zu bewundern.«

»Nun, so werde ich mich wohl fügen müssen,« sagte Romanowna und setzte sich wieder hin, »aber, das ist doch sehr komisch, daß ich mich nicht einmal betrachten darf, wenn ich will.«

»Es giebt noch merkwürdigere Dinge,« sagte Milna halblaut.

Romanowna verstand sie nicht, denn Milna bückte sich gerade, um das Kleid aus dem Kasten zu holen.

»Noch nicht sehen,« befahl Milna und hielt das Kleid hinter sich, als sich Romanowna umsah.

»Nun denn,« sagte Romanowna und kniff die Augen zu, »ich gelobe, sie nicht zu öffnen, bis du mir die Erlaubnis dazu giebst.«

Und wirklich hielt sie die Augen fest geschlossen, bis Milna, nachdem sie ihr das Kleid vorn und hinten mit einer seidenen Kordel zugeschnürt hatte, sie bei der Hand nahm und zwischen die beiden Spiegel führte.

»Nun, Prinzessin!« fragte Milna, nachdem Romanowna einige Zeit stumm hineingeblickt hatte.

»Ich kann fast nicht sagen, wie schön ich es finde,« sagte Romanowna.

Romanowna wußte sehr gut, daß sie ein schönes Mädchen war, denn außer daß jeder Spiegel ihr das sagte, war es ihr schon bis zum Überdruß zugeflüstert worden; aber in diesem Augenblick stand sie doch ganz verwundert über ihre eigene Schönheit, die in der reichen, geschmackvollen Kleidung erst zur vollen Geltung kam.

Ihr rosaseidenes Kleid war ganz mit Spitzen garniert und saß wie angegossen, wie man zu sagen pflegt; auf ihren dunkeln Locken war ein Kranz von weißen Federn und Perlen befestigt, der ihr allerliebst stand. Es war eine Freude, sie anzusehen; Milna schaute zwar über ihre Schulter in den Spiegel, aber ihre Gedanken waren ganz wo anders, und obschon ihre Augen auf Romanownas Spiegelbild gerichtet waren, sah sie eigentlich ins Leere. Romanowna blickte rechts und links, drehte sich ein bißchen herum, um in dem gegenüberstehenden Spiegel besser sehen zu können, wie das Kleid hinten saß, machte einige Tanzschritte, um die rauschende Bewegung der Seide zu beobachten, und sagte endlich, während sie sich plötzlich nach Milna umwandte: »Prächtig, wahrhaftig prächtig, du hast alle Ehre davon ... aber was ist? weinst du?« unterbrach sie sich selbst, »was fehlt dir, Milna?«

»Nichts, nichts,« antwortete Milna ausweichend, während sie mit ihrer Schürze eine Thräne abwischte, die gegen ihren Willen über ihre Wangen rollte.

»Nichts!« fragte Romanowna. »Weinst du denn ganz ohne Ursache? Nein, das glaube ich nicht, du bist kein Mädchen, das ohne Grund Thränen vergießt. Drum sage mir, was dir fehlt!«

»Das kann und darf ich nicht,« sagte Milna.

»Kann und darf,« wiederholte Romanowna, ihre Lippen verächtlich kräuselnd, »du kannst und darfst nicht nur, du mußt sogar, denn ich, als deine Herrin, bestehe fest darauf, alles zu wissen, was dir fehlt ... aber Milna,« fiel Romanowna selbst zögernd sich in die Rede, »du weinst doch nicht etwa aus Eifersucht?«

»Nein, gewiß nicht,« sagte Milna, augenscheinlich etwas verletzt durch diese Voraussetzung, während sie die ausgezogenen Kleider der Prinzessin zusammenraffte.

»Komm, laß das nur liegen, setze dich hierher und erzähle mir, was dich so traurig macht,« sagte Romanowna und ließ sich aufs Sofa fallen, während sie Milna mit sanftem Druck zu sich nieder zog.

»Vorsichtig, Prinzessin, geben Sie auf Ihr Kleid acht,« mahnte das junge Mädchen.

»Ach, ich denke jetzt nicht an mein Kleid,« antwortete Romanowna, »ich will nur wissen, was für Kummer du hast.«

»Ich habe keinen Kummer,« versicherte Milna, »die Thränen kamen mir unwillkürlich in die Augen.«

»Nein, unwillkürlich weint man nicht,« behauptete Romanowna, »du willst mir nur nicht sagen, was dich betrübt.«

»Ich will, aber ich darf nicht,« entschuldigte Milna.

»Und warum darfst du nicht?« fragte Romanowna.

»Sie wissen,« sagte Milna, »daß jeder, der in Ihrem Dienst steht, den Befehl bekommen hat, Ihnen nie traurige Dinge zu erzählen.«

»Ein sehr dummer Befehl,« sagte Romanowna, »aber ich bestehe darauf, daß du mir alles erzählst, was dich traurig macht, und ich gebe dir mein Wort darauf, daß ich alles thun werde, deinen Kummer zu erleichtern.«

»Es ist zu spät,« sagte Milna tonlos, »Prinzessin,« fügte sie plötzlich in fragendem Ton hinzu, »wissen Sie, was das Gewissen ist?«

»Jawohl,« antwortete Romanowna gleichgültig. »Aber, was hast du?«

»Die Stimme meines Gewissens klagt mich an,« sagte Milna feierlich, »darum bin ich traurig.«

Romanowna, die jedenfalls eine ganz andere Antwort erwartet hatte, schwieg einige Augenblicke und sagte dann: »Geh', schlag dir die eingebildete Stimme aus dem Sinn; sieh' nicht so traurig drein und sei wieder meine alte, fröhliche Milna.«

»Die Stimme läßt sich nicht so leicht zum Schweigen bringen,« sagte Milna leise.

»Aber wessen klagt dich denn dein Gewissen an?« fragte Romanowna heiter, »ich bin sehr zufrieden mit deinen Diensten und ...«

»Ich werde es Ihnen sagen,« fiel Milna ihr in die Rede, »die Schneiderin, die meistens die Kleider für die Kaiserin und für Sie machte, ist krank geworden und konnte, obwohl sie dieselben übernommen hatte, sie nicht selbst nähen. Eine Cousine von mir, die sehr geschickt war, aber eine schwache Gesundheit hatte, hörte, daß die Schneiderin unwohl sei und bat mich, der Kaiserin ihre Dienste anzubieten. Meine Cousine war mißgestaltet und sehr häßlich, und darum, oder ich weiß eigentlich selbst nicht warum,« stotterte Milna, »schrieb ich ihr, ich könnte mich ihrer Sache nicht annehmen und riet ihr, die Schneiderin selbst um Arbeit zu bitten.«

»Nun,« sagte Romanowna, als Milna schwieg, »da ist doch nichts Böses dabei.«

»Ich wußte,« fuhr Milna mit Nachdruck fort, »daß meine Cousine sicher nicht Geld genug hatte, um aufs Ungewisse hin die Reise nach Petersburg zu unternehmen, und daß ihre zarte Gesundheit durch meine Unfreundlichkeit einen Stoß erhalten werde, außerdem wußte ich auch, daß die Schneiderin viel zu selbstsüchtig sei, um ein armes Mädchen genügend zu bezahlen, wenn sich niemand seiner annehme.«

»Und kam sie?« fragte Romanowna teilnehmend.

»Sie kam, und sie hat das prächtige Kleid ganz gemacht, aber« ... und Milna hielt inne, da ihre Thränen sie am Sprechen hinderten, »es hat ihr das Leben gekostet.«

Verwunderung und Schrecken malten sich bei diesen Worten auf Romanownas Gesicht. »Hat das Anfertigen dieses Kleides jemand das Leben gekostet?« fragte sie endlich.

»Ja, die Schneiderin gab meiner Cousine so wenig Geld, daß sie das Zimmerchen, das sie gemietet hatte, nicht gehörig heizen konnte,« sagte Milna, »und gerade, als sie mit unglaublicher Anstrengung die letzte Hand an die Arbeit gelegt hatte, fiel sie vor Ermüdung und Kälte ohnmächtig hin und ist wahrscheinlich erfroren.«

»Entsetzlich,« rief Romanowna, während sich aus ihren Augen eine Thräne stahl. »Das arme Mädchen.«

»Ihre arme Familie ist am meisten zu beklagen,« sagte Milna, »denn das Mädchen hatte den Schritt gethan in der Hoffnung, ihren Eltern eine Unterstützung zukommen lassen zu können.«

»O, aber für sie wird die Kaiserin sorgen,« sagte Romanowna in bestimmtem Ton.

»Sprechen Sie lieber mit der Kaiserin nicht davon,« sagte Milna, »denn ich würde meine Entlassung bekommen, wenn man hörte, daß ich Ihnen solche traurige Sachen erzähle.«

»Meine Mutter wird ebenso wie ich von solchem Unglück gerührt sein und wird thun, was in ihrer Macht steht, um den Unglücklichen zu helfen,« sagte Romanowna.

»Wenn es die Laune des Augenblicks so mit sich bringt,« sagte Milna halblaut.

»Beleidige die Kaiserin nicht, Milna,« bat Romanowna, »du wirst sehen, daß man alles thun wird, was ich für die unglückliche Familie verlange. Sag' mir nur, wie die Menschen heißen und wo sie wohnen.«

Milna besann sich und antwortete, als Romanowna ihre Frage noch einmal wiederholt hatte, mit leichtem Erröten, aber deutlicher Stimme: »Der Name ist Pugatscheff, und das Dorf heißt Krasnogorsk.«

Kaum hatte Milna diese Worte gesagt, als an die Thür geklopft wurde und einige Hofdamen hereintraten, um die Prinzessin abzuholen und sie in den Empfangssaal zu führen. Sie stand auf, ließ sich von Milna ihr Kleid zurechtzupfen, und flüsterte dieser zu, sie müsse wieder fröhlich werden. In dem Festgewühl freilich vergaß sie die traurige Geschichte gänzlich. Wir werden ihr jetzt dahin nicht folgen, sondern lieber noch einen Augenblick bei Milna verweilen.


 << zurück weiter >>