Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehntes Kapitel.
Ein Gespräch zwischen Milna und Ottekesa

Milna befand sich noch nicht lange auf ihrem Zimmer, als die alte Ottekesa zu ihr hereinkam. »Nun,« sagte diese in beinahe triumphierendem Ton, »was hat die alte Ottekesa gesagt? hatte sie nicht Recht?«

»Arme Romanowna,« sagte Milna, mehr auf ihre eigenen Gedanken als auf die alte Ottekesa achtend.

»Hatte Mutter Ottekesa nicht Recht?« wiederholte die Alte, »als sie Euch vor einigen Tagen sagte, daß der heilige Mann sich verändert und ein Trunkenbold und Schwindler geworden sei?«

Milna seufzte und schwieg.

»Man hatte es mir erzählt,« fuhr die Alte fort, »aber ich wollte es erst nicht glauben, denn ich sagte mir, er habe wochenlang mit mir im Tempel gewohnt, und er wollte keinen Branntwein trinken, obgleich ich ihm täglich solchen anbot; aber als man mir immer und immer wieder sagte, daß er sich der Unmäßigkeit ergeben habe und täglich betrunken sei, da habe ich mich als Bauer verkleidet und bin ein hübsches Stück gegangen, um selbst zu untersuchen, ob es wahr sei, und da habe ich selbst gesehen, daß ...«

»Mutter Ottekesa,« unterbrach sie Milna, »du hast mir ganz dieselbe Geschichte schon erzählt, und ich habe dir gesagt, was ich dir jetzt wiederhole, du mögest lieber solche Gerüchte nicht weiterverbreiten.«

»Ja, ja, Sie hielten alles, was ich Ihnen erzählte, für müßiges Geschwätz,« sagte die alte Frau, »und Sie wollen es mir nicht glauben; aber fragen Sie einmal, wen Sie wollen, und jedermann wird Ihnen bestätigen, daß er, wie er eben hier ankam, vor Trunkenheit kaum absteigen konnte.«

»Ich habe den Kaiser gesprochen,« antwortete Milna kurz.

»Heiliger Nikolaus,« rief die alte Frau, die Hände über dem Kopf zusammenschlagend, »ist es also wahr, was man mir erzählte, daß Sie und die Prinzessin die ganze betrunkene Gesellschaft ...«

»Wie geht es dem armen kranken Mädchen?« fragte Milna, um die Alte abzulenken, da sie in diesem Augenblick gar nicht zu einer derartigen Unterhaltung geneigt war.

»O, sie ist wieder ganz hergestellt. Man hat sie auf die altmodische Manier behandelt,« antwortete Ottekesa, »erst mußte sie drei Stunden lang schwitzen unter allen möglichen wollenen Decken und Mänteln, und dann hat man sie fast ganz nackt zwei Stunden im Schnee herumgewälzt. Bah, mein verstorbener Mann ist auch einmal auf diese Weise geheilt worden; ich aber wollte lieber sterben, als auf solche Art besser werden. Doch Fräulein Milna,« fuhr die Alte, die sich nicht von ihrem Thema abbringen ließ, fort, »man sagte neulich auch, unser Herr wäre vielleicht nicht einmal der Kaiser.«

»Glaub' doch solch' unsinnige Gerüchte nicht, Mutter Ottekesa,« sagte Milna. »Ich selbst, hörst du, ich selbst habe sein Bildnis gesehen und ... höre einmal, Pater Alexius hat uns gelehrt, die Fehler unserer Mitmenschen mit dem Mantel der Liebe zuzudecken.«

»Ja, ja,« sagte Ottekesa, ohne Milna zu begreifen.

»Ich meine,« sagte Milna, »wir sollten lieber Gott bitten, unseren Herrn vor fernerem Straucheln zu bewahren, statt seine Missethaten durch Weitererzählen zu vergrößern.«

»Ja, ja,« wiederholte die Alte, »aber, ich weiß doch gewiß, daß alles, was ich gesagt habe ...«

»Ach, ich habe wahrhaftig vergessen, daß ich versprochen habe, der Prinzessin zu helfen,« fiel Milna der Alten ins Wort und bemerkte mit Vergnügen, daß Ottekesa den Wink verstand und sich zurückzog.

»Arme, unglückliche Prinzessin,« sagte Milna zu sich selbst, »was wird dein Los sein?« Sie blieb, die Hände an die Stirne gedrückt, einige Zeit nachdenklich sitzen, ehe sie sich zu Romanowna begab. Wie sehr hätte sie gewünscht, die Prinzessin noch länger in Unkenntnis lassen zu können über die traurigen Berichte, die sie selbst schon längst erhalten hatte.

Wie wir wissen, hatte Milna, als Pater Alexius Zweifel trug, ob Pugatscheff der Zar sei, mit Wärme geantwortet, daß er viel zu groß und edel wäre, um zu betrügen, und nachdem der Prior sich überzeugt hatte, daß Pugatscheff der Zar sei, gesagt: »O, ein Betrug war bei ihm ganz unmöglich«; aber, wie es oft mit unseren Gedanken geht, wir bewahren Worte des Zweifels, die wir weit von uns abweisen, doch im Gedächtnis. Mehr als einmal träumte sie, Pugatscheff lege eine Maske ab und zeige ein ganz anderes Gesicht als bisher; erschreckt wachte sie dann auf und freute sich, daß sie nur geträumt habe, ärgerte sich über ihre eigene Thorheit, die Worte so lange zu behalten und versuchte, die Erinnerung daran mit dem Traum zu vergessen, aber häufig fielen sie ihr doch wieder ein.

Ottekesa empfand, nachdem sie einige Zeit in der Fremde gewesen war, ein starkes Verlangen, wieder nach Petersburg zu kommen und hoffte, als ihr die Berichte von Pugatscheffs Ausschweifungen zu Ohren kamen, daß Romanowna und Milna mit ihr dorthin zurückkehren würden; aber darin täuschte sie sich; denn Milna stellte sich nicht nur so, als ob sie ihren Worten wenig Glauben schenke, sie verbot ihr sogar, mit der Prinzessin über die Sache zu sprechen. An diesem Morgen glaubte sie, ihre Absicht erreichen zu können, aber, wie wir gesehen, Milna war viel zu verständig, einer Untergebenen merken zu lassen, was sie von ihren Berichten denke. »Fürwahr,« sagte Milna endlich zu sich selbst, nachdem sie eine Weile in Gedanken versunken dagesessen hatte, »ich werde einmal nach Romanowna sehen, vorher aber will ich noch einmal hinuntergehen und hören, was ihr Vater eben macht.«

Als sie hinunter kam, begegnete sie im Gang dem Grafen von Solms, der gesenkten Kopfes langsam auf- und abging. Von ihm hörte Milna, daß der Zar sich zur Ruhe begeben habe, und daß er sehr das Erscheinen der Prinzessin bei der Tafel wünsche; daraufhin kehrte Milna zu ihrer Freundin zurück. Romanowna saß noch unbeweglich auf demselben Platz. Ihre Wangen waren totenblaß, und in ihrem Gesicht lag ein Zug tiefen Schmerzes; ihre Augen waren starr auf einen Punkt gerichtet, und keine Thräne verschaffte ihr Erleichterung.

Milna wurde von dem Anblick eines solchen Schmerzes so betroffen, daß sie wider Willen anfing zu weinen und ihrer Freundin schluchzend um den Hals fiel. Ihre Teilnahme that Romanowna wohl; jetzt strömten die Thränen aus ihren Augen, und während sie ihren Kopf auf Milnas Schulter ruhen ließ, seufzte sie: »O, Milna, wie bin ich doch so unglücklich.«

Milna ließ sie erst eine Weile sich ausweinen und sagte dann ruhig: »Aber, meine liebe Romanowna, ich begreife nicht, warum du so betrübt bist; du bist erschrocken über das unerwartete Erscheinen deines Vaters und bist davon angegriffen. Aber denke nur einmal darüber nach, was eigentlich vorgefallen ist. Die Gesellschaft ist schon früh weggeritten, als es noch kalt war, deswegen ist manchmal Halt gemacht und unmerklich viel Branntwein getrunken worden. Der hastige Ritt und die Hitze im Saal machten die Gäste etwas schwindlig, aber ich bin fest davon überzeugt, daß wir jetzt an der Tafel ...«

»Wir an der Tafel?« wiederholte Romanowna, Milna unterbrechend, »du glaubst doch nicht, ich hätte die Absicht, mich noch einmal dem auszusetzen ...«

In diesem Augenblick erschien ein Bedienter, um bei Romanowna anzufragen, ob die Prinzessin den Zaren in einer halben Stunde erwarten wolle. Ohne Zögern nickte Romanowna zustimmend und sah Milna verwundert an, als der Bediente die Thüre hinter sich geschlossen hatte.

»Dein Vater und die meisten Gäste haben sich ein wenig zur Ruhe gelegt,« sagte Milna als Antwort auf den Blick und fügte fragend hinzu: »Du willst dich gewiß jetzt zum Essen ankleiden?«

Romanowna überlegte einige Augenblicke und sagte dann: »Nein, Milna, ich werde nicht bei Tafel erscheinen können, ich fühle mich so unwohl, daß ich gar keine Kraft dazu habe.«

»Ich glaube, daß es deinen Vater sehr betrüben würde, wenn du zeigtest, daß du dich gekränkt fühlst,« bemerkte Milna.

»Du hast Recht,« sagte Romanowna, »mein Kopfschmerz wird nachlassen; sei so gut, mir gleich zu helfen.«

Milna half Romanowna sich ankleiden; aber während sie ihre schönen dunkeln Locken um den Finger wickelte, hatte sie Mühe, ihre Thränen zurückzuhalten, denn sie fürchtete, der Tag könne schwere Folgen für das junge Mädchen haben; und doch glaubte sie, es sei besser, wenn Romanowna dem Wunsche ihres Vaters sich nicht widersetze. Schweigend vollendete Milna ihr Werk; Romanowna ließ sich, ohne ein Wort zu sprechen, helfen und begab sich dann in ihr Wohnzimmer, wohin ihr Vater bald kam und ein langes Gespräch mit ihr hatte. –


 << zurück weiter >>