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Neunundzwanzigstes Kapitel.
Der Besuch im Gefängnis

Als Romanowna in die Zelle kam, in der ihr Vater saß, konnte sie ihn nicht sogleich erkennen, da es bereits dämmerig war; aber Pugatscheff erkannte seine Tochter in dem Augenblick, als sie mit Milna durch eine Thürspalte hereingelassen wurde. Der Anblick der beiden lieben, unschuldigen, jungen Mädchen ergriff ihn sehr, und der Gegensatz, den sie zu ihm selber bildeten, erschien ihm so schrecklich, daß er ausrief: »Fort, fort, bleibt mir fern!«

»Ich bin es,« sagte Romanowna. »Ich bin es,« wiederholte sie, »deine Romanowna, dein Kind, deine Tochter, die dich so lieb hat,« und sie trat ihm bei diesen Worten einen Schritt näher.

»Fort, fort, geht wieder hinaus, hört ihr? hinaus!« polterte Pugatscheff in wildem Ton.

Verlegen und ängstlich trat Romanowna zurück und brach in Thränen aus.

»Sie weint,« sagte Pugatscheff, wie zu sich selbst. »Dummes Ding! warum weint sie? sie, die eine schuldlose Jugend hinter und eine glückliche Zukunft vor sich hat!«

»Eine glückliche Zukunft?« wiederholte Romanowna bitter.

»Ist man nicht glücklich, wenn man frei ist, wenn man sich selbst keine Schuld vorzuwerfen hat? wenn man nicht im Gefängnis sitzt? und,« fügte er mit einer Gebärde des Abscheus hinzu, »wenn man nicht von den blutigen Köpfen derjenigen verfolgt wird, die man ermordet hat? Ha,« fuhr er immer heftiger fort, »seht nur da, wie sie mich ansehen, wie sie grinsen, wie sie sich freuen, als wenn sie sagen wollten: ›Wir werden bald gerächt sein!‹ Rache! ha! wie süß ist das Wort! o, könnte ich mich doch auch an jenen rächen, die dieses Elend über mich gebracht haben. Welch' ein Genuß würde es für mich sein, an ihnen das Urteil vollstreckt zu sehen, das jetzt bald an mir vollzogen wird! Hu! hu! das schreckliche Urteil!« und der Gefangene bebte, daß seine Ketten klirrten.

»Alle Flammen der Hölle mögen die Elenden verzehren, die mich verraten haben, die ...« und hier folgte eine Reihe von Flüchen und Verwünschungen, die Romanowna und Milna schaudern machte, und die wir nicht wiederholen wollen. Die beiden Mädchen blieben wie festgenagelt auf ihrem Platze stehen, entsetzt, verlegen und unbeweglich. Endlich aber faßte Romanowna Mut, sich ihrem Vater einige Schritte zu nähern, als dieser, nachdem er eine Weile getobt hatte, ruhig sitzen blieb. »Vater,« sagte sie mit schwacher Stimme, denn sie bebte über den ganzen Leib und empfand große Angst, besonders, nachdem sie sich an das Halbdunkel gewöhnt hatte und ihren Vater besser sehen konnte.

Wie aus einem Traum erwachend, sah der Gefangene plötzlich auf und Romanowna verwundert an, als ob er jetzt erst ihre Gegenwart bemerke.

»Vater,« wiederholte das junge Mädchen, als Pugatscheff es unbeweglich mit starren Blicken ansah.

»Was ist denn? Was willst du? Zu was bist du hier?« fragte der Gefangene düster.

»Vater,« sagte Romanowna betrübt, »wie kannst du das fragen? Ich habe dich mit Milna schon so lange gesucht und ...«

»War es also doch kein Traum, daß ich dich gesehen habe in der Nacht, als sie mich ergriffen?« unterbrach sie Pugatscheff.

»Wir sind dir in das Land der Baschkiren nachgereist, aber wir fanden dich erst gerade in dem Augenblick, als du fortgeführt wurdest; wir sind dann nach Simbirsk gereist, aber auch dort fanden wir dich nicht mehr, und jetzt sind wir endlich bei dir!«

»Um meinetwillen?« fragte Pugatscheff mißtrauisch, »habt Ihr die schreckliche Reise gemacht?«

»Welchen andern Zweck hätten wir dabei haben sollen?« fragte Romanowna. »O, mein Vater,« fuhr sie fort, »ich habe mich schrecklich gesehnt, dich wiederzusehen, damit ich dir ...«

Pugatscheff, der seine Augen zuerst auf den Boden geheftet hatte, schlug sie jetzt zu seiner Tochter auf und fiel ihr heftig ins Wort:

»Halt ein, Romanowna, sage nicht, daß du mich lieb hast, denn ich verdiene deine Liebe nicht, und wenn du alles wüßtest, würdest du mich hassen und verachten.«

»Ich weiß wohl, mein Vater,« versetzte Romanowna mit fester Stimme, »daß du dich schwer versündigt hast, aber ich glaube auch zu wissen, daß du alle deine Missethaten aufrichtig bereust, und ich habe das feste Vertrauen, daß deine Schuld durch Gebete und ein gottgeweihtes Leben gesühnt werden kann.«

»Ich habe nur noch wenige Tage zu leben,« sagte der Gefangene düster.

»Das Urteil ist noch nicht unterzeichnet,« sagte Romanowna, »und es wird auch nicht unterzeichnet werden; denn wenn du es mir erlaubst, werde ich morgen nach Petersburg gehen, um von der Kaiserin deine Freilassung zu erbitten.«

»Du willst selbst zur Kaiserin gehen und siehst wirklich die Möglichkeit, mir meine Freiheit zu verschaffen?« fragte Pugatscheff in so glücklichem Ton, daß man deutlich merken konnte, wie viel Wert er noch auf sein elendes Leben lege.

»Ich will es wenigstens versuchen,« sagte Romanowna ruhig. »Ich will gern zur Kaiserin gehen und um deine Freilassung bitten, aber,« fügte sie zögernd hinzu, »darf ich ihr dann auch versprechen, daß du als frommer Mönch dein weiteres Leben in einem Kloster zubringen willst?«

»Versprich ihr alles, was du willst,« sagte Pugatscheff gleichgültig, »wenn du mir nur die Freiheit verschaffst.«

»Mein Vater,« sagte Romanowna ernst, »ein Wort ist ein Wort, und ich darf nichts versprechen, wenn ich nicht fest überzeugt bin, daß du dem Versprechen gewissenhaft nachkommen wirst.«

Pugatscheff hielt sich die Hand vor die Augen und sagte halb zu sich selbst: »Ja, so sprach ihre Mutter auch, sie war auch eine Heilige.«

»O mein Vater,« sagte Romanowna, »sage mir, bitte, wer meine Mutter war? Ich habe schon so oft darüber nachgedacht, daß die Kaiserin meine Mutter sein soll, während du ... man sagt,« unterbrach sie sich selbst und fuhr dann fort, während sie ihre Stimme senkte, »daß du nicht Peter III. bist.«

In gespannter Erwartung, mit glühenden Wangen harrte Romanowna der Antwort, aber ihre Ungeduld wurde nicht sogleich befriedigt, denn ihr Vater versank in tiefe Gedanken und schien ihre Gegenwart ganz zu vergessen.

Endlich aber hob er den Kopf wieder in die Höhe und fragte, während er seine Tochter flüchtig von der Seite ansah:

»Romanowna, sage mir, ist es möglich, daß du noch an den verhängnisvollen Betrug glaubst, der mich in diese Lage gebracht hat?« und bei diesen Worten riß er so heftig an seinen Ketten, daß sein Kind zusammenfuhr.

Die Worte trafen Romanowna, als ob jetzt zum erstenmal der Gedanke, daß ihr Vater ein Betrüger sei, in ihr aufstiege, und sie sah ihn mit einem Blicke an, in dem vielleicht eben so viel Abscheu wie Mitleid lag.

»Ja, ich bin ein Elender,« sagte Pugatscheff bitter, »und verdiene es nicht, daß eine Heilige, wie du, sich mir nähert. Du hast Recht, daß du so von weitem stehen bleibst, daß du nicht mehr wie früher deine Arme um meinen Hals schlingst und mich Vater nennst, und doch,« fuhr er wehmütig fort, »wenn du immer bei mir gewesen wärest, hätte ich mich vielleicht geschämt, so viel Böses zu thun! Ach! wenn deine Mutter noch lebte, sie würde mich lieb gehabt haben und ...«

Ohne Zögern ging Romanowna bei diesen Worten auf den Gefangenen zu und sagte, ihn unterbrechend, indem sie ihm die Hand hinhielt: »Jeder Vater hat ein Recht auf die Liebe seines Kindes, und du auch auf die meine, aber ich bin traurig darüber, daß du uns getäuscht hast.«

»Du willst mich also nicht umarmen?« fragte Pugatscheff. »Du hast Recht, denn ...«

Romanowna ließ ihn nicht aussprechen, sondern schlang ihre Arme um den Hals ihres Vaters und küßte ihn trotz seines verwilderten Aussehens und seines ungeschorenen Bartes.

»Wie sehr gleichst du deiner Mutter,« sagte Pugatscheff, seine Tochter ansehend.

»Erzähle mir doch von ihr,« bat Romanowna schmeichelnd.

»Von ihr?« wiederholte Pugatscheff, »sie war gut und edel und liebevoll und brav, und so lange sie lebte, war ich ein ganz anderes Wesen wie jetzt.« –

»Das Abendessen wird hereingebracht, die Kerker werden jetzt geschlossen und die Besucher müssen die Gefangenen verlassen!« rief der Schließer durch das Zellengitter.

»Ach, wie leid thut mir das!« sagte Romanowna; aber Milna, welche die ganze Zeit über unbeweglich an der Thüre stehen geblieben war, freute sich sehr darüber; denn der Gefangene machte einen sehr unangenehmen Eindruck auf sie, und sie konnte sich gar nicht vorstellen, daß er dieselbe Person sein sollte, vor der sie alle so viel Verehrung gehegt hatten.

»Könnte ich nicht vielleicht hierbleiben?« fragte Romanowna; aber der Schließer war wieder fort, und sie erhielt deshalb keine Antwort auf ihre Frage.

»Das wird dir nicht erlaubt werden,« sagte Pugatscheff, »denn ich werde mit solch' ungewöhnlicher Strenge behandelt, daß es mich schon wundert, daß Ihr überhaupt hier Zutritt erhalten habt. Sieh nur, ich kann mich nicht rühren,« fügte er hinzu, indem er einen vergeblichen Versuch machte, sich aufzurichten.

»Könnte ich nur die Ketten losmachen,« seufzte Romanowna. –

Das Abendessen, ein Gebräu, das sehr stark nach Knoblauch duftete, wurde hereingebracht und, die jungen Mädchen erhielten nochmals gemessenen Befehl, sich zu entfernen.

»Morgen,« flüsterte Romanowna leise, »komme ich sehr früh wieder, und dann gehe ich gleich nach Petersburg. O! versprich mir, daß du mir alles erzählst, was mir jetzt noch unklar ist, denn ich verstehe nicht ...«

»Heraus, der Kerker wird geschlossen!« rief der Schließer in barschem Ton und schlug ungeduldig mit den Schlüsseln an die Wand.

Sobald die jungen Mädchen herauskamen, schloß sich Grerowitz, der die ganze Zeit auf einem Vorplatz gewartet hatte, ihnen wieder an.

»Das ist keine fröhliche Aussicht,« sagte Grerowitz vertraulich zu Milna.

»Was?« fragte diese leise.

»Haben Sie das Urteil nicht gehört?« fragte Grerowitz und fuhr fort, nachdem er einen Blick auf Romanowna geworfen hatte, die in Gedanken verloren weiter ging, »ein Soldat hat mir erzählt, daß ihm erst Hände und Füße abgehauen werden sollen, und er dann drei Stunden an den Pranger gestellt und schließlich lebend gevierteilt wird.«

Ein Schauder lief Milna durch die Glieder, als sie die schrecklichen Worte hörte; denn sie war fest überzeugt, daß keine Gnade geübt werden würde, und es berührte sie peinlich, daß Romanowna voller Hoffnung mit ihr von der Zeit sprach, da ihr Vater frei sein und mit ihr leben werde.

»Gestehe doch selbst, Milna,« sagte sie, »wie ganz anders mein Vater ist, seit er weiß, daß ich bei ihm bin und ihn lieb habe.«

Es war Milna ganz unmöglich, darauf zu antworten. Die jungen Mädchen hatten sich das Abendessen aus ihr eigenes Zimmer bringen lassen, weil sie sich so früh wie möglich zur Ruhe begeben wollten, wie sie sagten; aber in Wirklichkeit fürchtete Milna, daß Romanowna, wenn sie mit Grerowitz und seiner Frau zusammen wäre, Dinge hören müsse, die ihr besser verborgen blieben.

»Weißt du,« sagte Romanowna, »daß ich es sehr unangenehm finde, mit den Grerowitzens zusammen nach Petersburg zu reisen? Sie könnten es sich einfallen lassen, mit in den Palast zu gehen, und stelle dir vor, wenn ich mit solchen Menschen zur Kaiserin käme, die sich noch obendrein für sehr verdienstvoll halten, weil sie meinen unglücklichen Vater seiner Freiheit beraubt haben. Was würdest du dazu sagen, wenn wir morgen sehr früh aufständen, und wenn wir meinen Vater gesehen hätten, gleich abreisten?«

»Und Ottekesa?« fragte Milna, »obgleich,« fügte sie scherzend hinzu, »die wohl hinter dem Ofen sitzen bleibt, bis wir zurückkommen.«

»Ja, wenn mein Vater nur erst frei ist, werden wir die alte Frau schon leicht wiederfinden,« sagte Romanowna.

»Ich wollte,« sagte Milna, »du hättest die Kaiserin schon gesprochen.«

»Sie wird es mir doch nicht abschlagen?« fragte Romanowna, als ob Milna etwas darüber wissen könne.

»Mir ist für dich wohl ein bißchen bange wegen des ganzen Unternehmens,« sagte Milna, »denn wenn die Kaiserin dich nun nicht empfangen will?«

»Ich werde mich einer Zurückweisung gar nicht aussetzen,« war die Antwort, »denn jeder kennt mich noch bei Hofe und wird über mein Wiedererscheinen so verwundert sein, daß mich niemand hindern wird, geraden Weges zur Kaiserin zu gehen.«

»Und wie wird sie dich aufnehmen?« fragte Milna.

»Beurteile ich sie recht, so wird sie mir meine Flucht verzeihen, wenn ich ihr alles erzähle, denn ich konnte doch nicht anders handeln, wie ich gehandelt habe, und ...«

»O! ho!« schrie Ottekesa, die mit Ungestüm hereingestürzt kam, »ganz Moskau dreht sich im Kreise, alle Menschen stehen auf den Köpfen, o so hübsch, die Maskierten klettern auf die Turmspitzen und schießen drauf los, gerade wie ... sieh so,« und hierbei beschrieb sie mit beiden Armen große Kreise, um damit ein Feuerwerk, das sie gesehen, zu veranschaulichen.

Die Alte hatte zu viel Branntwein getrunken und war dann auf die Straße gelaufen. Die jungen Mädchen wünschten sie weit fort, aber sie konnten ihren Wortschwall nicht unterbrechen und mußten sie deshalb sprechen lassen, bis sie sich etwas beruhigt hatte.

»O! ho! der Schwarze wollte mir ... die Füße und Hände abhacken, er dachte, ich sei er, und sie tanzten, und sie tanzten alle ohne Füße, aber ich bin Pugatscheff nicht. Ich werde auf einem Turm nach Petersburg reiten, da trinkt der Kaiser den besten Branntwein, wenn er gevierteilt ist; ha! ha! alle Glocken läuten, um ihn zu sehen ... o! ho! o! ho!«

Glücklicherweise kam Frau Grerowitz, die den Lärm im Nebenzimmer gehört hatte, herein, faßte die Alte unterm Arm und führte sie fort. Für Milna, die den Sinn der unzusammenhängenden Worte verstanden hatte, war dieser Besuch eine wahre Qual, weil sie immer fürchtete, Romanowna möchte die Bedeutung derselben erfassen; aber diese hatte nicht die geringste Ahnung davon, daß die von Ottekesa in der Trunkenheit gesprochenen Worte im Zusammenhang mit dem Schicksal ihres Vaters ständen.

»Sie wird ihren Rausch noch nicht ausgeschlafen haben, wenn wir Moskau verlassen,« sagte Romanowna ruhig, als die Frauen weggegangen waren, »und wir müssen deshalb ohne sie abreisen.«


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