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Vierzehntes Kapitel.
Die Nachforschungen des Priors

Vater Alexius erfreute sich überall eines zu guten Rufes, als daß sich ihm nicht alle Thüren hatten öffnen sollen; und sobald er sich bei dem Gouverneur von Kasan meldete und um Zutritt zu dem Gefängnisse bat, gab dieser ihm vollkommene Freiheit, den Gefangenen, den er zu sprechen wünschte, alle Tage zu besuchen. Er nahm bei einem Geistlichen Wohnung und begab sich dann sogleich in das Gefängnis, wo er nach Pugatscheff fragte. Als man ihn bei dem Gefangenen einließ, fand er diesen in Andacht versunken auf den Knieen liegend, so daß er gar nicht merkte, daß jemand eingetreten war, bis Pater Alexius durch Husten seine Gegenwart verriet.

»Vergeben Sie mir,« begann Pugatscheff, aus seiner knieenden Stellung aufstehend, »ich war ...«

»Sie brauchen nicht um Entschuldigung zu bitten,« fiel der Prior ihm mit einiger Schärfe ins Wort. »Es ist eine große Gnade, wenn man in Betrübnis Gott mit reinem Herzen nahen kann.«

Pugatscheff sah dem Mönch gerade ins Gesicht und sagte: »Das mögen Sie wohl sagen, aber mein Kummer ist viel größer, als Sie vielleicht ahnen.«

Der Prior sah den Gefangenen, dessen edeles Gesicht ihn offenbar einnahm, durchdringend an. In sanfterem Ton sagte er: »Ich weiß, Sie haben sehr viel zu tragen, aber wo die Not am größten, ist häufig Hilfe am nächsten. Ich zweifle nicht, daß ich Ihren Kummer einigermaßen lindern kann, denn ich bringe Ihnen Nachricht ...«

»O, von Romanowna? meiner lieben Tochter?« fragte Pugatscheff, den Prior ungestüm unterbrechend.

»Ja,« sagte der Prior ruhigen Tones. »Es geht ihr sehr gut und sie schickt Ihnen ebenso wie Milna herzliche Grüße.«

»O, sagen Sie mir,« bat Pugatscheff, »was sie macht? Das arme Kind muß sehr in Verlegenheit sein, denn als man mich in das Gefängnis brachte, bemerkte ich erst, daß ich ihr kein Geld zurückgelassen hatte.«

Pater Alexius erzählte dem besorgten Vater zunächst, daß seine Tochter in Sicherheit sei; dann berichtete er ihm, auf welche Weise er sie kennen gelernt habe und sagte zuletzt: »Ihre Tochter und Milna haben viel von Ihnen gesprochen, und einer der Gründe meines Besuches ist, mich persönlich zu überzeugen, ob Sie wirklich Peter III. sind.«

Pugatscheff sah den Prior traurig an, seufzte, sprach aber kein Wort.

»Wenn Sie beweisen können, daß Sie wirklich der Kaiser sind,« sagte der Prior mit gedämpfter Stimme, da er an der Thüre ein Geräusch zu vernehmen glaubte, »bin ich vielleicht imstande, Ihnen zu helfen.«

»Ich habe keine anderen Beweise als mein Ehrenwort,« sagte Pugatscheff einfach, »wenn Sie meinem Wort nicht trauen wollen, kann ich Ihnen eine andere Bürgschaft nicht geben.«

Das edele Gesicht und die würdige Haltung hatten Pater Alexius beinahe überzeugt, daß er Peter III. vor sich habe, und er sagte entschuldigend: »Vielleicht ist mein Mißtrauen eine Eingebung des Teufels; aber fünfmal hat sich das Volk gefreut über die Nachricht, daß der Kaiser noch lebe, und fünfmal ist es enttäuscht worden ...«

»Ich weiß wohl, daß sich Betrüger erkühnt haben, sich für mich auszugeben,« sagte Pugatscheff, den Prior unterbrechend, »und Ihr Argwohn ist deshalb sehr begreiflich, wie sehr er mich auch betrübt; fragen Sie, was Sie für gut halten, damit Ihnen jeder Zweifel benommen werde.«

Pater Alexius richtete jetzt verschiedene Fragen an Pugatscheff, die dieser vorsätzlich alle sehr weitläufig beantwortete; endlich blieb dem Prior kein Zweifel mehr, daß der Gefangene wirklich der Zar sei.

Mehrere Tage nacheinander besuchte der Prior den Kaiser und suchte ihn durch tröstliche Gespräche zu ermutigen, während er in der Zwischenzeit vergebliche Anstrengungen machte, die Freilassung Pugatscheffs zu erlangen. Da der Gouverneur von Freilassung nichts hören wollte, übergab Pater Alexius Pugatscheff eine große Summe Geldes und erteilte ihm den Rat, seine Wächter zu bestechen. »Sobald Sie frei sind,« sagte Pater Alexius, »müssen Sie ins Kloster kommen, wo ich alles zu Ihrem Empfang vorbereiten werde.«

Wie der Prior vorausgesehen hatte, kostete es wenig Mühe, die Wächter zu bestechen; schon am nächsten Tag, nachdem er selbst Kasan verlassen hatte, befand sich Pugatscheff bei seiner Tochter.

Wie glücklich war das junge Mädchen, seinen Vater wieder bei sich zu haben. Des Fragens und Erzählens war gar kein Ende. Romanowna wollte von jedem Tag eine ausführliche Beschreibung haben, sie mußte wissen, wie ihr Vater die traurige Zeit verlebt habe und wie es ihm jeden Tag ergangen sei, ob er viel an sie gedacht habe? ob seine Wächter gut gegen ihn gewesen? ob er des Nachts gut geschlafen habe? ob er sehr erstaunt gewesen über das Kommen von Pater Alexius? Hundert andere Fragen sollte Pugatscheff beantworten. Er seinerseits wollte auch alles genau wissen, was Romanowna in der Zeit erlebt habe.

Einige Tage blieb Pugatscheff ruhig bei seiner Tochter, um sich an Leib und Seele zu stärken, während der Prior seine Angelegenheit außerhalb des Hauses förderte. Er durfte sich natürlich nicht draußen zeigen, ohne sich und seinen Beschützer in Gefahr zu bringen; denn niemand durfte erfahren, daß Pater Alexius einem Aufrührer zur Flucht behilflich gewesen war. Bald jedoch begann das ruhige einförmige Klosterleben Pugatscheff zu langweilen, und mit Ungeduld sah er der Rückkehr der Mönche entgegen, die Pater Alexius nach allen Seiten ausgesendet hatte, um die Stimmung des Volkes zu erforschen.

»Wann werde ich endlich anfangen können, Katharinens Gewaltherrschaft ein Ende, zu machen?« fragte Pugatscheff mehr als einmal ungeduldig. »Wann werde ich mich an die Spitze meines Heeres stellen können?«

Romanowna hoffte im stillen, daß das noch sehr lang' dauern möge; denn so sehr sie auch früher gewünscht hatte, es möge jeder erfahren, wer ihr Vater sei, so begriff sie jetzt, daß ein Feldzug nötig sei, wenn er sein Ziel erreichen wolle; und diesen Gedanken fand sie so traurig, daß sie viel lieber still im Kloster geblieben wäre, statt wieder zu Reichtum und Ansehen zu gelangen, wenn ihr Vater dadurch in Gefahr geriet. Es wurde ihr ganz bang, wenn Pugatscheff so aufgeregt von der Zeit sprach, da er Katharina von dem unrechtmäßig erlangten Thron gestoßen haben würde. »Dann,« sagte er, »bin ich sicher, daß ich meine Aufgabe gelöst habe und meine übrigen Lebenstage in stiller Abgeschiedenheit beschließen darf, während du, meine Tochter, mit Milde und Weisheit das Volk regierst.«

Oftmals versicherte Romanowna, daß sie sich keine Krone wünsche, und daß sie nicht die Fähigkeit zum Regieren besitze; davon aber wollte ihr Vater nichts wissen. »Weise und verständige Männer,« sagte er, »werden dir gerne zur Seite stehen; und wenn die Aufgabe, die Gott dir auferlegt, auch schwer ist, so wirst du sie doch vollbringen können.«

»Sonderbar,« äußerte Romanowna zu Milna, »daß mich jedesmal, wenn mein Vater so heiter von der Zukunft spricht, eine solche Angst beschleicht. Es ist mir, als ob uns ein großes Unheil bedrohe, statt all' des Glückes, das mein Vater erwartet.«

»Ich glaube,« sagte Milna, »das kommt daher, daß du an ein ganz anderes Leben gewöhnt bist, aber wenn du dich erst wieder in deiner früheren Umgebung befindest, wirst du ganz anders darüber denken, denn dieses Kloster ist doch eigentlich kein Aufenthaltsort für eine Prinzessin.«

»Und doch,« versicherte Romanowna, »fühle ich mich hier glücklicher als jemals früher am Hof. Wir können hier Gott dienen, ohne durch weltliche Vergnügungen abgezogen zu werden.«

Milna stimmte durchaus nicht mit Romanowna überein; sie sehnte sich nach nichts mehr, als nach der Erfüllung der glänzenden Versprechungen, die ihr Pugatscheff gemacht hatte; aber, zu ihrer Ehre sei es gesagt, sie bedauerte, mehr für ihre Freundin als für sich selbst, daß die Zeit noch so fern schien. Es betrübte sie alle Tage, daß die Prinzessin sich kümmerlich behelfen mußte; so viel Freiheit der Prior ihr auch gegeben hatte, es sich so angenehm wie möglich zu machen, so bildete ihr Aufenthalt doch einen großen Gegensatz zu ihrer Petersburger Umgebung.

Während die jungen Mädchen einmal eines Abends plaudernd am Fenster saßen und Pugatscheff, wie er öfter zu thun pflegte, sein Haupt auf beide Hände gestützt, in Gedanken versunken am Tische saß, trat Pater Alexius mit einem Brief in der Hand herein und sagte: »Gute Nachrichten!«

»Gute Nachrichten für mich?« fragte Pugatscheff aufspringend.

»Ja,« sagte der Prior, »Sie können ganz schnell ein großes Heer zusammenbringen infolge der Ungeschicklichkeit eines von Katharinens Dienern. Sie hat nämlich dem General Traubenberg den Befehl gegeben, unter den Kosaken von Ijak ein Regiment Husaren zu werben. Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, haben diese Menschen viele religiöse Vorurteile; so ist auch das Tragen von langen schwarzen Bärten eine Art von Gottesverehrung, und darin ...«

»Ja, ja,« sagte Pugatscheff, den Prior ungeduldig unterbrechend.

»Als der General,« fuhr der Prior fort, »ihnen den Befehl der Kaiserin verkündigte, Soldaten unter ihnen zu werben, waren sie dazu bereit, und in verhältnismäßig kurzer Zeit war auch ein Heer von vierzehntausend Mann auf den Beinen; aber bei der Truppenmusterung hielt es Traubenberg für gut, den Befehl zu erteilen, die Bärte abzunehmen. Die Befehlshaber traten dagegen auf und weigerten sich; aber der General war dumm genug, ihnen auf offenem Markt mit Gewalt ihre Bärte abscheren zu lassen und machte sie dadurch so wütend, daß sie nicht nur ihn und mehrere Offiziere ermordeten, sondern einen förmlichen Aufstand erregten und beschlossen, Rache zu nehmen für das Unrecht, das man ihnen angethan. – Mein Berichterstatter hat ihnen dann mitgeteilt, daß Sie noch am Leben seien, und diese Nachricht ist mit so viel Begeisterung aufgenommen worden, daß sich sogleich eine Art Gesandtschaft gebildet hat, um Sie abzuholen und zu bitten, sich an die Spitze des Heeres zu stellen.«

»Welch' eine deutliche Fügung des Himmels,« sagte Pugatscheff mit Würde. »Mein Freund,« fügte er hinzu, »lassen Sie uns in der Kapelle gemeinsame Dankgebete zu Gott emporsenden und Ihn bitten, meinen Bemühungen für das Wohl des Volkes seinen Segen zu verleihen.«

Als Romanowna und Milna sich bereit machen wollten, Pugatscheff zu begleiten, stellte der Prior ihnen vor, sie möchten lieber bleiben, da der Zar doch erst eine Festung eingenommen haben müsse, wo er ihnen dann eine sichere Zuflucht bieten könne. Pugatscheff nahm diesen Vorschlag dankbar an und ließ, als die Soldaten ihn abholten, seine Tochter mit der treuen Milna und der alten Ottekesa unter dem Schutze seines Freundes, des Priors, zurück.

Romanowna war tief betrübt, als sie sich von ihrem Vater wieder trennen mußte und ließ sich nur wenig trösten durch das Versprechen, daß er manchmal Nachricht geben wolle, und daß er sie sobald wie möglich abholen werde. »Und das wird nicht lange dauern,« fügte er zuversichtlich hinzu, »denn Gott kann nicht wollen, daß die Unschuld länger unterdrückt werde.«

Nachdem sie herzlichen Abschied voneinander genommen hatten, zog er in sehr heiterer Stimmung mit den Soldaten ab; und seine Tochter sah ihm noch so lange wie möglich nach und bewunderte mit Milna seine edele Haltung, als er auf dem feurigen, ihm übersandten Pferde davonsprengte.


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