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Zehntes Kapitel.
Im Gefängnisse zu Kasan

Mehrere Monate waren bereits verflossen seit den Ereignissen, die wir im letzten Kapitel geschildert haben. Einige Augenblicke ruhiger Überlegung hatten Romanowna das schreckliche Unrecht, das die Kaiserin ihrem Vater angethan, noch viel strafwürdiger erscheinen lassen als im ersten Augenblick, und so hatte sie ohne Schmerz, wenn auch nicht ohne Rührung, die Räume verlassen, in denen sie so glückliche Jahre verlebt hatte. So sehr sie auch an den Freuden des Hofes hing, so hatte sie jetzt doch so mancherlei, was sie für die Entbehrungen entschädigte, daß sie sich im ganzen nicht zurückwünschte; ihr Vater und Milna waren so lieb, zuvorkommend und herzlich gegen sie, daß sie fast nichts von den Entbehrungen fühlte, die ihr neues Leben natürlich mit sich brachte. Fast ohne Aufenthalt waren sie weiter gereist, bis sie im Land der Kosaken ankamen. Dort hatte Romanowna in einer sehr einfachen Wohnung einige Wochen mit ihrem Vater und Milna zugebracht; letztere war ihr eine wahre Freundin geworden, obwohl sie immer ihr Kammermädchen blieb, während die alte Frau, der wir schon in dem verlassenen Gotteshaus begegnet sind, sie bediente.

Nachdem sich Pugatscheff einige Tage unter dem Volke aufgehalten und dessen Stimmung erforscht hatte, gab er sich zu erkennen. Häufig sprachen Romanowna und Milna später von dem Augenblick, da er sich dem versammelten Volke gezeigt hatte: »Es lebe der Kaiser, es lebe der Kaiser! Es lebe Peter III.!« hatte die Menge wiederholt laut gerufen, und in welch' würdiger Weise war er der Aufregung Herr geworden! Durch ein paar gebietende Handbewegungen hatte er Stille erzwungen und darauf zu dem Volke gesprochen, und das so schön, daß Romanowna und Milna es nie vergessen würden.

»Mein geliebtes Volk« hatte er gesagt, »Peter III., der regierende Kaiser aller Reußen, ist tot, aber Peter III., der Diener Gottes und der Freund des Volkes lebt noch und fühlt sich getrieben, das Land von der Gewaltherrschaft, unter der es seufzt, zu befreien. Wer Lust hat, dem Diener Gottes beizustehen, der begebe sich zu seinen Fahnen.«

Nochmals wurde der Ruf: »Es lebe der Kaiser,« gehört, und wieder wußte er durch einen gebietenden Wink Andacht und Stille zu erzwingen; und gleich darauf lag das ganze Volk auf den Knieen und flehte um seinen Segen. Wie schön, wie groß und edel zeigte er sich in dem Augenblick, als er in seinem bischöflichen Gewand entblößten Hauptes seine Arme ausbreitete und dem Volke seinen Segen erteilte!

Romanownas Augen füllten sich mit Thränen der Bewunderung und Rührung, und mehr als einmal drückte sie in der Fülle ihres Herzens Milnas Hand und flüsterte ihr zu, wie glücklich sie sich im Besitz eines solchen Vaters fühle.

Nachdem Pugatscheff so das Volk für sich gewonnen hatte, gab er einigen Familienoberhäuptern den Befehl, alle jene, welche ihm folgen wollten, erst im Gebirge zu versammeln und dann zu ihm nach Malikowa zu kommen.

Hierauf reiste er mit der alten Frau und den beiden jungen Mädchen weiter und besuchte Städte und Dörfer, wo er überall mit großer Begeisterung aufgenommen wurde. Seine Absicht war, sich in Malikowa an die Spitze des Heeres zu stellen; aber der Plan wurde vereitelt, denn als er die kleine Festung erreichte, kam ihm bereits eine Wache entgegen, die ihn als Aufrührer in Haft nahm.

»Nehmt mich auch mit,« flehte Romanowna betrübt, als man ihren Vater ergriff; aber Pugatscheff winkte ihr, ruhig zu sein, und so mußte sie mit ansehen, wie man ihn fortführte, während man sie zurückließ. Das war eigentlich der erste Schmerz im Leben der Prinzessin, und er traf sie so schwer, daß sie den ganzen Tag ratlos hin- und herlief. Weder Milna noch Ottekesa – so hieß die alte Frau – gelang es, sie zu veranlassen, etwas zu sich zu nehmen, und ihr Kummer wuchs noch mehr, als sie am Abend erfuhr, daß man ihren Vater aus dem Gefängnis von Malikowa geholt und unter starker Bedeckung nach Kasan, einer Stadt, die mehrere Meilen entfernt war, gebracht hatte. Sie fürchtete, ihn nie wiederzusehen; das wäre auch sicher der Fall gewesen, wenn der Gouverneur der Stadt gewußt hätte, daß sein Gefangener sich Peter III. nenne; ihm war aber nur bekannt, daß Pugatscheff einige Kosaken aufgewiegelt hatte, und so ließ er ihn nicht so streng bewachen, als es sonst der Fall gewesen wäre.

Trostlos setzte sich Romanowna nieder. Was sollte sie jetzt anfangen, da ihr Vater nicht mehr bei ihr war?

»Fassen Sie Mut,« sagte Milna beruhigend, »die gute Sache muß schließlich siegen, wir dürfen uns nicht mutlos hinsetzen, sondern wir müssen im Gegenteil überlegen, was wir thun können, um die Befreiung des großen und edlen Mannes zu bewerkstelligen.«

»Ach!« seufzte Romanowna, »was können wir zwei schwachen jungen Mädchen und eine alte Frau anfangen gegen die kräftigen Arme der Gewaltigen, die ihn bewachen?«

»Ja, mit Gewalt werden wir jedenfalls wenig ausrichten können,« sagte Milna lächelnd; »aber ich habe schon viel gelesen von jungen Mädchen, die Männern bei ihrer Flucht behilflich waren, und ich vertraue fest darauf, daß wir ein Mittel finden werden, Ihrem Vater zu helfen.«

»Aber auf welche Weise?« fragte Romanowna.

»Das weiß ich selbst noch nicht recht,« antwortete Milna, »obschon ich einen Plan im Kopf habe. Ich habe nämlich viel sprechen hören von einem alten Priester, der irgendwo hier in der Umgegend wohnt und der so unglaublich viel Einfluß auf das Volk hat, daß er mit demselben machen kann, was er will; wenn der Mann uns helfen wollte, wären wir gut daran. Aber, es wird uns Mühe kosten, ihn zu finden, denn ich weiß noch nicht einmal seinen Namen, und Sie wohl auch nicht, Gebieterin?«

»Nenne mich doch bei meinem Namen,« bat Romanowna; »ich bin deine Gebieterin nicht mehr, ich bin nur die Tochter eines unglücklichen Gefangenen, der vielleicht schon grausam zu Tode gemartert worden ist.« Bei diesem Gedanken brach Romanowna in Thränen aus und weinte bitterlich. Die Thränen brachten ihr Erleichterung, und nach und nach schlossen sich fast unwillkürlich ihre Augen und sie fiel auf der nicht sehr bequemen Bank, auf der sie saß, in Schlaf. Milna deckte sie sanft zu und sprach dann mit Mutter Ottekesa – so nannten sie meistens die Alte – über das, was zu thun sei.

Milna und die alte Frau waren in nicht geringer Verlegenheit, als sie überlegten, daß sie kein Geld mehr hatten, um das Nötigste für die Prinzessin zu kaufen. Bis jetzt hatte Pugatscheff überall leicht so viel Geld bekommen können, wie er wollte, außerdem hatte er noch einen Teil jener Summe, die er aus der Eremitage zu Zarsko-Selo genommen hatte; aber unglücklicherweise hatte er alles bei sich behalten.

»Ich weiß wahrhaftig nicht, was wir anfangen sollen,« sagte Milna, »denn obgleich wir suchary genug bekommen können, ist das doch kein Essen für die Prinzessin.«

»Nein, gewiß nicht,« antwortete die Alte, die eben ein Stückchen dieses Brotes, das eine Art Zwieback und sehr billig ist, kaute.

»Aber sie muß doch Nahrung haben,« sagte Milna.

Mutter Ottekesa war darüber ganz mit ihr einig, wußte aber auch keinen Rat.

»Ich habe noch ein goldenes Kreuzchen, das ich wohl verkaufen könnte,« sagte Milna halb zu sich selbst, während sie den erwähnten Schmuck, den sie am Halse trug, zum Vorschein brachte.

»O, das kann uns aus der Not helfen,« sagte die Alte, als sie das Kreuzchen sah.

»Ja,« bestätigte Milna, »aber meine Mutter gab es mir auf dem Sterbebett und ließ mich geloben, es nie von mir zu geben, da sie eine Ahnung habe, daß ich dadurch meinen Vater wiederfinden könne, falls er noch am Leben wäre.«

»Wer ist Ihr Vater?« fragte die alte Frau, während sie noch ein Stückchen Zwieback in den Mund steckte.

»Mein Vater war Soldat, er diente unter dem General Panin und hat den Feldzug gegen die Türken mitgemacht. Er war bei der Belagerung von Bender, wie meine Mutter mir oft erzählte. Aber, als sie starb, hatte sie lange Zeit nichts von ihm gehört und fürchtete darum, daß er tot sei, obgleich sie immer noch auf das Gegenteil hoffte, wie ich bemerkte, als sie mir das Kreuzchen übergab. Ich wage kaum, es von mir zu geben,« fügte Milna hinzu, nachdem sie das Andenken ihrer Mutter eine Zeit lang betrachtet hatte.

»Ihr Vater wird wohl tot sein,« sagte Ottekesa in gleichgültigem Ton, »Sie können es deshalb ruhig zu Geld machen.«

Milna achtete nicht sehr auf die herzlosen Worte, die sie auch nicht sehr wunderten, denn es hatte ihr schon immer geschienen, als sei die alte Frau gefühllos. Romanowna drehte sich im Schlaf und träumte laut.

Milna horchte und hörte, daß die Prinzessin sich einbildete, noch auf dem Fest von Zarsko-Selo zu sein. »Arme Prinzessin,« sagte Milna mitleidig, »wie grausam wird ihr Erwachen sein. Das ist doch ein armseliger Aufenthalt für sie. Nun, ich will nur rasch mein Kreuzchen verkaufen, sie soll doch nicht Not leiden.«

Nachdem Milna den Entschluß gefaßt hatte, sagte sie zu der alten Frau: »Da sind noch einige Kopeken, kaufe dafür etwas für die Prinzessin und sage ihr, wenn sie aufwacht, daß ich gleich zurückkehren werde.«

»Aber, gehen Sie denn jetzt noch aus?« fragte die Alte, »es ist ja schon so dunkel.«

»Wenn Romanowna erwacht, wird sie mich nicht allein gehen lassen wollen,« sagte Milna, »und sie kann doch nicht mitgehen, um etwas zum Verkauf anzubieten. Sorge in meiner Abwesenheit gut für sie,« flüsterte sie der Alten noch an der Thüre zu.

Diese schüttelte hinter dem jungen Mädchen den Kopf; vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätte sich angeboten, die unangenehme Besorgung zu machen; aber sie überlegte nie viel, und so ging sie auch, nachdem sie Milna noch nachgeblickt hatte, nach der Ofenecke, wo sie sich niederkauerte und alsbald einschlief, statt über den Vorfall weiter nachzudenken.


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