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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Alte Bekannte

Als Romanowna und Milna von dem Hause des Generals zu ihrer einfachen Wohnung zurückgingen, sahen sie Frau Grerowitz daherkommen, die sich mit ihrem Manne sehr angelegentlich unterhielt.

»Laß uns rasch in eine andere Straße einbiegen,« sagte Milna, die fürchtete, durch die Wirtin wieder Unannehmlichkeiten zu bekommen; aber ihre Fürsorge war vergeblich, denn Frau Grerowitz, die sie gleich gesehen hatte, holte sie schon ein, als sie noch keine fünfzig Schritte weit gegangen waren.

»Ja,« sagte die Frau, von dem Laufen noch ganz atemlos, »ich bin froh, daß ich Sie gefunden habe, denn wir suchten Sie.«

Die jungen Mädchen antworteten nicht viel auf diese Begrüßung und wünschten Mann und Frau nach Sibirien.

»Wir wollen Ihnen nichts zuleide thun,« sagte die Frau beruhigend. »O nein, im Gegenteil, es ist uns nicht darum zu thun, Sie Ihrer Freiheit zu berauben, sondern nur um Ihr Zeugnis.«

»Wenn Sie mit uns nach Petersburg gehen wollten und der Kaiserin sagen, daß er in meinem eignen Hause von mir ergriffen wurde und daß ich ...« begann Grerowitz.

»Halte doch deinen Mund, Grerowitz,« unterbrach ihn seine Ehehälfte, »Du sprichst immer zu viel.«

»Ja aber,« sagte Grerowitz, »wenn die Damen nun nicht damit einverstanden sind, dann ...«

»Ich bin damit einverstanden,« unterbrach ihn seine Frau noch einmal nachdrücklich und fing dann an, Romanowna und Milna ihre Pläne auseinanderzusetzen. »Wir reisen nach Petersburg,« sagte sie, »um zu sehen, ob wir dort nicht einen Teil des versprochenen Geldes bekommen können, und möglicherweise könnte uns Ihr Zeugnis dabei von Nutzen sein.«

»Wir gehen nicht nach Petersburg,« sagte Milna, in der Hoffnung, die Leute dadurch los zu werden.

»Wo gehen Sie denn hin?« fragte die Frau.

»Unsere Pläne sind noch nicht bestimmt,« sagte Romanowna, »denn wir haben soeben gehört, daß der, den wir hier zu finden hofften, nach Moskau gebracht worden ist. Milna,« sagte sie, sich besinnend, »der Auflauf, den wir sahen, war gewiß ...«

»Das fürchtete ich gleich, als ich die Begleitung sah,« unterbrach sie Milna, »aber,« fügte sie leise hinzu, »ich wollte, wir wären diese Menschen los.«

Das ging aber nicht leicht, denn Frau Grerowitz hatte es sich einmal in den Kopf gesetzt, mit ihnen zu gehen und ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen, selbst nicht, als die jungen Mädchen sie ganz deutlich merken ließen, daß sie lieber allein wären. Da sie nicht ausdrücklich zu sagen wagten, daß sie nicht mit ihnen gehen wollten, mußten sie sich endlich entschließen, die Reise nach Moskau in ihrer Gesellschaft zu machen, und so sah sich die arme Romanowna gezwungen, immer mit dem Mann zusammen zu sein, der so weit her kam, um sich das Geld zu holen, das auf den Kopf ihres Vaters gesetzt war.

Glücklicherweise aber schienen Grerowitz und seine Frau zu fühlen, daß sie in Romanownas Gegenwart nicht von dem Zweck ihrer Reise sprechen durften und vermieden den Gegenstand sorgfältig. Die alte Ottekesa war sehr glücklich, wieder durch bekannte Gegenden zu reisen, so daß sie ganz lebhaft wurde und mehr als einmal ihre Gebieterinnen zum Lachen brachte durch die Art und Weise, wie sie dem Herbergsvater und seiner Frau von Petersburg erzählte. Mann und Frau saßen gewöhnlich da und sperrten Mund und Ohren auf und wollten es nicht begreifen, daß es viele Dinge auf Erden gebe, von denen sie noch nichts gehört hatten.

Da ihre beschränkten Mittel den Reisenden nicht erlaubten, Postpferde zu nehmen, so dauerte die Reise sehr lange, denn die Entfernung zwischen Simbirsk und Moskau ist groß; endlich aber erreichten sie doch nach mancherlei Widerwärtigkeiten, bei denen der starke Grerowitz oft gute Dienste leistete, die Stadt, in der Pugatscheff in einem Turme des Kreml gefangen saß. Der Kreml ist, wie viele meiner Leser sicher wissen, ein großes Gebäude, das zur Zeit, als Moskau noch für die Hauptstadt von Rußland galt, der Palast des Zaren war. In diesem Gebäude sind mehr als sechzehnhundert Zimmer, die jetzt den verschiedensten Zwecken dienen. Es war für die jungen Mädchen wahrlich ein Glück, daß sie den starken Grerowitz bei sich hatten, um sie vor dem Mutwillen des Volkes zu schützen, das sehr ausgelassen war, weil die Fastenvergnügungen bereits begonnen hatten. Der Lärm in den Straßen der Stadt war betäubend; denn alle Glocken in den vielen Kirchen – glaubwürdige Reisende behaupten, daß es über fünfzehnhundert seien – läuteten beständig, weil ein Festtag war; die jungen Mädchen verwunderten sich, daß die Menschen in dem Lärm noch lachen, sprechen und singen konnten.

Sie hatten viel Mühe, den Weg zu finden, da die meisten Menschen in ihrer Ausgelassenheit bald diese bald jene unverständliche Antwort gaben; aber, nachdem sie lange umhergeirrt, fanden sie doch endlich den Kreml und hielten ihren Einzug in einen Gasthof, der dicht daneben war.

Sobald Romanowna sich ein wenig ausgeruht hatte, wollte sie sogleich versuchen, ob sie Zutritt zu ihrem Vater erlangen könne und machte sich deshalb mit Milna und Grerowitz, der sehr bereitwillig seine Begleitung anbot, auf den Weg, während die beiden Frauen in der Wohnung zurückblieben, um für etwas Essen zu sorgen.

Die jungen Mädchen hätten lange in der Irre herumwandern müssen, um in Erfahrung zu bringen, wo sie sich anzumelden hätten, um Zutritt zu erlangen, wenn sie nicht zu ihrem Glück gerade an einer Straßenecke einem Herrn begegnet wären, der vom Pferde sprang, und in dem Milna sogleich den Grafen Panin erkannte. Derselbe schien offenbar guter Laune zu sein, wenigstens sah er so vergnügt aus, daß Romanowna, die von Milna auf ihn aufmerksam gemacht worden war, sich ein Herz faßte und sich ihm näherte, um ihn anzureden.

»Herr Graf,« sagte sie, ihre Hände bittend zu ihm erhebend, »erfüllen Sie hier die Bitte, die ich in Simbirsk an Sie gerichtet habe!«

»Und die ist?« fragte der Graf. »Ach ja, ich erinnere mich derselben jetzt, mein schönes Kind,« fügte er sogleich hinzu, »Sie nehmen Interesse an dem Empörer und wünschen ihn zu sehen; aber vorausgesetzt, ich gewährte Ihre Bitte, welchen Gebrauch würden Sie von der Vergünstigung machen?«

»Ich würde ihm Liebe zeigen und ihm Mut und Vertrauen einzuflößen suchen,« antwortete Romanowna ohne Zögern.

»Ah, Sie sind also auch eine Aufrührerin?« sagte der Graf scherzend.

»Nein, bei allen Heiligen, nein,« sagte das junge Mädchen ernsthaft; »aber,« bei diesen Worten trat sie dem Grafen einen Schritt näher und flüsterte: »er ist mein Vater.«

Der Offizier, der neben dem Grafen stand und die Worte wahrscheinlich verstanden hatte, flüsterte dem Grafen Panin ein paar Worte ins Ohr, worauf dieser Romanowna scharf ansah und fragte: »Sagen Sie mir, Sie sind doch nicht Prinzessin Romanowna?«

»Ja, Herr Graf«, antwortete das junge Mädchen gefaßt, »ich hatte einmal die Ehre, Ihnen eine goldene Kette zu überreichen, die Sie bei einem Hoffeste errungen hatten, und die Worte, die Sie damals zu mir gesprochen, geben mir den Mut, vielleicht das Recht, Sie recht eindringlich zu fragen, ob Sie mir den Zutritt in das Gefängnis gestatten wollen?«

»Ich gewähre Ihre Bitte,« sagte der Graf mit einer Verbeugung; »aber machen Sie mir das Vergnügen, mich erst nach meiner Wohnung zu begleiten. Sie ist nicht weit von hier und ich möchte Sie gern noch mancherlei fragen.«

Romanowna wäre viel lieber gleich zu ihrem Vater geeilt; sie konnte aber nichts gegen die Bitte des Grafen einwenden und erklärte sich deshalb bereit, mitzugehen, als Grerowitz vor den Grafen hintrat, und während er verlegen an seiner Mütze drehte, sagte: »Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Graf, Sie scheinen Gewalt über den Gefangenen zu haben, können Sie mir auch die hunderttausend Ru...«

Der Graf stieß den starken Grerowitz beiseite und führte Romanowna nach seiner Wohnung, die dicht beim Kreml lag, während Milna mit dem Adjutanten folgte. Nachdem der Graf Romanowna zum Sitzen aufgefordert hatte, befragte er sie über vielerlei Dinge; aber sie antwortete immer so kurz und gemessen wie möglich, da sie fürchtete, ihren Vater noch mehr in Ungelegenheiten zu bringen.

»Wird bald etwas über den Gefangenen beschlossen werden?« fragte Romanowna jetzt ihrerseits.

»Noch ganz unbestimmt,« war die Antwort. »Das Urteil ist zwar schon gesprochen, aber die Kaiserin muß es noch unterzeichnen, und wahrscheinlich werden noch einige Monate verfließen, bis das Papier aus Petersburg zurückkommt.«

»Das Urteil ist bereits gesprochen,« wiederholte Romanowna erbleichend, »und das ist, Herr Graf?« fragte sie mit schwacher Stimme.

»Jemand, der mutwillig so viel Blut vergossen hat und das Land aufwiegelte, hat wenig Gutes zu erwarten,« sagte der Graf ernst, ohne Romanownas Frage zu beantworten.

»Ich kann doch Petersburg wohl noch erreichen, ehe das Urteil abgeschickt wird?« fragte das junge Mädchen voller Angst und sah den Grafen so forschend an, als ob Leben und Tod von seiner Antwort abhinge.

»Möglicherweise,« lautete die Antwort. »Aber wagen Sie es, nach Petersburg zu gehen?«

»Ich werde die Kaiserin anflehen, das Leben meines Vaters zu schonen,« antwortete Romanowna ruhig.

Der Graf blickte das junge Mädchen mit einer Teilnahme an, die man seinem rauhen Wesen kaum zugetraut hätte.

»Ich hoffe,« sagte er, »daß es Ihnen gut gehen wird, und wenn Sie jemals Hilfe nötig haben sollten, wenden Sie sich vertrauensvoll an den Grafen Panin.«

Darauf schellte der Graf einem Diener, der sogleich erschien. »Führe diese Damen in das Gefängnis,« befahl er, »und sage dem Schließer, daß sie, so oft sie wollen, bei dem Gefangenen Pugatscheff zugelassen werden; aber sie müssen sich der vorgeschriebenen Untersuchung unterwerfen, ob sie kein Gift oder keinen Dolch bei sich führen, auch dürfen sie nicht länger als bis zum Schließen der Hallen bleiben.«

Verwundert sah Romanowna bei dieser Warnung auf. Sie sollte ihrem Vater Gift geben? Wie konnte jemand auf einen solchen Einfall geraten? aber bald vergaß sie ihre Entrüstung über der Freude, ihren Vater nach so langer Trennung wiedersehen zu dürfen. Sie dankte dem Grafen herzlich für sein Wohlwollen und ging fast fröhlich fort.

»Milna,« sagte Romanowna, »sobald wir meinen Vater gesehen und gesprochen haben, müssen wir uns nach Petersburg auf den Weg machen, denn, wie du gehört hast, dürfen wir keine Minute Zeit verlieren.«

»Aber heute abend,« sagte Milna, »werden wir die Stadt nicht mehr verlassen können; der Offizier, mit dem ich soeben sprach, erzählte mir, daß es hier Abends sehr unsicher wäre wegen des wüsten Treibens des ausgelassenen Volkes. Denke dir, im vorigen Jahr sind in der Fastenzeit mehr als zwanzig ausgeplünderte Leichen hier gefunden worden.«

»Ich werde Sie schon beschützen,« sagte Grerowitz, der sich von der Verwunderung erholt, in die ihn die unfreundliche Behandlung des Grafen versetzt, und der sich den jungen Mädchen wieder zugesellt hatte.

»Laß uns erst zu deinem Vater gehen,« sagte Milna »und dann weitere Pläne machen.«


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