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Fünftes Kapitel.
In dem Zimmer der Kaiserin

Wer sich das Zimmer der Kaiserin von Rußland vorstellt, wird sich dasselbe wohl ganz anders denken als es wirklich war; denn gewiß wird niemand vermuten, dort einen mit Büchern und Papieren bedeckten Tisch zu finden. Und doch war dem so. Die Kaiserin beschäftigte sich viel mit der Bildung ihres Volkes und machte nicht nur selbst entsprechende Gesetzentwürfe, sondern gab sich auch die Mühe, einige Bücher, die sie für nützlich hielt, aus dem Französischen in das Russische zu übersetzen; wieviel Zeit sie auch ihren Vergnügungen widmete, sie wußte doch täglich ein Stündchen zu finden, das sie in ihrem Zimmer mit ihren Studien zubrachte. An diesem Morgen befand sie sich auch schon an ihrer Lieblingsarbeit, als sie durch Romanownas Erscheinen gestört wurde.

In dem Augenblick, da wir sie jetzt antreffen, sitzt sie an ihrem Tisch, ohne sich mit den vor ihr liegenden Papieren zu beschäftigen.

Augenscheinlich befindet sie sich in aufgeregter Gemütsverfassung, denn sie hält sich beständig die Stirn mit der Hand, als ob sie dadurch die innere Unruhe besänftigen könne.

»Sie haben mich rufen lassen, gnädigste Gebieterin?« fragte Prinzessin Daschkoff, ihre erste Hofdame und Freundin, im Hereintreten.

»Denken Sie nur,« sagte die Kaiserin, ohne den Gruß ihrer Hofdame zu erwidern, »eben war Romanowna bei mir und bat mich in nachdrücklichem Ton, der unglücklichen Familie Pugatscheff zu helfen.«

Die Kaiserin schwieg, als wenn sie einen Ausruf der Verwunderung erwarte; aber sie irrte sich, denn Prinzessin Daschkoff sagte nur in fragendem Ton: »Und?«

»Und?« wiederholte die Kaiserin erstaunt. »Haben Sie mich nicht recht verstanden? Romanowna hat um Unterstützung der Pugatscheffs gebeten!«

»Nun, dabei ist doch nichts Besonderes,« antwortete die Hofdame.

»Ich begreife Sie nicht, Feodorowna,« sagte die Kaiserin, einen vertraulichen Ton anschlagend, »haben Sie denn alles vergessen, was sich ereignet hat? oder rechnen Sie für nichts, daß mein Name oder möglicherweise mein Leben in Gefahr ist?«

»Bah, Sie übertreiben,« antwortete die Hofdame ruhig, »bis jetzt sehe ich noch nicht die mindeste Gefahr. Romanowna bittet um Hilfe, nun so helfen Sie und ...«

»Aber, wo denken Sie hin?« fragte die Kaiserin beunruhigt.

»An die Wohlfahrt Eurer Majestät,« war die ruhige Antwort.

»Aber Sie begreifen doch, daß ich den Namen nicht so ruhig anhören kann und daß ich, als Romanowna mehr darüber sprechen wollte, ihr befahl, kein Wort mehr über die Menschen zu verlieren«, sagte die Kaiserin.

»Sehr unverständig,« brummte Prinzessin Daschkoff zwischen den Zähnen.

»Ja, aber was wollen Sie?« setzte die Kaiserin entschuldigend hinzu, »ich war so abgespannt, da ich die Nacht vorher so wenig geschlafen hatte und erschrak so sehr beim Hören des Namens, um so mehr als ich – ich weiß selbst nicht warum – in der Nacht mit meinen Gedanken immer bei dem schrecklichen Abend war, als ... aber Sie kennen die Geschichte!« unterbrach die Kaiserin sich selbst.

»Ich habe niemals den ganzen Hergang erfahren, obgleich Sie manchmal mit mir davon gesprochen haben,« sagte die Hofdame und rückte ihren Stuhl etwas näher, um besser hören zu können.

»Sie wissen,« begann die Kaiserin, »daß ich nach dem Tod des Zaren eine Zeit lang sehr unwohl war und Zerstreuung nötig hatte. Weder mein Palast und die Freuden des Hofes, noch meine Studien boten mir genügende Ableitung, um allerhand düstere Gedanken aus meinem Gehirn zu verdrängen. Ich suchte darum Veränderung und machte manchmal allein, manchmal mit einigen Herren meines Gefolges Ausflüge zu Pferd, und wirklich fühlte ich meine Heiterkeit wiederkehren, wenn ich mich so im Walde herumtummelte. Einmal jedoch, als ich allein ausgeritten war und gedankenlos hin- und hersprengte, merkte ich zu meinem Schrecken, daß ich mich verirrt hatte; vergebens suchte ich mich zu erinnern, welche Richtung ich einschlagen mußte, alle Wege waren mir fremd und unbekannt. Ängstlich blickte ich mich, im Trab reitend, nach jemand um, der mir den rechten Weg zeigen könne, als plötzlich ein Mann aus dem Gebüsch trat und mein Pferd am Zügel faßte; es war schon dämmerig, und doch konnte ich noch sehr gut die Gesichtszüge des Mannes unterscheiden; ich kann Ihnen meine Angst nicht schildern, als ich sah, daß er der verstorbene Zar war. In seinem Gesicht hätte ich mich noch täuschen können, aber seine Stimme war zu deutlich.«

Die Kaiserin zitterte noch, als sie daran dachte, wie sehr sie damals erschrocken war.

»›Steig' ab‹, gebot er mit donnernder Stimme, ›und komme mit, mir zu helfen.‹ In meiner Angst gehorchte ich bebend und sprang vom Pferd. Er schlang die Zügel um seinen Arm und zeigte, ohne sich zu entschuldigen oder nur ein Wort zu sprechen, auf einen Weg, auf dem er neben mir weiterschritt. Ich sank beinahe bis an die Kniee in Schnee, aber die Angst, die ich empfand, jemand neben mir zu sehen, den ich vom Grabe erstanden glauben mußte, erregte ein Gefühl in mir, als wenn ich durch Feuer und Flammen ginge. Wie weit ich lief, weiß ich nicht, aber wenn möglich, vermehrte sich meine Angst noch, als er das Pferd an einem Baum festband und auf einen schmalen Fußpfad deutete, an dessen äußerstem Ende ich einen schwachen Lichtschein bemerkte. ›Geh' voraus,‹ gebot er. Ich gehorchte wieder und bildete mir ein, ich höre ihn hinter mir ein Schwert herausziehen, und in dem Gedanken, daß mein letzter Augenblick gekommen sei, drehte ich mich um und bat, auf meine Kniee niederfallend: ›Vergebung mein Gemahl, ich will meine Schuld bekennen, ich will dir den Thron zurückgeben, ich will büßen, laß mir nur mein Leben.‹«

»Hatte er Waffen bei sich?« fragte die Hofdame.

»Ich hatte in dem Augenblick nicht den Mut, ihn anzusehen,« sagte die Kaiserin, »auch ließ er mir dazu nicht die Zeit, denn er sagte mit dumpfer Stimme: ›Dein Leben soll geschont werden, wenn du dich jetzt beeilst.‹

Ich dachte ... aber warum soll ich meine Erzählung länger als nötig machen,« unterbrach sich die Kaiserin selbst. »Rascher, als ich glaubte,« fuhr sie fort, »kam ich an einem kleinen Häuschen an, dessen Licht ich schon eine ganze Weile gesehen hatte. Der Mann stieß die Thüre auf und ging vor mir hinein. Das Schauspiel, das ich da sah, habe ich Ihnen wohl schon einmal geschildert? Wie Romanowna, beinahe steif vor Kälte, schlafend neben einer sterbenden Frau lag. Mein Begleiter faßte die Hand der Sterbenden und strich ihre dunkeln Haare ein wenig zur Seite; sie schlug ihre Augen auf und sagte mit schwacher Stimme und fremder Betonung: ›Ach, ich kann sie beinahe nicht mehr erwärmen, denn ich fühle schon den kalten Hauch des Todes. O, mein armes, liebes Kind,‹ sagte sie zu Romanowna gewendet, ›wer wird für dich sorgen, wenn ich nicht mehr bin?‹

›Sei ruhig,‹ sagte der Mann sanft, ›die Kaiserin wird für dein Kind sorgen. Nicht wahr?‹ fragte er, mich fest ansehend.

Sanftere Regungen, als ich sie je gekannt hatte, bemächtigten sich meiner, ich löste meinen Mantel und bedeckte Mutter und Kind damit. ›Ich habe nichts mehr nötig,‹ sagte die sterbende Frau, die Hülle zurückweisend, ›aber das Kind ... ‹ ›wird fortan das meine sein,‹ fiel ich der Sterbenden beruhigend ins Wort, obgleich ich selbst vor innerer Unruhe zitterte; denn je mehr ich den Mann ansah, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, daß er mein Gemahl sei. Es kann nicht möglich sein, daß er es ist, dachte ich; denn ich habe die unumstößlichen Beweise seines Todes in Händen; und doch stand er da; es war sein Gesicht, seine Stimme, seine Haltung, in einem Wort, er war es; aber wie kam er hierher? in die Kleidung? und wer war die junge Frau? – Ich fand keine Antwort auf meine Fragen. Mein Zustand wurde, je länger er dauerte, desto unerträglicher, ich zitterte vor Kälte und glühte vor innerer Angst. Er sprach kein Wort, sondern beugte sich ab und zu über die junge Frau, um auf ihren Atem zu hören, der nach und nach schwächer wurde und endlich ganz aufhörte. Gerade in diesem Augenblick wurde Romanowna wach und fing an zu schreien, aber diejenige, die sie sonst gepflegt und für sie gesorgt hatte, lag kalt und unbeweglich da, einem Wachsbild gleich. Ich fühlte, daß ich das Kind an mich nehmen müsse, und ohne länger zu überlegen, nahm ich es auf den Arm und versuchte, es zu beruhigen.«

»Und was begab sich weiter?« fragte die Hofdame etwas ungeduldig, als die Kaiserin, in Gedanken versunken, schwieg.

»Sobald ich das Kind beruhigt hatte,« fuhr die Kaiserin fort, »sagte der Mann in sanfterem Ton zu mir: ›Schwören Sie, Madame, bei der Leiche dieser Unglücklichen, daß Sie das Kind versorgen und erziehen wollen, dann gelobe ich Ihnen, daß unsere Wege sich nicht mehr kreuzen sollen.

Meine Gegenwart ist Ihnen lästig, und darum werde ich Sie ungehindert gehen lassen, sobald ich weiß, daß für dieses mutterlose Geschöpfchen gut gesorgt wird.‹ Ich gelobte es ihm heilig und war dankbar, als ich mich wieder in der freien Luft befand. Er nahm mir das Kind ab und trug es, in meinen Mantel gewickelt, zu dem Pferd.

Nachdem er mir in den Sattel geholfen, übergab er mir das Kind, zeigte mir, während er das Pferd auf die rechte Straße führte, den Weg und sagte mit Nachdruck: ›Ich heiße Pugatscheff.‹«

»Merkwürdig,« sagte Prinzessin Daschkoff nachdenklich, »und Sie sind gewiß, daß der Mann Ihr Gemahl war?«

»Ich habe später wohl einmal an Sinnestäuschung gedacht, um so mehr, da ich untrügliche Beweise seines Todes hatte,« sagte Katharina, sich plötzlich erschreckt umsehend, »aber heute, als ich seinen Namen so unvermutet von Romanowna aussprechen hörte, trat das ganze Ereignis mir wieder mit erneuter Klarheit vor die Seele, und ich weiß gewiß, daß Sinnestäuschung unmöglich ist.«

»Sonderbar, daß er in all' den Jahren nichts von sich hat hören lassen; weiß Romanowna etwas von der Geschichte?«

»Ich fürchte wohl ein wenig,« antwortete die Kaiserin, »daß ich ihr Mißtrauen selbst geweckt habe, denn ich habe sie sehr streng ausgefragt und erfahren, daß sie alles von ihrem Kammermädchen gehört hat. Ich habe sogleich den Befehl zur augenblicklichen Verhaftung des Mädchens gegeben, und seine Verbannung nach Sibirien ist bereits unterzeichnet.«

»Das arme Mädchen,« sagte die Hofdame mitleidig.

»Beklagen Sie dasselbe nicht,« sagte die Kaiserin, »ich habe schon vor einiger Zeit Winke erhalten, daß sein Treiben das Licht nicht vertragen könne, und, soviel ich Romanowna verstand, scheint es dieselbe gegen mich aufzureizen.«

»Aber zu welchem Zweck?« fragte die Hofdame in einem Ton, als ob sie das für sehr unwahrscheinlich halte. »Glauben Sie mir, gnädigste Gebieterin, Sie suchen mehr in dieser Sache, als wirklich dahinter steckt. Lassen Sie Milna ihr Amt behalten und sorgen Sie nur, daß die Prinzessin zerstreut wird, sie ist leichtlebig genug, den Vorfall zu vergessen.«

Diese Worte schienen die Kaiserin für den Augenblick etwas zu beruhigen, wenigstens sagte sie: »Ich glaube, Sie haben Recht, daß Romanowna nicht lange darüber nachdenken wird, wenn andere Dinge ihre Phantasie beschäftigen, und es ist nicht schwer, sie abzuziehen. Zuerst können Sie Befehl geben zu der Heirat Tschouwas und Iwanownas und dann dafür sorgen, daß schon jetzt viel über das bevorstehende Fest von Zarsko-Selo gesprochen wird, und dann könnten wir vielleicht noch Ritter- und Volksspiele veranstalten. Es giebt Mittel genug, um aufkeimende Gedanken aus dem Kopf eines jungen Mädchens zu vertreiben. Das bekümmert mich nicht, aber Pugatscheff beunruhigt mich. Was kann er nicht alles ans Licht bringen, wenn er wirklich Peter III. ist? Und ist er es nicht, so gleicht er ihm so sprechend, daß jeder denken muß, er sei der Zar. Viele sind unzufrieden mit meiner Regierung, und es wird ihm nicht schwer fallen, Anhang zu finden.«

»Aber, verehrte Kaiserin,« sagte Prinzessin Daschkoff lachend, »wie ist es möglich, daß eine so verständige Frau sich aus nichts solche Schreckbilder schaffen kann?«

»Mein Scharfblick hat mich noch nie betrogen,« sagte die Kaiserin mit nicht geringer Selbstzufriedenheit, während sie ihrer Hofdame zu verstehen gab, daß sie allein zu sein wünsche.


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