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Dreiunddreißigstes Kapitel.
Romanowna in Petersburg

Ohne besondere Fährlichkeiten erreichten Romanowna und Milna Abends spät Petersburg. Romanowna fürchtete sehr, zu so vorgerückter Stunde bei der Kaiserin nicht mehr zugelassen zu werden, wollte aber doch noch einen Versuch wagen, da sie den Gedanken nicht los wurde, sie könne zu spät kommen. Zu ihrem großen Erstaunen wurde sie im Palast sogleich bei ihrem Erscheinen erkannt und mit großer Ehrerbietung behandelt. Ihre Zimmer waren zu ihrem Empfange bereit, wie ihr die Diener mit tiefen Bücklingen versicherten, und wirklich fand sie dieselben in solcher Ordnung, als wenn sie sie gar nicht verlassen hätte. Es war alles herrlich erleuchtet und erwärmt, und selbst Christine befand sich schon dort und fragte nach ihren Befehlen.

»Ich möchte die Kaiserin gern sogleich sprechen,« sagte Romanowna, »denn ich muß bald wieder fort.«

»Ihre Majestät lassen Sie ersuchen, sich sogleich ankleiden zu lassen,« sagte Christine schüchtern; »die Kaiserin wünscht Sie in dem großen Saal zu empfangen, um dem ganzen Hof zu zeigen, daß von Ungnade keine Rede ist.«

»Die Kaiserin ist sehr gütig,« sagte Romanowna, »aber ich möchte lieber, daß sie mir allein Gehör schenkte, denn ... aber ich kann mich natürlich nicht weigern,« unterbrach sie sich selbst, »und werde deshalb Toilette machen.«

»Ich hatte wahrlich nicht geglaubt, daß ich noch einmal hierher zurückkommen würde,« sagte Romanowna, um sich blickend, während Christine ihr beim Ankleiden behilflich war.

»Wieviel glückliche Stunden haben wir hier zugebracht!« sagte Milna, »erinnerst du dich noch des letzten Abends, den wir hier verlebten?«

»Als du mich necktest und mich mein neues Kleid nicht sehen lassen wolltest, nicht wahr?« fragte Romanowna.

»Ja,« sagte Milna. »Was waren wir damals doch noch so kindisch. Ich weiß noch sehr gut, daß ich zu jener Zeit es für das größte Glück hielt, auch ein so schönes Kleid zu besitzen.«

»Wie nichtig kommen mir jetzt alle jene Dinge vor, die mir damals so wichtig erschienen,« sagte Romanowna.

»Ja, ja,« bemerkte Milna. »Wir haben in der ziemlich kurzen Zeit unseres Umherschwärmens viele Erfahrungen gemacht und ein bewegteres Leben geführt, als wir uns je hätten träumen lassen.«

»Sieh doch einmal,« sagte Romanowna mit einem Anflug ihrer früheren Fröhlichkeit, als sie sich selbst, nachdem Christine sie frisiert hatte, im Spiegel betrachtete, »ich sehe wahrhaftig wie eine Prinzessin aus.«

Christine blickte bei diesen Worten etwas verwundert auf, wagte aber nicht, eine Bemerkung zu machen.

»Möchtest du wieder am Hofe leben, wenn deine Bitte nicht gewährt werden sollte?« fragte Milna.

»O nein,« rief Romanowna lebhaft, »oder ja, vielleicht doch,« fügte sie nachdenklich hinzu; »aber ich mag gar nicht darüber nachdenken; denn der Gedanke, mich jetzt gleich der Kaiserin und dem ganzen Hof gegenüber zu sehen, ist mir sehr unangenehm, aber pfui!« unterbrach sie sich wieder, »ich bin wieder viel zu sehr mit mir beschäftigt, und ich bin doch nur meines Vaters wegen hierhergekommen. Bist du jetzt fertig, Christine?«

»Nein, Prinzessin,« antwortete das junge Mädchen, »die Kaiserin hat mich beauftragt, Ihnen in ihrem Namen diesen Diamantschmuck zu überreichen; Ihre Majestät wünschen sehr, Sie heute abend damit geschmückt zu sehen.«

Romanowna wäre lieber nicht so prächtig gekleidet gewesen; aber sie wußte, daß die Wünsche der Kaiserin immer Befehle waren und ließ deshalb von Christine das prächtige Diadem befestigen, hielt auch ihre Hand hin, um sich das breite Juwelenarmband anlegen zu lassen; zuletzt brachte Christine noch eine Nadel in Bouquetform auf dem Rock an, der vorn in die Höhe gerafft war.

Milna sah ihre Freundin, als dieselbe jetzt vollständig angekleidet vor ihr stand, verwundert an; obgleich sie täglich mit ihr verkehrte, war ihr nicht zum Bewußtsein gelangt, wie schön sie sei.

»Die Kaiserin,« flüsterte sie Romanowna zu, »die so viel auf ein schönes Äußere giebt, wird dir nichts abschlagen können.«

»Gott gebe es,« sagte Romanowna ebenso leise und verließ das Zimmer, um sich in den Empfangssaal zu begeben.

Mit klopfendem Herzen erschien Romanowna, von einem Adjutanten geleitet, in dem Saal, in dem die Kaiserin sie erwartete; aber gerade ihre Aufregung, die ihre Wangen höher färbte, machte sie um so lieblicher. Als sie sich der Kaiserin genähert hatte, wollte sie sich vor derselben auf die Kniee werfen; aber Katharina, der die Bewegung nicht entgangen war, kam ihr zuvor, faßte ihre beiden Hände, während sie einen Kuß auf ihre Stirne drückte.

»Sei willkommen, liebe Romanowna, an unserem Hofe, dessen Zierde du gewesen bist,« sagte die Kaiserin laut. »Verhängnisvolle Umstände haben dich eine Zeit lang von uns fern gehalten, aber unsere Zuneigung hat sich darum nicht vermindert.«

Von allen Seiten umringte man jetzt Romanowna und wünschte ihr Glück; das junge Mädchen war sehr betroffen von dem schmeichelhaften Empfang; doch wie sehr es auch in Wahrheit davon verblüfft war, so verlor es doch keinen Augenblick den Zweck seines Kommens aus dem Auge. Mehr als einmal versuchte es, sich der Kaiserin wieder zu nähern, um sogleich die Bitte, die ihm auf der Zunge schwebte, an sie zu richten; aber Katharina war so lebhaft und empfand offenbar so großes Vergnügen an all' den schmeichelhaften Bemerkungen, die sowohl über ihr eigenes ausgezeichnetes Benehmen dem jungen Mädchen gegenüber wie über Romanownas ungewöhnliche Schönheit gemacht wurden, daß sie sich immer in eifriger Unterhaltung befand; so war es Romanowna nicht möglich, über ihren Vater mit ihr zu sprechen.

»Sie ist hundertmal schöner als früher,« hörte Romanowna häufig sagen; aber wenn sie auch diese Worte nicht verstanden hätte, die bewundernden Blicke der Höflinge würden sie davon überzeugt haben, daß sie wirklich allen Anspruch auf den Namen einer Schönheit ersten Ranges habe; und doch war es ihr vollständig gleichgültig, wie man über sie denke; je länger sie sich im Saale befand, desto öfter irrten ihre Gedanken aus dem glänzenden Kreise zu dem dunkeln Turme, in dem ihr Vater, in eiserne Ketten geschlossen, ängstlich auf ihre Rückkehr wartete.

Welch' ein Kontrast zwischen hier und dort! Hier soviel Pracht und Überfluß, dort soviel Entbehrung; hier glänzende Beleuchtung, dort fast vollständige Dunkelheit; hier üppige Bequemlichkeit, dort nur eine rohe Holzbank; hier nur fröhliche Gesichter, dort niemand, als ab und zu der brummige Schließer; hier .. aber Romanowna konnte ihre Vergleiche nicht weiter fortsetzen, denn sie fühlte aufquellende Thränen und durfte doch nicht weinen; hier mußte jeder, selbst mit dem bittersten Kummer im Herzen, ein lachendes Gesicht zeigen, und nun trat die Kaiserin gerade auf sie zu und sagte: »Nun Romanowna, du siehst sehr gut aus. Wir sind sehr verlangend nach einer ausführlichen Erzählung deiner Erlebnisse. Es muß wahrhaftig ein ganzer Roman sein,« fügte sie scherzend hinzu.

»O, ich sehne mich so danach. Eure Majestät zu sprechen,« antwortete Romanowna. »Ich will gern alles erzählen, aber erst bitte ich um eine Gunst, nämlich, daß Eure Majestät ...«

»Morgen,« fiel ihr die Kaiserin ins Wort, »morgen hoffe ich Zeit zu finden, dich in besonderer Audienz zu empfangen.«

»Meine Bitte ist kurz,« sagte Romanowna.

»Desto besser, ma chère,« lachte die Kaiserin, dem jungen Mädchen mit dem Fächer einen freundschaftlichen Schlag auf die Wange versetzend, »ich verspreche dir im voraus, daß ich alle vernünftigen Wünsche erfüllen werde.«

»O, Ihre Güte für mich ...,« fing Romanowna an; aber die Kaiserin, die sehr gut wußte, was das junge Mädchen sagen wollte, unterbrach sie wieder mit den Worten: »Sprich nicht davon, du weißt ich habe dich immer wie mein eigenes Kind behandelt, und obschon du jetzt zu meinem Bedauern jedenfalls wissen wirst, daß ich nicht deine Mutter bin, so ändert das nichts an meinen Gefühlen für dich.«

Auf diese Weise setzte die Kaiserin das Gespräch eine Weile fort; die arme Romanowna, welche die Taktik der Kaiserin nicht begriff, hätte statt all der schönen Worte gewünscht, daß dieselbe ihr eine kurze Frage beantworte.

Wie tanzlustig viele meine Leserinnen auch sein mögen, sie werden jedenfalls mit mir unsere Romanowna bedauern, daß sie an jenem Abend am Tanz teilnehmen mußte. Wie gern hätte sie sich aus dem Saal entfernt, als sie inne ward, daß sie nichts für ihren Vater thun könne; aber was sollte sie antworten, als die Kaiserin das Gespräch mit den Worten beendigte: »Und jetzt, liebes Kind, verlangen wir, daß du dich am Tanze beteiligst. Wir begreifen sehr gut, daß du etwas ermüdet bist, aber es ist bereits Befehl gegeben worden, den Ball heute abend früh zu beendigen.«

Romanowna warf einen flehenden Blick auf die Kaiserin, aber diese wollte sie nicht verstehen und fuhr, gegen den Herzog von Trotsk gewendet, der neben ihr stand, fort:

»Ihnen erweisen wir die Ehre, mit unserer geliebten Tochter den Ball zu eröffnen.«

»Tanzen Eure Majestät denn nicht?« fragte der Herzog.

»Heute abend nicht,« antwortete die Kaiserin, während sie Romanowna und ihren Kavalier vorausgehen ließ.

Ob der Herzog nicht begierig war, selbst ein Gespräch anzufangen, oder ob er merkte, daß seine Dame keine Lust habe, sich zu unterhalten, wissen wir nicht; jedenfalls sagte er nichts zu Romanowna, als er mit ihr weiterschritt: dafür war sie ihm von ganzer Seele dankbar, denn ihr Herz war so voll, daß sie sicher angefangen hätte zu weinen, wenn sie zum Sprechen genötigt worden wäre. Der schreckliche Gegensatz zwischen ihrem im Gefängnis gefesselten Vater und seiner in glänzender Toilette tanzenden Tochter beherrschte sie immer mehr, und die laute Tanzmusik regte sie so auf, daß sie am liebsten davongelaufen wäre.

Arme Romanowna! Während sie durch den Saal schwebte, und die Augen vieler Bewunderer ihr folgend ein ebenso glückliches wie schönes Geschöpf zu sehen glaubten, fühlte sie in ihrem Herzen nur einen tief einschneidenden Schmerz. Mit unglaublicher Kraft bezwang sie ihre Aufregung während des ersten Tanzes.

Als derselbe beendet war, geleitete sie der Herzog zu einem Sofa und ließ sich neben ihr nieder.

»Ich müßte mich sehr irren, Prinzessin, oder Sie sind heute abend sehr wenig zum Tanzen aufgelegt,« sagte er. »Fühlen Sie sich vielleicht unwohl?«

Romanowna schlug ihre Augen zu ihm auf und wollte etwas sagen; aber sie konnte kein Wort hervorbringen und blieb deshalb schweigend sitzen.

Der Herzog verwunderte sich etwas; aber er war viel zu sehr Weltmann, um sich eine weitere Frage zu erlauben; er rief einen Bedienten herbei und befahl, der Prinzessin etwas zu trinken zu bringen; dann machte er einige leichte Bemerkungen über die in der Nähe befindlichen Personen, um Romanowna Zeit zu lassen sich von ihrer Gemütsbewegung zu erholen. Als der Bediente die bestellte Erfrischung brachte, nahm ihm der Herzog das Glas ab und reichte es Romanowna. Es flimmerte ihr vor den Augen, alle Lichter erschienen ihr wie ebenso viele gelbe und grüne Teufelchen, die langsam auf sie zutanzten, und gerade, als sie das Glas genommen hatte und sich bemühte, es an ihre Lippen zu bringen, kamen alle die Flammen plötzlich auf sie zu, so daß sie mit einem Schrei zurücksank. Im nächsten Augenblick eilten viele Damen auf sie zu, um ihr zu helfen; die Kaiserin gab den Befehl, sogleich ihren Leibarzt zu rufen. Dieser erschien unmittelbar, nachdem man die Prinzessin auf ihr Zimmer gebracht hatte und verordnete vor allen Dingen Ruhe.

»Nun, Doktor,« fragte die Kaiserin teilnehmend den Arzt, nachdem er in den Saal zurückgekehrt war, »wie finden Sie unsere liebe Patientin?«

»Die Prinzessin hätte nicht tanzen sollen,« sagte der Arzt kopfschüttelnd, »sie ist schwach und erschöpft und muß durchaus Ruhe haben.«

»Es ist doch keine Gefahr vorhanden?« fragte die Kaiserin.

»Ich glaube nicht,« war die Antwort, »aber ich werde gleich noch einmal zu ihr gehen.«

»Ich empfehle sie Ihrer besonderen Sorge, Doktor,« sagte die Kaiserin, »lassen Sie ihr Leben Ihnen ebenso teuer sein wie das meinige.« Der Doktor verneigte sich und versprach es. »Wenn alle außergewöhnlichen Gemütsbewegungen vermieden werden,« sagte er, »hoffe ich sie bald wiederherzustellen.«

»Dann ist es wohl besser, wenn ich heute abend nicht mehr zu ihr gehe?« erkundigte sich die Kaiserin.

»Ich rate Eurer Majestät den Besuch bis morgen zu verschieben,« sagte der Doktor und ging, um noch einmal nach seiner Patientin zu sehen.

Milna und Christine saßen am Bett Romanownas, die still da lag; sobald aber der Arzt eintrat, sprang sie auf und sagte aufgeregt: »Doktor, ich bin wahrhaftig nicht krank, aber mein Kopf brennt von der furchtbaren Aufregung, in der ich mich heute abend befand. Ich sehe es Ihren Augen an, daß Sie mich für eine Fieberkranke halten, aber das bin ich nicht, ich bin ebenso wenig eine Kranke wie ich eine Prinzessin bin. Wissen Sie, wer ich bin, Doktor? Die Tochter des Rebellen, und ich will hier seine Freilassung bewirken; wenn ich seine Freiheit nicht erlange, wird er getötet. Ja! getötet! Begreifen Sie das Wort, Doktor? Ach, lassen Sie mich mit der Kaiserin sprechen, denn ich muß noch heute abend nach Moskau zurück.«

»Werte Prinzessin,« fing der Doktor an, »Sie müssen ...«

»Nein, nein,« sagte Romanowna, ihn ungestüm unterbrechend. »Ich will nicht länger so gequält werden. Ich bitte Sie, Doktor, bei allem, was Ihnen lieb und teuer ist, lassen Sie mich gleich zur Kaiserin gehen, um ... Milna, ach, was wollte ich doch sagen?« fragte sie, sich selbst ins Wort fallend und mit ihrer Hand die Haare von der brennenden Stirn zurückstreichend. »O, Gott, mir schwindelt der Kopf, und ich muß doch sogleich nach Moskau zurück! Lassen Sie mich doch hingehen, mein Herr; wenn Ihre Tochter um Ihr Leben flehen wollte, würden Sie sie gewiß nicht davon zurückhalten. Ach, mein Kopf!« klagte sie. Das arme junge Mädchen war so ermüdet, daß es keinen Widerstand mehr leisten konnte, als der Arzt es sanft niederlegte und ein mit kaltem Wasser befeuchtetes Tuch um seine Stirne band.

»Morgen,« sagte er in ruhigem Tone, »werde ich Ihnen in allem behilflich sein, aber jetzt müssen Sie ruhen.«

Romanowna mußte sich darein ergeben, ruhig liegen zu bleiben; sie schloß die Augen, ohne noch etwas zu sagen und fiel glücklicherweise endlich in Schlaf. Sobald sie eingeschlummert war, drang Christine in Milna, sich doch auch einige Stunden Ruhe zu gönnen und war ihr behilflich, sich auf der Bank dicht neben Romanownas Bett niederzulegen, wo sie auch bald ruhig einschlief. –

Die Zeit war schon weit vorgerückt, als Romanowna am andern Morgen erwachte. Erschreckt fuhr sie empor und wollte sogleich aufstehen; Christine aber hielt sie davon zurück.

»Ich darf es nicht zugeben, daß Sie sich erheben, gnädige Prinzessin, ehe der Doktor hier war,« sagte das Kammermädchen.

»Aber ich kann nicht länger warten, ich muß sogleich zur Kaiserin,« versicherte Romanowna.

»Ihre Majestät hatten die Absicht, Sie hier aufzusuchen,« sagte Christine.

»Hier? wann?«

Natürlich konnte Christine nicht wissen, wann es der Kaiserin gefallen werde zu kommen; aber sie bat Romanowna so dringend, noch im Bett zu bleiben, daß diese sich überreden ließ; doch kaum hatte sie sich wieder hingelegt, als der Gedanke zu spät zu kommen, sie von neuem beängstigte, so daß sie sich plötzlich aufrichtete und aus dem Bett sprang.

Christine erschrak und wollte Milna wecken; aber Romanowna, der ihre Bewegung nicht entgangen war, hielt sie zurück und sagte: »Laß die Arme noch ein wenig ruhen, sie und ich müssen heute noch eine weite und ermüdende Reise antreten. Gieb mir sogleich meine Kleider.«

Obgleich Christine fürchtete, ihre Gebieterin sei noch im Fieber, so wagte sie doch nicht zu widersprechen und half Romanowna beim Ankleiden, immer in der Hoffnung, daß Milna aufwache. »Nein, nein, kein Morgenkleid,« sagte Romanowna, »ich muß mein gestriges Reisekleid anziehen, denn wir gehen sobald wie möglich fort.«

Christine blieb verwundert stehen; da sie den erhaltenen Befehl nicht rasch genug ausführte, ging Romanowna an ihr vorbei und holte sich selbst das Kleid, das sie anziehen wollte. Sobald sie fertig war, ließ sie sich ihr Schreibgerät bringen und schrieb. ohne lange Überlegung, die folgenden Worte auf ein Blatt Papier:

»Wir versprechen dem reuigen Pugatscheff, der von den Einflüsterungen ehrloser Menschen irre geleitet, sich zu vielen strafwürdigen Handlungen hat verführen lassen, unsere Vergebung und geben ihm seine Freiheit zurück mit der Erlaubnis, sich mit seiner Tochter in das Kloster des Priors Alexius bei Kasan zu begeben und dort in voller Abgeschlossenheit sein Leben Gott und der Heiligen Jungfrau zu weihen.«

Nachdem sie diese Zeilen geschrieben hatte, überlas sie dieselben noch einmal andächtig, steckte das Papier in ihre Kleidertasche und rief dann Milna zu: »Schnell, Milna, stehe auf und mache dich gleich fertig, ich gehe jetzt zur Kaiserin, und dann wollen wir uns sogleich auf die Reise begeben.«

»Wie fühlst du dich?« fragte Milna, erwachend.

»O, mir geht es viel besser,« lautete die Antwort, und es schien, als spräche sie die Wahrheit, denn sie sah, von ihrem Vorhaben erregt, sehr gut aus.

»Gehst du mit, um mir den Weg zu zeigen?« fragte sie Christine und fuhr, als sie beide das Zimmer verlassen hatten, fort: »Ich kann den Weg natürlich allein finden Christine, aber ich wollte dich gern zwei Dinge fragen, nämlich, ob es dir möglich ist, mir die Adresse des Herrn Lowitz zu verschaffen?«

»Lowitz?« fragte Christine. »Ich denke wohl, ich werde einen der Diener darnach fragen.«

»Gut, dann thue es und gieb sie mir gleich, wenn ich von der Kaiserin zurückkomme; aber gieb acht, daß Milna nichts davon merkt, willst du? Und dann,« fuhr Romanowna fort, »mußt du mir versprechen, zu vergessen, daß ich manchmal unfreundlich gegen dich gewesen bin; aber, o! mögest du es nie erfahren, was es heißt, einen Vater in solcher Lage zu wissen.«

Sie reichte Christine die Hand, die diese drückte, während sich ihre Augen mit Thränen füllten.

»Denke an die Adresse und sorge, daß Milna nichts davon merke,« sagte Romanowna noch einmal und eilte leichten Fußes durch den Gang, der nach den Gemächern der Kaiserin führte, während Christine ihr nachsah und bei sich meinte, das Los der schönen Prinzessin sei doch alles andere eher als beneidenswert.


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