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Zweites Kapitel.
Eine geheimnisvolle Zusammenkunft

Sobald sich die Thüre hinter Romanowna geschlossen hatte, ließ sich Milna wieder auf das Sofa fallen und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. »Wie laut klopft mein Herz,« sagte sie zu sich selbst. »Und warum nur, was habe ich eigentlich gethan? Gewiß nichts. Seltsam, der Tod der armen Sophie hat mich nicht halb so geängstigt wie diese kleine Lüge, und doch kann ich nicht einsehen, daß ich damit etwas Böses gethan habe; ich habe wohl eine Unwahrheit gesagt, indem ich einen verkehrten Namen nannte, aber ich that es doch nur auf seinen Befehl. Ach ja, ich mache mir grundlos soviel Sorgen. Komm,« fuhr sie aufspringend fort, »ich will lieber einmal sehen, was die Belohnung für den kleinen Dienst sein wird;« und auf den Schrank zugehend, holte sie aus demselben einen purpurfarbigen Samtmantel, dessen Rand mit Pelz besetzt war, schlug ihn um ihre Schultern und befestigte ihn am Hals mit einer breiten goldnen Spange, die sie aus einem Kästchen nahm; sie setzte sich dann eine Art Krone auf, die Romanowna hie und da trug.

»Die Kleidung schickt sich nicht für mich, weil ich nur ein Kammermädchen bin,« sagte sie, »und doch steht sie mir sehr gut,« dachte sie, während sie sich mit ebensoviel Wohlgefallen betrachtete, wie vorher Romanowna; »wie glücklich muß man doch sein, wenn man reich ist und sich immer prächtig anziehen kann. Romanowna fragte mich, ob ich eifersüchtig auf sie sei; ach! das soll nicht in mir aufkommen, nein, ich habe sie viel zu lieb, um an Neid zu denken, aber ich werde doch sehr froh sein, wenn der geheimnisvolle Fremde Wort hält und ich in den Besitz von all' der versprochenen Herrlichkeit komme. Ja, das wird eine lustige Zeit werden ... aber komm,« fuhr sie fort, nachdem sie einige Augenblicke in ihren eignen Anblick vertieft dagestanden hatte, »fort mit den fremden Federn.« Bei diesen Worten legte sie Mantel und Kopfputz ab und barg die Sachen wieder bei den Kleidern der Prinzessin.

»Jetzt gehe ich,« sagte sie mit lauter Stimme, als wenn sie sich selbst dadurch ermutigen wolle, »um zu hören, was der Fremde mir zu sagen hat. Ich wollte, ich wäre schon wieder zurück, denn es ist mir gar nicht geheuer, um diese nächtliche Stunde allein auszugehen. Ich will mich nur warm anziehen, obgleich mein Blut so kocht, daß es mich schon warm halten wird. Thue ich unrecht, auf den Fremden zu hören?« fragte sie nachdenklich. »Nein,« fuhr sie fort, den Gedanken gleich wieder verwerfend, »er hat mir Gottes Befehle überbracht ... nein, ich bin ein dummes Mädchen, mich so zu beunruhigen,« und ihr Selbstgespräch beendigend, verließ sie das Zimmer, die Sorge für das Auslöschen der Kerzen der untergeordneten Dienerschaft überlassend. Darauf hüllte sie sich in einen dicken Mantel, setzte eine Kapuze auf und ging nach unten, wo sich ihr ein Leibeigner näherte und sie fragte, ob sie die erwartete Person sei? Milna nickte zustimmend und folgte ihm leise. Eine Sänfte stand für sie bereit; sobald sie darin Platz genommen, trugen vier Leibeigne sie mit unglaublicher Geschwindigkeit fort. Wie weit und wohin sie gebracht wurde, wußte sie nicht, aber ihr Herz pochte lauter und lauter, während sie dasaß und ihre Hände an die brennende Stirn drückte. Um sich zu zerstreuen, versuchte sie, die Schritte der Leibeignen zu zählen, die sich in langsamem Trab weiterbewegten; aber der Schall vermehrte nur ihre innere Angst. Endlich wurde die Sänfte niedergesetzt und Milna konnte ihr zeitweiliges Gefängnis verlassen; sie schlüpfte rasch heraus und befand sich vor einem langen dunkeln Gang, in den sie eintreten mußte. Etwas zögernd blieb sie stehen, da sie ihren Mut sinken fühlte, aber glücklicherweise sah sie, wie man eine Thür öffnete, aus der ein schwacher Lichtstrahl drang, und sie hörte eine wohlbekannte Stimme sagen: »Hier herein.«

Sogleich darauf stand Milna der Person gegenüber, die ihr zugerufen hatte.

»Sei willkommen, meine Tochter,« sagte der Fremde in würdigem Ton und reichte Milna die Hand.

»Euren Segen, mein Vater,« bat Milna, indem sie, statt seine Hand zu ergreifen, vor ihm niederkniete.

Der Fremde, der einen Bischofsmantel trug, breitete seine Hände über das junge Mädchen aus und murmelte halblaut einige Worte. Darauf richtete er Milna auf, wies ihr einen Sitz an und entfernte sich dann, um zu sehen, ob alles gut verschlossen sei.

Sobald Milna die Stimme des Fremden gehört hatte, war sie viel ruhiger geworden und hatte ihre Unbefangenheit soweit wiedergefunden, um sich umschauen zu können. Der Ort, an dem sie sich befand, war ihr unbekannt, offenbar war es eine Art Kirche, denn die Wände waren von oben bis unten mit Heiligenbildern bedeckt. Außerdem war allerdings nichts vorhanden, was auf ein Gotteshaus schließen ließ, kein Altar, kein Taufbecken, keine Kanzel. Aber möglicherweise war das weggeräumt und in einen andern Teil der Kapelle gebracht worden. Das sehr schwache Licht einer Lampe, die unter dem Bilde des heiligen Nikolaus brannte, gestattete ihr nicht, die ganze Kapelle zu übersehen, auch hatte sie keine Gelegenheit, sich weiter umzublicken, da der Fremde sich neben sie setzte. Unwillkürlich schauerte das junge Mädchen zusammen, und als er sie mit seinen dunkeln Augen durchdringend ansah, schlug sie die ihren nieder.

»Fürchte dich nicht, meine Tochter,« sagte der Fremde, während er Milnas herabgesunkenen Mantel wieder fester um sie zog.

Milna dankte ihm mit freundlichem Nicken für diesen Dienst und sah ihn wieder an.

»Sage mir nur, meine Tochter,« begann der Fremde in sanftem Ton, »ob du gethan hast, was ich dir gebot.«

»Ja, mein Vater,« antwortete Milna.

»Was hast du gethan?« fragte der Fremde.

»Ich habe gethan, was Sie befohlen haben,« antwortete Milna kurz.

»Und das ist?« sagte der Fremde in fragendem Ton. Milna zog die Augenbrauen zusammen und erwiderte dann: »Wie, mein Vater, haben Sie denn vergessen, was Sie mir zu wiederholten Malen vorgesagt?«

Der Mann sah das Mädchen mit vorwurfsvollem Blick an und schüttelte das Haupt. Milna errötete und bat: »Vergeben Sie mir, mein Vater, daß ich so antwortete, aber ...«

»Was, aber?« fragte der Fremde, als sie ihren Satz nicht vollendete.

»Sie gelobten, mir die Ruhe meines Gewissens zurückzugeben,« sagte Milna etwas zögernd, »und statt dessen haben Sie mir befohlen, etwas zu thun, das gegen mein Gewissen ist und das ich außerdem durchaus nicht begreife.«

»Milna, Milna,« sprach der Fremde in mitleidigem Ton, »welch' schweren Kampf wirst du noch zu bestehen haben, ehe du deine Pflichten begreifen lernst.«

»Meine Pflicht,« sagte Milna, »war bis jetzt, alles nach dem Willen meiner Gebieterin zu machen, und nun verlangen Sie, daß ich ihr die Unwahrheit sage. Ich habe es gethan, aber ich fühle jetzt, daß ich unrecht gethan habe, denn ich war den ganzen Abend so unruhig und gedrückt, als ob ich eine schwere Missethat begangen hätte.«

Während Milna so sprach, sah der Fremde sie mit seinen großen schwarzen Augen fest an, und mehr als einmal schien es, als ob er ihr ins Wort fallen wolle. Er that dies aber nicht, und obschon er sich vor Ungeduld in die Lippen biß, wartete er doch, bis sie innehielt.

»Milna,« sagte er dann, »sieh mich einmal an.«

Das junge Mädchen willfahrte ihm.

»Sage mir,« fuhr er fort, »sehe ich wie ein Betrüger aus?«

»Nein, gewiß nicht,« antwortete Milna überzeugt.

»Nun,« fragte er, »wozu dann die unnötigen Klagen? Vor ein paar Tagen kamst du in die Kirche und bekanntest dort halblaut vor Gott eine Schuld, die dich drückte. Ich hörte dich, ohne daß du mich sahst, aber mein Erscheinen war dir nicht unwillkommen, denn ich bot dir ein Mittel, dich mit dir selbst und Gott zu versöhnen. Unsere guten und schlechten Handlungen wiegen einander auf, du bist unbarmherzig gegen ein armes Mädchen gewesen, das du hättest beschützen sollen, und du klagst dich nicht ganz mit Unrecht an, seinen Tod mit verschuldet zu haben.«

Milna seufzte tief auf, als der Fremde absichtlich schwieg.

»Du kannst,« fuhr dieser fort, »die Toten nicht durch Thränen und Seufzer zurückrufen, aber du kannst mit sehr geringer Mühe den Lebenden einen großen Dienst erweisen; deine Buße war wirklich nicht schwer, denn du hattest nur der Prinzessin einen Namen zu nennen, der dadurch der Kaiserin zu Ohren kommen soll.«

»Die Mühe ist nicht groß,« versicherte Milna, »aber es ist nicht angenehm, nicht zu wissen, warum man eine so seltsame Rolle spielt. Sagen Sie mir doch, mein Vater, was bedeutet das alles?«

»Der Zweck,« sagte der Fremde nach einiger Überlegung, »ist von politischer Bedeutung, aber er geht dich vorläufig noch gar nichts an. Es genügt dir, zu wissen, daß du Gott dienst, wenn du mir folgst; dabei mußt du dich beruhigen, nicht wahr?«

Milna hätte gern »nein« gesagt, aber die schwarzen Augen des Fremden zwangen sie fast, die Frage zustimmend zu beantworten.

»Nun,« sagte der Fremde, »wollen wir für diesmal endigen. Wenn du Gelegenheit dazu findest, mußt du Romanowna gegenüber thun, als ob du ein Geheimnis wüßtest, das ihre Geburt betrifft und ...«

»Giebt es ein Geheimnis?« unterbrach ihn Milna.

»Und sorge,« fuhr der Fremde fort, indem er sich stellte, als ob er ihre Frage nicht gehört hätte, »und sorge dafür, daß die Prinzessin noch einmal so wie heute abend von der Familie Pugatscheff reden hört. Aber wieder in derselben Weise; denn es ist sehr wahrscheinlich, daß sie mit der Kaiserin gerade dann über die Menschen sprechen wird, wenn du sie bittest, es nicht zu thun. Leb' wohl, meine Tochter, wenn ich dich noch einmal zu sprechen wünsche, werde ich dich auf dieselbe Weise benachrichtigen wie heute abend, und wenn du mir etwas zu sagen hast, brauchst du nur einen Boten an den angegebenen Ort zu schicken.«

Der Fremde reichte Milna noch einmal die Hand; aber ebenso wie bei dem Hereinkommen wehrte sie dieselbe ab und kniete wieder vor ihm nieder, um sich segnen zu lassen, worauf sie sich entfernte.


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