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Drittes Kapitel.
Der Fremde

Die Verehrung, welche Milna für den Mann empfand, würde wohl gewichen sein, wenn sie sein Selbstgespräch und seine rohen Flüche hätte hören können. »Sollte meine Berechnung falsch sein?« fragte er sich, während er mit unruhigen Schritten in der Kapelle auf- und niederging. »Kann ich dem jungen Mädchen trauen? wird es so sprechen, wie ich ihm gesagt habe? Thor, der ich bin, warum habe ich seiner Eitelkeit nicht noch ein bißchen geschmeichelt und ihm wie das vorige Mal noch einmal vorgespiegelt, wie groß ich es machen könne? Eben widerstrebte Milna, und bei unserer ersten Zusammenkunft glänzten ihre Augen vor Vergnügen, als ich ihr sagte, daß sie mehr Pracht um sich sehen sollte als ihre sogenannte Prinzessin. Das arme Kind,« fuhr er höhnisch lachend fort, »wird bald genug einsehen, welche Art von Größe ich ihm verschaffe. Eine Verbannung nach Sibirien wird wohl der Lohn seines Gehorsams sein. He, he, he, die Witterungsverhältnisse dieses Landes werden ihm sicher nicht gefallen, und es ist wahrhaftig ein so niedliches Geschöpfchen, daß ich ihm das nicht wünschen will. Aber, wenn meine Pläne gelingen, wenn ich ...« rief er plötzlich fröhlicher, die Arme erhebend, »welch' glänzende Zukunft steht mir dann bevor!«

»Kommen Sie noch nicht zum Essen?« fragte eine Stimme, die aus dem Boden zu dringen schien.

Der Fremde gab keine Antwort, zog aber sein geistliches Gewand aus, hing es an einen Haken und blies die kleine Lampe aus; darauf begab er sich tastend in die gegenüberliegende Ecke des Gotteshauses, wo er nach einer Fallthüre suchte. »Wo ist das Loch!« rief er wütend, als er sie nicht sogleich fand. »Warte, jetzt fühle ich es,« sagte er und begab sich, ein Licht in der Hand, hinunter, wo eine alte Frau ihn erwartete. Der Raum, in den er jetzt eintrat, sah ungemütlich aus; in dem großen Ofen brannte zwar ein gutes Holzfeuer, aber das Gemach wurde dadurch doch nur sehr mäßig erwärmt. Auf dem Ofen, den die Russen an Stelle unserer Kachelöfen gebrauchen, standen einige Gerichte bereit, welche die alte Frau schon einige Zeit mit begehrlichen Blicken angesehen hatte.

»Sie sprachen laut,« sagte die alte Frau, »und Sie kommen spät!«

»Es ist verteufelt kalt hier,« bemerkte er brummend und legte sich auf die hölzerne Ofenbank.

Die alte Frau legte noch ein paar Holzblöcke ins Feuer und sagte dann, wie um sich zu entschuldigen: »Ich wagte nicht, ein Geräusch zu machen, solange es noch möglich war, mich zu hören. Wer war denn bei Ihnen?« fügte sie scheinbar gleichgültig hinzu.

»Warum essen wir keinen Fisch?« fragte er, nachdem er die Speisen betrachtet hatte. »Du weißt doch, daß Fastenzeit ist.«

»Beim heiligen Nikolaus,« rief die alte Frau sichtlich erschrocken, »ich habe nicht daran gedacht, und ...«

»Denke hinfort besser an deine religiösen Pflichten,« befahl der Fremde, sich emporrichtend.

»Aber, ich hatte viel Mühe, diese Speisen zu bekommen,« klagte die alte Frau, »das Geld ist knapp, und alles so teuer, und ...«

»Mach' mich nicht böse,« brummte der Fremde, »ich verstehe wohl, was du sagen willst, deine gierige Seele denkt noch daran, etwas zusammenzuscharren, aber glaube nur nicht, daß du mich betrügen kannst.«

Die alte Frau schien geneigt, böse zu werden, aber noch ehe sie mit sich selbst einig war, wie sie ihren Zorn äußern solle, fuhr der Fremde in heiterem Tone fort: »Komm, Mütterchen, keine unfreundlichen Worte mehr zwischen so guten Freunden, wie wir sind. Im Augenblick bedarf ich deiner Dienste, bald wirst du doppelt und dreifach belohnt werden, und später wirst du, wenn du an diese Tage zurückdenkst, sagen können, du habest dem Staat einen großen Dienst geleistet.«

Die alte Frau lachte und ging dann an einen Schrank, aus dem sie ein Fläschchen mit Branntwein nahm. »Trinken Sie!« sagte sie, während sie ihm dasselbe reichte, »das wird Ihnen gut thun.«

Der Mann trank lachend, da er die Absicht der Frau verstand, doch stellte er nach einigen Zügen die Flasche wieder hin und sagte: »Für heute ist es genug, der Branntwein löst die Zunge und läßt Dinge erzählen, die besser verschwiegen werden.«

»Schlaukopf,« brummte die Alte halblaut und stellte die Flasche wieder in den Schrank, nachdem sie dieselbe auch einigemal an ihre Lippen geführt hatte.

Der Fremde hatte inzwischen die rote irdene Schüssel, in der die fette Suppe aufgetragen und wahrscheinlich auch zubereitet war, zu sich hingezogen und aß mit sichtlichem Wohlbehagen; dann ließ er sich von der Alten die Schüssel mit Fleisch reichen, der er auch alle Ehre anthat, während sie die übrige Suppe aß.

Das Fleisch, das mit viel Öl und Zwiebeln zubereitet, sicher unsern Lesern widerstanden hätte, schmeckte ihm so gut, daß er der alten Frau seine Zufriedenheit darüber aussprach.

»Wissen Sie, was man draußen sagt?« fragte die Frau.

»Nun?«

»Daß die Kaiserin von einem Offizier ermordet worden ist, der sich Tschoglokoff nennt,« sagte die Alte in geheimnisvollem Ton.

»Unsinn,« brummte der Fremde.

»Ist das nicht so?« fragte die Alte neugierig.

»Ach nein, der arme Junge ist verraten worden, ehe er sein Vorhaben ausführen konnte,« sagte der Fremde, sich nach dem Essen behaglich auf der Bank ausstreckend. »Denke daran, mich beizeiten zu wecken,« befahl er, worauf er die Augen schloß und in Schlaf versank.

Die alte Frau schien zufrieden zu sein, wenigstens rieb sie sich behaglich die Hände und nickte mehrmals mit dem Kopfe, während sie erst bis zum letzten Brocken alles verzehrte, was der Mann übriggelassen hatte und dann die Fallthüre schloß.

»Ich habe mich in meiner Voraussetzung nicht geirrt, daß ich einem sehr vornehmen Herrn diene,« dachte sie und kauerte sich so nahe wie möglich an den Ofen; dort fiel sie ebenso rasch in einen ruhigen Schlaf wie derjenige, mit dem sie schon seit einigen Wochen hier wohnte, ohne zu wissen, wer er war und zu welchem Zweck er sich hier befand.

Die Geschichte der Frau ist sehr kurz. Sie lebte ganz allein in einem kleinen Häuschen in einem Wald nahe bei Petersburg. Eines Abends hatte eine dicht vermummte Persönlichkeit ihr befohlen, mit nach Petersburg zu gehen. Da sie ganz allein war und an keinen Widerstand denken konnte, hatte sie rasch, mit Hilfe der Maske, ihre gesamten Habseligkeiten gepackt. Der Verhüllte hatte einen Schlitten mitgebracht und setzte sie mit ihrem ganzen Besitztum darauf, worauf er sie in dies Versteck brachte, ohne ihr etwas anderes zu sagen, als daß sie hier einige Zeit bleiben müsse, um ihn zu bedienen, und daß sie, falls sie ihre Pflicht erfülle, die in Dienen und Schweigen bestehe, königlich belohnt werden würde.

Das Versprechen reizte sie, und mit dem unterwürfischen Geist und der stumpfen Trägheit, die den meisten Russen der niederen Stände eigen ist, hatte sie sich bald in ihr neues Leben gefunden. Da sie gewohnt war, allein zu sein, kostete es sie keine Mühe, dem Gebot des Schweigens nachzukommen, außer bei den Ausgängen, die sie zu besorgen hatte. Sie sah ihren Herrn mit einer Art Ehrfurcht an; obschon sie sich manchmal, wie an diesem Abend, einige kleine Freiheiten herausnahm, blieb sie doch zu bescheiden oder vielleicht auch zu gleichgültig, um ihn nach seinen Plänen zu fragen. Er war eine sehr vornehme Persönlichkeit, das stand bei ihr fest, und eines Tages würde sie Großes an ihm erleben. Mit diesem Gedanken schlief sie an den meisten Abenden und so auch heute ruhig ein.


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