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28. Die damaligen politischen Verhältnisse Venezuelas

»Venezuela ist im Aufstand« – ein Satz, der ungefähr das nämliche bedeutet, als wenn man dasselbe von irgend einer anderen der südamerikanischen Republiken oder sogar vom Mutterlande liest. – Man beunruhigt sich nicht im mindesten darüber, und doch tut es einem in der Seele weh, wenn man das wunderschöne Land betritt und dann sieht, wie es einzelnen ehrgeizigen oder geldgierigen Menschen vergönnt ist, Blut und Verderben in ein Paradies zu tragen, nur um ihre eigenen kleinlichen Interessen zu fördern. Und es ist dabei kein Ende abzusehen, denn wird auch wirklich der Aufruhr wieder einmal beseitigt und Friede geschlossen, so ist das ja doch immer nur für eine kurze Frist, die den Betroffenen kaum Zeit gibt, sich wieder zu erholen.

Armes Land – so reich, so überreich von der Natur begabt, und doch nie im Frieden, nie in Ruhe! Der Mensch fände hier alles, was er zu Glück und Wohlbefinden brauchte, ja, er fände mehr, er könnte mit nur geringer Arbeit im Überfluß schwelgen, aber Gott bewahre; das sonst gute und harmlose Volk wird von einzelnen Lumpen so lange bestohlen und schlecht behandelt, bis es aus Verzweiflung zu den Waffen greift, und bekommt es dann wirklich einmal eine gute Regierung, so bohrt und wühlt die andere Partei wieder so lange, bis sie Ordnung und Gesetz umstürzt und den Wohlstand aufs neue vernichtet.

Aber es geschieht das nicht allein in Venezuela; wir finden die nämliche Geschichte in Mexiko, in Neu Granada, in Ecuador, in Peru, in Bolivia wie in den Argentinischen Staaten – in der Tat in allen spanischen Provinzen, Chile ausgenommen, und wie reich und glücklich könnte doch das Volk sein – aber wie arm und elend ist es in Wirklichkeit, und wird es auch bleiben, bis einmal eine andere Rasse die Zügel in die Hand nimmt!

Gegenwärtig hatte nun wieder einmal der Aufruhr die Fackel erhoben, die verschiedenen Heere lagen einander gegenüber, und es wird gut sein, die Ursache des ganzen Aufruhrs ein wenig näher zu beleuchten.

Die frühere Revolution, die, wenn ich nicht irre, 1858 begann und viele Jahre dauerte, war von den sogenannten Liberalen gegen die Godos oder Aristokraten, in diesen Ländern immer die anständigen Klassen, geführt und von den ersteren gewonnen worden. General Falcon wurde damals zum Präsidenten erwählt, und eine Zeit lang schien es, als ob alles gutgehen sollte, da gerade die Godos am meisten dabei beteiligt waren, daß Ruhe und Friede im Lande herrschte. General Falcon war aber so klug wie ein Mensch, und da er recht gut fühlte, daß er nicht ewig regieren würde, begann er sich in Zeiten nach einem Zufluchtsort umzusehen, auf den er sich mit dem, was er sich derweile »verdient« – d. h. mit dem, was er während seiner Regierung imstande war beiseite zu bringen auch in Zeit der Not und ungefährdet zurückziehen konnte.

Er erstand sich von den Holländern eine kleine Insel unweit Curaçao, auf welcher er sich einen Palast baute und eine brillante Einrichtung herstellte, und von da an schaffte er alles, was er konnte, dort hinüber, und sog dabei das Land auf eine so systematische Weise aus, daß es zuletzt unerträglich wurde und den Widerstand aller Parteien hervorrief.

Der Reichtum dieses an Umfang so großen Reiches liegt überall zutage: Landwirtschaft wie Viehzucht könnte es in einem Maße haben, wie kaum ein anderes in Südamerika, während die jetzt bearbeiteten Goldminen noch größere Schätze zutage fördern als selbst Kalifornien; und was ist der ganze Staat, mit Ausnahme einiger, aber ebenfalls von den Revolutionen arg heimgesuchter Städte? Kaum mehr als eine Wüste, mit Schulden beladen, ohne Kredit und trotzdem noch immer bis auf den letzten Blutstropfen von Menschen ausgesogen, die das, was wir anderen als unsere Heimat heilig halten, nur als eine Milchkuh betrachten.

Es sind das die Vampire jeder amerikanischen Republik, selbst Nordamerika nicht ausgenommen, die Stellenjäger, die vier Jahre Zeit verlangen, um sich nachher, trotz eines unbedeutenden Gehalts, als Rentiers von allen Geschäften zurückzuziehen, und die, von einer oder der anderen Partei, sobald die Gegner am Ruder sind und das Volk auf Ruhe hofft, den Kampf von neuem ungesäumt beginnen.

Venezuela, oder vielmehr die bisherige Regierung, hat aber in diesen Blutsaugern das äußerste geleistet, was bis jetzt geleistet worden ist, denn Präsident Falcon schuf – um nur ein einziges Beispiel zu erwähnen, bei einer Armee von kaum 4000 Soldaten allein 2000 – sage zweitausend Generale, die, wenigstens auf dem Papier, einen gewissen Sold hatten und den ihnen zukommenden Rang in der Gesellschaft einnahmen, so ruppiges Volk es auch zum großen Teil sein mochte.

Der Zweck dafür lag auf der Hand; er wollte sich damit eine Partei von Männern bilden, die nur allein von ihm abhingen und nur allein durch ihn ihre Existenz gesichert glaubten – ein Partei, die ihn auch, wenn er wirklich gestürzt wurde, überlebte und dann im stillen für seine Wiedererwählung arbeiten konnte. Die Sache war aber zu klug angefangen, um in Wirklichkeit zu arbeiten, denn der ganzen Bevölkerung konnte er doch nicht den Generalsrang geben, und deshalb schlug es endlich fehl.

Und aus was für Familien wählte er seine Leute! Als ich am Karfreitag wieder nach La Guayra mit der Diligence einfuhr, zeigte mir einer meiner Reisegefährten eine alte Negerin, die, zerlumpt bis zum äußersten und ebenso schmutzig, auch jedenfalls der alleruntersten Schicht der venezuelanischen Bevölkerung angehörend, mit einem Topf unter dem Arm nach der nächsten Pulperia hinkte.

»Sehen Sie die alte Dame dort?« sagte er, auf die Frau deutend.

»Das alte Negerweib?«

»Bitte,« lächelte der Herr, »das ist die Mutter eines unserer Generale, und wenn er einmal seinen Sold bekommt, wird sie sich ein seidenes Schleppkleid anschaffen.«

Und das nicht allein – auch einigen Damen hatte Falcon den Generals- oder Offiziersrang gegeben, natürlich mit dem entsprechenden Gehalt, der dem »schönen« Geschlecht auch pünktlich ausgezahlt wurde. So war in La Guayra eine Dame, die sich sehr viel mit Politik beschäftigte, zur Obristin mit Orden, Rang und 300 Dollars monatlichem Gehalt befördert worden, und eine andere Dame in Caracas zur Generalin – oder wie man hier sagen könnte oder bei uns sagen würde »wirklichen« Generalin, mit der nämlichen oder noch größeren Nutznießung.

Diese Anhänger der Regierungspartei – meist rohes, wüstes Volk – wußte dabei ihres Übermuts gar keine Grenzen. So beschmierten sie unter anderem, regelmäßig in den begangensten Straßen die Wände, indem sie mit großen Buchstaben und schauerlicher Schrift überall die Ausrufe Viva el Gral (Gral: Abkürzung für General) Rojas oder Colina oder irgend einen anderen Namen anmalten. Das Übertünchen der Häuser half auch nichts, denn es würde nur augenblicklich erneuert worden sein, und die Polizei half selber mit.

Unter der früheren Regierung hatte man dabei immer doch wenigstens etwas bares Geld im Staatsschatz gehabt, unter der jetzigen war er total leer, denn was Falcon nicht seinen Kreaturen auszahlen mußte, wanderte in seine eigene Kasse und kam nicht wieder zum Vorschein. Der Druck im Lande wurde dabei so arg, Handel, Gewerbe und Ackerbau lagen dermaßen danieder, daß es das Volk zuletzt nicht mehr ertragen konnte, und was wohl jeder – selbst der Präsident, vorausgesehen hatte, war die Folge: eine Revolution.

Diese ging allerdings wieder hauptsächlich von den Godos Beiname der Altspanier in Südamerika; sodann der Aristokraten.] oder Begüterten aus, aber da sie wußten, daß das eigentliche Volk eine Antipathie schon gegen den Namen hatte, und da die Bewegung diesmal nicht eine einzelne Partei, sondern das ganze Land umfaßte, so nannten sich die jetzigen Widersacher die Unionisten. »Libertad y Union« war ihr Wahlspruch – und außerdem gaben sie sich auch noch die Benennung Reconquistadores »Zurückeroberer«, und wählten die blaue Farbe, wie die Regierungssoldaten ein gelbes Band um die Mütze trugen, zu ihrem Zeichen. Im Volk nannte man beide Parteien denn auch bald kurzweg »die Blauen« und die »Gelben«.

Indessen war der Landtag in der Hauptstadt Caracas zusammengetreten, und die gemäßigte Partei der Godos oder Aristokraten – wenn man den Namen hier gebrauchen darf, da er nicht ganz auf unsere Verhältnisse daheim paßt – wollte versuchen, den Präsidenten Falcon zu Zugeständnissen zu bewegen und den Frieden wieder herzustellen. Da ereignete sich im Abgeordnetenhause eine häßliche Szene. Einer der Abgeordneten protestierte dagegen, einen Offizier in den Räumen zu sehen, die ihm durch das Gesetz verschlossen wären, der betreffende General aber zog in etwas unparlamentarischer Weise seinen Revolver und drohte, jeden, der ihn hinausvotieren wolle, niederzuschießen. Zu gleicher Zeit hatte sich eine ziemliche Zahl von verkleideten und mit Knüppeln bewaffneten Soldaten in dem als Tribüne dienenden und durch ein eisernes Gitter von dem Abgeordnetensaale geschiedenen Nebenzimmer versammelt und fing an, wilde Drohungen gegen die Abgeordneten auszustoßen.

Der Präsident machte allerdings einen Fehler – er versuchte nicht, die Tribüne zu räumen, um, wenn das mißlang, wie es sicherlich der Fall gewesen wäre, eine Vergewaltigung zu konstatieren, sondern hob die Sitzung ohne weiteres auf, wonach sich die Abgeordneten rasch und unter dem Hohn der wackeren Krieger entfernten; aber insofern ist er auch zu entschuldigen, denn bei einem früheren ähnlichen Falle wurden die Abgeordneten sogar persönlich angegriffen, ja, vier von ihnen in dem Saale selber erschossen, und man fürchtete wahrscheinlich eine Wiederholung der Szene.

An dem nämlichen Abend hatte der Präsident des Abgeordnetenhauses eine Anzahl von Kammermitgliedern bei sich versammelt, um die Vorgänge des Tages zu besprechen, und wie das in südlichen Ländern geht, waren die Herren wohl etwas lebhaft geworden. Da sammelte sich wieder der wahrscheinlich bezahlte Pöbel, denn der wirkliche Bürgerstand ist vollkommen auf seiten der Abgeordneten, vor dem Hause, ließ den Präsidenten leben, rief: »Nieder mit den Verrätern!« und feuerte sogar drei Schüsse ab, wobei eine Kugel in das Zimmer drang, in welchem die Abgeordneten versammelt waren, jedoch glücklicherweise harmlos in die Wand schlug.

Wirklich uniformiertes Militär wurde allerdings jetzt requiriert und sperrte die Straße ab, ohne jedoch gegen das Gesindel einzuschreiten, ja, einen der Abgeordneten, der allein nach Hause wollte, brachte man sogar, nachdem man ihn insultiert hatte, auf die Präfektur, ließ ihn aber gleich darauf wieder frei. Das übrigens scheint dem Fasse den Boden ausgestoßen zu haben. Das Abgeordnetenhaus erließ einen energischen Protest, die Stimmung in der Hauptstadt, trotz der semana santa oder heiligen Woche, ließ sich ebenfalls nicht verkennen, und der stets abwesende Präsident Falcon, über den man nichts weniger als günstig sprach, kehrte rasch nach der Hauptstadt zurück, um – einzulenken. Es ist ja so schön, Präsident zu sein. Der Senat sprach dem Abgeordnetenhause sein Bedauern über die stattgehabten Vorfälle aus – das Ministerium dankte ab, und am 8. erließ Präsident Falcon – während schon das Gerücht in der Stadt ging, daß er selber resignieren wolle, woran er aber gar nicht dachte – einen Tagesbefehl, in welchem er Minister ernannte, mit denen man hier sehr zufrieden schien.

Zu gleicher Zeit waren Unterhandlungen mit den Aufständischen angeknüpft worden, die ebenfalls ein Resultat in Aussicht stellen. Es war nämlich zwischen beiden sich einander gegenüberstehenden Parteien ein Waffenstillstand für fünfzehn Tage abgeschlossen worden, wie in dem Dekret gesagt wird: »um dem Brudermorde ein Ende zu machen und dem Lande den Frieden wiederzugeben«, und man glaubte allgemein, daß das neue Ministerium die Sache zu einem günstigen Ende führen würde – darin sollte man sich aber sehr bald getäuscht sehen, denn das neue Ministerium, das wirklich, dem Ausspruch aller ruhigen Leute nach, aus braven und ehrlichen Menschen bestand, sah wohl bald genug ein, daß es mit Falcon nicht regieren konnte. Dem Finanzminister besonders mag es wohl in dem leeren Staatsschatz unheimlich geworden sein, kurz, bald nachdem ich Caracas verlassen, dankten sie wieder ab, und die Verwicklung näherte sich jetzt ihrer Katastrophe.

Nun lagen, wie schon vorerwähnt, Truppenteile der Regierung wie der Reconquistadoren im ganzen Land, und in der Tat Blaue und Gelbe buntzerstreut durcheinander. Die tollsten Gerüchte durchliefen dabei die Stadt, und gerade, als ich von Caracas aufbrechen wollte, traf die, wie sich später herausstellte, unbegründete Nachricht ein, daß sich in Victoria – dem kleinen Städtchen, welches ich gerade besuchen wollte – die Regierungstruppen empört und Farbe gewechselt hätten, d. h. von den Gelben zu den Blauen übergegangen wären.

Wie das die verschiedenen Anhänger der Regierung in Bewegung brachte, läßt sich kaum beschreiben, denn das wäre der erste Schritt zu ihrem Sturz gewesen, und schon das böse Beispiel hätte weiter gewirkt. Aber auf meine Reise konnte es keine Einwirkung haben, und nur in einer Hinsicht mußte ich mich vorsehen oder hielt es wenigstens für nötig, denn auch dessen hätte es, wie ich später fand, nicht bedurft – mir nämlich Pässe von beiden Parteien zu verschaffen, damit sie mich, welcher Farbe ich auch immer begegnete, als völlig Neutralen ruhig passieren ließen. Selbst die Freunde in Caracas rieten mir das besonders an, da ich noch dazu Waffen, meine Doppelbüchse, einen Revolver und mein Messer, mit mir führte.

Das hatte auch wirklich weniger Schwierigkeit, als ich anfangs selber geglaubt – mein königlich sächsischer Paß, ein vollkommen nutzloses Möbel, den bis jetzt noch kein Mensch zu sehen verlangt, lag außerdem in meinem Koffer und befand sich schon auf der Reise nach Trinidad; durch die Vermittlung eines und desselben Mannes erhielt ich nicht allein einen eigenhändig von Falcon unterschriebenen Paß, sondern auch von anderer Seite einen Brief an die Führer der Reconquistadores, durch welchen ich später, als ich mit den Herren zusammentraf, eine förmliche Paßkarte ausgestellt bekam.

So war ich denn vollkommen ausgerüstet für alle Fährlichkeiten, und nach einem herzlichen Abschied von der lieben Familie Rothe setzte ich mich nachmittags um zwei Uhr etwa mit einem anderen jungen Venezuelaner, der von dem Kutscher Herr Doktor genannt wurde, in den leichten, mit zwei Pferden bespannten Wagen, und fort rasselten wir über das Pflaster von Caracas auf die gut angelegte und in dieser Jahreszeit auch vortreffliche Straße hinaus, die nach Süden zu und vorderhand nach dem kleinen Städtchen Victoria hinausführte.


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