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5. Omaha und die North-Pacific-Eisenbahn

Omaha! Rasch wie in einer Zauberlaterne verwandeln sich die Bilder. Vor einer Stunde noch fast wanderte ich an den Ufern des Michigansees umher oder durchflog die weiten Steppen des ganzen Staates Iowa, und jetzt?

Unter meinem Fenster liegt ein wüstes, staubiges, noch unangebautes Terrain, von dem aber schon jeder Fußbreit Boden Geld wert ist und das von Straßen durchschnitten wird. Rechts ist noch ein Sumpf, links eine Heide, oder gleich da drüben fließt der Missouri – niedere Schuppen sind an seinem Ufer aufgebaut, Massen von Waren, besonders Getreide, liegen daneben aufgespeichert. Güterzüge und Lokomotiven gleiten an seiner blitzenden, von grünen Bäumen am anderen Ufer eingefaßten Fläche dahin, Dampffähren kreuzen ihn, kleine Fischerboote fahren darauf, und den Hintergrund bilden die niederen Hügel der einst so berühmten und selbst heiligen Council-Bluffs.

Merkwürdiger Wechsel in diesem Lande! Vor kaum mehr als zwanzig Jahren standen hier noch die Wigwams der Indianer, und Büffel und Elk belebten die benachbarten Prärieen – und jetzt? In der kurzen Spanne Zeit ist eine Stadt mit 10+000 Einwohnern emporgewachsen, in der allein im letzten Jahre 1000 Häuser gebaut wurden – ja, mehr als das, die Stadt hat Theater und Zirkus und wird nicht etwa als westlicher Vorposten der Zivilisation betrachtet, nein, viele hundert Meilen westlich von hier aus erstreckt sich sogar noch die Pacific-Eisenbahn, eines der kecksten Werke, das der Geist und Fleiß des Menschen je unternommen, und kleine Städte keimen wie Pilze an ihr empor und bohren sich damit tiefer und tiefer in das Land hinein.

Aber noch bedrohen die Indianer den Bau, durch den sie ihre Existenz gefährdet sehen – draußen in den Prärieen sammeln sie ihre Scharen, und Gerüchte laufen um, daß sie das wirksamste Mittel ergriffen hätten, um den Verkehr der Weißen mit den Gebirgen – nicht aufzuhalten, denn das ist unmöglich – aber doch zu unterbrechen, indem sie hinter sich das Steppengras anzünden und dadurch den Tieren der Reisenden das Futter entzogen.

Aber selbst wenn sie es täten, was könnten sie damit bezwecken? Nichts. Die Zivilisation wandert – hier im wahren Sinne des Wortes, ihre eiserne Bahn, und tritt den wilden Jäger in den Boden hinein, über den er jetzt noch auf schnaubendem Roß dahinfliegt.

Glücklicherweise habe ich Omaha zeitig genug erreicht, um General Sherman hier zu treffen, den Helden des amerikanischen Krieges, der damals jenen berühmten, kecken Zug durch den ganzen Süden der Union unternahm und damit eigentlich den Krieg beendete. Er ist damit beauftragt, die mutwillig gereizten Indianer wieder zu versöhnen und einen dauernden Frieden mit ihnen abzuschließen, – ob es ihm gelingen wird, ist leicht zu beantworten, und zwar durch Nein, denn dauernd kann ein Friede mit diesen wilden Stämmen nicht sein, die, wo sie sich auch befinden, den Weißen und der vorrückenden Zivilisation wieder in den Weg kommen müssen. Aber vorderhand soll doch wenigstens ein Friede abgeschlossen werden, und man hofft dazu die Einwilligung der Häuptlinge zu erlangen, wenn diese nur selber herbeizuschaffen wären. Die Erlaubnis, den Zug zu begleiten, habe ich schon bekommen, aber noch weiß man nicht, wo und wann man die Indianer treffen wird. Depeschen kommen auf Depeschen, und jeden Tag werden Komiteesitzungen abgehalten – wie lange ich das aber aushalten werde, kann ich ungefähr berechnen, denn jeder Tag kostet mich, ohne andere Ausgaben, 4-1/2 Dollars im Hotel.

Dabei ist in der ganzen Gegend auch nicht die Spur eines Indianers zu finden, und alles Neue, was ich hier in der Stadt sehe, sind Turnerfeste der Deutschen, Theater, Zirkus und Bierhäuser, die einen langen Aufenthalt wohl kaum unter solchen Umständen lohnen würden. Aber hoffentlich entscheidet sich das Ziel unserer Reise und dann auch der augenblickliche Aufbruch bald, und dann soll es mich auch nicht gereuen, ein paar Tage in der kleinen, wenn auch sehr staubigen Stadt verbracht zu haben, wo ich noch außerdem von den hier zahlreich vertretenen Deutschen so freundlich, ja herzlich, wie überhaupt in allen Städten, die ich bis setzt berührt, aufgenommen wurde. Es ist gut, daß ich keine, wenigstens ungewöhnliche Anlage zur Eitelkeit habe, sonst hätten es meine Landsleute wirklich dahin gebracht, mich eitel zu machen, so augenscheinlich freuten sich mir sonst ganz fremde Landsleute, mich zu sehen und mir ein paar freundliche Worte über das zu sagen, was ich geschrieben. Außerdem hätte ich eine Bärennatur haben müssen, um alles das zu trinken, was mir zugebracht wurde.

Omaha (mit dem Akzent auf dem O) ist das getreue Urbild einer jungen amerikanischen Stadt, die jetzt aller Orten, und besonders an allen Stationen dieser weiten Strecke, wie aus dem Boden wachsen. Ganze Straßen kleiner, temporärer Bretterhütten – alle aber mit riesigen Schildern und irgend einem Geschäft darin, steigen zugleich empor und sind kaum ein paar Jahre bewohnt, als sie schon soviel Kapital abgeworfen haben, daß sie abgerissen werden können, um an ihrer Statt wohnliche und besser rentierende Backsteingebäude aufzuführen. Deutsche gibt es hier ebenfalls in großer Zahl, und es scheint ihnen allen gut zu gehen, dafür war der gestrige Abend ganz besonders Zeuge.

Die Deutschen haben sich hier – allerdings noch von Brettern – eine sehr hübsche, geräumige Turnhalle errichtet, die mit einem Theater, was daran gebaut werden soll, zirka 9000 Dollars kosten wird. Gestern abend wurde sie eingeweiht und war dazu festlich mit Kränzen, Girlanden und amerikanischen Flaggen geschmückt, von denen die mittelste, zerfetzt und abgenutzt, dem Regimente der von hier aus abgegangenen Deutschen im letzten Kriege vorgetragen worden. Aber ich sah keine einzige deutsche Flagge, die sonst eigentlich auf keinem deutschen Turnerfeste fehlt. Nur in den Bandschleifen, die das Komitee trug, waren schwarz-rot-gold mit den amerikanischen Farben blau-weiß-rot gemischt. Die Turner von Nebraska und Council-Bluffs, der gegenüberliegenden Iowastadt, waren zu dem Fest gekommen und wurden mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel von der Landung oder den anderen Ankunftsplätzen abgeholt. Für gutes Bier war selbstverständlich gesorgt, in der Halle wurde dann zuerst eine kurze Ansprache gehalten, abends um acht Uhr begann der Ball, um zwölf Uhr das Souper, und in harmloser Fröhlichkeit verlief der Abend.

Charakteristisch für die jetzigen deutschen Zustände in Amerika ist dabei, daß ein großer Teil der amerikanischen Magistratsbeamten – und zu dem Magistrat gehören auch viele Deutsche – teil an dem Feste nahmen und sogar mittanzten. Vor dem Jahre 1848 würde es keinem Amerikaner eingefallen sein, ein solches deutsches Fest in anderer Absicht zu besuchen, als um sich darüber lustig zu machen. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß sich die Deutschen hier in Amerika mit der zähen Ausdauer, die unserem Stamme eigen ist, und mit der alten berühmten deutschen Geduld gegenwärtig eine geachtete Stellung errungen haben, und je mehr sie mit den Amerikanern bekannt und von ihnen gekannt werden, muß sich das noch befestigen. Das ist aber auch – ich wiederhole es – alles, was sie hier, neben einer sorgenfreien Existenz, hoffen können zu erreichen, denn der deutsche Charakter ist im allgemeinen fügsam, und nicht prädominierend. Schon die Kinder werden vollständig – mit kaum noch einer schwachen Erinnerung an ihr Vaterland – amerikanisiert und die Enkel so vollblütige Amerikaner, wie man sie nur je in den Yankeestaaten finden kann.

Am ersten Abend meines Hierseins besuchte ich das Theater. Es war ein Raum, der vielleicht 1500 Personen faßte, mit zirka 60 Zuschauern darin. Es wurde eines jener englischen Stücke gegeben, in denen jeder Akt nur aus einer drastischen Szene besteht und ein Detektive die Hauptrolle spielt. Ich kam im ersten Akt und amüsierte mich über den schauerlichen Pathos, mit dem die einfachsten Sachen gesprochen und erledigt wurden, aber eine Überraschung war mir vorbehalten. Der Vorhang fiel, und was für ein Vorhang! Ich traute wahrhaftig meinen Augen kaum, mußte aber doch wirklich zugestehen, daß dieser Musentempel das Angenehme mit dem Nützlichen in echt amerikanischer und höchst praktischer Weise verband. Der ganze Vorhang war in fünf etwas größere Mittelfelder und zweiundvierzig kleinere Felder eingeteilt. Oben in der Mitte befand sich der amerikanische Adler, auf dessen Fahne sich der ›Omaha Dayly Republican‹ mit Dampfdruckerei und Buchbinderei anzeigte. Das Feld darunter nahm die Omaha Nationalbank U. S. Depository ein, darunter war W. Williams Boot and shoe store 204 Farnham street, und im untersten hatte der Maler mit einigen Arabesken sein eigenes Schild: Forsyth Lamphere Fresco painter. Die kleineren Schilder füllten dann rechts und links Hays & Cooper, General Insurance agents, – ein Schneider Rampe als merchant tailor – Virginia tobacco – Liquors & Cigars – eine Dampfbäckerei, ein anderer Schuhmacher – eine Tabakshandlung mit darauf gemalter Pfeife, Sam Mc. Cartney mit Whisky – Lederhändler, Buchbinder und Pferdevermieter aus – und zwar zweiundzwanzig; zwanzig der kleineren Felder waren aber noch frei, und eine Annonce auf dem Theaterzettel, der wieder eine Unmasse anderer Annoncen enthielt, kündigte an, daß Bestellungen für dieselben zu bestimmten Preisen in der Expedition angenommen und von dem betreffenden Freskomaler ausgeführt würden.

Viele unserer deutschen Intendanten nun, die daheim einem sogenannten Kunstinstitute vorstehen, werden wohl, wenn sie von diesem Mißbrauch der Kunst hören, höhnisch lächeln. Ich gestehe auch zu, daß es ein Mißbrauch ist, aber sie sollen nur an ihr eigenes Herz greifen und sich fragen, was sie selber nur zu oft aus diesen Kunstinstituten hinter einem nicht mit Annoncen bedeckten Vorhang zu machen suchen. Was ist ihnen die Kunst?

Um von dem Theater auf die Kirche zu kommen, so hat hier in frommen Kreisen ein Vorfall ziemliches Ärgernis erregt. Die Methodisten haben nämlich ihre kleine Kirche mit Grundstück, nach einer wahrscheinlich vorsichtigen Berechnung, daß sie damit mehr verdienten, vom 1. Oktober an auf zehn Jahre an einen Deutschen verpachtet, der jetzt einen Biersalon mit Garten daraus gemacht und, da er um sein Haus fast die einzigen Bäume hat, die in der Stadt stehen, besonders im Sommer damit vortrefflich reüssieren wird. Am 29. September predigten die frommen Herren zum letztenmal darin, und am 3. Oktober wird der Biersalon eröffnet werden.

Die Kirchen scheinen hier überhaupt keine besonderen Geschäfte zu machen, denn eine andere Kirche ist ebenfalls erst kürzlich zu Verkaufsgewölben umgestaltet worden. Dagegen breitet sich der Katholizismus mehr und mehr im Lande aus, und Mönchs- und Nonnenklöster entstehen in allen Staaten, indem sie sich zugleich dem Schulunterricht widmen und besonders Erziehungsinstitute gründen. Mit welchem Erfolg sie Propaganda machen, kann ich nicht sagen, aber gewiß ist, daß sie über große Kapitalien verfügen müssen, da sie überall wertvollen Grundbesitz ankaufen und große Gebäude darauf errichten.

Eine deutsche Kirche besteht hier, soviel ich weiß, nur für eine methodistische Gemeinde.

Endlich kam der Befehl zum Abmarsch – zusammengeschnürte Büffelfelle lagen überall herum, Waffen und Gepäck wurden zum Bahnhof geschafft, und um sechs Uhr abends, am 14. September, brachen wir gen Westen auf.

Die Gegend um Omaha bis etwa zwölf Meilen Entfernung von der Stadt ist niedriges Hügelland, noch mit Büschen bewachsen und zum großen Teile bebaut. Die Maisfelder standen freilich blattlos, denn die Heuschrecken, diese Plage der Prärieen, hatten alles Grün davon sauber abgefressen und an vielen Stellen sogar die Kolben angegriffen.

Nach zwölf Meilen öffnete sich die weite Prärie, ohne Baum, ohne Strauch, und als die Nacht anbrach und sich dunkel auf der Steppe lagerte, kamen einem doch allerlei wunderliche Gedanken. Es ist, wie sich nicht gut leugnen läßt, ein eigentümliches Gefühl, über eine Strecke in toller Eile dahinzurasseln, wo die Wilden noch vor sehr kurzer Zeit bei ausgerissenen Schienen im Hinterhalt gelegen hatten und mit wildem Geheul über den ineinandergebrochenen Zug hergefallen waren, und wer konnte sagen, ob sie sich nicht diesen nämlichen Abend wieder für eine ähnliche Heldentat ausersehen? Aber ein klein wenig Gefahr gehört nun einmal dazu, um eine sonst monotone Fahrt doch etwas interessant zu machen, und außerdem waren wir alle gut genug bewaffnet, um irgend einer wilden Horde schon einigermaßen Respekt einzuflößen. Keinenfalls wurde die Fahrt während der Nacht unterbrochen, und als die Sonne schon wieder hell und klar am Himmel stand, erreichten wir die Stelle, an welcher in jener Nacht die Cheyennes unter ihrem Häuptling Wagalikehu Kuka oder Truthahnbein (turquey leg) ihre blutige Arbeit vollbracht hatten.

Dort waren die Schienen aufgebrochen gewesen, und als die Maschine aus dem Gleise geriet und umstürzte, und die nachfolgenden Güterwagen sich überschlugen, wurden die Insassen noch einen Augenblick im Zweifel gelassen, ob nicht vielleicht ein Zufall das Unglück herbeigeführt, denn es scheint, als ob sich die im Hinterhalt liegenden Indianer gescheut hätten, gleich unmittelbar gegen den am Boden liegenden, schnaubenden, sprudelnden und Feuer auswerfenden Koloß vorzuspringen. Aber das dauerte nicht lange; sie fanden ihr Werk, bei dem man vermutet, daß ihnen weißes Gesindel behilflich gewesen, völlig gelungen, und das Kriegsgeheul der Cheyennes gellte in die Ohren der ihrem Geschick Verfallenen. Nur einem von allen gelang es in der Dunkelheit, indem er an der Bahn zurückrannte, zu entkommen, bis er einen nachfolgenden Zug traf und von diesem aufgenommen werden und ihn warnen konnte; er hätte sonst ein ähnliches Schicksal gehabt. Und indessen mordeten und skalpierten die Wilden, was sie fanden, plünderten den Zug und steckten ihn dann in Brand.

Jetzt zeigen nur noch verbogene Schienen, rostige Eisenplatten und aus dem Tender geworfene Backsteine, wie eine kleine Strecke mitverbrannter Prärie an der Nordseite der Bahn, die Stelle an, wo die Schauderszene stattgefunden, und daneben hin keucht wieder die Lokomotive unverdrossen ihre Bahn, und lange Güterzüge führen täglich Massen neuen Materials gen Westen in die Steppe hinaus, um das andere Ende der vom Stillen Meere her ebenfalls in Angriff genommenen Strecke zu erreichen und sich mit dieser zu verbinden. Weder Tomahawk noch die Pfeile der Indianer sind imstande, das Werk aufzuhalten.

Etwa um neun Uhr morgens erreichten wir, nachdem wir nur einzelne kleine und unbedeutende Stationen passiert, North Platte, in der Nähe des Zusammenflusses der beiden Präriewasser Nord- und Südplatte. Den Hauptstrom überliefen wir, aber sehr langsam und vorsichtig, auf einer Brücke, die aber auch wirklich das außerordentlichste von leichtsinnig amerikanischer Bauart liefert, was sich auf der Welt nur denken läßt.

Alle zehn Schritte etwa ist in das mit Triebsand gefüllte Bett des breiten, aber durchaus seichten Stromes, durch den in dieser Jahreszeit sogar Wagen fahren, ein Baumstamm eingeschlagen und die Doppelreihe dann durch gar nicht etwa starke Querhölzer verbunden. Über diese liegen andere geschnittene schmale Balken hin, so daß man überall hindurch ins Wasser sehen kann, und auf diesen ruhen die Schienen. Allerdings bewegt sich die ganze Brücke, wenn ein schwerer Zug hinübergeht, aber was schadet das, wenn sie eben nur hält? Der an vorsichtigere Bauten gewöhnte Reisende dankt aber doch unwillkürlich Gott, wenn er hinüber ist, und hält sich selbst auf der von den Indianern bedrohten Steppe für sicherer.

Der Platte selber war übrigens jetzt so seicht, daß man kaum zwei Stellen im ganzen Strome fand, wo man hätte einen Eimer voll Wasser, ohne die Hälfte Sand mitzubekommen, heraufziehen können.

Die Gegend war vollkommen baumleer. Nur dicht am Ufer des Stromes standen hier und da einzelne Weiden; draußen in der Prärie selber fand sich weder Busch noch Strauch, und an Wild sahen wir weiter nichts, als dann und wann kleine Trupps von Antilopen, die scheu das Weite suchten, wenn der unheimliche Feuerkarren prustend und dampfend in ihre Nähe kam.

Viele Stellen der Steppe waren auch noch außerdem verbrannt, und da und dort leuchtete aus diesen ein schneeweiß gebleichter Büffelschädel heraus, dessen Eigentümer vielleicht schon vor Jahrzehnten dem Pfeile des Wilden erlegen war und dessen Fell sein Zelt gebildet hatte.

Diese Gegend soll auch früher ein Lieblingsaufenthalt der Büffel gewesen sein; jetzt sind sie daraus fortgescheucht, denn Tausende von Arbeitern schwärmten in der Nähe der Bahn und knallten in der Nachbarschaft umher. Fiel doch selbst aus unserem Zug eine Anzahl von Revolverschüssen, wenn eine arme Antilope nur in drei- oder vierhundert Schritt Nähe kam, ohne freilich den Tieren weiteren Schaden zu tun, als sie zu erschrecken und sie noch immer mehr aus der Nähe des unruhigen Menschenvolkes zu treiben.

North Platte ist ein elendes, kleines Nest von kaum zwanzig Häusern, aber ich behalte mir die Beschreibung dieser Steppenstädte auf eine andere Zeit vor, um gleich zu dem Wichtigeren überzugehen.

Als wir den Platz erreichten, waren noch keine der angekündigten Indianer eingetroffen, man erwartete sie aber für den nächsten Tag, und General Sherman beschloß deshalb, nachdem wir uns ein paar Stunden in dem kleinen Ort aufgehalten und dort gefrühstückt hatten, mit einer Extra-Lokomotive und seinem »Schlafsalon« nach dem »Ende des Weges« aufzubrechen und diesen zu besichtigen.

Von den amerikanischen Reportern schlossen sich, außer mir, noch zwei dem Zuge an, und das Ganze war auch eigentlich nur ein kleiner Extrazug, unternommen, um die Zeit bis zum Council auszufüllen, mir aber nicht weniger erwünscht, da ich schon ohnedies beschlossen hatte, soweit als möglich auf der Bahn hinauszufahren und den Endpunkt, wo sich der Schienenweg in die bahnlose Wildnis hineindrängte, mit eigenen Augen zu sehen.

Um elf Uhr etwa fuhren wir von North Platte ab, berührten Julesburg, ein anderes kleines Nest, mit Spielhöllen und einigen anderen ähnlichen Bequemlichkeiten, etwa um vier Uhr und hatten damit die Endstation hinter uns, bis zu welcher nur bis jetzt Passagierzüge gehen, und von wo ab nun die weite, wilde, öde Steppe, von keiner einzigen Ansiedelung mehr belebt, begann.

Von jetzt ab war kein Gebäude mehr auf der ganzen endlosen Strecke zu sehen, kein Stationshaus, kein Zeichen menschlichen Lebens und Schaffens außerhalb des Schienenstranges. Die bahnlose Wildnis – die bis jetzt unangetastete Heimat des Büffels und Indianers – dehnte sich vor uns und rechts und links, von dem Horizont der Prärie nur eingeschlossen, aus, und ein merkwürdiges Gefühl der Einsamkeit und Öde, das mich erfaßte, wenn ich mir dachte, daß selbst unser Ziel weiter nichts in sich begreife, als nur das Aufhören dieses eisernen, in die Steppe von kecker Menschenhand hineingeschobenen Weges.

Und Stunde nach Stunde währte in reißender Schnelle die Fahrt – Stunde nach Stunde rasselte die Lokomotive, nur mit dem einen angehangenen Waggon, in das wilde Land hinein. Die Sonne sank und verschwand endlich hinter dem meergleichen Rand der Prärie, und bleigraue Dämmerung erst, dann tiefe dunkle Nacht legte sich auf die öde Fläche.

Und unser Ziel? Noch waren wir weit davon entfernt, und als wir es endlich etwa acht Uhr abends erreichten und der kleine Zug wie erschöpft still hielt, bestand es in nichts anderem als einem mitten in der Prärie haltenden Güterzug – ein sogenannter Konstruktions-Train, der eben Schwellen, Schienen und Provisionen hier heraufgebracht hatte. Vor diesem hielten einige mehrere sechzig Fuß lange Karren, die mit dem Legen der Schienen weiter und weiter vorgeschoben wurden und den Arbeitern zu gleicher Zeit als Speisesaal und Schlafzelt dienten. Dicht daneben war eine allerdings sehr schwache Bedeckung von Soldaten, und eine Strecke davon ab sollte sich ein Lager freundlicher Pawnees, bittere Feinde der Sioux, befinden, das ebenfalls dazu benutzt wurde, feindliche Stämme in Schach zu halten und die Arbeiter bei einem möglichen Überfall zu unterstützen.

Für heute abend war es übrigens nicht möglich, noch irgend etwas zu besichtigen, denn wenn auch der Mond am Himmel stand, fühlten wir uns alle durch die lange Fahrt zu sehr abgespannt. In dem Schlafwagen des Generals, der noch im Kriege für höhere Offiziere gebaut worden und vortrefflich und höchst elegant eingerichtet war, hatten wir Passagiere nicht alle Platz, und es stellte sich jetzt als sehr wohltätig heraus, daß ich mir schon in Omaha ein ganz vortreffliches Büffelfell gekauft hatte. In einem Nachbarwagen des Konstruktionszuges würden wir allerdings neben den übrigen Raum gefunden haben, aber das unglückselige Ausspucken der Amerikaner, die damit jeden Platz in einen Stall verwandeln, ließ es mich und einen jungen Polen vorziehen, die freie Prärie zum Schlafplatz zu wählen, und wir kampierten dort – unsere geladenen Waffen freilich neben uns und den Vollmond in aller Pracht auf uns niederscheinend, ganz vortrefflich.

Nun hatten uns allerdings die Arbeiter am vorigen Abend gesagt, daß sie sich nicht allein hinaus in die Steppe wagen dürften, weil sie nie sicher wären, von umherstreifenden Indianern abgeschnitten zu werden. Aber derlei Erzählungen sind stets übertrieben, und lange vor Tag war ich deshalb auch schon auf und draußen in der Prärie, um das Terrain abzusuchen und – wenn auch keinen Büffel – doch vielleicht wenigstens eine Antilope zu schießen. Aber es war umsonst.

Der Charakter der Prärie zeigte sich hier als ein anderer, wie näher zu Omaha, denn nach Nord und Süd lagen von Ost nach West laufende niedere wellenförmige Hügelrücken, von denen der nach Norden zu auf kaum 400 Schritt an den Schienenweg zu stoßen schien. Bald zeigte es sich aber, daß wir uns hier auf höherem Terrain und in feinerer Luft befanden, als weiter unten im Tal, und hier schon jene wunderliche Täuschung in den Entfernungen stattfand, die allen Bergen eigen ist. Julesburg liegt schon 3515 Fuß über der Meeresfläche, und wir fanden uns hier etwa achtzig Meilen westlich von letzterer Stadt im Dakota-Territorium, also wenigstens noch ein paar hundert Fuß höher, vielleicht 3800 Fuß – ein schon sehr bedeutender Unterschied in den Luftschichten. Ich fand denn auch bald, daß die Erhöhung, der ich zuschritt, nicht näher kam, sondern nur immer weiter zurückzuweichen schien, und als ich sie endlich erreichte, sah ich nur wieder ein breites, flaches Tal vor mir, das von einer dieser ganz ähnlichen Erhöhung begrenzt wurde.

Vorsichtig äugte ich jetzt, ehe ich mich vollständig zeigte, das ganze vor mir liegende Terrain mit meinem guten Glase ab, aber vergebens. Nichts regt sich, soweit ich sehen konnte, und ich beschloß jetzt, die zweite Erhöhung zu gewinnen, was ich auch, aber mit nicht besserem Erfolg, ins Werk setzte. Nicht eine einzige Antilope war zu sehen, ja, eigentlich gar nichts Lebendes, ein paar kleine Vögel und Grashüpfer ausgenommen, und nach etwa dreistündigem Marsch kehrte ich unverrichteter Sache nach der Station zurück.

Der Boden war aber auch überall dürr und unfruchtbar. Nur das kurze Büffelgras wuchs hier, und dazwischen stand eine Unzahl niederer Kaktus mit so scharfen, bösartigen Stacheln, daß sie mir ein paarmal, selbst durch die dicken Stiefel durch, in das Fleisch stachen – eine trostlose Öde und Wüste, in welcher selbst die Reihe brauner Güterkarren eine angenehme Unterbrechung schien.

Es war aber jetzt auch Zeit geworden, »das Ende der Bahn« zu besuchen, denn sehr lange wollte sich General Sherman hier draußen doch nicht aufhalten, um nicht Ursache zu sein, daß der Council vielleicht hinausgezögert würde.

Wir waren hier nur noch wenige hundert Schritt von dem Platz entfernt, wo die Arbeiter emsig schafften, auf den schon vorbereiteten und mit Schwellen belegten Damm to string the rails oder die Schienen vorzuschieben. Weiter draußen waren die auf der vollkommen ebenen Fläche nicht übermächtigen Erdarbeiten rüstig im Gange, und Schwellen – freilich nur von Cedernholz – lagen an beiden Seiten voraus aufgeschichtet.

Der Konstruktions-Train warf jetzt die mitgebrachten Schienen ab und zog sich dann wieder etwas zurück, damit der vorn am äußersten Ende haltende kleine Schienenwagen herangeschoben werden konnte, um sie aufzuladen, während diesen dann ein rasch angehangener Gaul, der seine Sache schon gründlich zu verstehen schien, nach vorn führte.

So wie diese Karren den äußersten Punkt, die letzten Schienen erreichten, hielt das Pferd von selber an; rechts und links wurden rasch zwei Schienen ausgeworfen und in die schon liegenden rails eingepaßt; zu gleicher Zeit stand vorn ein Mann mit einem Maß, das er zwischen beide paßte, und in demselben Moment zog das Pferd auch schon wieder an, und zwei neue Schienen wurden ausgeworfen und eingepaßt, während dahinter zahlreiche Arbeiter standen, von denen ein Teil die Schienen mit den überall abgestreuten eisernen Spiken festschlug, indes andere die feste Verbindung der Schiene herstellten. Es nahm in der Tat nicht den dritten Teil der Zeit in Anspruch, zehn Schienen zu legen und zu befestigen, als ich zu den paar Zeilen gebraucht habe, es zu beschreiben, und das Außerordentlichste leisteten die Leute in General Shermans Gegenwart, um ihm einmal zu zeigen, was sie tun könnten. Es war dazu allerdings alles nötige vorbereitet und der Untergrund fix und fertig, aber nach der Uhr und in genau fünf Minuten wurden 700 Fuß Schienen, also 350 Fuß auf jeder Seite abgeworfen, aufgelegt und festgeschlagen – eine Anstrengung, die sie freilich nicht lange hätten aushalten können.

Es war ein eigentümlicher und, ich kann wohl sagen, großartiger Eindruck, den das Ganze auf mich machte: dort nach Westen lag die weite, wilde Steppe, mit keinem Haus, keinem Baum oder Strauch, keinem Zeichen menschlichen Fleißes oder Schaffens, die Heimat des Büffels und der Antilope. Mehr, weit mehr als tausend Meilen voraus wusch der Stille Ozean den Strand, und dem entgegen, trotz aller Schwierigkeiten und Gefahren, trotz der mächtigen Felsengebirge, die dazwischen lagen, trotz wilder Indianerhorden, welche die Arbeit bedrohten, trotz Mangel an Wasser und Holz, preßte menschliche Tatkraft und der entschiedene Wille eines Volkes seinen eisernen Weg in diese Wildnis hinein, das eine und einzige Ziel nur vor Augen: Durch!

Und neben der Arbeit zuckte das geflügelte Wort. Telegraphenstangen stiegen zugleich mit dem Weg, wie er sich vordrängte, aus dem Boden herauf. – Der Draht folgte der Schiene, und wo eine neue Station entstand, rückte in diese, selbst die geringste Bequemlichkeit entbehrend, schon ein telegraphischer Apparat ein, um den weit entlegenen Ort im Nu mit dem fernen Osten, mit der Zivilisation in feste und rasche Verbindung zu bringen.

Dem Indianer bringt die Bahn den Tod, denn sie durchschneidet seine Jagdgründe und vertreibt sein Wild, von dem er lebt und leben muß; aber was vermögen alle wilde Horden gegen den fortschreitenden Geist – sie können ihn nicht dämmen, ja vermögen seinen Flug kaum für Momente aufzuhalten. – Arme Indianer! Kommende Generationen werden von euch und eurem Leben wohl noch in Geschichtsbüchern und Romanen lesen, aber der Pflug geht dann über eure Gräber.

Nicht sehr weit davon entfernt war ein Lager der den Weißen völlig unterworfenen und zum Teil schon uniformierten Pawnees, die ich gern noch besucht hätte, aber die Zeit gestattete es nicht mehr. Unsere Lokomotive, die über drei Meilen hatte zurückfahren müssen, um eine Weiche zu erreichen und einen hinter uns drein kommenden Zug vorzulassen, war zurückgekehrt. Das Zeichen wurde gegeben, wir mußten wieder »an Bord«, wie man hier überall auf Bahnhöfen statt des bei uns gebräuchlichen Wortes »einsteigen« sagt, und bald wandte sich unsere Bahn wieder ostwärts, zurück nach dem Nordplatte, wo am nächsten Tag die große Ratsversammlung stattfinden sollte.

Es war indessen aber doch schon zu spät geworden; wir übernachteten deshalb in dem kleinen Städtchen Julesburg – das sogar auch schon ein photographisches Atelier (Zelt mit Glasscheiben hatte, und gelangten endlich am nächsten Mittag nach dem Nordplatte zurück, wo wir die Indianer allerdings noch nicht fanden, aber durch schon ausgesandte Läufer die bestimmte Nachricht erhielten, daß sie unterwegs seien und den Versammlungsort, wenn nicht vor Sonnenuntergang, doch jedenfalls bald nachher erreichen würden.

Indessen behielt ich Zeit, das dicht bei dem Städtchen und kaum 300 Schritt davon entfernte Lager einer kleinen, den Weißen befreundeten Bande Ogellala-Sioux (was hier Suhs ausgesprochen wird) zu besuchen.

Itchonka (big mouth), auf deutsch Großmaul, war ihr Häuptling, und wenn ich je im Leben einen Menschen gesehen habe, der seinen Namen nach jeder Richtung hin mit Recht führte, so war er es jedenfalls.

Das Lager selber bestand aus siebzehn Zelten oder Wigwams, die von fern wie spitze Leinwandzelte und vollkommen weiß aussahen. Nur zwei von allen waren aber aus diesem Material hergestellt, und zwar die Wohnung Itchonkas und des Dolmetschers, eines kanadischen Franzosen. Die übrigen bestanden aus gegerbten und in der Sonne gebleichten Büffelfellen, durch Stangen aufrecht gehalten, die oben in der Mitte wie die Bajonnette zusammengestellter Gewehre heraussahen und nur ein eirundes, mit einer Klappe verschlossenes Loch zum Eingang hatten. Durch dieses mußte man kriechen, wenn man eine solche Wohnung besuchen wollte.

Ich wäre der letzte es zu leugnen, daß es etwas ungemein Romantisches hat, ein solches indianisches Lager zu betreten. Uns allen liegen noch viel zu sehr Coopers Romane in der Erinnerung, um den Zauber zu vergessen, den gerade er über indianisches Leben ausgegossen, oder den ihm vielmehr, selbst wo er vollkommen wahr geschildert, unsere Phantasie gegeben. Ich muß aber ebenso bestimmt eingestehen, daß viele Sachen in der Welt diesen Zauber verlieren, wenn man ihnen zu nahe auf den Leib rückt. Das indianische Leben ebenfalls ist eine Art von Dekorationsmalerei, und die Sehnsucht danach vollständig gestillt, sobald man nur erst einmal in dasselbe eintritt.

Allerdings fühlen sich einzelne weiße Leute, vorzugsweise kanadische Franzosen, anscheinend wohl unter ihnen und heiraten besonders häufig in Honoratiorenfamilien, deren Oberhäupter mit blau, rot und gelb angestrichenen Gesichtern einen überaus imposanten Anblick geben. Dem nur einigermaßen zivilisierten Menschen dreht sich aber der Magen um, wenn er den furchtbaren Schmutz sieht, in dem diese halb tierischen Menschen existieren.

Gleich bei meinem Eintritt in das in einem weiten Kreis gebaute Wigwamlager traf ich auf ein paar gelbbraune Megären, die sich aus Rindermilz, Gedärmen und Schmutz ein Ragout zusammenhackten, das einem hätte den Appetit für Fleisch auf Jahre lang benehmen können. Es waren wirklich zwei Scheusale, wie man sie nie so wahr und treu malen könnte, denn der Unrat, der an ihnen und ihren zerfetzten Kleidern klebte, würde auf der Leinwand nur immer wieder romantisch aussehen, aber nie den Eindruck hervorbringen, den die Wirklichkeit sich im Nu erzwang.

Junge Squaws kamen ebenfalls herbei, und kleine Kinder in Masse, aber keins von allen hatte wohl seit Monaten Wasser – oder seit Lebenszeit Seife gesehen, und der Effekt blieb bei allen genau derselbe. – Und wie sah es erst in ihren Hütten aus, wo sie die Abfälle der Weißen – alte Lumpen und Gott weiß, was sonst noch für Gerümpel – aufgehäuft hatten! Aber es waren das auch eigentlich keine rechten Wilden mehr, die, stolz auf ihre Armut, nur alles, was sie selber brauchten, auch selber in der ihnen eigentümlichen Weise anfertigen. Jedenfalls von ihren früheren Raubzügen hatten sich eine Menge von Dingen in diese Heimat geschleppt, die sie früher nicht einmal dem Namen nach gekannt, oder deren Gebrauch sie nur erraten. Koffer und Mantelsäcke standen da, die Frauen bedienten sich bei ihrer Perlstickerei kleiner, sauber gearbeiteter Nähkästchen, in denen sich Nadeln, Scheren, Zwirn, Fingerhut, Knöpfe – und was wußten sie von Knöpfen – wie alle anderen nötigen Dinge befanden. Ja, sogar – unglaublich, aber wahr – einige Krinolinen fanden sich zusammengebunden unter dem übrigen Plunder, und der Dolmetscher versicherte mir, daß sie dieselben zuzeiten benutzten – o, wer sie da sehen könnte! Aber sie tun das nur weit draußen in der Prärie, wo ihnen freilich die Kaktuspflanzen etwas im Weg sein werden. Doch Damen schrecken selten vor kleinen Übelständen zurück, wenn es gilt, eine neue Mode auszubeuten.

Bigmouth oder Großmaul saß gemütlich in seinem Zelt und rauchte mit sich selber seine Friedenspfeife. Seine Tochter war ein nicht häßliches und noch junges, wenn auch ziemlich derbes Mädchen, nur mit dem Erbfehler behaftet, der ihrem Vater seinen Beinamen gegeben hatte. Sie nahm sehr erfreut eine Handvoll Glasperlen, die ich ihr gab, wie Bigmouth etwas Tabak, und ich durfte dann an derselben Spitze ziehen, die er noch eben zwischen den unappetitlichen Lippen gehabt, – aber sie zu verweigern, hätte Mangel an guter Lebensart gezeigt. Ich durfte mich dessen nicht schuldig machen.

Unsere Unterhaltung war sehr einsilbig, denn der Dolmetscher hatte anderweitig zu tun. »Hau!« sagte ich, als ich das Zelt betrat. »Hau!« sagten er und die Tochter, und damit war der Schatz meines Wörterbuches erschöpft; aber wir unterhielten uns doch ganz gut miteinander, indem wir uns gegenseitig betrachteten und gegenseitig die Pfeife herüber und hinüber gaben, die er dann jedesmal, wenn sie ausgeraucht war, wieder mit frischem Killikinik (Tabak und Weidenrinde) füllte.

Der Killikinik raucht sich übrigens ganz angenehm. Die äußere Rinde der Zweige einer bestimmten Weidenart (der sogenannten Trauer- oder Hängeweide) wird vorher entfernt und dann die untere abgeschabt, getrocknet, zerbröckelt und unter den Tabak gemischt, dem sie etwas sehr Mildes und Aromatisches gibt.

In North Platte hatte sich indessen das Gerücht verbreitet, daß die heute eintreffenden Indianer einige weiße Gefangene, weiße Frauen und Kinder, die sie vor etwa zwei Monaten bei einem Überfall von Fort Kearney und dem Little Blue geraubt, mit hierher bringen und gegen ein paar von den Pawnees gefangene Squaws austauschen würden, und einer der ausgesandten Läufer bestätigte das auch endlich. Der sich unter den Wilden befindliche Dolmetscher hatte sie schon unter seinem Schutz, und alles erwartete jetzt mit Ungeduld den Augenblick, wo die armen Verlorenen wieder einem menschlichen Leben und den ihrigen zurückgegeben werden sollten. Was hatten sie nicht alles in der kurzen Zeit unter den wilden Horden und in dem wilden Leben erduldet! Und alles sah jetzt gespannt der Richtung entgegen – dem Süden, von woher man den Schwarm erwartete.

Endlich entdeckte ich kleine, dunkle Haufen mit meinem Teleskop, die den im Süden liegenden Hang in unregelmäßigen Trupps niederkamen und sich zu dem Südplateau hinabzogen, in dessen Tal sie bald darauf wieder aus Sicht verschwanden. Aber noch lag eine weite Strecke Prärieland zwischen ihnen und uns, und die Abenddämmerung lag schon auf der Steppe, ehe sie sich dem indianischen Lager näherten.

Jetzt kam Leben in das sonst ziemlich stille Nest, denn alles strömte hinaus, um nicht sowohl die eintreffenden Indianer, als besonders die Gefangenen zu sehen.

Du lieber Gott, es war ein trauriger Anblick, den ich nie im Leben vergessen werde! Die armen Mädchen trugen noch dieselben Kleider, in denen man sie vor nun fast zwei Monaten geraubt, aber natürlich zerrissen und zum äußersten schmutzig – wie eine indianische Squaw. Sie saßen zu Pferde nach Männerart, mit Leggings an den Füßen und Mokassins. Es waren drei, eine von ihnen mit einem kaum sechswöchigen Kind auf dem Arm, das sie draußen in der Prärie geboren, und zwei kleine prächtige Knaben, der eine etwa fünf, der andere vielleicht sieben Jahre alt.

Zwei von den Frauen, beide zwischen siebzehn und zwanzig Jahren, und aus Schottland stammend, waren Schwestern, und die beiden Knaben ihre Brüder. Die ganze Familie war geraubt worden, als sich der Vater gerade von Hause befand, nur ein kleines Mädchen hatte sich verkrochen gehabt. Das andere Mädchen, vielleicht vierzehn Jahre alt, mit hellblonden Haaren, stammte ebenfalls unverkennbar entweder aus Deutschland oder Schweden; man wußte es nicht, denn sie hatte bis jetzt noch keine Frage beantwortet.

Heute abend durften sie aber auch wahrlich nicht mehr mit irgend etwas belästigt werden, denn sie schienen so ermüdet, daß sie sich kaum auf den Pferden halten konnten. Im Hause befanden sich einige Damen, deren Schutz und Pflege sie augenblicklich übergeben wurden, und dann brachte man sie nur erst vor allen Dingen in ein Waschzimmer, um sie von Grund aus zu reinigen. Die kleinen Jungen, ein Paar prächtige kleine Kerle, wurden indessen in die Barbierstube geholt, um dort ihre Haare abgeschnitten zu bekommen. Der kleinste schien schon der Liebling seiner neuen indianischen Mutter geworden zu sein, denn er trug ein Paar allerliebst gestickte Mokassins an den Füßen und eine Schnur: bunter Glasperlen um den Hals. Aber auch die Kinder waren scheu und schon halb verwildert und erst, als ich ihnen Zuckerwerk aus dem nächsten Laden holte, schienen sie etwas aufzutauen.

Am nächsten Morgen versuchte ich mein möglichstes, das jüngste von den Mädchen mit den blonden Haaren zum Reden zu bringen, aber umsonst. Ich tat es in Englisch, Deutsch und Französisch, sie verriet aber nicht einmal durch ein Zeichen nur, daß sie auch das geringste davon verstand. Fast wie blödsinnig sah sie stumm und scheu vor sich nieder und lächelte nur manchmal – aber daß es einem das Herz hätte zerschneiden mögen. Wohl mag es sein, daß das arme Kind den Verstand verloren, als sie von diesen wilden Bestien überfallen und bei Nacht und Nebel aus ihrer Heimat fort in die öde Steppe hineingeschleppt wurde. Sie war einen Tag früher als die übrigen von einer anderen Bande am Little Blue geraubt und dann zu den anderen gebracht worden, hatte aber auch schon damals keine weitere Frage beantwortet, als daß sie eben vom Little Blue komme. Sie tat, wie die anderen Mädchen aussagten, was man ihr auftrug, rasch und willig, sprach aber kein Wort und hielt sich immer still und allein.

Fort Kearney, wo die jungen Schottinnen wohnten, deren Onkel auch gekommen war, um sie abzuholen, lag übrigens nur wenige Meilen vom Little Blue entfernt, und am nächsten Morgen verließ sie mit den übrigen North Platte, um von Fort Kearney aus hinüber in ihre Heimat geschafft zu werden.

Die neu angekommenen Indianer, die wild genug auf ihren Pferden aussahen und dem Frieden auch anfangs nicht so recht zu trauen schienen, sprangen jetzt aus den Sätteln ihrer arg mitgenommenen Pferde und quartierten sich bei den schon im Lager befindlichen Ogellala-Sioux ein, – die Pferde wurden hinaus auf die dürftige Weide getrieben, und bald deckte die Nacht die Müden und gab ihnen Ruhe um sich für den morgenden großen Rat vorzubereiten.


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