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21. Ein Abstecher nach Ecuador

Als ich diesmal nach Panama kam, geschah es mit dem Wunsch, sobald als irgend möglich den Isthmus kreuzen zu können und Venezuela zu besuchen. In Ecuador hatte sich wahrscheinlich wenig verändert, und schon halb auf dem Heimweg kam auch die Sehnsucht dazu, meine Reise von jetzt an soviel wie möglich abzukürzen, um nach Deutschland zurückzukehren. Wenn ich auch gerade noch keine Altersschwäche spüre, finde ich doch nicht mehr wie früher wirkliche Freude an Strapazen und Entbehrungen, und da ich doch wußte, daß mir deren noch genug in Venezuela bevorstanden, mochte ich sie nicht eben mutwilligerweise vermehren.

Da fand ich in Panama einen Brief von der Ecuador-Land-Kompagnie, mit dem Wunsch darin, daß ich den Pailon besuchen und ihnen Bericht über den jetzigen Stand der Dinge dort geben möchte, und wie ich mir die Sache überlegte, erwachte auf einmal auch die Sehnsucht wieder nach dem alten Pailon, an dem ich damals, allein und wie verlassen, so lange Monate zugebracht. Jetzt bot sich die Gelegenheit – ich war nur eine verhältnismäßig ganz kurze Strecke von ihm entfernt und schon im Stillen Meer – was hinderte mich, noch einmal mein Kanoe über die stille Bai zu lenken und dem tiefen Orgelton der singenden Fische oder dem eintönigen hop! hop! hopl hop! der weißen Frösche zu lauschen? Wie ein Märchen aus der Jugendzeit stiegen die alten Erinnerungen frisch in mir empor, und da es sich auch glücklich mit der Abfahrt des kleinen Dampfers traf, der nur einmal im Monat diese Richtung fährt und dessen Abreise auf den nächsten Tag angezeigt stand, so fand ich mich schon am nächsten Tag wieder an Bord und statt dem Atlantischen Ozean entgegen, dampfte ich lustig aufs neue in das Stille Meer hinaus.

Wunderliches Leben, das ich fast, solange ich denken kann, in der Welt geführt!

Der kleine Dampfer, der jetzt – früher war es die »Anna« – zwischen Panama und Guayaquil läuft, heißt »Talca«, Kapitän Chambres, und könnte eigentlich ein wenig schneller sein. Übrigens genügt er vollkommen für diesen Dienst – soweit es wenigstens die Kompagnie betrifft, denn er ist imstande, eine bedeutende Quantität Fracht einzunehmen und hat auch Raum für viele Passagiere. Er läuft von Panama aus, Buenaventura, Tumaco, Esmeraldas und noch einige andere kleine Häfen bis Guayaquil an und macht jeden Monat nur eine Reise hin und zurück.

Übrigens fühlte ich mich hier an Bord tausendmal behaglicher als an Bord des amerikanischen Dampfers, mit dem ich von Acapulco herabgekommen. Kapitän wie Offiziere dieses englischen Schiffes, lauter Engländer oder Deutsche, waren prächtige Leute, und die wenigen Tage vergingen mir so rasch, daß ich kaum wußte, wo sie hingekommen.

Ich hatte Passage nach Tumaco genommen, um von da aus in einem Kanoe nach dem Pailon hinüberzufahren, und der erste Platz, an dem wir anlegten, war Buenaventura.

Sieben Jahre waren vergangen, seitdem ich das Nest nicht gesehen, aber es mußte die sieben Jahre im Schlaf gelegen haben, denn es sah noch genau so schmutzig und erbärmlich aus wie vor jener Zeit. Doch heimelte es mich fast an, als ich die »Pfahlbauten« wieder sah und meines eigenen kleinen Hauses am Pailon gedachte. Und kehrte ich denn wirklich jetzt zu dem zurück? Träumte ich nicht die ganze Geschichte und sollte ich jenen Teil der Welt, von dem ich damals für immer Abschied genommen, wirklich in wenigen Tagen wiedersehen? Es war mir wie ein Traum, und ich kam eigentlich erst wieder in Buenaventura recht zu mir, als es wie mit Kübeln zu schütten begann und ich in eins der Häuser selber flüchten mußte. Ja, das war Wirklichkeit – so konnte es nur in diesem Teil der Erde regnen, und ich war froh, als ich bald darauf Gelegenheit bekam, in einem Boot des Dampfers wieder an Bord desselben zurückkehren zu können.

Übrigens hat dieses ganz elende Nest, das aussieht wie ein gewöhnliches Fischerdorf, einen höchst bedeutenden Handel mit dem Innern, und viele hundert Ballen und Kisten mit Waren wurden hier, für den Innen-Verkehr besonders, ausgeladen, während wir auf dem Rückweg an demselben Platz etwa zwölfhundert Ballen mit Chinarinde an Bord bekamen. Außerdem fahren noch eine Menge kleinerer Segelfahrzeuge, Schoner und Briggs, an der Küste auf und ab, und es herrscht dort ein nicht unbedeutender Verkehr.

Die Lage des Ortes ist eine sehr geschickt gewählte und vortreffliche an der Mündung eines schiffbaren Flusses, dicht am Meer und auf erhöhtem Land. Die freundlichsten Villen ließen sich dort bauen, denn auch das Klima ist kühl und angenehm, und von jedem Mittag an weht den halben Tag und die ganze Nacht eine frische und erquickende Brise; aber ändere einmal ein Mensch dieses Volk. Nicht eine Kokospalme steht am ganzen Strand, keine Banane, kein Fruchtbaum. Was sie an Früchten haben, bekommen sie den Fluß herab oder von Tumaco, und in den erbärmlichsten, schmutzigsten Hütten wohnen dieselben Menschen, die sich mit leichter Mühe und fast keiner Arbeit dort ein kleines Paradies schaffen könnten.

Viel mögen freilich auch die verschiedenen Kriege und Revolutionen dazu beitragen, daß sich das Land so schwerfällig vorwärts bringt, aber auch selbst in ruhigerer Zeit würde es sich nicht emporraffen. Es fehlt ihm die Energie des Nordens, und der Südamerikaner verkümmert lieber in Schmutz und Elend, ehe er eine Arbeit vornähme, die ihn nicht gerade auf den Nägeln brennt und nur möglicherweise aufgeschoben werden kann.

Den vierten Tag endlich ereichten wir die kleine Frucht-Insel Tumaco, die ich früher keine Zeit gehabt, genauer kennen zu lernen. Von hier aus mußte ich mir jetzt ein Kanoe mieten, um nach dem Pailon hinüberzufahren.

Tumaco an sich kein bedeutender, aber ein reizender kleiner Ort, auf einer kleinen, flachen Insel im Mirafluß, an der unmittelbaren Grenze zwischen Ecuador und Neu-Granada gebaut, und schon durch den sandigen, aber von Fruchtbäumen bedeckten Boden reinlicher als irgend eine andere Stadt an dieser Küste.

Ihr Anblick ist außerordentlich malerisch, denn wenn auch im ganzen flach, steigt doch an der dem Meere zuliegenden Spitze ein kleiner Hügel, el morro genannt, empor, und von hier aus schon wiegen die herrlichsten Kokospalmen ihre Federwipfel dem Fremden entgegen, während das Auge überall, wohin es fällt, auf breitblätterige Bananen oder das dunkle Laub der Mangos wie anderer Fruchtbäume trifft.

Das klingt nun allerdings alles sehr romantisch und sieht auch in der Tat so aus – wenn man sich nur ein klein wenig davon entfernt hält – rückt man der Sache aber etwas näher auf den Leib, so findet man in diesen Häusern denselben Schmutz, dieselbe Armut wie in allen anderen, und wo sich die Phantasie junge, blühende Indianer malte, die friedlich und glücklich unter ihren Palmen leben, zeigt uns die immer und ewig mit der Poesie im Streit lebende Wirklichkeit einen Haufen schmutziger Negerfamilien – die alten Damen ewig in Streit und Hader miteinander, und Kinder dabei – ich gehe gleich zum Frühstück und möchte mir den Appetit nicht gern auch nur mit ihrer Beschreibung verderben.

Wie allenthalben an der Küste, haben aber in der Tat die Neger in wirklich bedrohlicher Weise überhandgenommen. Vor sieben Jahren noch gab es dort allerdings schon viele Neger, aber unter der eigentlichen Mischlingsrasse der Mestizen oder von Weißen und Indianern Abstammenden standen sie doch immer noch vereinzelt da. Jetzt dagegen bilden sie in entschiedenster Weise die Mehrzahl, und wohin man sieht, begegnen einem die unangenehmen oder braunen Gesichter mit den unvermeidlich schwarzen Wollköpfen.

Abkömmlinge von Indianern sieht man hier nur noch selten, und dann auch meist nur eine andere Rasse vorbereitend – mit Negern oder Mulatten verheiratet.

Ich befragte einige der dort Ansässigen darüber, diese versicherten mir aber: das nämliche sei im ganzen Land der Fall. Die Neger breiten sich nach allen Richtungen hin mehr und mehr aus, und in zwanzig Jahren, wenn das so fortginge, würden Wohl wenig Spuren von reiner indianischer Abstammung noch im Lande zu finden sein.

Sonderbar, daß gerade das Gegenteil in den Vereinigten Staaten von Nordamerika der Fall ist, und man allgemein dort behauptet, daß die Neger im Aussterben wären. Ist es dort der so rasche und plötzliche Übergang von Sklaverei zur Freiheit, das vollständig veränderte Leben, das in seiner Unbeschränktheit auch wohl viele zu Extravaganzen trieb, ist es hier das nicht zu heiße, feuchte Klima, das ihrer Konstitution vielleicht besonders zusagt – aber die Tatsache läßt sich weder leugnen noch abstreiten, daß die Neger in diesem Lande mehr und mehr an Zahl wachsen und in gar nicht zu langer Zeit wohl, wenn nicht ein anderer Stamm, eine andere Rasse dem Leben hier eine Wendung zum besseren gibt, das vollkommene Übergewicht erlangt haben werden. Von ihnen ist aber eine Besserung der Zustände nun und nimmer zu hoffen. Sie werden genügend arbeiten, um sich am Leben zu erhalten und einen mehr und mehr unter ihnen aufsteigenden Luxus zu beschaffen, mehr aber auch nicht. An irgend eine Verbesserung des Landes, an ein Fortschreiten in Handel und Gewerbe ist unter ihrer Leitung nicht zu denken, und nur eine gewaltsame Befreiung von ihrer Herrschaft wäre dann möglich.

Das aber ist der Fluch, den die Entdecker und Eroberer dieses Landes gesäet haben, und den ihre Nachkommen jetzt ernten müssen. Als jener erbärmliche Räuber Pizarro, der keine einzige gute Eigenschaft besaß, als persönlichen Mut, und den mit jedem anderen Gauner ebenfalls teilte, mit Hilfe goldgieriger Pfaffen die Eingeborenen fast ausgerottet hatte, und es in dem neuen Land an Arbeitern fehlte, da wurden später von der afrikanischen Küste, um das edle, in Amerika begonnene Werk zu krönen, schwarze Menschen gestohlen und zu Sklaven gemacht, und man glaubte nur Vorteil zu gewinnen, je mehr man von ihnen rauben und der neuen Erde einverleiben könne. Die Nachkommen müssen jetzt unter den Folgen büßen, denn das unnatürliche Verhältnis der Sklaverei konnte nicht unter der fortschreitenden Kultur bestehen. Den Nutzen, den die Länder also damals durch die gezwungene Arbeit der Sklaven hatten, und wegen dessen sie sich die Nähe der widerlichen Rasse gefallen ließen – dieser Nutzen schwand mit der Freiheit der Neger, aber das Volk selber blieb ihnen auf dem Halse und ist jetzt nicht mehr auszurotten oder zu vertreiben, ja es wächst und wächst, und wir wissen noch nicht einmal, wie uns in späterer Zeit die Urenkel desselben heimzahlen werden, was unsere Urväter an den ihrigen verübt. Die Folgen dieser gewaltsamen und unnatürlichen Rassenübersiedelung sind nicht abzusehen, und wenn auch das amerikanische Volk stark und kräftig genug ist, ihnen die Stirn zu bieten, die hiesige Menschenrasse hat nicht solche Energie und wird nach und nach vollkommen untergehen.

Komisch ist übrigens, daß die Neger mit Stolz auf die hiesigen, ihnen in jeder Hinsicht überlegenen Indianer hinblicken. Als ich später in meinem Kanoe, in dem ich einen Neger zum Piloten hatte, den Mirafluß hinabfuhr, begegneten wir einem Kanoe mit halbnackten, braunen Menschen, die ich für Indianer hielt. Ich fragte meinen Burschen, ob es Cayapas wären, worauf dieser stolz erwiderte: »Nein, es sind buen gentes.« – »Nun?« entgegnete ich ihm, »sind die Cayapas etwa nicht buen gentes?« – Und es gibt in der Tat kaum einen anständigeren, ehrlicheren und fleißigeren, ja sogar intelligenteren Indianerstamm als diese Wilden. Der Neger aber, mit einem Gesicht, dessen sich ein Affe geschämt haben müßte, dabei ein ekelhafter Schwadroneur und faul wie drei Rentiers, sagte mit dem Ausdruck größter Verachtung: » Son Indos« – und ich hätte ihm eins mit dem Ruder über den dicken Schädel geben mögen.

» Son Indos!« Es ist zum Verzweifeln, wenn man so etwas mit anhören muß, aber trotzdem ist es Tatsache, daß sich die Neger für eine bevorzugte Klasse halten. Ob sie das aber sind, mögen sie jetzt zeigen, denn in den Vereinigten Staaten wurde ihnen, in einem gemäßigten Klima und unter den nur denkbar günstigsten Verhältnissen, die volle Gelegenheit geboten, alle ihre Fähigkeiten vollständig zu entwickeln. Machen sie von dieser Gelegenheit keinen Gebrauch, sondern glauben sie, daß man sie dort nur dulden wird, um sich selber am Leben zu erhalten, dann könnte es geschehen, daß in nicht ferner Zeit ein furchtbarer Vernichtungskrieg gegen sie entbrennen könne, der dann das Ende der Rasse so blutig und ungerecht herbeiführte, wie es begonnen.

Zeigen sie aber, was ihnen von vielen Seiten noch bestritten wird, daß sie wirklich hervorragende geistige Fähigkeiten besitzen und imstande sind, sich aus dem Schlamm hervorzuarbeiten, in dem sie bis jetzt gelebt, dann haben sie eine Existenz vor sich, und selbst das Äußerliche der Rasse, das jetzt allerdings nur zu häufig dem Affen gleichkommt, wird sich veredeln. Ist doch dieser tierische Ausdruck ihnen wohl schwerlich von der Natur gegeben, sondern eben nur erst durch spätere Leidenschaften den Gesichtern eingeprägt worden, was genau so mit unserer Rasse der Fall ist. Ein boshafter Mensch ist nicht deshalb boshaft, weil er ein boshaftes Gesicht hat, sondern er bekam diesen häßlichen Ausdruck in seinem Gesicht erst in den Jahren, in denen sich sein Charakter völlig entwickelte. Als Knabe hatte er vielleicht offene und ehrliche Züge, noch mit keinem Groll gegen die Menschheit im Herzen.

So finden wir auch selbst unter den Schwarzen eine Menge von Menschen, die wirklich intelligente Züge haben, und daß die Masse der unglücklichen Sklaven, unter gewaltsam verhinderter Bildung aufgewachsen, wie das liebe Vieh in den Tag hineinleben mußte, konnte ihnen natürlich keinen klugen und geistreichen Ausdruck geben – jede Physiognomik wäre ja sonst eine Lüge.

Doch ich komme ganz von meiner Fahrt nach dem Pailon durch die Neger ab, die aber doch dazu bestimmt waren, mich hinüberzubringen. Ich nahm mir nämlich in Tumaco, wo ich natürlich nicht länger als nötig bleiben wollte, zwei Neger, mietete ein Kanoe und wollte am nächsten Morgen abfahren, um den Pailon so rasch wie möglich zu erreichen. Die Leute versprachen auch, alles zur rechten Zeit bereit zu halten, aber man muß dieses südamerikanische Volk kennen – denn die Neger sind darin nicht um die Spur schlechter als alle übrigen – um zu wissen, daß man nie darauf gehen kann, was einem ein Südamerikaner verspricht. Er hat vielleicht die Absicht, es zu halten – quien sabe! – Aber soviel ist sicher, daß er schon in der nächsten Viertelstunde gar nicht mehr daran denkt und mit der größten Gemütsruhe – wenn zur Rede gestellt – daß er es eben vergessen hätte, oder daß es nicht gut gegangen wäre.

Anfangs habe ich mich über ein solch nichtswürdig wortbrüchiges Wesen schändlich geärgert, zuletzt ist mir aber doch eingefallen, daß jede Sache ihre zwei Seiten habe, und bequem wäre es jedenfalls, wenn man das nämliche bei uns in Europa einführen könnte. Man bekommt eine langweilige mündliche Einladung von einem »Freund« zu einem großen Diner oder gar thé dansant. Man mag die Sache nicht abschlagen, so ungern man geht, aber der Mann könnte sich auch beleidigt fühlen, und man will ihm nicht gern wehtun. Man sagt also zu, geht am nächsten Tage hin, langweilt sich sträflich und hat außerdem den ganzen Tag zu seiner Arbeit oder sonstigen nützlichen Dingen gründlich verloren. Wie anders wäre das nun nach hiesigen ecuadorischen Begriffen. Man wird eingeladen. – »Jawohl, lieber, bester Freund, mit dem größten Vergnügen, um wieviel Uhr?« – »Um acht Uhr, wenn ich bitten darf, aber ja nicht später.« – »Sehr schön.« Damit ist die Sache vollkommen abgemacht. Man denkt gar nicht daran, hinzugehen, wenn man nicht selber Freude daran hat, und der Einladende würde das Ausbleiben ebenso natürlich finden. Es würde vielleicht ein halber Eimer heißes Wasser und zwei Löffel voll Tee umsonst verschwendet – das ist aber das ganze angerichtete Unglück des Abends.

Um aber auf meine beiden Neger zurückzukommen, so war ich nicht gesonnen, sie über eine ganze Flut hinauszulassen; der eine hatte sich einen Rausch angetrunken, der andere war noch nüchtern; wenn ich den jetzt sich selber überließ, betrank er sich vielleicht auch, und das beste war, ich packte sie augenblicklich zusammen und ins Kanoe. Der Alte sträubte sich allerdings – der Estero, durch den wir passieren mußten, war jetzt seco oder trocken – was tat das? Wir konnten dort genau so gut auf Hochwasser warten wie hier – ich ließ eben nicht nach und bekam meine Leute endlich wirklich in das Kanoe hinein und unterwegs.

Es ist ein ganz eigentümlicher Weg, diese Bahn, die man sich durch das Innere, teils durch den Mirafluß, teils durch die Bayous, teils am Meeresufer hin für kurze Strecke und innerhalb der außenliegenden Brandung sucht. Bald ist man dabei von Ebbe und Flut abhängig, bald arbeitet man sich einen Ausfluß des Mira hinauf, bald schießt man den Hauptstrom hinab, und im ganzen bleibt es immer eine sehr interessante, wenn auch etwas langwierige Fahrt. Meine beiden Neger wußten aber schon ganz genau, wie sie sich das Leben angenehm machen konnten. Wenn ich sie zwang, ihren Kontrakt einzuhalten, so hatte ich sie damit allerdings von Tumaco weggebracht und am weiteren Trinken verhindert, schneller kam ich aber deshalb wohl kaum von der Stelle, denn wir mußten richtig vier Stunden in dem seichten Estero auf die Flut warten und wurden erst kurz vor Dunkelwerden wieder flott. Die Leute aber erklärten, in der Nacht durch die gefährlichen und labyrinthähnlichen Manglaren ihren Weg nicht finden zu können. Sie bogen auch bald links ein, wo mehrere auf Pfähle gebaute Hütten zwischen prächtigen Kokospalmen standen, und kaum eine Viertelstunde später hing meine Hängematte mitten in einer Negerfamilie, deren Bewohner außerordentlich erfreut schienen, meine beiden Peons zu sehen, und sich die betreffenden Neuigkeiten mit Stimmen zuschrieen, die einen gewöhnlichen Menschen hätten taub machen können. Ich war aber schon ungewöhnlich müde geworden, denn meine beiden Strolche hatten sich den ganzen Tag über meinen Kopf hinweg die langweiligsten und fadesten Geschichten zugeschrieen, und indem ich alles ruhig über mich ergehen ließ, schlief ich endlich ein.

Am nächsten Morgen mit ausgehender Ebbe schifften wir uns wieder ein, und es war gut, daß ich mir in Tumaco einige Lebensmittel mitgenommen, denn wenn ich hätte von dem Volk, in den Hütten meine Mahlzeiten essen sollen, so wäre ich vor Ekel verhungert. So konnte ich es ganz gut aushalten. Unter dem Rancho oder Blätterdach, das ich mir im Kanoe hatte aufbauen lassen, ausgestreckt, lag ich mit meinen Sachen, sowohl gegen Regen wie Sonnenschein geschützt und konnte lesen oder schlafen – was mich freute. Die Szenerie bot hier auch nicht viel Interessantes, denn zum großen Teil drückten wir uns noch an der äußeren Küste zwischen Sand und der Aussicht auf das Meer hin, nur dann und wann in einen Estero eintauchend, um ein Stück Wegs abzuschneiden und der rauhen See auswärts zu entgehen. Die Nacht blieben wir jedenfalls wieder bei einer Mulattenfamilie, in der die Frau jedoch einer Mischlingsrasse entstammte und ziemlich weiß aussah. Überhaupt wohnten in allen Häusern, die wir am Ufer antrafen, saßen in allen Kanoes, denen wir unterwegs begegneten, Neger, immer und immer Neger oder wenigstens ihre Abkömmlinge.

Abends waren wir übrigens noch in den Hauptstrom des Mira hineingekommen und ein Stück mit der raschen Strömung talab bis zur isla grande gelaufen, am nächsten Morgen aber mit Tagesgrauen wieder unterwegs, glitten geräuschlos den Strom hinab, und ich muß gestehen, daß ich mich kaum satt sehen konnte an den prachtvollen Ufern.

Solange es noch dunkel war, gewährten sie besonders einen eigentümlichen Anblick, denn da die üppige, ja überreiche Vegetation von beiden Seiten in den Strom hinein und bis auf die Oberfläche desselben niederhing, so sah es genau so aus, als ob der hier noch ziemlich breite und mächtige Strom seine Ufer nicht allein überflutet habe, sondern bis in die Wipfel der daranstehenden Bäume hineingetreten sei und nun dazwischen hin seine wilde Bahn suche. Schwarz und drohend umhingen dabei den Himmel düstere Wolken, und es war ein wirklich unheimliches Bild, in dem unser Kanoe schattengleich dahinglitt. Von der eigentlichen Vegetation des Ufers war dabei fast gar nichts zu erkennen, denn nur wie eine hohe, grüne, undurchdringliche Mauer stiegen die Bäume an beiden Seiten steil und düster empor – aber das änderte sich bald.

Die Sonne ging auf – noch konnten wir ihre Strahlen nicht sehen, denn von den Kordilleren wurde diese noch zurückgehalten, während die über den hohen Gebirgen im Osten lagernden Wolkenschleier ebenfalls dazu dienten, den Tag zu verzögern – aber plötzlich brach sie hindurch – die Nebel wichen, und wie in den dissolving views sprang rasch wie mit einem Schlag das ganze Bild aus düsterer Sturmnacht in das herrlichste tropische Landschaftsbild über, das sich nur eben denken und träumen läßt.

Nicht mehr auf einem ausgetretenen, zwischen den Wipfeln der erstiegenen Bäume dahingurgelnden Strom glitten wir hin, sondern auf einem sonnigen Wasser, mit dessen schimmernder Flut die hineinhängenden Blüten und äußersten Spitzen der tausend Blumenranken spielten, die sich in ihm spiegelten. Und was für herrliche Bäume standen am Ufer! Hier eine Gruppe von Laubholzbäumen, unter denen besonders einer hervortrat, der mich mit seinen weißen, aufrechtstehenden Blüten und großen, langen Blättern lebhaft an unsere blühenden Kastanien erinnerte. Rote und gelbe Lianen wiegten dabei herüber und hinüber, Kolibris und Schmetterlinge gaukelten und zuckten darüber hin. Jetzt glitten wir daran vorbei und erreichten schon im nächsten Moment eine lange, mit wildem, hochaufgeschossenem Rohr bewachsene Fläche, aus dem heraus sich prachtvolle Palmen erhoben. Und dort drüben jene zierlichen, federartigen Büsche, die oft selbst die Waldbäume überragten. Es war Bambus, dieses nützlichste aller tropischen Gewächse, der seine langen Ruten in der Morgenbrise schaukelte, während die feinen Blätter erzitterten und in den jungen Sonnenstrahlen ordentlich blitzten und funkelten.

Und jetzt wieder ein anderes Bild – dunkellaubige Brotfruchtbäume mit ihren wunderlich geformten Blättern hoben sich wie ein Wald empor, woran sich eine kleine Plantage mit Kokospalmen, Bananen und Zuckerrohr anschloß. An der Landung lagen ein paar hübsch gearbeitete Kanoes, Hunde bellten, Hähne krähten, und über die niedere Bambuswand des Wohngebäudes lehnten ein paar behäbige, aber pechschwarze Gesichter mit Wollperücken und schrieen meinen Leuten ihren fröhlichen Morgengruß herüber.

Und wieder daran hin schoß das Kanoe – ein wildes Gewirr von hochaufgeschossenem Zuckerrohr, Bambus und Bananen begrenzte den Platz – es war eine frühere Plantage, die, von dem Besitzer vernachlässigt, in ihren früheren Zustand, den Urwald, zurückkehrte und den Übergang nun erst noch durch die verwilderten und schon unbrauchbaren Nutzpflanzen bildete.

Weiterhin wieder Ranken und Laubholz und dicht am Ufer zierliche Farnpalmen, die ihre wirklich reizenden Wipfel über den Strom schüttelten. Bis dahin hatte ich auch geglaubt, daß die Farnpalme unter den Tropen stets eine bestimmte Höhe verlange und meiner Meinung nach 2–300 Fuß brauche, um einen richtigen Stamm zu treiben. Wir befanden uns hier aber kaum aus dem Bereich der Ebbe und Flut, und doch sah ich Farnpalmen mit einem Stamm von wenigstens 6–8 Fuß Höhe.

Endlich erreichten wir die Mündung des Mira – die boca grande, mit einem kleinen erbärmlichen Fischerdorf daran, hielten uns aber dort nicht auf, sondern über den Strom hinüber wieder innerhalb der außen tobenden Brandungswellen, die aber doch ihre Schwellungen und Wogen bis hier hereinwarfen und uns tüchtig hin und her schaukelten.

Von da ab mußten wir uns wieder durch die Esteros halten, in denen uns die Flut manchmal günstig, manchmal ungünstig war, so daß wir dann nur höchst langsamen Fortgang machen konnten. Meine beiden schwarzen Burschen überarbeiteten sich ebensowenig, sondern ließen es langsam an sich kommen, und als wir dann endlich in die Manglaren eindrangen und uns dem Pailon näherten, war es schon tiefe Nacht geworden. Hier übrigens war ich nicht gesonnen, noch einmal zu übernachten, außerdem hatte die Flut gerade eingesetzt, die uns, mit Ausnahme eines einzigen Esteros, günstig war, und weiter ruderten wir in die Nacht hinein. Ich kann mich aber kaum einer Zeit erinnern, daß mir so sonderbar, so wunderlich zumute gewesen wäre, als an dem Abend. War denn das alles Wirklichkeit? Um mich her in den Manglaren schnalzten und raschelten die Krabben und rauschte das Wasser durch die verschlungenen Wurzeln, da drunten in der Flut tönte der eigentümliche, sonst nirgends gehörte Orgelton der »singenden Fische«, während drinnen – weit drinnen im Walde die »verlorene Seele« ihre klagende Weise sang.

Tausende von Meilen hatten lange Jahre hindurch zwischen mir und diesen Stellen gelegen und nur in der Erinnerung die dort erlebten Szenen fortbestanden, und jetzt – plötzlich fast, sah ich mich wieder mitten hineinversetzt in alles das, was ich kaum je geglaubt aufs neue zu schauen, sah ich mich wieder im vollen Bereich all jener wunderlichen Landschaften und Gruppen, und nicht möglich wär' es mir, zu beschreiben, was ich dabei fühlte.

Jetzt bogen wir in den Pailon ein und glitten langsam mit der Flut in dem breiten, von Manglaren besetzten Kanal hinauf – höher und höher, bis er die Biegung rechts nach dem Lorenzo machte; jetzt glänzten von dort aus den einzelnen Häusern Lichter herauf, und nun bogen wir in dieselbe Bucht ein, an der mein Haus, meine Palmen standen – oder stehen sollten.

Wie fremd – wie wüst das alles aussah! Draußen auf der Spitze der kleinen Landzunge, der sogenannten Punta, stand ein unnatürlich hohes, aber durchsichtiges Gebäude und jedenfalls unbewohnt. Das war kein Haus eines Eingeborenen; was um des Himmels willen konnte es sein? Und wo war mein eigenes Haus? wo waren meine Palmen? Der Platz lag öde und mit hohen Büschen dicht überwachsen.

Das Kanoe glitt in die kleine Bucht jetzt mit höchster Flut hinein – dort stand noch ein altes Haus, das ich von früher kannte, und dort mußten wir jedenfalls übernachten und unsere Sachen ins Trockene bringen, da es eben wieder zu regnen anfing. Ich reichte die Gegenstände aus dem Kanoe, die Neger trugen sie die Uferbank hinauf und in das Haus hinein, wo indes die Leute schon alle schliefen und von uns gar keine weitere Notiz genommen wurde. Wir mochten uns droben für die Nacht so gut einrichten, wie wir eben konnten – die Eigentümer des Hotels hatten nichts dagegen.

Ich folgte zuletzt mit meiner Büchse und meinem Bett (Hängematte und Poncho), kletterte den schlüpfrigen Hang hinauf, fand die Leiter, die am Hause lehnte, und fühlte oben auf den feuchten glatten Dielen aus gespaltener und schwankender Palmenrinde nach einem Platz, wohin ich mich die Nacht legen konnte. In der Dunkelheit war es nämlich nicht möglich, eine passende Stelle für meine Hängemate zu finden, denn wohin ich griff, traf ich auf ausgespannte Toldos oder Moskitonetze. Schönes Entree in Pailon, fast ähnlich dem meines Betretens dieser Ufer. Ein dunkler, beengter Raum, in dem ich des jetzt niederströmenden Regens wegen Schutz suchen mußte – überall, wohin ich tappte, feuchte, fremdartige Gegenstände – auf dem Boden Schmutz, in der einen Ecke das Schreien irgend eines Kindes, das ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen, und dazu der peitschende Regen auf das Dach nieder. Aber ich war gegen derartiges, was einen anderen Europäer vielleicht zur Verzweiflung getrieben hätte, schon lange abgestumpft.

Einen Platz zum Hinlegen konnte ich nicht einmal finden, denn der kleine, offengelassene Raum war noch durch unsere Sachen beschränkt worden. Kurz entschlossen nahm ich deshalb auch, wo ich stand, meinen Poncho aus der Hängematte, wickelte mich hinein, drückte, so gut es gehen wollte, die zusammengeballte Hängematte hinter mich und kauerte mich dann an derselben Stelle, den Kopf gegen Gott weiß was gelehnt, nieder.

Draußen heulte der Wind, und der Regen schlug klatschend auf die Palmenblätter des Daches nieder, unter dem Haus drängten sich ein paar Kühe zusammen und gerieten dabei in ein altes Kanoe, das dort faulte, und über das sie hinstolperten, während die Hunde der Nachbarhäuser bellten – im Hause schrie das unbekannte Kind und schnarchte irgend eine unbekannte Person, und die beiden Neger, die jetzt ebenfalls für sich einen Schlafplatz finden wollten und nicht wie ich den ersten besten genommen hatten, auf dem sie gerade standen, traten und fielen ein paarmal über mich weg und wischten ihre Füße an mir ab.

Plötzlich war alles wie mit einem Schlage still. Der Regen hörte so abgebrochen auf, wie er angefangen. Das Kind schrie nicht mehr, was den unbekannten Schnarcher jedenfalls halb erweckte, so daß auch er seine Musik einstellte. Die Kühe unten hatten das Haus verlassen – selbst die Hunde schwiegen. Hop! hop! hop! – – hop! hop! hop! hop! – hop! – hop! – klang es oben vom Dach des Hauses nieder – es waren meine alten Freunde, oder vielleicht die Urenkel derselben, die weißen, langbeinigen Frösche des Pailon, die dort, nach vorübergegangenem Regen, ihr gewöhnliches Abendlied sangen, – und sssssssssss – siehst de – siehste de – fielen die großen braunen Grillen ein – siehste – siehste – siehste – sssssssss – Und dann begannen die Hähne im ganzen Orte, die das von elf Uhr abends an alle zwei Stunden regelmäßig besorgen, zu krähen, die Hunde antworteten ihnen, und wie im Traum hörte ich nur noch von der Bai herüber den leisen, eintönigen Orgelton der Fische und den heiseren Schrei eine Nachtvogels, der um den kleinen Ort herum nach der Bai hinausstrich. Dann fielen mir die Augen zu, und nur noch halb zwischen Schlaf und Wachen hörte ich das monotone hop, hop, hop, hop der Frösche weiter.

Als ich am anderen Morgen erwachte, war es heller Tag, und mein erster Blick von der Tür hinab galt der leeren Stelle, wo mein Haus gestanden. Es war unmittelbar daneben, wo wir uns jetzt befanden. Keine Spur davon war aber mehr zu erkennen – es mußte gewaltsam abgerissen sein, oder die Pfosten wären wenigstens geblieben. Auch von den dort gepflanzten Palmen war nichts mehr zu sehen, und an dem Platz nun wuchsen die prachtvollsten Rhododendrons mit den großen, rötlich weißen gefüllten Blütenvasen und überwucherten ihn vollkommen. Darüber hinaus aber stand das hohe Gebäude, das mir schon gestern abend aufgefallen, und darunter – eine kleine Dampfmaschine – die Sägemühle, die Herr Flemming hier herausgeführt. Aber das übrige Städtchen? Der ganze Ort schien verwandelt. Kein Haus stand mehr an der nämlichen Stelle, und Büsche und Sträucher waren überall dazwischen aufgewachsen, während eine Anzahl von Kühen und Hunden den Oberbefehl zu führen schienen.

Ich hatte mich so auf San Lorenzo und die alten Plätze gefreut und sah mich jetzt in einem vollkommen fremden Ort, wo nur das eine Haus, in dem ich mich gerade befand, das nämliche geblieben schien und auch noch seine alten Besitzer, die Familie Bustos, hatte. Die Frauen kamen jetzt unter ihren Toldos vor – sie kannten mich wieder und begrüßten mich freundlich – die eine war die Frau desselben Mannes, von dem ich damals mein Haus gekauft, der Mann aber indes gestorben. Wie ging es Miguel, den wir den Pater nannten? – Der ist seit acht Monaten tot. – Bishop, Sheene, Wille? – Tot. – Martinez? – Fortgezogen. – Die beiden Amerikaner? – Tot; sie hatten sich totgetrunken. – Manuel? – Fort. – Die Indianer? – Tot! – Wahrhaftig, mir verging die Lust, weiter zu fragen, und ich beschloß lieber selber nachzusehen, ob ich nicht vielleicht noch einige von meinen alten Bekannten auffinden könne. Was aber war aus meinem Haus geworden? – O, das hatte der Agent der Kompagnie dem Deutschen Wille – einem Schuft ersten Ranges, oder Verrückten, wie ich eher glaube, denn er brachte seinen eigenen Vater um – überlassen; er behauptete, daß ihm die Sorge für dasselbe übertragen sei, und Wille hatte es dann dort hinüber wo es jetzt noch, aber ganz verändert stand, gesetzt.

Und wie es sonst am Pailon aussah?

Schlecht – es war nichts zu essen da. Die Kühe hatten alle Platanares und Zuckerfelder zerstört und die Fenzen dabei niedergerissen – kein Mensch baute sie aber wieder auf, denn es half doch nichts.

Und wie konnten sie leben?

Ja, das wußten sie selber nicht, und sie hätten auch große Lust, hier fortzuziehn – die meisten wären schon gegangen. Es stehe jetzt recht bös mit dem Pailon.

Mitten in dem kleinen Ort stand ein einzelnes Haus mit einem Garten, das sich von den übrigen durch seine Höhe und bessere Bauart, wenn auch aus dem nämlichen Material, auszeichnete. Dort wohnte, wie mir die Leute sagten, der Deutsche, »der die Maschinen hergebracht«. – Dorthin ging ich jetzt, nachdem ich mich erst an meiner alten Badestelle ordentlich abgewaschen und gereinigt, und fand auch Herrn Flemming, dessen Maschine heute, als an einem Sonntag, nicht arbeitete, zu Hause. Er begrüßte mich auf das freundlichste und lud mich augenblicklich ein, in seinem Hause zu wohnen, was ich mit Dank annahm, da ich ja selber an die Luft gesetzt war und lieber im Walde als bei den Eingeborenen geschlafen oder gegessen hätte. Dort konnten wir auch die jetzigen Verhältnisse des Pailon ruhig besprechen und von dort aus die verschiedenen Leute aufsuchen, bei denen ich außerdem Erkundigungen einziehen wollte.

Herr Flemming hatte seine junge Frau mit an den Pailon gebracht – jedenfalls ein etwas gewagtes Unternehmen, wo die Verhältnisse noch so im Urzustand liegen, daß ein englischer Matrose sämtliche Taufen besorgt und keine einzige Dame auf Hunderte von Meilen in der Nähe ist, mit der sie eine Unterhaltung haben könnte. Ebenso fehlt es an einem Arzt wie einer Apotheke, und in der Tat hat sich der Pailon, seit ich ihn im Jahre 1860 besuchte, nicht allein nicht verbessert, sondern, mit Ausnahme der Sägemühle und eines kleinen Ladens, wirklich verschlechtert – ja, verschlechtert im schlimmsten Sinne, wenn ich die Bewohner des Orts selber ansehe. Früher wohnte nur ein Neger hier, ein gewisser Pablo, ein richtiger Lump, der später in Concepcion gestorben ist; die übrigen Familien bestanden teils aus Ecuadorianern, teils aus Indianern, eine gemischte Rasse, und während des Krieges in Neu-Granada hatten sich auch noch einige anständige Neugranadienser hierher geflüchtet – und was war jetzt das Resultat eines flüchtigen Zensus? Zwei gebildete Leute: der Deutsche und ein Ecuadorianer, namens Flores, der Sohn des berühmten Generals – außerdem zwei englische Matrosen, die eine Familie Bustos und eine andere Bustamente als Halbindianer, und alles übrige Neger, Neger, Neger oder ihre Abkömmlinge und Seitenrassen. Sämtliche Familien dabei, die deutsche ausgenommen, in wilder Ehe, und weshalb das alles? – Weil – vielleicht durch ein unglückseliges Zusammentreffen von Umständen – vielleicht durch die konkurrierende Langsamkeit der Kompagnie wie der Ecuadorianer selber – der Weg in das Innere, der dem Platz allein Leben verleihen kann und muß, noch nicht in Angriff genommen, oder wenn so, nach kurzer Zeit unvollendet gelassen wurde.

Noch ist die Möglichkeit da, das alles zu verbessern – bis jetzt ist nur Zeit und weiter nichts verloren, und wenn auch die versäumten Jahre nicht wieder eingebracht werden können, so wäre man doch imstande, heute noch ebenso zu beginnen, wie damals, als ich den Pailon verließ, aber – es muß eben etwas geschehen, und ich hoffe von Herzen, daß meine Anwesenheit am Pailon von guten und segensreichen Folgen für den kleinen, einst so reizenden Ort sein mag.

Es ist wirklich einer der hübschesten und gesündesten Punkte an der ganzen Küste. Von Hitze haben die Bewohner desselben wenig oder gar nicht zu leiden, ja die Nächte sind sogar so kühl, daß man sich fest in seine Decke einwickeln muß – Ungeziefer gibt es sehr wenig – ich habe die ganze Zeit ohne Moskito-Netz geschlafen und bin nie belästigt worden, und nachmittags wie nachts bestreicht eine frische Brise das ganze Ufer. Es regnet viel, das ist richtig, und Mangrove-Sümpfe dehnen sich nach wenigstens drei Seiten aus, aber der Regen hat in dem warmen Klima nicht das Unangenehme, das er bei uns hat, und die Mangrove-Sümpfe dünsten keine giftigen Schwaden aus, weil sie alle zwölf Stunden vollständig von der See frisch abgewaschen und damit auch gründlich gereinigt werden. Böse Krankheiten sind deshalb bis jetzt auch noch gar nicht hier vorgekommen. Das Land kann dabei alles produzieren, was man ihm anvertraut, von den edelsten tropischen Gewächsen an der Küste bis zu unseren nordischen Feld- und Hülsenfrüchten in den südöstlich und östlich gelegenen Regionen. Der Kakao und die Vanille wachsen wild und können also mit der leichtesten Mühe auch gezogen werden, der Kaffee selbst gedeiht vortrefflich, sogar im tiefen Lande, und ein Mann, namens Nahar, will jetzt eine größere Kaffeeplantage im Innern anlegen. Gummielastikum-Bäume und andere, die ein für die Medizin wertvolles Harz geben, wachsen im Wald in solcher Masse, daß man den Zentner desselben zu einem spottbilligen Preis bekommen kann. Der edle Chinabaum findet sich ebenfalls, wenn auch hier nicht so häufig, doch steht seiner Vervielfältigung nichts im Wege. Zuckerrohr verlangt fast keine Pflege, deutsche Gemüse selbst gedeihen an der Küste, wenn auch ihr Samen ausartet und immer frisch bezogen werden muß, und welche prachtvollen, herrlichen Hölzer füllen die Wälder. Unschätzbare Reichtümer öffnen sich aber, wenn erst ein Weg den Eingang zum Innern bahnt – Goldminen liegen nach rechts und links in den Bergen, und selbst die dicht dabei befindlichen Cayapas-Indianer waschen Gold. Was für sonstige Erze die Berge enthalten, ist noch nicht einmal untersucht, und das Land im Innern, aber von der See durch bis jetzt unwegsame Wälder getrennt, so dicht bevölkert und bebaut, daß eine spätere Ausfuhr von dort noch gar nicht zu berechnen ist.

Ich meines Teils bin fest überzeugt, daß eine sich bildende Aktien-Kompagnie, die einen ordentlichen Weg durch diese Strecke anlegte, sogar gute Geschäfte mit dem Weg selber machen würde, aber die Ecuador-Land-Kompagnie wird und kann sich auch diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, denn sie allein hat in dem Verkauf ihrer Ländereien und Bonds den größten Gewinn aus dem Unternehmen zu erhoffen.

Doch das sind alles Träume! Solange der Pailon nicht durch eine Straße mit dem Innern verbunden ist, wird und muß er nur ein elendes Fischerdorf bleiben, in dem ein paar Menschen wohl vegetieren, in dem sich aber nur Indianer und Sieger glücklich fühlen können.

Mir schien mein Häuschen damals ungemein romantisch, da sein ganzer Haushalt nur aus einem Kochtopf, einem Teller, zwei Kalabassen, einer Harpune, Angel, einem Ruder und einem alten Faß als Stuhl bestand. Mehr besitzen aber auch die jetzigen Bewohner des Ortes nicht, die mit ihrer Frau und einer unbestimmten Anzahl von Kindern einen solchen Platz bewohnen. Es gibt auf der Welt nichts Ärmlicheres, als einen solchen ecuadorianischen Haushalt, und wenn man sich denken soll, eine ganze Lebenszeit auf solche Art zu vegetieren, so läßt sich das wohl sehr erbaulich und verführerisch in einem Roman beschreiben, ist aber für einen gebildeten und einigermaßen an etwas Besseres und Höheres gewöhnten Menschen völlig undenkbar.

Nur einzelne Matrosen fühlen sich unter solchen Umständen wohl, denn sie sind an nichts Besseres gewöhnt, und die Hütte ist nur ein vergrößertes und luftiges Vorcastle, die Kost selbst eine Verbesserung gegen Salzfleisch und harten Schiffszwieback, und diese halten es auch am ersten an solchen Orten aus, ja fühlen sich sogar wohl darin.

Prachtvoll ist die Szenerie, das läßt sich nicht leugnen. Die Natur hat alles für diese Länder getan – der Mensch nichts, und die Natur tut nur manchmal ein wenig zu viel, denn es ist keine kleine Arbeit, sich nur durch einen solchen Urwald Bahn zu hauen. Es gibt kaum etwas Schöneres auf der Welt als diese kleinen Buchten am Pailon, wo sich die Manglaren etwas höherem Land öffnen und schlanke Palmen mit breit- und glänzendblattigem Unterholz, mit blumigen Lianen und wunderlich geformten Orchideen die untere Staffage bilden. Aber der Mensch kann – so prosaisch das auch klingen mag – doch von keiner schönen Gegend leben – ausgenommen die Wirte in der Nähe eines Badeorts. Die Phantasie hat allerdings ihr Recht – für das Menschengeschlecht im allgemeinen für Mußestunden (ausgenommen Schriftsteller), aber das Leben selber ist ernst und verlangt ernsten Willen und Fleiß, um sich seinen Platz darin zu erkämpfen.

Mit einer nicht hoch genug anzuschlagenden Ausdauer hat sich aber trotzdem unser Landsmann – und noch dazu ein ganz junger Mann, der Sohn der bekannten Verlagsbuchhandlung Flemming, am Pailon festgesetzt und kämpft wacker gegen alle sich ihm in den Weg stellenden Schwierigkeiten – und deren sind in der Tat nicht wenige. Er hat nicht allein viele natürliche Hindernisse zu besiegen, sondern besonders einen gefährlichen Feind in der entsetzlichen Indolenz der Eingeborenen, die eben nur für den Tag leben und auf nichts weiteres hinausdenken. Hat so ein Bursche seine 4-5 Dollars verdient, so hält er sich für einen reichen Mann und denkt gar nicht daran, weiterzuarbeiten, bis nicht dies für jetzt angesammelte Vermögen auch vollständig wieder aufgezehrt ist. Und selbst das würde nichts ausmachen, gäbe es dort nur genügend Arbeiter, um mit ihnen zu wechseln. Aber sie fehlen. Unpassende Maßregeln der Agenten haben die meisten vertrieben – Lebensmittel sind nicht zu kaufen, sondern müssen durch lange und zeitraubende Kanoefahrten herbeigeschafft werden, und die nötigsten Arbeiten bleiben natürlich unter solchen Umständen liegen. Man kann auch wirklich nur sagen, daß die Bewohner eines solchen Ortes in Südamerika – mag er einen Namen haben, welchen er will – leben. Sie haben von Zeit gar keinen Begriff, denn der morgende Tag, so lange sie eben nicht hungern, ist ihnen das nämliche, was der heutige ist, und wie jemand überhaupt Zeit versäumen kann, geht vollständig über ihren Horizont. Europäer kommen deshalb nur schwer mit ihnen aus, wenn sie nicht schon halbe Südamerikaner geworden sind, um das volle Gewicht des einen kleinen Wörtchens » paciencia« zu begreifen und zu verstehen, aber dann müssen sie auch vollständig darauf verzichten, vorher Berechnungen über etwas zu Leistendes zu machen.

Daß ich am Pailon wieder einmal eine kleine Jagdtour versuchte, läßt sich denken, und ich fand den Wald noch ebenso wild und so naß, als ich ihn verlassen – aber auch ebenso schön und üppig, und man kann annehmen, daß man bei einer solchen kurzen Tour, nur um sich Bahn zu hauen, nach dem Wert, den die Pflanzen bei uns haben würden, etwa für 20 000 Taler junge Palmen, Schlinggewächse, Orchideen und andere wertvolle Blütenbüsche zerstört. Eigentlich wollte ich eins der wilden Schweine schießen, bekam aber keins zu Gesicht, und nur einen jener schönen und herrlich schmeckenden Vögel von der Größe unseres Truthahns, den Paucchi, den ich erlegte. Der Indianer, den ich mit hatte, verstand es dabei, die kleinen, dem coneja ähnlichen Tiere, die flüchtig wie die Hasen laufen, aber eher zum Geschlecht der Hamster gehören, mit seiner Pfeife herbeizulocken. Er rief vier von ihnen an, wonach er aber trotzdem, daß ich ihn warnte, nie nach dem letzten Ruf noch eine kurze Zeit warten wollte. Jedesmal deshalb, wenn wir wieder den ersten Messerhieb in einen Busch taten, pfiff das angelockte Tier seinen Warnungsruf, ganz nahe bei uns, herüber, und verschwand dann spurlos im Dickicht, ohne daß wir auch nur ein einziges zu sehen bekamen.

Eine Fischerei, die wir abhalten wollten, verunglückte an der entsetzlichen Faulheit und Nachlässigkeit der dabei Beteiligten, welche die Vorstellhölzern, trotzdem daß ich sie darauf aufmerksam machte, nicht gehörig instand setzten. Alle unsere Mühe und Arbeit wie Geldauslage waren vergebens. Wir bekamen auch nicht einen einzigen Fisch zum Lohn. Aber so sind die Leute in dieser wie in jeder anderen Sache; man kann sich nie auf sie verlassen; solange man mit ihnen arbeitet oder sie doch wenigstens überwacht, geht es noch allenfalls an, läßt man sie aber auch nur für einen Moment aus den Augen, so kann man sich auch fest darauf verlassen, daß sie sich entweder ruhig unter einen Baum legen und ausschlafen, oder auch in völliger Gedankenlosigkeit an irgend eine andere ihnen gerade einfallende Arbeit gehen, – und davon habe ich selbst Proben in der kurzen Zeit meines dortigen Aufenthalts gehabt.

Gern hätte ich eine Tour in das Innere des Landes gemacht, um manche alte Freunde dort auszusuchen, aber ich fürchtete mich vor dem entsetzlichen Wege, der noch genau so in Schlamm und Wasser liegt, wie vor sieben Jahren. Von Quito hörte ich übrigens durch Sennor Flores, der es noch nicht so lange verlassen, daß es sich auffallend zu seinem Vorteil verändert habe. Als ich es damals besuchte, war es das schmutzigste, erbärmlichste Nest, das man sich unter einer Hauptstadt nur denken kann, und Schmutz und Unrat nahmen mit jedem Tage mehr überhand. Da wurde Garcia Moreno Präsident des Landes, und unter seiner starken, wenn auch oft grausamen Hand schuf sich in Quito wirklich ein neues Leben. Die Stadt wurde gründlich gereinigt und – was mehr ist – durch strenge Befehle reinlich gehalten. Die Plaza, die früher eigentlich einem großen Stall glich, wurde mit schönen Anlagen und Bäumen versehen. Gute Hotels entstanden. Fremde zogen sich her; die durch das Erdbeben verursachten Schäden, besonders an den Kirchen, wurden ausgebessert, der noch von jener Zeit her in den Straßen lagernde Schutt weggeschafft, kurz, der Platz auf eine Art restauriert, die man früher in Ecuador nicht für möglich gehalten hätte.

Nach Garcia Moreno kam allerdings ein anderer Präsident, und ich weiß nicht, ob dieser so gewissenhaft über die Arbeiten seines Vorgängers wachte, aber das Land hat sich seiner schon wieder entledigt, weil er, wie man sagt, in vielen Fällen mit Garcia Morenos Grausamkeit verfuhr, ohne dessen Intelligenz und Geist zu besitzen. Jetzt gerade hat das Land gar keinen Präsidenten, aber man glaubt allgemein, daß Garcia Moreno wieder vom Volke gewählt und dann die Wahl auch wohl annehmen wird – was jedenfalls das Beste für den sonst nie zur Ruhe kommenden Staat wäre.

Am Pailon besuchte ich natürlich in verschiedenen Richtungen die nächste Umgebung desselben; aber es ist wirklich traurig, welche Verwüstungen die Kühe da angerichtet haben. Wo sonst reich tragende Platanare standen, die den Bewohnern des kleinen Ortes hinreichende Nahrung gaben, liegen jetzt wüste, verödete, zum Teil auch schon mit Büschen überwachsene Wildnisse, die aufs neue bedeutende Arbeit erfordern, wenn sie wieder nutzbar gemacht werden sollen. Die Kakaoanpflanzung hat sich noch am besten gehalten, obgleich auch darin viele Bäume eingegangen sind. Verbesserungen schienen aber nirgends vorgenommen zu sein; nicht einmal die früheren Pfade wurden instand gehalten und führen jetzt, durch umgestürzte Bäume gestört, so im Zickzack und in Windungen selbst nach dem Badeplatz am Nadadero hinüber, daß man kaum imstande ist, ihnen ohne Kompaß zu folgen. Ich würde den Platz – wenn nicht vom Gegenteil überzeugt, auch für aufgegeben gehalten haben, und alle die vielen fremden Gesichter, deren Inhaber größtenteils faul in ihren Häusern lagen, machten auf mich einen nichts weniger als freundlichen Eindruck. Doppelt peinlich wurde derselbe aber, wenn ich mir dachte, wie anders das alles hier aussehen könnte, wenn die Leute, welche die Mittel dazu besitzen, ihm zu helfen, auch das Land selber kennten. So aber verträumt es nur unter seinen Blumen und Palmen die Zeit, und der Zauber, der es zum Leben wecken könnte, ist nicht etwa ein junger, verirrter Prinz, der es zufällig unter den Blüten, und unbewußterweise das rechte und sehr natürliche Mittel in einem Kuß findet, – sondern es heißt prosaischerweise Geld. Diamant kann nur mit Diamant geschliffen werden. Geld muß in diesen Weg hineingesteckt werden, um ihn Geld tragen zu machen, und erst, wenn dies geschieht, blüht für das nördliche Ecuador eine Zukunft.

Nachdem ich mich so an dem alten Pailon in der Zeit meines dortigen kurzen Aufenthaltes nach Kräften selber umgesehen und alles gehört hatte, was jeder einzelne der Bewohner darüber zu sagen wußte, rüstete ich mich wieder zur Rückfahrt, denn helfen konnte ich hier doch nichts weiter, als die, in deren Hand es wirklich lag, zur Hilfe anzuregen. Ich glaube, daß ich das getan, und will nun sehen, welche Folgen es haben wird.

Von San Lorenzo aus bekam ich nicht so leicht Leute nach Tumaco, als von dort nach hier, denn die Männer konnten ihre Familien nicht auf vier bis fünf Tage verlassen, ohne vorher genügende Lebensmittel, d. h. Platanares, für sie anzuschaffen. Endlich fand ich aber doch zwei junge Leute, und mein jetziger Lotse, ein mit der See vollkommen vertrauter Mann, versicherte mir auch, daß wir nicht den mühsamen Weg durch die Esteros zurückmachen, sondern gleich hinaus in die See halten würden, um die Fahrt außen herum zurückzulegen.

Gern wäre ich noch einige Tage in der freundlichen Familie des Herrn Flemming geblieben, und auch der junge Flores zeigte sich mir als ein liebenswürdiger, in jeder Hinsicht freundlicher Genosse, aber ich hätte dann noch volle vier Wochen aushalten müssen, da der Dampfer nur einmal im ganzen Monat vorbeipassiert und Segelschiffe sehr selten gehen und dann auch sehr lange Zeit zu der Fahrt brauchen. Der Nutzen aber, den ich jetzt noch und gerade gegenwärtig bringen konnte, hätte mit der Zögerung nicht im Verhältnis gestanden, und an einem wundervollen Morgen, wobei ich bemerken muß, daß es während der Zeit meines Aufenthaltes am Pailon diesmal sehr wenig regnete, glitten wir, just mit Tagesgrauen, wieder die Bai hinab und dem offenen Meer entgegen.

In San Pedro oder vielmehr an der gegenüberliegenden Spitze hielten wir kurze Zeit, um ein Gewitter vorüberzulassen, das uns gerade entgegenzog und ungünstigen Wind brachte, aber es drehte seitwärts ab, und bald konnten wir mit geblähtem Segel und bei günstiger Brise unser kleines Kanoe gerade der Punta de las Manglares entgegenhalten. Doch nicht lange; um Mittag schlief der Wind ein und wurde nachher ungünstig, ja kam uns zuletzt so gerade entgegen, daß wir das Land anlaufen mußten, um dort zu übernachten und nicht wieder zurückgetrieben zu werden.

Den Abend fand ich noch Gelegenheit, eine Menge verschiedener an den Strand gespülter Samen zu sammeln, und am nächsten Morgen mit Tagesanbruch setzten wir unsere Reise fort.

Die Fahrt war reizend, und das Kanoe allerdings nicht so sehr groß, aber doch an jeder Seite mit einer Balsa oder einem Stamm sehr leichten Holzes versehen, so daß es, selbst weit draußen in See, nur sehr selten eine Kleinigkeit Wasser übernahm. Wir tanzten auch ganz prächtig in einer ziemlich langen Dünung hin, und als sich noch dazu eine frische Brise erhob, und wir das Segel setzen konnten, wurde es wirklich eine herrliche Fahrt. Die See hob sich allerdings ein wenig und zeigte schon hier und da kleine, spritzende, weiße Kämme, und manchmal, wenn der Wind das leichte Fahrzeug faßte, hob er es ordentlich bis auf die äußersten Spitzen der Wogen und schaukelte es herüber und hinüber; aber die Balsas hielten es sicher, daß es nicht umschlagen konnte, und gegen Abend endlich – wobei ich noch einen tüchtigen Fisch an meinem nachschleifenden Perlmutterhaken fing – liefen wir in den schmalen Kanal zwischen Tumaco und dem Festland ein, und bald darauf legen wir, bei höchster Flut, die nur wenig Raum zwischen dem Strand und den Häusern ließ, vor meinem früheren Nachtquartier an.

Der Dampfer wurde erst den nächsten Tag erwartet, und es war mir gerade recht, daß ich eine kurze Zeit – und wenn ich sie auch nur nach Stunden zählen konnte – auf der kleinen freundlichen Insel verleben durfte.

Es ist auch kein gar so unbedeutender Platz, denn nicht allein daß ein Franzose, der den Haupthandel monopolisiert, weil er eben ein Kapital dazu besitzt, fast alle die im Innern, ja selbst in der Nähe an der Küste liegenden Plätze mit Waren versieht, es wird auch ein sehr bedeutender Fruchthandel auf Tumaco getrieben, und zahlreiche, den Mira herabkommende Kanoes bringen diese an Zwischenkäufer, die sie dann wieder auf dafür nachfragende Schoner verladen.

Tumaco ist dabei der Hafenplatz für die nicht unbedeutenden Goldminen von Barbacoes, und La besonders dort oben eine Menge von Kaufmannsgütern gebraucht werden, so bringt der Dampfer monatlich nicht allein eine bedeutende Fracht nach dem kleinen Ort (als er das letztemal heraufkam, weit über 700 Ballen und Kisten), sondern es werden auch von Tumaco besonders Chinarinde, Orchilla, Kautschuk und einige Nebenartikel verschickt, während Mehl, Salz, wie überhaupt alle Produkte einer nördlichen Zone, mit europäischen oder nord-amerikanischen Industriewaren dafür den Austausch bilden. Übrigens nimmt der Dampfer auch von hier nicht selten bedeutende Sendungen von Goldstaub mit, während die von Barbacoes nach Panama gehenden Handelsleute ihre Waren, die sie einkaufen, meist mit Goldstaub zahlen.

Nun sollte man allerdings denken, daß Tumaco ein kleiner, wirklich reicher Platz sein müsse, und Tatsache ist, daß von einzelnen Geld genug verdient wird. Wer aber von Fremden hierher geht, hält sich nur eben zu diesem Zweck hier eine Zeitlang auf, nimmt sich – solange er hier bleibt – in wilder Ehe eine eingeborene Frau, und lebt indessen, mit deren Hilfe, so ärmlich und einfach wie die übrigen Landeskinder auch. Wirklich dauerhafte oder nur mit Ziegeln oder Schiefer gedeckte Häuser findet man deshalb nirgends. Es ist alles nur temporär aus Bambus gebaut und mit Palmblättern gedeckt, nur sehr wenig Häuser mit Bretterwänden, und das Städtchen, bei dem die hohe Flut kaum einen Seitenweg zum Passieren läßt, macht deshalb auch keinen imposanten Eindruck, sobald man es erst einmal betreten hat – aber es sieht immer noch golden gegen Buenaventura aus, denn nicht eine einzige solche elende Hütte, wie sie dort halbe Straßen füllen, steht in der kleinen Inselstadt.

Seinen Deutschen hat aber Tumaco ebensogut wie Buenaventura oder jeder andere Punkt der bekannten Erde, wenn auch dieser Deutsche eigentlich ein polnischer Jude ist, der aber recht gut Deutsch spricht und mit einer deutschen Frau verheiratet ist. Sonst leben hier noch einige Franzosen, die recht gute Geschäfte machen, und dann ein Italiener. Engländer oder Amerikaner sind keine hier ansässig, sie halten sich meist im Innern in dem kleinen Städtchen Barbacoes, nahe den Goldminen, auf.


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