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8. Ellsworth) und Hermann

Den Rückweg bis Ellsworth, von wo aus erst wieder eine regelmäßige Bahnverbindung mit Personenwagen stattfand, mußte ich auf einem Schienenkarren, der natürlich nicht einmal einen Rand hatte, zurücklegen, und ich kann versichern, daß ich schon bequemer gefahren bin. Der leere Zug brauste mit ungeheurer Geschwindigkeit über die spiegelglatte und ebene Bahn, und die leichten Karren sprangen nur so auf den Schienen, daß man kaum imstande war, sich daran festzuhalten.

Eine Anzahl von Arbeitern ging mit auf dem Zug zurück, aber alle natürlich schwer bewaffnet, obgleich es noch nicht vorgekommen ist, daß die Indianer einen rückkehrenden Zug angegriffen oder belästigt hätten. Sie wissen recht gut, daß diese nichts für sie Wertvolles aus der Prärie mit zurücknehmen können, als die Waffen, die jeder einzelne darauf zu seiner Verteidigung führt, und hüten sich wohl, einer so gefährlichen Gesellschaft zu nahe zu kommen. Die Hauptgefahr ist stets mit den Güterzügen, und es ist dabei wohl keinem Zweifel unterworfen, daß sie gewöhnlich von nichtsnutzigem weißen Gesindel bei solchen Unternehmungen begleitet, wenn nicht ganz dazu verleitet werden.

Da der Zug erst ziemlich spät vom Ende des Trakts abgegangen war, erreichten wir Ellsworth, die Endstation, auch wieder erst mit einbrechender Dämmerung, aber mir blieb noch genügend Zeit, eine Wanderung durch die ganze Stadt zu machen und ein wenig das häusliche Leben dieser Region zu beobachten.

Häusliches Leben – du lieber Gott, schon das Wort wird durch den Namen eines solchen Grenzorts entweiht, und wenn ich im Jahre 18.. als ich die kalifornischen Minen besuchte, geglaubt hatte, dort wäre alles Gesindel, nicht allein aus der Union, sondern aus der ganzen Welt zusammengekommen, so verteilte es sich auch dort auf eine ungeheure Strecke, besonders durch die weiten Hügel und Berge des Landes und hinein zwischen die Goldsucher, die bald da, bald dort eine kleine Ansiedelung gründeten, während es sich hier allein auf dem einen und fast einzigen Punkt konzentrierte und das Unglaublichste leistete.

Wer hätte sich hier in diese Wüste hinein ein Haus oder Zelt gebaut, wenn er nicht Geld, und zwar so rasch es sein konnte, dabei verdiente; das aber war natürlich in ehrlicher Weise nicht so rasch möglich – kam ja auch gar nicht darauf an, und jedes Mittel wurde jetzt vorgesucht, um den Zweck zu erreichen.

Jedes Haus im ganzen Ort war ein Schenkstand – oder noch etwas Schlimmeres, denn liederliche Dirnen trieben sich dort in Masse herum, – in jedem Hause fast, die aber sämtlich nur aus Brettern aufgeschlagen waren, wurde Hazard gespielt, und man traf keinen Menschen in den breiten Straßen, der nicht wenigstens einen Revolver umgeschnallt hatte und ein langes Messer an der Seite trug. Gegen die Indianer wäre es aber hier wahrlich nicht nötig gewesen, denn Ellsworth zählte schon wenigstens 3000 Einwohner, und die Wilden würden nie daran gedacht haben, einen so fast nur von waffenfähigen Männern bevölkerten Ort anzugreifen. Aber unter sich gebrauchten sie diese kleinen Zeichen gegenseitiger Hochachtung, und ich glaube gern, was mir dort erzählt wurde, daß kaum ein Tag vergeht, an dem nicht wenigstens eine Mordtat vorfällt.

Die letztere war am Tage vorher an einem deutschen Brauer aus Leavenworth verübt worden, der im Sinn gehabt, sich da anzusiedeln, und dazu natürlich Geld bei sich trug. Er führte ein Maultier mit, das er neben seinem Zelt die Nacht angebunden gehabt – am nächsten Morgen war es verschwunden, und als er hinaus in die Prärie ging, um es zu suchen, lief er dem ihm auflauernden Gesindel in die Hände. Als er nicht zum Frühstück und Mittagessen kam, suchten ein paar Deutsche nach ihm und fanden ihn auch bald, draußen in der Prärie von zwei Kugeln durchbohrt, und seine Taschen, wie sich von selbst versteht, vollständig ausgeplündert.

Als ich durch Julesburg, von der anderen Bahn ebenfalls die Endstation, kam, hatte man gerade eine Art von Lynchjustiz an einem dieser Schufte zur Anwendung gebracht. Es war dies einer der Hauptrowdies gewesen, den alle Welt fürchtete und ihm aus dem Wege ging, weil man schon von ihm wußte, daß er mehr als eine Bluttat auf dem Gewissen hatte; dadurch aber wurde er zuletzt zu übermütig und trieb es zum Äußersten.

Von Missouri brachte er ein paar junge Mädchen herüber, denen er vorgelogen, daß er sie in seiner Familie und der eines Freundes unterbringen wollte. Beide waren noch sehr jung, und er baute darauf seinen teuflischen Plan. Eine aber entsprang ihm, als sie merkte, wie schändlich sie betrogen sei, und flüchtete in das Haus eines alten Amerikaners, dem sie mit Tränen ihr Unglück erzählte, und als der Bursche, der sie betrogen, frech genug war, sie von dort mit Gewalt wieder fortholen zu wollen, schoß ihm der Alte einfach eine Kugel durch den Leib, wonach er in etwa einer Stunde verreckte und dann gleich hinter der Stadt in der Prärie eingescharrt wurde. War doch alle Welt froh, ihn los zu sein.

Wunderliche Städte, die wie Pilze oft in einer Woche aus der Erde wachsen, so daß man – während kein Baum oder Stein, so weit das Auge reicht, in Sicht ist – gar nicht begreift, wo sie nur herkommen.

Aber sie stehen nicht etwa fest – o nein. – Jetzt noch liegen sie am Ende der Bahn, und was dafür gebraucht wird, hat auch zum großen Teil ihre Vermittelung nötig – aber morgen ist die Bahn schon wieder zwei Meilen voraus – in zehn Tagen zwanzig, und den Hauseigentümern zuckt es in den Füßen. Noch weiter draußen können sie am Ende mehr verdienen, wenn sie dort die ersten am Platze wären, und mit der Aussicht wird das Haus wieder abgebrochen, auf einen Schienenkarren oder selbst auf Wagen geladen und neben der Bahn hergefahren – und dieser voraus siedeln sie sich wieder mitten in der Wildnis an – um den Schienenstrang jetzt zu erwarten.

Und wie wird der unglückliche Wanderer an solchen Orten geprellt! Eine Mahlzeit, aus hartem Rindfleisch, Brot, Kartoffeln und einem Stück erbärmlichen Kuchen wie einer Tasse Kaffee bestehend, kostet 1¼ Dollar, ein Schluck Whisky der nichtswürdigsten Art 25 Cents, – eine erbärmliche Zigarre ebensoviel (7½ Sgr.) Schlafplätze sind dabei fast gar nicht zu bekommen, oder man muß sich mitten zwischen das Gesindel hineinlegen und dann abwarten, was einem bis zum nächsten Morgen gestohlen ist.

Der Leser soll um Gottes willen nicht glauben, daß ich hier zu schwarz schildere. Nur ein Blick auf diese wüsten Gestalten, die mit Revolver und Messer im Gürtel durch die Straßen taumeln oder an Schenktischen lehnend die gemeinsten und widerlichsten Flüche ausstoßen, und er würde mir recht geben, wenn ich ihm sage, daß ich diesem Gelichter selbst die Gesellschaft der schmutzigsten Indianer vorziehe.

Als ich von Ellsworth wieder nach den Staaten zurückfuhr, hatten wir vielleicht vier oder fünf von diesen Rowdies mit im Waggon, und mit keiner anderen Beschäftigung, amüsierten sie sich damit, stundenlang ihre Revolver aus dem Wagen heraus nach vorbeifliegenden Vögeln oder Steinen, ja auch wohl Telegraphenstangen zu probieren. Im Zug saßen aber auch zwei, die man erwischt hatte, und zwar mit zusammengeketteten Füßen und Händen – ein paar Falschmünzer, die jetzt von dem mit Revolvern förmlich besteckten Sheriff nach Leavenworth ins Gefängnis gebracht werden sollten. Übrigens wurden die beiden Verbrecher von den übrigen sehr kordial behandelt, und das war ein Fluchen, Lachen, Schreien, Trinken und Revolverschießen den ganzen Tag in dem Waggon, wobei sich noch dazu der Sheriff selber, ein junger verwilderter Bursche mit wohl fußlangen Haaren und einem breiträndrigen, riesigen Hute, als einer der schlimmsten zeigte.

Als die Nacht einbrach, streckte ich mich auf ein paar Bänken aus, um wenigstens ein paar Stunden zu schlafen, was aber kaum möglich war, bis wir endlich um elf Uhr etwa den Sheriff mit seinen Gefangenen und die übrigen Rowdies, die mit der Zweigbahn nach Leavenworth abgingen, los wurden. Ich blieb in dem Zug nach St. Louis, wollte aber nur mit bis zu dem deutschen Städtchen Hermann fahren, wo ich einen Tag zu bleiben gedachte.

Noch immer das wüste Getobe der halbtrunkenen Menschen in den Ohren, war ich endlich eingeschlafen und glaubte kaum eine Stunde so gelegen zu haben, als ich wieder geweckt wurde. – Ich fuhr in die Höhe.

»Station Hermann – wollten Sie hier nicht aussteigen?«

»Ich? – jawohl – das ist recht. Ist das schon Hermann?«

»Werden gleich da sein.«

Ich hatte ganz fest geschlafen und fortwährend dabei von den kaum durchlebten Szenen geträumt. Ich war in einer der Spielhöllen von Ellsworth gewesen, wo ein paar der Spieler in Streit gerieten und Revolver und Bowiemesser gegeneinander zogen und gebrauchten. Das rohe Fluchen der Burschen, das Knallen der abgefeuerten Waffen tönte mir noch in den Ohren.

Der Zug hielt.

»Machen Sie rasch – Sie sind der einzige Passagier hier, der aussteigt, der Zug hält nur eine Minute.«

Ich griff meine Büchse und Decke und meinen Bergsack auf und sprang vom Wagen in die morgenfrische Luft hinaus. In demselben Moment schon pfiff die Lokomotive, und der Zug glitt in den aufsteigenden Flußnebel hinein, während ich mich selber dicht am Missouri und einer kleinen freundlichen Häusergruppe gegenüber fand.

Wachte ich denn oder träumte ich noch fort? Eben kam ich frisch aus den wüsten, dürren Prärieen – kam ich aus einer Stadt heraus, wo man fast von nichts anderem als Mord und Totschlag sprach, und freche Reden und wüste Gestalten an der Tagesordnung waren; ja, wo ich gestern morgen um vier Uhr noch die Leute hatte in den Spielhöllen sitzen und Betrunkene fluchend über die Straße taumeln sehen, und jetzt? – Tannhäuser kann nicht mehr und nicht angenehmer überrascht gewesen sein, als er sich aus dem wüsten, wenn auch vielleicht sonst ganz angenehmen Venusberg an einem schönen Maimorgen in den Thüringer Wald versetzt fand, und wahrlich ähnlich – ganz ähnlich ging es mir hier.

Ich stand plötzlich mitten in einem kleinen freundlichen deutschen Städtchen, als ob es die Heimat für mich besonders aus dem Boden heraufgezaubert hätte. In regelmäßigen Straßen lagen reinliche, mit Ziegeln gedeckte und hell angestrichene Häuser, jedes von einem nicht großen, aber gut gehaltenen Garten mit einer Anzahl von Fruchtbäumen und Reben eingeschlossen.

Gänse gingen gemütlich in den Straßen spazieren und unterhielten sich – wie es sehr häufig Gänse tun – von dem, was sie in der letzten Nacht geträumt. Einzelne Kühe promenierten ebenfalls, und ein Trupp fetter Schweine kam vom Fluß herauf, wo sie wahrscheinlich eben ihren Kaffee getrunken hatten. Ein kleines Rudel Kinder lief jetzt, barfuß und die blonden Lockenköpfe bloß, vorüber und plauderte Deutsch miteinander, und fleißige Frauen standen schon, trotz der frühen Morgenstunde, mit dem Besen in der Hand vor ihren Türen und fegten den Gang vor ihren Häusern rein.

Dort drüben, über dem vorübergurgelnden Strom in der Niederung, stand der mächtige amerikanische Urwald mit seinen Riesenbäumen und dunkler Wildnis – aber hier wehte deutsche Luft – hier wirkte deutscher Fleiß und deutsches Behagen, und einen größeren Unterschied fand auch nicht Tannhäuser zwischen dem Venusberg und einer Thüringer Waldesschlucht, als ich zwischen Ellsworth und dem gemütlichen kleinen Städtchen Hermann.

Vor allen Dingen mußte ich nun natürlich erst meine Sachen unterbringen, und da ich keinen Menschen im ganzen Ort kannte, einen alten Bekannten von Cincinnati ausgenommen, dessen Wohnung ich aber selbstverständlich nicht wußte, so sah ich mich nach einem Hotel um, was ich auch gleich am Ufer oder in der ersten Straße fand. Dort quartierte ich mich nun allerdings ein, aber die Wirtschaft gefiel mir gleich vom ersten Moment an nicht – sie gab mir nämlich ein anderes Bild, als ich mir von Hermann gemacht. Es schien alles amerikanisch in dem Haus. Ein deutscher Junge, der den »Schenkstand« auskehrte, sprach nur Englisch – die Frau vom Haus war eine Amerikanerin, es schien eine etwas verworrene Wirtschaft. Der Wirt schlief auch noch und stand, wie mir der Junge sagte, nie vor acht Uhr auf – aber für den Augenblick blieb mir keine andere Wahl, und nachher konnte ich ja noch immer tun, was mich freute.

Es war noch sehr früh, aber ein alter Sattler hatte seine Werkstätte schon geöffnet und stand in seiner Tür. – Ich ging zu ihm. Er wohnte schon seit langen, langen Jahren hier, freute sich aber doch einen Deutschen zu sehen, führte mich in seinen von Fruchtbäumen und Sträuchern gefüllten Garten, und wir plauderten wohl eine Stunde über Deutschland und Amerika. Aber es ging ihm gut hier. Er hatte ein freundliches Besitztum und befand sich vortrefflich.

Von ihm hörte ich auch, daß Hermann in der Tat vollkommen deutsch sei, nur ein paar Amerikaner wohnten dort, und eine deutsche Zeitung hatten sie auch. Dort konnte ich ja dann auch alles erfahren, was ich noch sonst über den Platz zu wissen wünschte, und nachdem mir der freundliche Alte die Wohnung des »Herausgebers« genau beschrieben, machte ich mich auf, um zuerst einmal »das Handwerk zu begrüßen«.

Den Redakteur fand ich eben mit dem Setzen seines Blattes beschäftigt. Lieber Gott, die Verhältnisse der kleinen deutschen Zeitungen in Amerika sind nicht so glänzend, und es fällt deshalb gar nicht selten vor, daß der Redakteur sein Blatt nicht allein schreiben, setzen und drucken, nein, auch nachher noch kolportieren muß, wenn er nur seinen Lebensunterhalt damit erzielen will.

Ich war fremd in Hermann, das ich zum erstenmal in meinem Leben betreten hatte; wie ich aber an dieser Stelle kaum meinen Namen genannt, kam es mir fast so vor, als ob ich dort schon seit zehn Jahren ansässig gewesen wäre, denn der freundliche Herr ließ augenblicklich seine ganze Arbeit im Stich, zog seinen Rock an, setzte seinen Hut auf, nahm mich dann unter den Arm und hatte mich, kaum eine Stunde später, der ganzen Stadt vorgestellt. Augenblicklich wurde dann die Einteilung des Tages festgestellt, denn da ich nur den einen Tag auf Hermann verwenden konnte, sollte ich wenigstens das Wichtigste dort sehen, und das sind jedenfalls die Weinberge und Weinkeller in der Nachbarschaft.

Aus meinem deutsch-amerikanisierten Wirtshaus quartierte ich mich indessen gleich nach dem Frühstück aus, und zwar augenblicklich, als ich den eben aufgestandenen Wirt gesehen hatte, der den Bart, nach amerikanischer Weise, nur von unten herauf bis zum Rand des Kinnes trug und Tabak kaute und spukte. – Ich hatte genug und zog in ein anderes Gasthaus in die Stadt hinein, wo ich wirklich echt Deutsche fand.

Meinen alten Bekannten aus Cincinnati traf ich erst spät am Abend – er war sehr früh in seinen Weinberg hinausgegangen, und da ich schon früher gehört hatte, daß ein Herr Pöschel hier ziemlich der älteste Weinbauer sei und seine Weinberge und Keller vortrefflich imstande halte, auch außerordentlich viel Wein versende, beschloß ich, diesem den ersten Besuch abzustatten.

Trotz der ziemlich heiß brennenden Sonne erboten sich gleich mehrere Deutsche auf das bereitwilligste, mich zu begleiten und mir alles zu erklären, was ich zu wissen wünschte, und unter diesen war besonders ein fideler Kupferschmied, der augenblicklich, wie der Redakteur seinen Setzkasten, so seine Pfannen im Stich ließ und mit uns in die allerdings etwas heißen Berge hineinstieg.

Die Gegend um Hermann eignet sich ganz vortrefflich zum Rebenbau, denn die nicht zu hohen, wellenförmigen Hügel fassen die Sonne von allen Seiten und bieten außerordentlich günstige Lagen – aber welche Arbeit hat das auch gekostet!

Ein Amerikaner würde es sicher nie unternommen haben, diese anscheinend trockenen Hügel noch dazu mit einem Stock zu bebauen, der in den ersten Jahren nicht allein gar keinen Nutzen, sondern nur schwere Arbeit sicherte; aber die Deutschen ließen sich dadurch nicht irre machen. Sie waren an schwere Arbeit gewöhnt, und mit dem Weinbau selber genau bekannt, wußten sie sich eines Erfolges auch ziemlich sicher.

Bis jetzt ist aber doch alles, was sie gemacht, nur ein Versuch zu nennen, wenn sich auch diese Versuche selbst schon trefflich gelohnt haben. Es gilt noch immer die Sorten Wein auszuprobieren, die nicht allein hier am besten gedeihen, sondern auch den größten und reichsten Ertrag liefern, und damit ist man noch nicht recht im klaren.

Herr Pöschel war so freundlich, uns vor allen Dingen in seinen tief in den Felsen gehauenen Keller zu führen, in dem er schon einen recht hübschen Vorrat liegen hatte, und wir konnten hier die verschiedenen Weine auch gleich an der Quelle kosten.

Die bis jetzt hier gezogenen Sorten sind:

Ruhländer – weiß,
Herbemont – weiß,
Northern Virginia Seedling – weiß und dunkelrot,
Ives Madeira Seedling – rot,
Delaware – weiß,
Konkordia – rot,
Katawa – weiß, und
Taylor pullit, eine winzige, rötliche Traube mit sehr kleinen Beeren, die allerdings nicht viel, aber dafür desto besseren Wein liefert.

Der Konkordia scheint neben dem Katawa (den die Landleute gewöhnlich in ihrem etwas zersetzten Englisch Kadaverwein nennen) der dankbarste. Ich muß aber gestehen, daß mir der erstere besser schmeckt – keinenfalls hat er so viel Säure als der Katawa, obgleich auch dieser, bei heißem Wetter und einem Marsch durch die Weinberge, gar nicht zu verachten ist.

Leider gallisieren die Weinbauern hier sehr viel – wenn auch auf völlig unschädliche Weise – aber sie behaupten, daß es nötig sei, und das spricht eben nicht besonders für den Wein selber. Höchst erfreulich ist es aber zu sehen, wie unverdrossen die Deutschen mit dem einmal begonnenen Werk vorwärts rücken, wie sie keine Mühe und Arbeit scheuen und dadurch sogar dem selbst immer tätigen Amerikaner Respekt einflößen.

Ich glaube nicht, daß die Vereinigten Staaten von Amerika je einen berühmten Wein liefern und den Namen eines Weinlandes erhalten werden, aber das schadet nichts. Jedenfalls sind sie imstande, ein gutes, trinkbares und dabei gesundes Gewächs herzustellen, das neben dem Bier die schädlichen Spirituosen verdrängt, und verdienen schon dadurch den Dank Amerikas.

Nach Herrn Pöschels Weinberg besuchten wir noch den der Gebrüder Kuhn – wackere Pfälzer, die sich hier im fernen Westen niedergelassen haben und sich ganz vortrefflich befinden. Auch sie besitzen ausgedehnte Weinberge, und hier besonders konnte ich die außerordentliche Triebkraft des amerikanischen Bodens erkennen, denn an einzelnen einjährigen Stöcken hingen schon, wenn auch noch ganz kleine Trauben, und andere zweijährige trieben ihre Schößlinge schon weit über den Boden und versprachen eine kleine Ernte.

Konkordia und Herbemont trugen am besten, und besonders hingen einzelne Reben des ersteren so voll von blauen, äußerst süßen Trauben, daß man kaum die Blätter daran erkennen konnte. In wenigen Tagen sollte aber auch das Herbsten beginnen, und es tat mir eigentlich leid, daß ich dem nicht beiwohnen konnte – doch mein Ziel lag ja weiter, und zu Vergnügungstouren blieb mir leider keine Zeit.

Den Abend verbrachte ich in einem gemütlichen, echt deutschen Kreis unter den guten Menschen, und freute mich besonders, auch meinen alten Freund dort wieder zu finden, den ich früher in Cincinnati kennen gelernt und seit vierundzwanzig Jahren nicht gesehen hatte. – Wir waren freilich beide alt in der Zeit geworden.

An dem Abend tranken wir einen leidlich guten Katawa-Wein von der echt heimischen Traube, und wenn ich auch den ganzen Tag mehr als gewöhnlich im Trinken geleistet hatte, und dieser Abend im United States Hotel einen würdigen Schluß dazu machte, bekam mir der Wein doch vortrefflich.

Ackerbau scheint in Hermann, neben dem Weinbau, nicht viel getrieben zu werden; das umliegende Land ist auch dazu viel zu rauh und hügelig – aber desto mehr Obstzucht, und die hiesigen Pfirsiche und Trauben gehen in Kisten verpackt nach allen Teilen der westlichen Staaten und liefern den Züchtern einen recht guten Ertrag. Der Deutsche ist freilich genügsam und geht lieber langsam einen gewissen Weg, als daß er sich Hals über Kopf in gewagte Spekulationen stürzt. Das ist auch der Grund, daß man in den westlichen Präriestädten und zwischen den rauhen Steppenburschen fast gar keine Deutschen trifft. Sie könnten dort, ebensogut wie andere, weit rascher und leichter Geld verdienen, aber – das paßt ihnen nicht. Hier müssen sie sich mit schwerer Arbeit ihre Bahn erzwingen, aber sie leben dabei in ruhigen, geregelten Verhältnissen und schreiten allerdings nicht schnell, aber dafür um so sicherer vorwärts. Ihr Auskommen finden alle, und nach vielen Seiten hin ließ sich, selbst unter den Handwerkern, ein gewisser Wohlstand nicht verkennen. Sie mußten arbeiten, aber dafür quälte sie auch nicht die Sorge um das tägliche Brot, wie wir es leider so oft in Deutschland, selbst bei den fleißigsten Gewerbetreibenden finden.

Am nächsten Morgen um halb sechs Uhr verließ ich Hermann wieder, aber es war ein freundlicher, wohltuender Eindruck, den ich von der kleinen Stadt mitnahm, und ich bereue wahrlich nicht die dort zugebrachten Stunden.


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