Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

26. La Guayra

Es ist immer ein höchst angenehmes und spannendes Gefühl, ein neues Land zu betreten, zu welchem Genuß man auch noch gewöhnlich durch eine vorhergehende Leere: eine längere oder kürzere Seereise vorbereitet wird. Hier dagegen fand ein außergewöhnlicher – ich möchte fast sagen unnatürlicher Zustand statt, da man uns in den siebzehn langen Tagen der Quarantäne das Land gewissermaßen erst zeigte und uns an den Anblick desselben gewöhnte, ehe man uns gestattete, es zu betreten. – Es war freilich eine »Tierquälerei«, aber sie wurde doch auch überstanden und machte uns – wenn das möglich gewesen wäre, das Land vielleicht dadurch nur noch lieber.

Venezuela zeigte sich aber auch hier in der Tat von der liebenswürdigsten Seite, denn schon der Anblick der kleinen Hafenstadt selber, zwischen ihren Kokospalmen und von den grünbewaldeten, mächtigen Berghängen überragt, war entzückend schön. – Und dazu der herzliche Empfang meiner Landsleute und das Bewußtsein, nicht mehr bei Tische neben unserem französischen Kapitän sitzen zu müssen und die ganze Zeit über in die Ohren geschrieen zu bekommen – es waren Genüsse, wie man die Sache drehte.

La Guayra ist nach dem kleinen Fluß Guayra so genannt, der, dicht hinter Caracas von zwei kleinen Bergwassern gebildet, hier, ich glaube unter anderem Namen, in See mündet, und eine freundlichere Lage haben sicher nur wenige Küstenstädte der ganzen Welt, wie dies kleine Städtchen. Freilich ist es kein ordentlicher Hafen, sondern nur eine offene Reede, von welcher die Fahrzeuge, wenn einmal ein tüchtiger Norder eintritt, rasch flüchten müssen, um nicht auf den Strand gesetzt zu werden; und doch, wie leicht wäre es gerade hier, dem nachzuhelfen, was die Natur geboten hat, und einen wirklich geschützten Hafen herzustellen.

Unmittelbar vom Ufer empor ragen die Felsmassen, die noch außerdem den, den Häusern gewährten Raum so beschränken, daß man bis hoch in die Quebrada oder Schlucht hinein hat bauen müssen.

Läge der Platz in Nordamerika, so wäre schon lange ein tüchtiger Damm hergestellt, der, hinaus in See gebaut, das Brechen der Wogen an der Küste verhinderte, während jetzt selbst bei Windstille eine solche Dünung steht, daß Boote nur mit äußerster Vorsicht landen müssen, bei bewegter oder gar rauher See aber sich gar nicht der Küste nähern können. Fast von oben herunter könnte man die Blöcke hineinstürzen und dann später, wie man am Lande Raum gewönne, mit einer kurzen, schräg abfahrenden Eisenbahn, selbst ohne Lokomotive, nachhelfen. Ja, das gewonnene Terrain würde fast die ganze Arbeit bezahlen. Aber die Abkömmlinge der spanischen Rasse sind einmal indolent und beuten nicht einmal das aus, was ihnen die Spanier selber vorgearbeitet haben, viel weniger denn, daß sie etwas Neues schaffen sollten.

Die kleine Stadt selber liegt, wie erwähnt, am Hang hinaufgebaut, und bis tief in die Quebrada Schlucht, enges Tal. hinein, ziehen sich einzelne der kleinen lichten Häuser, während rechts und links am Strande hin freundliche Gärten mit Palmen und Bananen, und reizende Häuser, von dem saftigen Grün umgeben, überall dem Blick begegnen. Der Geschäftsteil La Guayra ist aber natürlich nur auf die zwei ersten Straßen beschränkt, denn dort unten müssen die Waren abgelagert und dann wieder auf zweiräderige Karren geladen und nach Caracas hinaufgeschafft werden, wie auch alle Produkte des inneren Landes auf Karren von dort herunterkommen. Das Geschäft in La Guayra ist zum großen Teil in den Händen von deutschen Kaufleuten; das Importgeschäft fast ausschließlich. Der Handel hat freilich in den letzten Jahren und durch die ewigen, eine der anderen folgenden Revolutionen enorm gelitten und wird einer geraumen Zeit bedürfen, ehe er sich wieder vollständig erholen kann. Aber die deutschen Kaufleute halten auch zähe aus, und während sie auf gute Zeiten hoffen, kämpfen sie wacker gegen die schlechten an.

Und ist es jetzt irgendwo besser in der Welt? Wir mögen hinsehen, wohin wir wollen, so finden wir, wenn auch nicht offenen Krieg oder Revolution, wie in den meisten Republiken, doch überall Mißtrauen oder gar Furcht. In Europa wie in Südamerika, in den Vereinigten Staaten, in Indien, in der Türkei, in Griechenland, Spanien, Italien, Rußland, überall gärt es und kocht es, und nur die Waffenschmiede und alle bei dem Kriegswerk beteiligten Arbeiter machen gute Geschäfte. Kein Mensch weiß, woher das kommt, ob es in der Luft liegt oder in den gefährlichen Gasen, die gegenwärtig aus allen Erdspalten aufsteigen und selbst den festesten Boden da und dort erbeben machen. Aber es wird nachgerade ein nicht allein gefährlicher, sondern auch unerträglicher Zustand, und ein gesunder Krieg wäre in der Tat wünschenswerter, als dies ewige Drohen und Beschönigen und heimliche Laden von Gewehren und Revolvern.

Wohin ich auch jetzt gekommen bin, überall fand ich den nämlichen trostlosen Zustand. – Wie gut können es die Menschen auf der Welt haben, und wie verbittern sie sich trotzdem das kurze Leben so mutwillig und fortwährend durch Ehrgeiz und Brotneid, und andere böse Leidenschaften. Aber wer kann's ändern – nur die, die fortwährend hetzen und bohren, und diese fühlen sich leider, wie die Made in einem Käse, nur in einem solchen Zustande behaglich, ja finden sehr häufig nur in einem solchen ihre überhaupt gar nicht notwendige Existenz.

La Guayra liegt terrassenförmig unmittelbar an der Bergkette, die von dem Meer aus emporsteigt und sich links von der Stadt bis zu der Silla, einer Kuppe von 7000 Fuß Höhe, erhebt. Wirklich schöne oder prachtvolle Bauten hat es allerdings gar nicht aufzuweisen, aber desto wohnlicher sind die kleinen Häuser im Innern und dem heißen Klima vollkommen angemessen eingerichtet.

In der spanischen Zeit soll es auch stark befestigt gewesen sein, und gegen die See zu könnte es recht gut uneinnehmbar gemacht werden, aber unmöglich wäre es, sich gegen einen von oben heruntersteigenden Feind zu halten, und selbst die nicht einmal mit Geschütz versehenen Revolutionstruppen haben es schon verschiedene Male genommen.

Nur unten am Wasser liegen jetzt noch einige Festungswerke, und ein malerisch genug gelegenes Fort überragt dabei die ganze Stadt; aber eine traurige Bande von Soldaten trieb sich dazwischen herum und benutzte den oberen Raum innerhalb der Mauern – eigentlich der einzige vollkommen ebene Platz in der ganzen Stadt – gewöhnlich zum Einexerzieren der Rekruten.

In Herrn Schröders Haus, der mich mit so liebenswürdiger Gastfreundschaft aufgenommen, hatte ich ein Zimmer gerade nach der See hinaus. Das Haus lag etwa 150 Schritt vom Strande ab, aber schon hoch auf einem Felsen, der dicht darunter steil abfiel und eine Vogelperspektive auf den gerade davor liegenden eingemauerten Marktplatz mit der Markthalle gestattete. Links von dieser lag das Fort, und ich amüsierte mich oft damit, den unten exerzierenden Soldaten zuzusehen, wie gemütlich sie ihr Tagewerk betrieben.

Eines Tages lag ich auch oben im Fenster – es war dicht vor Beginn der Karwoche, und die jugendliche Bevölkerung von La Guayra fing schon an, alle Arten von alten Musketen und Pistolen hervorzusuchen, um sich auf die Feiertage vorzubereiten und die verschiedenen Schießprügel instand zu setzen. Unten im Fort exerzierte die Besatzung von La Guayra, etwa vierzig Mann mit ich weiß nicht wieviel Generalen darunter, denn Venezuela zählte damals, bei etwa drei- oder viertausend Mann, zweitausend Generale. – Der Offizier ließ gerade die zwei und zwei marschierenden Soldaten links abschwenken, als plötzlich unter dem Fort, am Seestrand, ein Schuß fiel. In demselben Moment löste sich, wie nach stillschweigender Übereinkunft, die ganze Kolonne auf, und alle Soldaten – der Offizier natürlich mit – liefen an die Brustwehr, um hinüberzusehen. Jedenfalls mußten sie auch dort etwas Interessantes bemerken, denn wohl zehn Minuten blieben sie da und schienen sich vortrefflich zu amüsieren, dann erst gab der Offizier wieder einen Befehl, und die Leute schleuderten nun langsam zurück, um ihr unterbrochenes Exerzitium wieder aufzunehmen.

Westlich von La Guayra hat früher der eigentliche Hafenplatz gelegen, und dort stehen auch noch die Spuren der früheren Stadt, die das furchtbare Erdbeben im Jahr 1812, das auch Caracas verwüstete, damals in Trümmern legte. Dort steht noch die Hälfte einer alten Kirche mit eingestürzten Mauern, dort stehen noch eine Menge von Hauswällen, deren Dächer zusammenbrachen und dann im Innern, im Lauf der Zeit, verfaulten, wo jetzt Sträucher und selbst Bäume üppig emporwuchern. Ob es den Leuten zu viel Mühe schien, dies alte Mauerwerk einzureißen und an derselben Stelle wieder neu zu bauen oder ob sie fürchteten, daß sich die Erdstöße gerade hier wiederholen könnten, kurz, sie zogen sich weiter nach Osten, um da die neue Stadt zu bauen, und doch sind sie auf dem neuen Platz viel mehr durch die Felsen beengt, als sie es auf dem alten waren, und jedenfalls der nämlichen Gefahr ausgesetzt. Für jemanden aber, der kurz vorher die Vereinigten Staaten durchzogen, wo jeder Fußbreit Boden in der Nähe einer Stadt wertvoll ist und benutzt wird, ist es wirklich ein wundervoller Anblick, hier eine Hafenstadt zu sehen, die, als Pforte eines unendlich reichen Landes, in ihrer unmittelbaren Nähe einen Vorrat von Ruinen aufgestapelt läßt, und mit dem unbenutzten Platz auch gar nichts anzufangen weiß – denn selbst Gespenster fehlen darin, mit denen man wenigstens bei uns eine solche verfallene Stadt rasch bevölkern würde.

Der einzige Landungsplatz in La Guayra liegt unmittelbar vor der Duana oder dem Steuergebäude, wo hinaus ein kleines Werft gebaut ist, um wenigstens den Booten und Lanchen, den Lichterfahrzeugen, eine Landung zu erlauben. Aber selbst dieser kleine Platz ist nicht gegen die schwellenden Wogen des Ozeans geschützt, und selbst Menschen verunglücken dort nur zu häufig.

Die Gegend westlich von La Guayra, wenn man erst aus den die Stadt umgebenden Gärten heraus ist, bietet wenig oder gar nichts Schönes, denn nach Cabo blanco hinaus, dessen kahlen Felsen gegenüber wir in Quarantäne lagen, sind die niederen Küstenhänge ziemlich öde, und wenn man nicht in die hohen Berge selber hineinsteigen, sondern einen Spazierritt im flachen Land, also unmittelbar am Strand, machen will, so muß man auf eine freundliche Szenerie verzichten. Wunderhübsch dagegen ist ein Ritt nach Osten zu, am Strand und durch die dort liegenden Gärten und Plantagen hin. In liebenswürdigster Weise wurden mir von meinen deutschen Landsleuten Pferde zum Ausreiten zur Disposition gestellt, und ich machte gern Gebrauch davon, denn die reizende Szenerie lohnt mit verschwenderischen Händen jeden Besuch nach Osten zu, ja, man gewinnt manchmal von einer Höhe einen offenen Blick über das üppige Land mit dem blauen Meer zum Hintergrund, der wirklich unbeschreiblich schön ist. Und was für prachtvolle Bäume stehen dort am Strand – Mango-Bäume mit ungeheuren Stämmen und Wipfeln, wie übersäet von den goldgelben, rotangehauchten Früchten; Kokospalmen und Bananen, so hoch und stattlich wie nur irgendwo, und dazu eine Masse von fremdartigen Bäumen und Gesträuchen mit oft wundervollen Blüten und Blumen.

Auch ein Indianerdorf passierten wir hier, das an einem ziemlich steilen Hang auf Lehmboden gebaut ist, so daß ich wirklich nicht recht begreife, wie, die Bewohner desselben in der Regenzeit, und wenn der Boden dort schlüpfrig wird, auch nur eine Kommunikation untereinander unterhalten können. – Über den ganzen Hang aber zerstreut, und nur hier und da unter den Fruchtbäumen hineingeschmiegt, standen die kleinen einfachen Lehmhütten, und vor den Türen saßen die Frauen und Mädchen mit ihrer Arbeit beschäftigt. Doch ist es ein scheues Volk und mag mit den Weißen – Grund genug haben sie jedenfalls – nicht gern verkehren. So wie sie wenigstens unsere kleine Kavalkade ankommen sahen, sprangen die jungen Mädchen, die langen, straffen, schwarzen Haare um die Stirnen flatternd, regelmäßig auf und flüchteten in die Häuser hinein, von denen aus sie uns dann – selber verdeckt – beobachteten, bis wir vorüber waren. Selbst die Kinder gingen uns, wo sie das irgend konnten, scheu aus dem Wege – genau so, wie es die kleinen indischen Kinder auf Java gemacht hatten.

Es gibt sehr viele Deutsche in La Guayra, aber ein eigentlich deutsches Element gibt es dort kaum, weil sich die meisten der dortigen Kaufleute mit den wirklich liebenswürdigen Töchtern des Landes verheiratet haben und dadurch in die Familien selber eingetreten sind. Aber darum halten sie doch wacker zusammen, und in ihren gesellschaftlichen Vereinen hat die Mischung mit dem schönen – und hier wirklich schönen Geschlecht Venezuelas nicht den geringsten Abbruch getan, ja, sie wahrscheinlich noch viel mehr gefördert und belebt.

Die politischen Zustände lagen übrigens gerade jetzt drückend auf der ganzen Geschäftswelt, denn man verhehlte es sich nicht, daß in der allernächsten Zeit auch hier und in der Hauptstadt die Revolution gegen den Präsident Falcon ausbrechen müsse, die schon im Osten und Westen des Reiches begonnen hatte und näher und näher gegen Caracas und La Guayra heranrückte. – Barcelona, Provinz und Stadt, hatte sich für die Revolution – oder wie man hier sagte: die Blauen, oder wie sie sich selber nannten: die Rekonquistadores, erklärt. Im Tal von Aragua, den Fruchtgarten Venezuelas beherrschend, lagen ebenfalls die Insurgenten, und Falcon hielt ein oder zwei Kriegsschiffe fortwährend bereit, ihn, wenn es einmal plötzlich nötig werden sollte, rasch aufzunehmen. Er wußte selber recht gut, daß seines Bleibens nicht lange mehr im Lande sein würde.

Diese Ungewißheit nun, wann der Kampf ausbrechen würde, lastete natürlich wie ein Alp auf jedem Geschäft, und noch schlimmer wurden die immer und immer wieder auftauchenden Zweifel dadurch, daß man aus dem inneren Land selber gar keine bestimmte Nachricht erhalten konnte. Man wußte wohl, daß überall Streifkorps der Revolutionäre lagen, aber dazwischendurch waren die kleinen Städte auch wieder von Regierungstruppen besetzt, die sich dann gegenseitig natürlich verhinderten, bestimmte Nachrichten aufkommen zu lassen. Übrigens ist man ja in allen diesen Republiken schon Revolutionen gewohnt und weiß so ziemlich, wie man ihnen zu begegnen hat – nur das Vertrauen zerstören sie jedesmal, und gerade davon lebt ja der Kaufmann.

In La Guayra selber hielt ich mich übrigens nur kurze Zeit auf, und so gastlich ich aufgenommen worden war, drängte es mich doch, daß nicht ferne Caracas zu sehen, von dem ich schon so viel gehört und gelesen, und auf das ich mich lange vorher gefreut. Mein Plan war dann, nach La Guayra zurückzukehren, mich nach der Provinz Barcelona, und zwar mit einem Segelboot einzuschiffen, da der Revolution wegen die Dampfer dort nicht mehr anlegten, und von dort ab dann durch die Llanos bis nach Bolivar am Orinoco vorzudringen. Das Land war in Aufruhr, ja; aber Fremde haben selten von diesen Revolutionen, denen sie ja auch fernstehen, etwas zu befürchten, und außerdem kann man sich durch sie nicht abschrecken lassen, oder man würde nie Gelegenheit finden, eine der südamerikanischen Republiken im Innern kennen zu lernen.

Nun gibt es aber von der Küste aus verschiedene Wege, um die Hauptstadt des Landes zu besuchen, und der bequemste ist jedenfalls der neu angelegte Fahrweg, auf dem täglich zweimal eine sogenannte Diligence die Verbindung unterhält. Zwischen Caracas und La Guayra liegen die hohen Küstenberge, welche, die 7000 Fuß hohe Silla ausgenommen, etwa 5000 Fuß hoch sein mögen. Über diese ziehen sich die beiden alten Reitpfade und der Postweg hin, und von der Höhe muß man nachher wieder etwa 2000 Fuß hinabsteigen, um das in einem weiten Talkessel liegende Caracas zu erreichen. Allerdings existiert noch ein alter, schon von den Spaniern angelegter Weg, der von La Guayra ab erst eine kurze Strecke westlich am Strand hinaufführt und dann allmählich, bis zur Hauptstadt selber, ohne eine einzige häßliche Steigung, in die Berge hinaufführt, und zwar so, daß man den 5000 Fuß hohen Paß gänzlich vermeidet. Es wäre auch nichts in der Welt natürlicher gewesen, als diese so zweckmäßig als möglich angelegte Bahn zu dem erst kürzlich neugeschaffenen Weg zu benutzen – aber der Bauunternehmer hatte unglücklicherweise einen Verwandten mit großem Landbesitz an der anderen Seite des Hanges – den konnte er nicht mit dem Weg, im wahren Sinne des Wortes, links liegen lassen, und da der Staat ja doch die Kosten trug, so lag nichts daran, ob der Weg so viel teurer wurde und die Frachtkarren 2000 Fuß höher steigen mußten und ihre Tiere dabei ruinierten. Der neue Weg wurde deshalb durch das Land des Verwandten angelegt, und die Kärrner und Reisenden verfluchen jetzt regelmäßig den schurkischen Wegebauer, noch dazu, da sie auf jeder Fahrt die alte bequeme Straße tief unter sich ihrem Ziel gerade entgegenziehen sehen. – Südamerikanische Wirtschaft! Ich entschloß mich übrigens dazu, lieber einen der Reitpfade, und zwar den sogenannten alten indianischen Weg, zu benutzen, um dann später bergab mit der Diligence zurückzukehren. Dadurch bekam ich beide Strecken zu sehen und hatte es jedenfalls mit der Fahrt bequemer. – Außerdem fand ich auch noch Gesellschaft, da sich einige meiner früheren Mitpassagiere von der »Tamaupilas« ebenfalls entschlossen hatten, Caracas zu besuchen.

Der Ritt war, bei dem herrlichsten Wetter, wirklich prachtvoll. Der, sowie wir die steilen Felsen erreichten, noch von alten Zeiten her durchgehends gepflasterte Pfad zog sich schroff an dem Hang in die Höhe und gewährte auf einzelnen Punkten einen wahrhaft prachtvollen Überblick über die Berge und das weit ausgedehnte Meer.

Die Entfernung zwischen Caracas und La Guayra könnte, wenn man imstande wäre, den Berg zu durchbohren, kaum mehr als anderthalb Leguas betragen, denn selbst auf diesem Zickzackweg, fortwährend bergauf und über den 5000 Fuß hohen Rücken, legt ein gutes Tier den ganzen Weg in vier Stunden zurück. Je höher wir aber stiegen, desto kleiner zeigten sich da unten die auf der Reede schaukelnden Schiffe, und entzückend wurde das Bild, wenn dann und wann die bunte, in ihre Kokospalmen hineingeschmiegte Hafenstadt einmal zum Vorschein kam und wie ein zierliches Miniaturbild zu unseren Füßen lag.

Unterwegs fanden wir nur hier und da eine kleine Hacienda, die ein einlaufendes Tal benutzt hatte, um ein paar Acker Land urbar zu machen. Hier und da stand auch wohl eine einzelne Lehmhütte, wo die Arrieros übernachten und Reisende um ein billiges einen Becher voll Guarapo oder Chicha erhalten konnten. Sonst deckte nur wilder Wald die steilen Hänge, und da wir unsere Tiere ein wenig zu sehr schonten – einer unserer Begleiter konnte überdies gar nicht reiten –, so wurde es leider schon ziemlich spät, bis wir endlich die Höhe erreichten und dort nun plötzlich Caracas, weit ausgedehnt durch das ganze Tal, mit seinen in regelmäßigen Cuadras ausgelegten Straßen und mit den niederen, auf Erdbeben eingerichteten Häusern vor uns liegen sahen.

Leider durften wir nicht lange bei diesem wirklich malerischen Bild verweilen, denn die Sonne verschwand schon hinter den Bergen, und wir hatten noch einen langen und beschwerlichen Weg vor uns, um teils an den Hängen hin, dann noch über eine Höhe hinweg und nachher steil bergab, auf ausgewaschenen Pfaden die Stadt zu erreichen. Schon nach La Guayra hatte ich aber eine sehr freundliche und herzliche Einladung von einem Landsmann, Herrn Rothe aus Caracas, bekommen, um dort, solange ich mich in der Hauptstadt aufhielt, bei ihm zu wohnen, und sogar bis hier, in die Berge herauf, war mir mein Gastfreund entgegengekommen, um mich da zu begrüßen. Er kannte auch den Weg genau, den wir zu nehmen hatten, und nachdem wir da oben in einer Berghütte, in Ermangelung von etwas Besserem, als Willkommenstrunk einen Kognak getrunken hatten, der genau wie englisch Pflaster schmeckte, stiegen wir den steilen Hang hinab und ritten, etwa eine Stunde später, durch die Pforte von Caracas, wo uns der Torschreiber, ganz wie früher bei uns in glücklichen Zeiten, einen Real à Person für Pflastergeld abforderte.


 << zurück weiter >>