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14. Puebla

Die kleine Stadt und gewissermaßen auch Festung Puebla, obgleich von Festungswerken an der Stadt selber wenig sichtbar ist, war ein zu historischer Platz geworden, als daß ich ihn hätte mitten in der Nacht passieren können. Ich beschloß, da ich übrigens meine Passage nach Apizaco mit sogenannter escala Mit escala d. h. Haltepunkt, Unterbrechung läßt man sich auf den mexikanischen Posten einschreiben, wenn man sich unterwegs irgendwo aufzuhalten gedenkt, und kann dies jederzeit erlangen; vergißt man aber das kleine Wort einfügen zu lassen, so wird einem ein solcher Aufenthalt, merkwürdigerweise, gar nicht mehr gestattet, und man muß die später zurückzulegende Strecke noch einmal bezahlen. genommen, hier jedenfalls einen oder mehrere Tage zu bleiben, und habe es wahrlich später nicht bereut.

Puebla liegt natürlich mit auf der Hochebene, die hinter Orizaba beginnt und nach Westen zu den ganzen Flächenraum fast bis Cuernavaca hin umfaßt. Die Vegetation ringsumher ist deshalb auch eine ziemlich dürftige und beschränkt sich eigentlich auf kleine Büsche, wie die Aloe- und Kaktusarten. Desto prachtvoller ist aber dafür die Szenerie, und es läßt sich kaum etwas Großartigeres denken, als ein Blick von dem Fort aus über die Stadt, die mit ihren regelmäßigen Cuadras zu des Schauenden Füßen liegt, nach den herrlichen Vulkanen, dem Popocatépetl und Iztaccihuatl hin.

Der erstere erhebt sich mit seiner schneebedeckten Spitze pyramidenförmig rechts empor, während links von ihm die »weiße Frau« wie mit einem Leichentuch überdeckt auf der langgezogenen Kuppe des letzteren ruht. Aber nicht allein durch ihre Höhe und Schneekuppen entzücken sie das Auge, nein, mehr noch durch den oft fast ununterbrochenen Wechsel ihrer Beleuchtung, je nach den Dünsten, die aus ihren Schluchten aufsteigen und bald phantastische Gestalten um sie her bilden, bald düstere Schatten auf sie werfen, um im nächsten Augenblick wieder der Sonne vollen Raum zu gewähren, so daß man gar nicht satt werden kann, ihnen zuzuschauen.

Aber wir wollen uns erst der Stadt selber zuwenden, und unwillkürlich entfährt da dem Beschauer der mitleidige Ausruf: Armes Puebla! denn was hat diese Stadt nicht in den letzten Jahrzehnten erfahren und gelitten, wo sie fast immer der Schauplatz blutiger Belagerungen war und das ausbaden mußte, was amerikanische Politik oder französische wie amerikanische Eroberungsgelüste für sie eingebrockt.

Der Anblick der Vorstädte besonders ist wirklich ein höchst trauriger. Überall sieht man nur leerstehende und meist zusammengeschossene Gebäude und eingestürzte Mauern. Durch Kugeln zertrümmerte Kirchen und Türme gehören dort zu den Alltäglichkeiten, auf die auch wirklich – wenigstens keiner der Bewohner von Puebla selber mehr achtet.

Die Rose von Puebla! – ja, der Dichter hat wahrlicht recht! Aus Blut und Leichen stieg sie empor, und in der einen Stadt sind, glaub' ich, dank den Franzosen, die besonders nach Bazaines klassischer Abschiedsrede in der Hauptstadt nur allein nach Mexiko gekommen waren, »um den Frieden im Innern herzustellen«, mehr Greueltaten verübt worden als in dem ganzen übrigen Land zusammen.

Übrigens muß die Stadt früher, wie Quito zum Beispiel, noch bis zu diesem Augenblick, fast einzig oder doch größtenteils aus Kirchen und Klöstern bestanden haben, von denen die letzteren fast immer ganze Quadras oder Viertel und damit einen ungeheuren Flächenraum einnehmen. Und wie prachtvoll und bequem sind sie alle gebaut gewesen, mit gewaltigen, säulengetragenen Gängen, mit kühlen, schattigen Hofräumen, in denen sich gar nicht etwa so selten ein plätschernder Springbrunnen fand, mit bequemen Gemächern und luftigen Speisesälen – und setzt haben die Kugeln der Belagerer die massiven Mauern gebrochen, so daß dem Laien ein Blick in das Innere gestattet wird und er die Stätten ungestört betrachten kann, wo früher die »Diener« des Herrn, die sich aber zu Herren aller Menschen zu machen suchten und eine Revolution nach der anderen in Mexiko anfachten – in »stiller Demut« hausten.

Juarez, der nachmalige Präsident der Republik, machte diesem Treiben ein Ende. Ein paarmal schon waren die Geistlichen mit ernsten Maßregeln bedroht, wenn sie keinen Frieden hielten, und man hatte ihnen die Gewalt, die der Staat besaß, anfangs nur gezeigt. Das aber, anstatt sie vorsichtiger zu machen, reizte sie zu größerer Widersetzlichkeit; sie hielten es nicht für möglich, daß irgend ein Präsident der streng katholischen Republik es wagen dürfe und könne, ihr Eigentum – oder vielmehr das Eigentum der Kirche und dadurch Gottes, anzutasten, bis sie Juarez eines schönen Morgens auf das unangenehmste mit einem drakonischen Edikt überraschte, in welchem er sämtliche Klöster aufhob und den Grundbesitz der Kirche für Staatseigentum erklärte.

Übrigens steht noch eine Unmasse von Klöstern in Puebla verödet und unverkauft, und zwar aus einem doppelten Grunde.

Erstlich wird der Grundbesitz solcher geistlichen Güter allerdings zu einem Spottpreis ausgeboten; er verlangt aber trotzdem ein bedeutendes Kapital, um ihn wirklich zu verwerten, denn die Klöster können in ihrem jetzigen Zustand natürlich nicht von Privatleuten benutzt werden, diese entsetzlich dicken Mauern und Bauten aber niederreißen und wieder frisch aufzubauen, kostet enorm viel Geld, und nicht jeder kann das daran wenden.

Ein anderer, viel tiefer gehender Grund liegt aber in der Geistlichkeit selber, denn wenn den Priestern auch die Gewalt aus den Händen genommen ist, und sie nichts Positives gegen die einmal erlassenen Gesetze der Regierung tun können, so wissen sie doch desto besser im geheimen zu bohren; – und wann hätten die Priester irgend eines Volkes, solange die Welt steht und es Priester gibt, nicht den Aberglauben desselben benutzt, um ihre eigenen Zwecke zu erreichen.

Mit den Männern in Mexiko ist nun allerdings nicht viel und nur in einzelnen Fällen etwas anzufangen, aber desto besser verstehen sie dafür auf die Frauen einzuwirken, und darin ist der Staat – nachdem er einmal entschieden seine Trennung von der Kirche ausgesprochen – machtlos.

Öfter habe ich es nicht allein in Puebla, nein noch viel mehr in der Hauptstadt selber aussprechen hören, welch' unheilvolles Treiben unter der in Grund und Boden hinein verdorbenen mexikanischen Geistlichkeit herrscht, und deshalb entblöden sie sich auch nicht, zu den unchristlichsten Mitteln ihre Zuflucht zu nehmen, ihre weltlichen Güter zu retten, und nicht einmal ein Geheimnis machen sie oft daraus. Es ist zum Beispiel offen ausgesprochen, daß sie jedwedem, der »gotteslästerlich« auf einem solchen, früher geistlichen Grundstück wohnt und sich ein Haus darauf gebaut hat oder selbst das eines anderen an solcher Stelle benutzt, allen geistlichen Zuspruch und selbst die Absolution verweigern. Kein Kind wird von ihnen aus einem solchen Haus getauft, keine Leichenzeremonie vollzogen, kurz und gut, jeder Bewohner einer Stätte, auf der früher Kloster oder Kirche gestanden, ist gewissermaßen exkommuniziert, und man erzählt sich dabei kaum glaubliche Geschichten, wie sie auf dem Sterbebett liegenden oder vielmehr ihren Familien Versprechungen und Gelübde abgezwungen haben. – Das ist die Liebe Gottes, die sie nicht allein predigen, sondern auch durch ihr Leben und Wirken betätigen sollen; und was würde Christus gesagt haben, wenn er Zeuge einer solchen Wirtschaft gewesen wäre? – Was sagte er damals?

Wie billig übrigens der Grundbesitz in jetziger Zeit ist, mögen folgende zwei Beispiele zeigen. Unmittelbar an der Stadt liegt ein herrliches Schwefelbad. Eine gewaltige Quelle sprudelt aus einem Felsbecken hervor und wird in acht oder zehn vortrefflich angelegte und ausgemauerte Bäder, in denen man bequem schwimmen kann, hineingeleitet. Dicht daneben liegt ein 45 Schritt langes und zwanzig Schritt breites, schön angelegtes und ausgemauertes Pferdebad. Dazu gehört ein kleinerer und ein ziemlich großer, hübsch angelegter Garten mit einem sehr geräumigen, und leicht in einen Garten zu verwandelnden Hofraum, und das Ganze wurde einem Kaufmann in Puebla zu dem Bagatellpreise von 3000 Dollars angeboten. Dabei ist die Quelle so mächtig, daß sie nicht allein alle diese Bäder unausgesetzt reichlich mit frischem Schwefelwasser speist, nein, man muß sogar noch einen Teil unbenutzt ablaufen lassen, weil man augenblicklich keine Verwendung dafür hat.

Zu demselben Preise wurden eine dicht an der Stadt liegende, aber durch die Kugeln ziemlich bös zugerichtete Kirche mit einem mehrere Acker umfassenden großen Rasenplatz ausgeboten, und ist selbst jetzt noch zu haben.

Kein Wunder – Puebla ist durch diese ewigen Kriege und Belagerungen, denen es ausgesetzt gewesen, wenigstens halb entvölkert worden, denn wer irgend konnte, zog sich aus der unausgesetzt bedrohten Stadt hinweg, und augenblicklich fehlt im Lande vollständig das Vertrauen, dahin zurückzukehren. Anders, weit anders wird es aber werden, wenn erst einmal die scharf im Bau begriffene Eisenbahn zwischen Mexiko und Vera-Cruz beendet ist, was dem Kontrakte nach in vier Jahren geschehen sein muß, wenn die Gesellschaft nicht ihre Anrechte und damit ungeheure Kapitalien verlieren will. Allerdings geschah für Puebla nicht, was recht leicht hätte geschehen können und eigentlich strategisch hätte geschehen müssen, da es nun einmal der Schlüssel zur Hauptstadt des Landes ist. Die Bahn läuft nämlich nicht direkt auf Puebla zu, sondern nördlich etwa 20 oder 24 Leguas daran hin. Aber schon ist eine Zweigbahn im Bau begriffen, durch welche sich Puebla direkt an die jetzige Endstation Apizaco anschließt, so daß man später Mexiko von hier aus in etwa sechs Stunden bequem und sicher wird erreichen können, während jetzt noch immer Straßenräuber den Weg bedrohen und gefährden.

Überhaupt genießt Puebla selber, gerade in dieser Hinsicht, einen keineswegs guten Ruf, und in der Nähe der Stadt sind schon am ersten bewaffnete Patrouillen nötig, um das Gesindel ein wenig im Zaum zu halten. Sonderbarerweise scheint sich dieses »Gesindel« aber weit weniger bei den unteren Klassen als sogar mehr bei den höheren Ständen zu finden. Verschiedene Raubanfälle haben dort in der Nähe stattgefunden, bei denen einzelne der Räuber getötet oder gefangen wurden, und man erkannte dann jedesmal in ihnen nicht etwa Strolche aus der Nachbarschaft, sondern ganz angesehene und wohlhabende Bürger aus der Stadt selber, die sich auf solche Weise einen kleinen Nebenverdienst gesucht.

Selbst während ich dort war, wurden zwei Kindern, einem Knaben von etwa zehn Jahren und einem jungen Mädchen, auf dem Paseo oder Spaziergang, also noch in der Stadt, die Pferde weggenommen, und auch Erwachsenen ist das schon an der nämlichen Stelle und am hellen Tage, mit einer ungeheueren Frechheit ausgeführt, geschehen. Ja, wenige Tage zuvor hatte man sogar einen jungen, wohlhabenden Mann aus seinem eigenen Hause mit Gewalt und unter der Drohung des Totschießens entführt, um ein Lösegeld von ihm zu erpressen. Glücklicherweise aber wurden die Schurken entdeckt, und man konnte den Bedrohten, ehe ihm etwas Ernstliches geschehen, befreien. Es geht dort jetzt in der Tat niemand ohne einen Revolver aus, und noch weniger darf man wagen, ohne Waffe vor die Stadt hinauszureiten. Beispiele, daß solcher Leichtsinn gestraft wurde, kommen nur zu häufig vor.

Auf das freundlichste wurde ich in Puebla von einem Deutschen, Herrn Berkenbusch, aufgenommen, und der genannte Herr opferte mir in liebenswürdigster Weise seine Zeit, um mich in den wenigen Tagen meines dortigen Aufenthaltes überall herumzuführen, was natürlich in diesem Lande nur immer zu Pferde geschieht. Nachdem wir also am ersten Tage die innere Stadt und die Verwüstungen besehen, die amerikanische und französische, ja selbst mexikanische Kanonen in ihren Mauern angerichtet – denn wenn ein Teil der Stadt von den Feinden genommen war, beschossen die mexikanischen Forts vollkommen rücksichtslos ihre eigenen Landsleute, – ritten wir am zweiten Tage nach der berühmten Pyramide von Cholula hinaus, mit der prachtvollen Aussicht auf die beiden herrlichen Vulkane.

Um Puebla herum ist die Gegend, wie schon erwähnt, wüst und unangebaut – kein Feld liegt da draußen, kein Garten, ja fast kein Baum steht in der ganzen Nachbarschaft. Nur in der Ferne nach Cholula zu hatte ich grünes Laub gesehen, aber nie im Leben geglaubt, dort eine so reizende, wirklich herrliche Szenerie zu finden.

Vor uns sahen wir einen niederen Hügel, den mir mein Begleiter als die Pyramide zeigte; ich hatte aber bis jetzt, und noch zu weit davon entfernt, wenig darauf geachtet, und meine Augen nur, wo es der etwas rauhe und sehr staubige Weg erlaubte, auf die beiden schneegekrönten Bergriesen mit ihren wunderlichen Formen gehalten. Jetzt plötzlich, ganz in der Nähe des kleinen freundlichen, mit zahlreichen und gut gehaltenen Gärten umgebenen Ortes Cholula, suchte ich wieder die Pyramide und fiel, überrascht bei dem Anblick, der sich mir plötzlich bot, meinem Pferd in die Zügel, denn der Moment durfte nicht so rasch vorübergehen.

Unmittelbar vor mir lag der kleine Ort, und einzelne Karawanen von Eseln und Maultieren mit ihren malerischen, aber etwas schmutzigen Führern und Führerinnen zogen noch immer der Hauptstadt zu, um dort ihre Produkte abzusetzen; hinter dem Ort aber hob sich diese sogenannte Pyramide – einer jener spitzen vulkanischen Hügel, wie sie sich mehrfach hier, wie auch auf der ganzen Hochebene finden, von einer hübschen Kapelle mit hoher Kuppel gekrönt, empor, und darüber lagen, der eine rechts, der andere links, einen wahrhaft zauberisch schönen Hintergrund bildend, die beiden mächtigen Kuppen der schneebedeckten Vulkane.

Einen Moment stutzte ich – ein unmöglicher Gedanke zuckte mir durchs Hirn – »hier bist du schon gewesen – die prachtvolle Gegend hast du schon einmal gesehen« – aber es war auch wirklich nur ein Moment, denn schon im nächsten Augenblick stand Salzburg mit seiner Festung und seinem schneebedeckten Untersberg vor meiner Erinnerung. Die Pyramide von Cholulas ist nicht ganz so hoch wie die Festung in Salzburg, und das Tal dort viel mehr eingeengt, aber der ganze Charakter erinnerte mich unwillkürlich an jenes schöne Land, natürlich nur mit der Aussicht voraus, und ich konnte mich lange nicht von dem Bilde losreißen. Ich glaubte auch wirklich, ich hätte hier den schönsten Punkt Mexikos erreicht – das Herz war mir so voll und doch so leicht, und ich hätte laut aufjubeln mögen – und doch war mir später noch Schöneres, viel Schöneres vorbehalten.

Endlich ritten wir weiter. Die Sonne brannte, trotzdem daß wir uns im Dezember und auf ziemlicher Höhe befanden, fast senkrecht auf das staubige Land nieder, und da wir noch die Pyramide selber besteigen wollten, blieb uns nicht viel Zeit, denn gerade in der Mittagssonne durch die kahle Ebene zurückzureiten, ist eben nicht besonders angenehm. Wir ritten in die Stadt. Gleich vorn in der ersten Straße stand eine Anzahl Indianer, von denen das Dorf fast ausschließlich bewohnt wird, und hielt augenscheinlich eine Gemeindeversammlung ab.

Die Männer trugen ihr einfach weißes – wenigstens weiß gewesenes – Baumwollenzeug, aber außerdem auch noch, trotz der Hitze, ihre bunte Zarape über der Schulter und schienen ernstlich vertieft über das nachzudenken, was ihnen der Sprecher – übrigens ein ganz intelligent aussehender Bursche – vortrug. Die Verhandlung wurde in spanischer Sprache geführt und von lebendigen Gestikulationen begleitet. Um übrigens nicht in den Verdacht zu kommen, als ob wir uns in die Staatsgeheimnisse des kleinen Ortes einschleichen wollten, ritten wir rasch und grüßend vorüber, was die ganze Gemeindeversammlung freundlich und achtungsvoll erwiderte. Dann stellten wir unsere Pferde in eine der Posaden ein, die übrigens genau so aussah wie der ganze Ort. Sie schien von jedem menschlichen Wesen – einen französischen Hausknecht ausgenommen – gründlich geräumt zu sein. Alle Türen und Fenster standen natürlich offen, aber selbst die Stuben waren leer, und der Hausrat beschränkte sich in ihnen auf zwei oder drei Holzstühle und einen Tisch.

Nicht einmal eine Erfrischung war darin zu bekommen, und wir hielten uns auch nicht auf, sondern machten uns ungesäumt auf den Weg zu der »Pyramide« selber, die sich nur wenige hundert Schritt davon entfernt erhebt.

Es ist das jedenfalls ein höchst interessanter Punkt, noch aus der alten Heidenzeit, und zeigt deutlich, welche bedeutende Arbeiten die damaligen Eingeborenen unternahmen, ohne vor der größten Mühe und Beschwerde – ganz unähnlich der jetzigen faulen Rasse – zurückzuschrecken. Ganz sicher aber ist es nicht der Fall, daß diese sogenannte Pyramide oder der ganze Hügel, auf dem früher ein Tempel stand und den jetzt eine christliche Kirche krönt, ausschließlich von Menschenhand aufgebaut sei. An den Seiten sieht man allerdings deutlich und überall die fest ineinander gedrängten Mauern von ungebrannten Ziegeln, sogenannten adobes, die mit den Jahren eine wirklich unbegreifliche Festigkeit erlangen, aber an einzelnen, durch spätere Regengüsse wahrscheinlich abgerissenen Stellen kann man jetzt auch ebenso unbestreitbar die wirkliche und natürliche Erde erkennen.

Solche spitze, oft konische, oft länger gedehnte, niedrige Hügel finden sich überall auf der ganzen mexikanischen Hochebene. Es sind aber weiter nichts als Erdblasen, die durch vulkanische Eruptionen ausgeworfen sind und von denen selbst noch verschiedene in der Nähe von Cholula selber stehen. Kaum denkbar ist es deshalb auch – obgleich fanatischer Wahnsinn noch manches Unbegreiflichere möglich gemacht hat – daß man hier versucht und ausgeführt haben sollte, einen ganzen Berg mit Menschenhänden an einer Stelle aufzurichten, wo man, gar nicht weit davon entfernt, die ganze Arbeit schon vollständig getan fand und mit Leichtigkeit benutzen konnte. Viel wahrscheinlicher bleibt – und der Meinung schließen sich fast alle an, die ich darüber gesprochen und welche die Pyramide selber in ihrem jetzigen Zustande gesehen, daß der Hügel allerdings schon bestand, ehe man den Tempel darauf baute, daß ihn aber die Indianer, um ihm nichts von seiner Höhe zu nehmen und doch einen weiten Grund für ihre Bauten zu haben, mit einem festen und breiten Mauerwerk umgaben. Dadurch erhielt er jedenfalls eine regelmäßigere Form und oben – was sie gerade haben wollten – einen größeren Umfang. Den eigentlichen kleinen Berg hat aber jedenfalls die Natur selber aufgeworfen.

Die obenstehende Kirche ist noch nicht im Innern ausgebaut und dem Gebrauch übergeben, aber es wird scharf daran gearbeitet – was man nämlich in Mexiko scharf nennt. Zwei Leute fanden wir im Innern tätig, und vier lagen draußen im Schatten und ruhten sich ganz behaglich aus. Ein kleiner Junge aber, der uns bald als Fremde ausgefunden, kam uns nach und bot uns kleine Steinbilder an, die man noch häufig dort im Boden findet. Es waren Gesichtsmasken von etwa anderthalb Zoll Länge, mit nicht unschönen Formen.

Die Aussicht von dort oben, auf der einen Seite nach dem wirklich reizend im Tal liegenden Puebla, auf der anderen nach den Schneevulkanen hin, war überraschend schön, und wir blieben lange dort oben, um den Anblick zu genießen.

Auf dem Rückweg, als wir das kleine Dorf wieder erreichten, wo zu Cortez' Zeiten eine Stadt mit über 100 000 Einwohnern stand, und der kecke Eroberer damals jenes furchtbare Blutbad unter ihnen anrichtete, wanderten wir zuerst durch das verödete, aber prachtvoll angelegte Kloster mit seinen weiten kühlen Räumen, in denen wir aber keinen einzigen Menschen fanden. Das ganze ungeheure Gebäude schien wie ausgestorben, und doch welches fröhlich geistliche Leben mag hier früher geherrscht haben! Weite, prachtvolle Säulengänge zogen sich überall herum, und das Zentrum bildete ein kleiner, außerordentlich gemütlicher Hofraum mit einem felsigen Springbrunnen, der rings von schattigen Orangen- oder Limonenbäumen umgeben war.

Aus dem Kloster gingen wir über den großen, freien Platz der ebenfalls leer und öde stehenden Kirche zu, die man ihrer Größe nach fast eine Kathedrale nennen könnte. Anscheinend war sie verschlossen. Die Tür gab aber dem leichten Druck der Hand nach, und wir standen gleich darauf in dem gewaltigen, von zahlreichen Säulen getragenen, aber sonst leeren Raum, aus dem uns eine wirklich eiskalte Luft entgegenwehte.

Links, gleich am Eingang, stand ein lebensgroßes Bild des Heilandes mit dem Kreuz auf dem Rücken. Sonst war die Kirche meistens des sonst üblichen Schmuckes beraubt, und nur noch hier und da in den Nischen und über verschiedenen Altären standen andere Heiligenbilder. Aufgegeben schien man sie aber doch nicht zu haben, wie die verschiedenen Klosterkirchen in der Stadt, in denen man sogar die Vergoldung in den Kuppeln und an den Seitenwänden abkratzte. Weit hinten in einer der Vertiefungen stand ein Mann auf einer hohen, etwas gefährlich aussehenden Leiter und reparierte etwas an der Wand, und unter ihm saß ein Junge in einer alten schmutzigen Zarape und grunzte manchmal vor sich hin – vielleicht um uns aufmerksam zu machen, daß die Kirche bewacht wäre und wir uns also vorsehen möchten. Das ganze Gebäude machte übrigens einen wirklich großartigen Eindruck: etwa sechsunddreißig bis vierzig hohe Säulen trugen – immer je vier – eine kleine Kuppel, und die feierliche Stille, die auf dem Ganzen lag und selbst den leisen Schritt laut schallen machte, hatte in dem schmucklosen und doch mächtigen Raum etwas Ergreifendes und Imposantes. Ob die Kirche dem Gebrauch wieder übergeben werden soll, weiß ich nicht – es schien fast so, und es wäre auch in der Tat schade, wenn ein so schönes Bauwerk niedergerissen würde.

Freilich ist dies das Zeitalter des Niederreißens und Zerstörens, und wohin man in Mexiko auch sieht, findet man das bewahrheitet. – An Aufbauen denkt aber niemand hier – ich wenigstens habe, während meines ganzen Aufenthaltes im Lande, bis jetzt auch noch nicht ein einziges im Bau begriffenes Haus gesehen. Der Krieg hat so viele Menschen hingerafft, so viele Familien verarmt oder gar außer Landes gejagt, daß man, im Augenblick wenigstens, an keine Vergrößerung der Städte denken kann, und nur Mühe hat, die vielen leer stehenden Wohnungen an den Mann zu bringen.

Am nächsten Morgen besuchte ich mit Herrn Berkenbusch die berühmt gewordenen und mit Blut so oft getränkten Festungshügel der Stadt, und ich begreife nicht, daß die doch sonst gerade im Ansturm so vortrefflichen französischen Soldaten dasselbe nicht gleich bei dem ersten Angriff genommen haben, denn über die Gräben kann man mit Bequemlichkeit hinüberspringen, und die Mauern sind, wenn auch stark, doch sehr niedrig. Außerdem ist das Fort so gebaut, daß man mit Hilfe der abgerissenen Hänge auf der einen Seite wenigstens bis dicht – ja in Steinwurfsnähe unter den Mauern ankommen kann, ohne daß die Belagerten auch nur imstande wären, einen einzigen der Angreifer zum Schuß zu bekommen. General Forey aber, der den ersten Angriff leitete, war zu schwach. Er hatte, in unseliger Unterschätzung des Feindes, wenn ich nicht irre, nur dreihundert Mann, die noch dazu, nach einem beschwerlichen Marsch und ohne ihnen eine Rastzeit zu gönnen, zum Sturm kommandiert, aber entschieden geschlagen und zum Rückzug gezwungen wurden. Mein Begleiter zeigte mir die Stelle, wo das Blutbad stattfand, denn viele Franzosen fanden dort ihren Tod, und ebenfalls den Platz, wo später von den Mexikanern vierzig französische Soldatenleichen verbrannt worden waren, damit sie dort die Luft nicht verpesteten.

Unerklärlich ist übrigens, wenn man von dort oben das Terrain übersieht, ein Umstand, der auch später zur Eroberung Pueblas führte und von dem vollkommen unzurechnungsfähigen General Ortega ganz übersehen wurde. Im Norden von Puebla liegt nämlich, unmittelbar an der Stadt, ein kleiner Hügel, der zwar nicht sehr hoch ist, die Stadt aber doch vollkommen beherrscht, ohne daß er auch nur von der Garnison besetzt gewesen wäre. Die Franzosen, denen der Vorteil dieser Stellung natürlich augenblicklich einleuchtete, umgingen später die Stadt. Ortega sah sie und bemerkte noch zu seinem Adjutanten: »Ich glaube wahrhaftig, die Lumpe wollen den San Lorenzo besetzen,« machte aber nicht die geringste Anstalt, sie davon abzuhalten, – wie er sich denn eben um gar nichts bekümmerte, sondern nur ein liederliches und lukullisches Leben führte. Er hätte jedenfalls verdient gehabt, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden.

Eigentümlich war übrigens seine Art, Soldaten zu pressen; denn da man wußte, daß jeder Waffenfähige in den Straßen aufgegriffen wurde, wagten sich die jungen Leute nur sehr vorsichtig hinaus und ließen sich zuletzt gar nicht mehr im Freien blicken. Da ließ er eines Tages plötzlich mit allen Glocken läuten, und als das neugierige Volk jetzt nach der Plaza strömte, um zu sehen, was da vorgefallen sei, wurde es plötzlich von Soldaten umzingelt und alles aufgegriffen, was nur einigermaßen zu Soldaten tauglich war.

Diese verschwanden indessen augenblicklich wieder, als die Stadt endlich von den Franzosen genommen wurde. Die mexikanischen Soldaten rissen ihre Uniformen ab, warfen sie in Stücken auf die Straße und zerbrachen ihre Flinten und Säbel, aus Furcht, noch einmal gepreßt und unter das Militär gesteckt zu werden, und verschwanden dann, irgend einer ruhigen Arbeit nachgehend, in den Häusern. Das Fort aber feuerte lustig herüber und schoß viele Bewohner von Puebla in den Straßen tot.

Vorher schon hatte man aber zu einer gewaltsamen Maßregel seine Zuflucht genommen, um den Soldaten das Passieren der Straßen zu erleichtern und sie dabei keiner Gefahr auszusetzen. Man durchbrach nämlich die meist massiven und sehr dicken Mauern der Gebäude von einem Hause zum anderen, – unbekümmert natürlich um alle dadurch gestörten und oft vollkommen außer Kurs gesetzten Familienwohnungen, und wo sich die Arbeiter zu dem Zwecke zeigten, half keine Einwendung. Die Wände wurden durchbrochen und die Soldateska kroch in langer Reihe hindurch.

Als wir zurück in die Stadt ritten, überholten wir einen kleinen Zug Infanterie, bei dem aber die gemeinen Soldaten wirklich anständiger aussahen als der Offizier, der nicht einmal einen Degen an der Seite trug. Die armen Teufel werden aber auch schlecht genug besoldet, und gleich am ersten Morgen bettelte mich ein Soldat, der sich noch dazu auf Wache befand, an. Ja, als ich nachher an der Schildwache, die das Gewehr im Arm trug und die Sache gesehen hatte, vorüberging, blieb sie stehen und sah so freundlich aus, daß ich fest überzeugt bin, sie würde mich ebenfalls um ein kleines Douceur gebeten haben, wenn ich ihr nur Zeit dazu gegönnt hätte.

Durch die Stadt wieder zurückreitend, passierten wir eine ziemlich große Plaza, oder einen Markt, wo in der Franzosenzeit die Gefangenen erschossen wurden. Es sollen dort zahlreiche Menschen hingerichtet sein, und wie rücksichtslos man dabei verfuhr, mag folgendes Beispiel erläutern.

Eines Morgens tritt die Wache in die Tür des Gefängnisses und ruft den Namen Ignaz Perez aus, wonach einer der Unglücklichen, der den Vornamen vielleicht nicht einmal gehört hatte, aufstand und sagte: »Ich heiße Perez!« Er wurde dann einfach in die Mitte genommen, auf die Plaza geführt und dort augenblicklich erschossen. An dem Abend noch stellte es sich aber heraus, daß dieser Perez nur auf einen Verdacht hin verhaftet gewesen war, und der andere Perez noch im Kerker saß. Das machte aber nichts, – es war ja nichts versäumt, und der andere Perez – diesmal der richtige – wurde nun einfach abgeholt und ebenfalls totgeschossen. Er hatte ja geholfen, sein Vaterland gegen die Eroberer zu verteidigen.

In der Mauer, als wir vorüberritten, konnte ich deutlich überall die fast zahllosen Kugellöcher erkennen; – das Blut war natürlich lange entfernt. – O Rose von Puebla!

Auf dem Wege besuchten wir noch die Schwefelbäder, – eine wirklich herrliche, aber jetzt im Verhältnis außerordentlich wenig benutzte Anlage, in welcher wir nicht einen einzigen Badenden trafen, – einen Mexikaner ausgenommen, der mit seinem Hund in dem Pferdebad herumschwamm.

Das Wasser ist so stark schwefelhaltig, daß eine silberne Uhr, wenn man sie mit ins Bad nimmt und dort offen auf die Bank legt, in ganz kurzer Zeit schwarz wird. Es hat eine grünbläuliche Farbe und gemäßigte, nicht heiße Temperatur, und die Quelle führt es in einem außerordentlich starken Strom direkt in die großen, viereckig gemauerten Bassins.

Das Pferdebad ist, wie vorhin erwähnt, 45 Schritt lang und 20 breit, und wird gegen das Ende zu so tief, daß ein Pferd darin schwimmen muß. Etwa zur Hälfte, wo kleine eiserne Halter angebracht sind und wo den Tieren die Flut gerade über den Rücken geht, werden sie angebunden und müssen dort eine für ihre Kur bestimmte Zeit stehen bleiben, was sie sich auch sehr ruhig und gern gefallen lassen. Der Preis ist dabei sehr billig gestellt und kostet – allerdings nicht im Verhältnis der Größe – für ein Pferd einen Quartidio – etwa 12-1/2 Pfennig – für einen Menschen 2-1/2 Real (12-1/2 Sgr.)

In dem Garten blühten viele Rosen. Ich nahm mir zum Andenken an Puebla einige davon mit.

Die Zeit der Stiergefechte ist glücklicherweise so ziemlich vorüber, selbst in Madrid sollen sie untersagt sein, und auch in Puebla wurden sie verboten, nachdem ich die Stadt erst kurze Zeit verlassen hatte. Ich bekam dort aber doch noch Gelegenheit, einem der letzten beizuwohnen, und wenn ich auch das Schauspiel selber hasse, so findet man doch an solchen Orten immer etwas dem fremden Lande Eigentümliches, und ich mochte es deshalb nicht versäumen.

Die Arena ist weit und geräumig gebaut, mit Bänken wie ein Zirkus, aber unbeschützt gegen Regen und Sonne. Nur die Zuschauer in den Logen sitzen, bei etwa eintretendem Wetter, trocken, und die Preise der Plätze sind richtiger- und charakteristischerweise so gestellt, daß die Sonnenseite fast um die Hälfte billiger ist als die Schattenseite.

Der Raum, der Tausende von Menschen fassen kann, war nur spärlich besetzt, Damen sah man überhaupt nur sehr wenige. Am stärksten waren die untersten, also die billigsten Plätze in Anspruch genommen, und dort jubelte das Volk auch schon, als wir eintraten: denn der erste Stier, ein ziemlich junges Tier, war hereingelassen und der Clown oder Hanswurst, der sich überhaupt sehr passiv benahm und nur einmal eine unglückliche Gastrolle als Picador gab, hatte sich von dem mutigen kleinen Burschen in der Arena herumjagen lassen.

Der erste Stier wurde auf die bekannte Weise mit vorgehaltenen Tüchern geneckt – aber auch ermüdet. Dann stieß man ihm mit buntem und raschelndem Papier besteckte Stacheln in den Rücken, wozu allerdings eine bedeutende Geschicklichkeit und kaltes Blut gehört, denn der Picador muß, wenn er nicht ausgezischt und ausgepfiffen sein will, dem Tier zwei dieser Stacheln auf einmal über die Hörner hinüber in die Schultern stoßen und dabei außerordentlich geschwind sein, denn wenn er es nur um einen Moment versieht, so hat ihn das Tier rettungslos auf den Hörnern, und er kann von Glück sagen, wenn er nicht schwer geschädigt davonkommt.

Zuletzt steckten sie dem armen geplagten Tier noch mit Schwärmern gefüllte Stacheln an, die sich dann entzündeten und Feuer sprühten, während das arme gequälte Geschöpf vor Wut und Schmerz laut aufbrüllte.

Als man sich daran genügend ergötzt, kam der Matador, um ihm den Gnadenstoß zu geben. Er neckte es erst allerdings ein paarmal mit einem roten Tuche, während er aber den scharf geschliffenen Degen schon in der Hand trug. Jetzt kam es wieder heran, und er stach es – nicht etwa in den Bug, daß es gleich tot zu Boden stürzte, sondern hinter das Schulterblatt, so daß es noch mehrere Minuten herumtaumelte, bis es sich endlich niedertat und dann, unter dem Jubelbrüllen der Menge, von dem »Schlächter« vollends getötet wurde.

Dann kamen zwei mit den mexikanischen Farben besteckte Maultiere herein, um das tote Geschöpf hinauszuziehen, ein schmutzig aussehender Bursche warf aus einem kleinen Karren Sägespäne über das Blut – und die Sache konnte von neuem beginnen.

Die zweite Abteilung war interessanter. Ein junger, mutiger Stier wurde hereingelassen, und zwei mit kurzen Lanzen bewaffnete Reiter erwarteten ihn. Die Lanzen hatten aber keine tödliche Spitze, sondern nur einen kurzen Stachel mit Querhalt daran, um den Stier zu verhindern, das Pferd unter den Leib zu fassen. Übrigens waren die Pferde selber durch einen den halben Bauch deckenden Ledergurt, wie durch zwei, vorn an jeder Seite hängende Leder so ziemlich gegen jeden Stoß verwahrt, konnten wenigstens nicht so leicht geschädigt werden.

Der Stier, gereizt, wandte sich gegen den einen Reiter und führte einen, wie es schien, gefährlichen Stoß gegen das eine Pferd; aber der Reiter hatte ihm geschickt den Stachel in die Schulter gestoßen, und indem er das ganze Gewicht seines eigenen Körpers dagegen lehnte, hielt er das Tier, das nun machtlos in die Luft hieb, erfolgreich von dem Gaul ab.

Jetzt ein anderes Bild. Vier Reiter ohne Lederschürze und Lanze – wie es schien, Amateurs, – hielten an der Tür, durch welche der erwartete Stier Einlaß bekommen sollte. Jetzt öffnete sich dieselbe, aber es kam kaum mehr als ein eben überwachsenes Kalb heraus – ein kleines, schwarzes, schwächliches Geschöpf, hinter dem die Reiter jetzt herjagten, bis es einer von ihnen am Schwanz ergriff, diesen dann, als er den Moment für günstig hielt, unter seinem eigenen Bein durchzog und dann das arme Geschöpf, durch plötzliches Antreiben seines Pferdes, mit dem Hinterteil herumwarf und dadurch zu Boden riß. Das war das ganze Kunststück, und wie beifällig wurde dasselbe von der versammelten Menge aufgenommen!

Jetzt, nach verschiedenen anderen Variationen, kam der Schluß. Ebenfalls ein ganz junges Tier, dem man aber auch noch zur Vorsicht die Hörner durch Kugeln unschädlich gemacht hatte, wurde hereingelassen. Auf ein gegebenes Zeichen sprang die ganze Jugend, die wahrscheinlich schon lange auf den Moment gehofft und gewartet, in die Arena und auf den Stier ein, der bei den plötzlich von allen Seiten auftauchenden kleinen Gestalten gar nicht zu wissen schien, auf wen er sich zuerst werfen solle. Suchte er sich aber einen von ihnen aus, so sprang der rasch zur Seite oder hinter eine der an vier Seiten der Arena aufgestellten Schutzwände, und indessen hatten schon wieder zwanzig andere den Kampf aufgenommen. Übrigens war die Sache gar nicht so ganz ungefährlich, denn selbst kleine, ungeschickte Jungen beteiligten sich dabei, kamen zwischen die Füße der anderen und gerieten ein paarmal in nicht geringe Gefahr, von dem zwar kleinen, aber doch wütend gemachten Tier gefaßt und in die Luft geworfen oder auch unter die Füße getreten zu werden.

Uns wurde das Schauspiel endlich widerlich – wir traten hinaus auf den um das Gebäude laufenden Balkon – drinnen jauchzte und schrie das Volk vor Lust und Wonne, wenn das arme, geängstigte, junge Tier von einem Schwarm großer, brutaler Jungen gefaßt und zu Boden geworfen wurde, und hier draußen? – Dort drüben lagen in einem unbeschreiblichen Glanz und Zauber die beiden Schneevulkane, von dem rosigen Glanz der untergehenden Sonne wie mit Purpur übergossen – ein Bild der stillen Ruhe und der Größe Gottes, während da drinnen ein entartetes Geschlecht eins seiner Geschöpfe mißhandelte und dabei in viehisches Jauchzen ausbrach. – Sonderbare Welt, so voll von Schönheit und Erbärmlichkeit! Aber eins besteht neben dem anderen – wir wissen nicht wozu – wir begreifen es nicht. Ich aber muß gestehen, daß ich mich beim Anblick dieses wundervollen Schauspiels in der Tat schämte, Zeuge jenes Skandals dort im Innern gewesen zu sein – es kam mir jetzt wie eine Entwürdigung der herrlichen Natur vor, die hier draußen alle ihre Schätze für das Auge des Menschen ausbreitete, und ich schwur mir heimlich zu, daß dies das letzte Stiergefecht sein solle, dem ich je im Leben beigewohnt.


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