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25. Von St. Thomas nach La Guayra

Endlich kam auch unser Aufenthalt in St. Thomas zu einem Abschluß. Am 7. März segelten wir aus dem Hafen, und ich muß gestehen, daß sich mir dabei eine Last von der Brust wälzte.

Ich bin gewiß nicht ängstlich, und auf der Insel selber wurde so wenig oder gar nicht von der dort allerdings auch sehr mäßig herrschenden Krankheit gesprochen, daß man ihrer fast vergaß. Trotzdem ist es eben nicht angenehm, in einer Stadt zu sein, von der man weiß, daß in ihr eine ansteckende Krankheit existiert. Man kann sie mit jedem Luftzug einziehen, und es war uns allen ein wohltuendes Gefühl, und ordentlich frei atmeten wir auf, als uns endlich die frische Seebrise wieder entgegenwehte.

Die Fahrt selber verdient keine Beschreibung, denn sie verlief monoton genug, und bei einer 24stündigen Windstille hatten wir keine andere Unterhaltung, als daß wir einen einzelnen, vielleicht verwitweten Haifisch fingen. Die Passagiere dagegen verlangen eine Erwähnung, denn ein gemischteres Korps konnte es kaum auf der ganzen Welt geben.

Wir waren unserer sechs: drei Deutsche, zwei Amerikaner und ein Geistlicher aus Venezuela. Kapitän und Mannschaft sprachen nur Französisch – der Kapitän ausgenommen ein klein wenig Spanisch. Die beiden Amerikaner nur Englisch, der Geistliche nur Spanisch, der eine Deutsche nur noch Englisch, und wir anderen beiden Deutschen verarbeiteten alle vier Sprachen. Manchmal gab es dabei eine Heidenkonfusion, denn man wurde wahrhaftig irre, mit wem man sprach, und was man reden solle, und es mag etwa so beim Turmbau zu Babel gewesen sein, so daß die Leute zuletzt verrückt wurden und auseinanderliefen. Übrigens hätten wir kaum eine nettere Gesellschaft zusammenbekommen können, denn wenn auch das nachfolgende rauhe Wetter einige – besonders den Geistlichen – der entsetzlichen Seekrankheit in die Arme warf, erholten sie sich doch bald wieder, und wir verlebten die kurze Zeit der Fahrt – fünf Tage von St. Thomas nach La Guayra – angenehm genug.

Der Kapitän wie seine Steuerleute waren dabei prächtige Menschen, wie es die Franzosen fast immer sind. Ich verabscheue die französische Wirtschaft und Regierung der »großen Nation«, aber ich liebe die Franzosen selber und verkehre gern mit ihnen.

Die kleine Barke »Tamaupilas« lief vortrefflich, schlingerte aber bei der geringsten Gelegenheit entsetzlich, und ich habe sie oft dabei erwischt, daß sie den allerdings vergeblichen Versuch machte, sich zwischen den kurzen uns treffenden Wellen, zweimal zwischen jeder, von einer Seite zur anderen zu werfen. Sonst aber hatten wir ein sehr gutes Leben an Bord: schmackhafte Kost und guten Medoc, und nur die Angst vor der uns in La Guayra drohenden Quarantäne dämpfte manchmal unsere Fröhlichkeit. Wie das Schwert des Damokles hing sie über uns, denn wir wußten natürlich nicht, ob wir drei oder dreißig Tage bekommen würden. Aber die Sache ließ sich nun einmal nicht ändern. Wir waren in for it, wie der Amerikaner sagt, und mußten sehen, wie wir wieder hinauskamen, machten uns auch wahrlich keine unnützen Sorgen.

Am 12. endlich, nachdem wir in der Nacht hatten Segel kürzen müssen, um nicht im Dunkeln auf die Küste zu rennen, liefen wir das Land, etwa morgens um acht Uhr, an – aber etwas zu weit östlich, um vor dem Winde nachher unseren Bestimmungsort erreichen zu können, und segelten dann die wundervolle herrliche Küste entlang gen Westen, bis wir von weitem endlich den eigentlichen Hafen La Guayra erkennen konnten.

Die hohen Berge deckte leider der Nebel, der heute auf der ganzen Küste lag, aber doch ließen sich bald die dort ankernden Schiffe und die weißen Häuser an den Hügelhängen erkennen. Wir selber aber, arme Ausgestoßene mit einem »schmutzigen« Patent Es ist ein höchst komischer Ausdruck in der spanischen Sprache, daß man sagt ein »schmutziger« ( sucio) und »reiner« Gesundheitspaß. in der Tasche, durften nicht wagen, uns unter die auserwählten dort ankernden Fahrzeuge zu mischen, sondern mußten beilegen, um erst da draußen die Befehle der hohen Obrigkeit zu erwarten. Diese kamen auch bald. Sowie wir nur unser besonderes Zeichen an dem Mast gezeigt, daß wir von St. Thomas kamen, wurde auf dem Signalhügel die gelbe (Quarantäne?) Flagge aufgehißt, und bald danach kam in höchst unzeremonieller Weise ein Boot zu uns heran, das – war es Ironie? – ein schmutziges Taschentuch an seiner Fahnenstange trug und mit drei braunen halbnackten Jungen bemannt war. Diese brachten uns ein Papier an Bord, d. h. sie reichten es nur einem der niedersteigenden Leute hin, und schoben dann rasch wieder ab. In dem Papier standen die kurzen, aber wenig tröstlichen Worte:

»Ihr habt in Quarantäne zu gehen – legt euch drei Meilen von der Reede, unter den Wind, nahe bei Cabo blanco (westlich) vor Anker und erwartet das weitere.«

Die Jungen im Boot wollten und durften dabei nicht einmal einen Brief mit an Land nehmen. Sie riefen uns nur zu, die gelbe Flagge aufzuziehen, und fragten uns, ob wir etwas vom Lande verlangten, worauf unsere einzige Antwort war: Frischen Proviant – dann ruderten sie, so rasch sie konnten, wieder dem Lande zu, und unsere eigenen Rahen flogen herum. Vor dem Winde, wie wir gekommen, passierten wir die Stadt, und gewissenhaft, eher 5 als 3 Meilen Distanz nehmend, ankerten wir, etwa 1 englische Meile ab vom Ufer, in der hohen See in etwa 7 Faden Wasser und in einer nichts weniger als angenehmen Stimmung. – Eine gelbe Flagge hatten wir übrigens gar nicht, und eine kleine, sehr schmutzige französische mußte deshalb den Dienst der Quarantäneflagge verrichten – und verrichtete ihn auch.

Der Nachmittag verging uns langsam und peinlich genug; es ist ein ganz verwünschtes Gefühl, als ein Ausgestoßener betrachtet zu werden, und ich begreife nicht recht, wie es Menschen geben kann, die diesen Zustand ihre ganze Lebenszeit ertragen – aber was ließ sich tun? Wir waren » in for it« und mußten stillhalten, ahnten aber schon, daß sich an diesem Tage niemand weiter um uns kümmern würde. Die kleine »Tamaupilas« rollte dabei in der ziemlich unangenehmen See zum Verzweifeln herüber und hinüber, und das schlimmste war, daß es sich noch gar nicht berechnen ließ, wann dieser Zustand ein Ende nehmen würde.

Am nächsten Morgen hofften wir nun bestimmt, daß mit Tagesgrauen, um die Morgenkühle zu benutzen, das Doktorboot zu uns herauskommen würde, um unseren Zustand zu untersuchen, und eine solche Untersuchung konnte nur günstig für uns ausfallen. Wir waren alle gesund wie die Fische und auch noch keine Stunde auf der Reise (die Seekrankheit abgerechnet) unwohl gewesen. Aber der Morgen verging – es wurde Mittag, und kein Boot kam, bis wir endlich gegen ein Uhr etwa ein kleines Segel erspähten, das augenscheinlich, von der Reede ab, auf uns zuhielt.

Der Quarantänearzt in La Guayra war früher ein Deutscher gewesen, und wir Deutschen an Bord hofften schon, daß er selber zu uns herauskommen würde, denn mit den Eingeborenen ist unter solchen Umständen selten ein vernünftiges Wort zu sprechen. Schon der Name Cholera jagt ihnen einen panischen Schrecken ein. Leider kam aber ein junger Venezuelaner, der sich außer dem Wind mit seinem Boot hielt und uns auf unglaubliche Distanz, natürlich in unverständlichen Lauten, anschrie. Er mußte aber schon näher kommen, denn bei dem Rollen der See und dem Plätschern des Wassers und Rauschen des Windes war auf diese Art keine Konversation möglich, und als er dann endlich so nahe zu unserer Barke gekommen war, wie er sich irgend getraute, begann etwa folgende Unterhaltung:

»Woher kommt das Fahrzeug?«

»Von St. Thomas.«

»Wieviel Tage Reise?«

»Fünf.«

»Irgend wer krank an Bord?«

»Nein – auch nicht gewesen.«

»Krankheit in St. Thomas?«

»Wenig oder gar keine mehr.«

»Gebt eure Papiere an Bord, aber besprengt sie vorher mit Essig!«

Das war alles! Ich nahm jetzt die Unterhaltung auf und suchte dem Manne auseinanderzusetzen, daß wir alle gesund wie die Fische wären, aber er behauptete – und wohl auch mit Recht –, daß er selber nichts bei der Sache tun könne, sondern erst berichten müsse. Er wollte auch anfangs nicht einmal Privatbriefe mit an Land nehmen, ließ sich aber doch zuletzt bereden, denn da ich selber Briefe von Deutschland für mich in La Guayra wußte, lag mir natürlich ungemein viel daran, diese vom preußischen Konsulat zu erbitten. Natürlich mußten sie aber jedenfalls mit Essig getränkt oder wenigstens besprengt werden. Auf einen Draht gereiht, schickten wir sie dann glücklich mit unserem Boot ab nach dem anderen, denn der Venezuelaner wäre uns nicht zu nahe gekommen, erhielten dafür einen Korb mit Fleisch und Gemüse, das er mitgebracht, und sahen ihn dann wieder der Stadt entgegensegeln.

Nun herrscht aber an der Küste fast unausgesetzt der Nordost-Passat, der noch dazu manchmal ziemlich stark wehen konnte. Das Boot war vor dem Wind zu uns herausgekommen und hatte dabei die ziemlich hohe Dünung vollkommen zu seinen Gunsten gehabt, jetzt aber – bei der Rückkehr – alles gegen sich. Der Arzt hütete sich auch bis dahin wohl, uns unter den Wind zu kommen, sondern hielt vor unseren Bug, jetzt aber, als er die Segel wieder setzte und aufkreuzen wollte, stellte es sich heraus, daß das Boot nicht gegen die heftige Brise und die Dünung aufsegeln konnte, sondern zurücktrieb. Die beiden Ruderer, anstatt gleich zu ihren Riemen zu greifen, versuchten es aber dennoch eine Weile und wurden dabei natürlich so weit abgetrieben, daß sie es endlich aufgeben mußten, vor uns zu Lande zu kommen. Sie sahen sich genötigt, die Segel einzunehmen und hinter uns vorbeizurudern, wobei sie natürlich vollständig unter den Wind kamen, und jetzt bot sich uns ein ebenso komischer als interessanter Anblick.

Der Doktor, obgleich er wußte, daß auf unserem Fahrzeug keine Idee von Krankheit herrschte, obgleich er Mannschaft wie Passagiere gesund an Deck gesehen, schien doch den Gedanken nicht ertragen zu können, unter dem Wind eines in Quarantäne liegenden Schiffes durchzugehen. Ändern ließ sich die Sache freilich nicht, denn es gab für ihn keinen anderen Weg zurück nach La Guayra, und wir alle lachten laut auf, als wir sahen, daß er sich plötzlich – in dieser entsetzlich gefährlichen Nachbarschaft – in das Boot niederlegte und mit dem Segel zudeckte. Erst, als sich das Boot vollständig aus Windesbereich zwischen uns und dem Lande befand, richtete sich der wackere Mann wieder empor, und die beiden Leute hatten jetzt volle Arbeit, gegen Wind, Strömung und Dünung an, die lange Strecke nach La Guayra – was sie wahrscheinlich erst abends erreichten – aufzurudern.

Der 13. März verging uns langsam genug. Wir versuchten allerdings, von Bord aus zu fischen, da wir kein Boot aussetzen durften, aber wir konnten nichts fangen, und in der Nacht, bei einer heftigen Böe mit Regen, schlingerte die »Tamaupilas« wieder reizend.

Die Aussicht, die wir von Bord aus hatten, war wirklich entzückend schön. Die hohen, dichtbewaldeten Berge dehnten sich im Süden weit nach Osten und Westen aus. An dem einen Hange hin lief die deutlich erkennbare Straße, die von La Guayra nach Caracas hinaufführte. Überall an den Hügeln konnten wir freundliche, unten in Kokoswäldern oder in Fruchtbäumen halbversteckte Häuser erkennen, und La Guayra selber, über die niederen Küstenhügel gebaut, bot einen gar freundlichen Anblick. Zu jeder anderen Zeit würden wir uns auch dem Genuß dieses herrlichen Bildes voll und gern hingegeben haben, jetzt aber, wo wir wußten, daß wir gewissermaßen ausgestoßen und als Pestkranke betrachtet in der Welt lagen, machte es keineswegs den Eindruck, den es sonst wohl auf uns hervorgebracht.

Am zweiten Tage danach kam ein anderes Boot, mit dem ich meine Briefe erwartete, und das uns frischen Proviant brachte. Aber schon das ganze Manövrieren desselben deutete auf nichts Gutes. Als es herankam, blieb es etwa 400 Schritt von unserer Barke entfernt unter dem Wind liegen und zog seine Flagge auf, zum Zeichen, daß wir ein Boot hinübersenden sollten. Wäre unsere halbe Besatzung an Cholera, Blattern oder Pest krank gelegen, die Leute hätten sich nicht alberner benehmen können. Das Boot wurde niedergelassen und abgesandt, und bald darauf kehrte es mit den nötigen frischen Lebensmitteln und Früchten, die wir verlangt, zurück, und sehnsüchtig genug erwarteten wir dabei die Kunde, die uns vom Lande aus werden würde.

Für mich war ein großes, dickes Paket dabei, das mir das preußische Konsulat freundlich gesandt, Briefe aus der Heimat, neun an der Zahl, und ich vergaß darüber fast die Quarantäne. Anbei aber lag auch ein kleiner Brief des preußischen Konsuls selber, worin er mir schrieb, daß er bedaure, mich an Bord der Barke zu sehen, denn die Junta de la Sanidad ( Insanidad sollte es besser heißen) habe beschlossen, unser Fahrzeug die längste Zeit dort draußen in Quarantäne zu lassen, die das Gesetz gestattete: nämlich 40 Tage, von unserer Abfahrt von St. Thomas an gerechnet. Die Reise selber hatte nur 5 Tage gedauert, also sollten wir 35 Tage in Quarantäne liegen bleiben.

Wie ein Donnerschlag traf uns diese Nachricht. Was jetzt? Der französische Konsul hatte kein Wort geschrieben, ebensowenig der Konsignateur des Fahrzeuges – auch von der Regierung selber war uns nicht der mindeste Bericht geworden – nichts, als was wir durch das preußische Konsulat erfuhren.

Das war ein Sonntag, und von jetzt an lagen wir da draußen wie verraten und verkauft an unserem Ankerplatz. Keine Seele kümmerte sich mehr um uns – kein Boot kam ab – andere Fahrzeuge sahen wir vorbeisegeln, teils in den Hafen hinein, teils aus dem Hafen in die See, aber keins kam auch nur in Rufesnähe von uns, und selbst die Fischerboote, die wir anriefen, winkten scheu mit der Hand, daß sie uns nicht nahen dürften, und ruderten rasch vorüber. Es war rein zum Verzweifeln, und das einzige, was mich tröstete, allein die erhaltenen Briefe, die mir gute Kunde von daheim brachten und die ich jetzt in aller Muße beantworten konnte. Manchen Genuß hatten wir doch auch in der vor uns liegenden, wahrhaft prachtvollen Szenerie, die besonders am Abend des 16. März einen wahrhaft entzückenden Anblick bot.

Den Tag über hatte eine frische, kräftige Brise geweht und die Berge rein gefegt. An den dunkelgrünen Hängen zwischen den vorderen und hinteren Hügeln lagen milchweiße, wunderlich geformte Nebelstreifen, und links über den fernen Bergen zog sich in schwarzen Wolken ein Gewitter zusammen, dessen grollenden Donner wir bis hierher hören konnten. Die Sonne senkte sich dabei zum Horizont, und jetzt nahmen die Berge eine Färbung an, wie ich sie kaum in meinem Leben gesehen. Die Nebelstreifen, die aus den tiefen, dunklen Tälern emporstiegen, sahen aus, als ob sie aus mattgeschliffenem Silber gefertigt wären – links lagerten noch immer die düsteren, fast schwarzen Wolkenschichten, aber darüber öffnete sich der blaue Himmel wie mit goldenen Rosen überstreut, und wie bei Dissolving views wechselten ununterbrochen die Schattierungen.

Jetzt zeigte sich zwischen den beiden höchsten Bergen eine blaugraue, durchsichtige Dunstschicht, die bald den blauen Himmel, bald ein schneeweißes Nebelmeer durch ihren Duft erkennen ließ, und wo die Sonne hier und da einen der Punkte erreichte, warf sie bald einen Gold-, bald einen Silberschein über einzelne Streifen. – Mehr und mehr zeichneten sich dabei die Schatten der verschiedenen steilen, aber dicht bewaldeten Berghänge an dem immer dunkler werdenden Hintergrunde ab – schon ließen sich da und dort einzelne Feuer in den Schluchten erkennen – La Guayra selber schimmerte mit seinen bunten Häusern und braunen Hügelhängen in den letzten Strahlen der Sonne, und nun, als das Tagesgestirn sank, wechselten urplötzlich die verschiedenen Tinten und gossen eine rötlich-unsichere Färbung über die ganze Landschaft aus. Die jetzt vollkommen weißen Nebel drückten sich in festen Massen in die Täler hinein, die wahrhaft pittoresken Konturen der Berge zeichneten sich scharf und klar gegen den Himmel ab. Nur über dem ganzen westlichen Horizont lag es wie eine breite Schicht glühenden Goldes und warf seinen funkelnden Schimmer über die ruhig wogende See.

Einen Moment noch, und alles war verschwunden – bleigrau lag der Himmel, lagen die Berge, zwischen denen riesige Nebelgespenster ihren Lagerplatz gesucht und sich darin, in ihre langen, weißen Mäntel gehüllt, weit ausgestreckt. Die Sterne funkelten, die Berghänge waren schwarz geworden, und die Nacht hatte ihr Reich begonnen.

Indessen hatten wir an Bord befindlichen sechs Passagiere beschlossen, doch nicht so ganz müßig das Unangenehme über uns ergehen zu lassen, und eine Petition an die Junta de la Sanidad aufgesetzt, in der wir dieselbe ersuchten, wenigstens uns Passagiere, die wir uns in voller Gesundheit befänden, freizulassen. Dieselbe ging Donnerstag, den 19. mit dem dritten Proviantboot, das uns besuchte, aber wenigstens eine halbe Meile ab vom Schiffe liegen blieb und ein Boot von uns erwartete, an Land – aber ohne scheinbaren Erfolg.

An dem nämlichen Tag trieb langsam mit der geringen hier herrschenden Strömung ein sehr schönes Exemplar jenes kleinen »Portugiesischen Kriegsschiffes« oder Galeere, wie es die Franzosen nennen, an uns vorüber und kam so dicht an Bord, daß es der Steuermann in einem übergeworfenen Eimer faßte und aufzog.

Dieses wunderbare Geschöpf, das sich aber auch im Stillen Meer vorfindet, schwimmt besonders häufig im Atlantischen Ozean und vorzugsweise im Karibischen Meere herum und ist wohl von jedem, der auch nur einmal das Meer in einem Segelschiff befahren, wenn auch nur aus der Ferne beobachtet worden.

Es sind anscheinend einfache, länglich gestaltete Blasen von verschiedener Größe und fast immer in prachtvoll rot und blauen Farben spielend. In länglicher Form, nicht unähnlich einer großen, auf dem Wasser schwimmenden Fischblase, die beiden Enden etwas in die Höhe gedreht und das vordere, unter welchem die Fäden hängen, dicker als das hintere, habe ich sie im Atlantischen Ozean bis 10 Zoll Länge gesehen, während im Stillen Ozean Massen von kleinen herumschwammen, die oft kaum 1 Zoll Länge haben konnten.

Ich weiß nicht, ob das vielleicht Junge oder nur eine Abart der größeren waren, denn die Naturgeschichte dieses vielleicht wunderbarsten Tieres der Welt ist noch in tiefstes Dunkel gehüllt. Von desto größerem Interesse wird deshalb das sein, was wir an Bord der »Tamaupilas«, am Kap Blanco in Venezuela in Quarantäne liegend, zu beobachten Gelegenheit hatten, und ich bin fest überzeugt, daß selbst von tausend Seeleuten kaum einer je ähnliches gesehen.

Der wissenschaftliche Name dieser merkwürdigen Blase fällt mir jetzt nicht ein Nach einem Aufsatz des Herrn Dr. Langenbach Physalia caravella., die Engländer aber, und auch die deutschen Seeleute, benennen sie mit dem oben stehenden Titel, wie ich auch von Matrosen gehört habe, daß sie das Tier By the Winder nennen, weil es eben stets, wie ein Segelschiff, dicht am Winde liegt und ersichtlich imstande ist, die Blase so zu dirigieren, um damit zu steuern.

Der Anblick des kleinen Tieres, besonders im Sonnenschein, ist wahrhaft prachtvoll. Die Blase selber ist so angespannt, daß sie, wenn man sie an Deck legt und darauf tritt, mit einem lauten Knall zerplatzt. Der obere Teil erscheint dabei, wie bei einem Damenkragen, in halbe Falten gelegt, und das Ganze glüht und blitzt in den herrlichsten und feurigsten blau und roten Farben, während jedoch die kleineren, besonders bei bewölktem Himmel, eine fast weiße Färbung haben und nur selten einen schwachen roten Schimmer zeigen. Von dem vorderen, mehr runden Teil hängen aber eine Unzahl langer, geringelter Fäden nieder, die bei den größeren dunkelblau mit einer rötlichen Färbung erscheinen, von 6 bis 20 Fuß lang werden können und geringelt wie eine Miniaturschlange aussehen. Auf Deck ausgestreckt, gleichen sie fast einer langen Schnur blauer Perlen, im Wasser dagegen sind sie korkzieherartig gewunden, und das Tier kann sich, je nach Gefallen, mit wunderbarer Schnelle auf und nieder bewegen. Scheinbar aber, besonders wenn man in kurzer Entfernung daran vorbeisegelt, hängen sie regungslos in das Wasser hinab.

Diese Fäden, schleimig und zäh und meist von tiefer Indigofarbe, haben die eigentümliche, aber allgemein bekannte Eigenschaft, daß sie auf der zarten Haut des Körpers schlimmer als Brennesseln und fast wie glühende Kohlen brennen. Mit den Fingern – solche vielleicht ausgenommen, die eine sehr zarte Hand haben – kann man sie jedoch ungefährdet angreifen, nur muß man sich sehr in acht nehmen, daß keine der Fasern den Rücken der Hand berührt, oder man wird den unangenehmen Schmerz viele Stunden lang spüren.

Von diesen Tieren habe ich in meinem Leben und auf meinen verschiedenen Seefahrten wohl viele Tausende gesehen und mich oft an ihrem Anblick erfreut, auch sehr viele teils mit einem Netz, wie ich es früher bei mir führte, teils später einfach mit einem Eimer gefangen und an Bord gezogen. Anfangs versuchten wir, sie auch zu erhalten und, als sie zusammenschrumpften, zu trocknen, aber es war nicht gut möglich, denn selbst auf Löschpapier blieb nur eine erst gallertartige, dann vollkommen trockene, fast durchsichtige Schicht zurück, die weder Form noch Farbe hatte.

Oft und viel sprach ich über diese Tiere mit Seeleuten, besonders mit solchen Kapitänen, die den größten Teil ihrer Lebenszeit auf See zugebracht, und suchte zu erfahren, wovon diese wunderlichen Geschöpfe eigentlich lebten, erhielt aber von allen dieselbe Antwort. Genau wußte es keiner zu sagen, aber sie alle glaubten, daß sich dieses blasenartige Geschöpf seine Nahrung in kleinen Insekten oder Mollusken durch diese brennenden Fasern fing oder auch vielleicht nur aus Salzwasser aufsöge. Das schien auch das wahrscheinlichste.

Oft holten wir auch ein solches Blasentier an Bord und suchten zu unterscheiden, an welchem Teile eigentlich, an dem dicken oder dünnen, der Kopf säße. Nirgends ließ sich jedoch eine Öffnung erkennen, durch welche sie die Möglichkeit zeigte, daß es irgend eine Nahrung zu sich nehmen könne, und im Innern waren ebensowenig Teile derselben zu erkennen.

Dieses, was wir gefangen, hielten wir in dem Eimer mit Seewasser mehrere Stunden an Bord, ergötzten uns an den wunderbar schönen, schillernden Farben und untersuchten wieder auf das genaueste, selbst mit einer Lupe, die geheimnisvolle Gestalt, auch ohne nur zu dem geringsten Resultat zu kommen. Den spitzen Teil des Körpers hob es am häufigsten empor und schien damit besonders umherzuschauen. Oben darauf war auch ein blaßroter Punkt, den man recht gut für ein Auge halten konnte. Das alles blieb aber nur Vermutung, und wir ließen das schöne Tier endlich wieder in See, wo es sich, obgleich wohl die Hälfte der an ihm niederhängenden Fasern abgerissen war, sehr bald wieder zu erholen schien.

Es dauerte nicht lange, so senkten sich die langen, blauen Fasern, die es an Deck krampfhaft und fest wie zu einem dicken, blauen Ball zusammengezogen hatte, wieder in die See hinab, der in dem Eimer bedeutend eingeschrumpfte Körper dehnte sich allmählich aus, und noch in Sicht schien das Tier seine gewöhnliche Gestalt und Größe angenommen zu haben und sich vollkommen wohl zu befinden.

In den nächsten Tagen sahen wir wieder mehrere vorbeitreiben, ohne aber besonders darauf acht zu haben. Die meisten kamen auch nicht nahe genug zum Schiff, und ein Boot durften wir der Quarantäne wegen überhaupt nicht in See lassen.

Sonntag, den 22. kam das vierte Boot, ohne uns Antwort oder irgend eine Nachricht vom Ufer zu bringen. Der preußische Konsul hatte uns anfangs geschrieben, daß sich unsere Lage ändern könne, wenn das nächste St. Thomaspaket gute Kunde brächte. Das St. Thomaspaket war eingetroffen, aber uns wurde auch nicht die kleinste Notiz darüber gegeben, und unsere Lage fing an, eine verzweifelte zu werden.

Als größte Plage an Bord stellte sich übrigens bald der Kapitän selber heraus, denn ein so guter Mann er sonst war, und liebenswürdig er sich zuweilen zeigen konnte, ein so furchtbarer Schwadroneur war er, und er konnte einen manchmal mit seinem überdies nur halbverständlichen Französisch, da er immer den ganzen Mund voll von zerkautem Tabak und Saft hatte, fast zur Verzweiflung bringen. Die Sprachverwirrung an Bord wurde dabei immer größer, und man wußte zuletzt selber nicht mehr, was man eigentlich reden sollte.

Gestern, am 24. März, hatten wir böses Wetter. Der Wind blies scharf von Nordost, es regnete den ganzen Tag, und eine ziemlich hohe See machte sich auf. Heute, am 25., hatte sich der Wind allerdings wieder gelegt, der Himmel aufgeklärt, auch die See ziemlich beruhigt, es stand aber noch eine sehr bedeutende Dünung, in welcher unsere Barke auf das unbarmherzigste schlingerte und rollte, d.h. von Seite zu Seite herüber und hinüber schwankte. Morgens, acht Uhr etwa, sah ich einen der größten dieser Portugese men of war, die ich je bemerkt, nicht weit von Bord treiben und zeigte ihn den anderen Passagieren. Wir hatten übrigens kein weiteres Verlangen, ihn an Bord zu heben, als auch die übrigen Seeleute aufmerksam darauf wurden, und der Koch aus seiner Kambüse trat und über Bord schaute.

Das wunderliche Tier war etwa gerade da, wo er stand, bis dicht vor die Schiffswand gekommen, und er rief mir jetzt zu, hinüber zu ihm zu steigen und zu sehen, welche Masse kleiner Fische darum herschwärmten.

Ich hatte das noch nie bei diesen Blasen bemerkt und stieg deshalb auf das untere Deck hinab, um mich selber zu überzeugen.

Dicht an der Schiffswand trieb jetzt das schöne, in blau und rot prachtvoll schillernde Geschöpf, das einen deutlich und scharf eingeschnittenen Kragen oder Kamm auf dem Rücken trug, und um es her schwammen etwa dreißig Fischchen verschiedener Größe, von denen das längste kaum 3 Zoll halten mochte. Ich wollte aber meinen Augen kaum trauen, als ich die Blase da unten in voller Arbeit, und zwar mit nichts Geringerem als dem Fischfang beschäftigt sah.

Deutlich konnten wir selbst von oben aus erkennen, daß das Blasentier, dem man selbst bei genauer Untersuchung kaum eine selbständige Bewegung zutrauen sollte, in den zum Teil zusammengezogenen blauen und schraubenartigen Fasern mehrere kleine tote Fische hielt, während die ganze Tätigkeit der Blase eine saugende Bewegung, ein leises Zusammenziehen und Ausdehnen zeigte. Sonderbar war es dabei, wie die kleinen Fische, halb scheu, halb gierig, das Tier umkreisten, denn während das geheimnisvolle Geschöpf die Fische in seinen giftigen und brennenden Fasern hielt, streiften sich fortwährend kleine Teile, Schuppen und Fleischfasern davon ab, so daß es ordentlich aussah, als ob sie von dem Blasentier absichtlich ausgestreut würden, um noch mehr der jungen Brut heranzulocken und zu fangen.

Die Seeleute waren indessen sämtlich herbeigekommen und erklärten, etwas Ähnliches in ihrem ganzen Leben nicht gesehen zu haben. Einer von ihnen nahm einen Eimer und suchte ihn so über das Tier zu werfen, daß er es, wenn er sich aufdrehte, darin fangen mußte. Er warf den Eimer aber sowohl das erste als das zweitemal zu kurz, ohne jedoch imstande zu sein, die kleinen Fische damit wegzujagen. Sie wichen allerdings dem niederfallenden Eimer scheu aus, kehrten aber augenblicklich wieder zurück und schienen trotzdem die Gefahr, die ihnen von dem Blasentier drohte, genau zu kennen, denn sie hüteten sich auf das sorgfältigste, den Fasern nahezukommen. Der Polyp, denn zu dieser Klasse von Geschöpfen gehört doch jedenfalls der Portugese man of war, schien aber nicht imstande zu sein, seine Fasern seitab zu werfen; alles aber, was in ihre Berührung kam, war auch sein, denn mit Blitzesschnelle wanden sich dann die berührten Teile auf und hielten, was sie erfaßten, mit unzerreißbarer Klammer.

Als der Seemann den Eimer zum drittenmal niederwarf, wickelte sich beim Aufziehen ein Teil der langen, noch niederhangenden Fasern um den Tauknopf des Bügels, und er zog daran den man of war herauf.

Der Anblick, den das Tier jetzt bot, war wundervoll. Es zeigte sich als eins der größten Exemplare, die wohl je in See vorkommen, und reichlich seine 10 Zoll lang, wie etwa 4 oder 4½ Zoll hoch. Die längsten Fasern, die dabei noch an ihm niederhingen, denn den größten Teil derselben hatte es zu einem blauen Ballen oder Klumpen unter seinem Körper zusammengezogen, mußten wenigstens 20 Fuß lang sein und hingen noch über Bord bis in die See nieder. Der Körper des Blasentiers schrumpfte allerdings, so wie es sich gefangen und seinem Element entzogen sah, augenscheinlich zusammen, so daß es wenige Minuten später kaum die Hälfte seines früheren Umfangs hatte. Merkwürdig aber war der Anblick, den der blaue Klumpen unter der Blase bot, als wir denselben mit einem Stück Holz entwirrten, denn wir waren alle außerordentlich vorsichtig, den Fasern nicht mit der Hand zunahe zu kommen.

Schon von außen konnten wir deutlich erkennen, daß er mehrere kleine Fische dort hineingezogen trug, sobald wir aber den Knäuel öffneten, fanden wir nicht weniger als neun Stück darin verwickelt, von denen einige erst kürzlich ergriffen und getötet, andere aber schon zum Teil halb aufgezehrt oder angefressen waren.

Was wir schon, als sich das Tier noch in See befand, von oben aus gesehen, daß es nämlich durch eine Art von Saugen die Schuppen von seiner Beute streifte und dabei auch einige Fleischfasern abfielen, zeigte sich jetzt in seiner Wirklichkeit deutlich genug. Es scheint demnach, daß das Tier an den Wurzeln dieser langen Fasern verborgen, denn erkennen ließ sich nichts davon, eine Anzahl von Sauggefäßen hat, an welche es verschiedene Beutestücke zu gleicher Zeit anziehen und sie aussaugen kann. An manchen der Fische, von denen der größte knapp 3 Zoll hielt, der kleinste kaum 1 Zoll lang war, waren dicht neben den Kiemen die Schuppen gänzlich entfernt und das Fleisch erst zu einem kleinen Teil angefressen. Einer, obgleich schon länger getötet, denn er zeigte sich starr, war unberührt, andere dagegen, besonders die kleinen, schienen schon halb aufgezehrt und hielten kaum noch zusammen.

Woher das Tier die Kraft bekommt, drei oder vier solch kleiner Fische zu gleicher Zeit zu verzehren, begreife ich nicht. Eine Möglichkeit bleibt aber, daß es sie so lange in seinen Klammern hält, bis sie anfangen weich zu werden, und sie dann erst aussaugt; jedenfalls würden sich dann die Schuppen leichter ablösen. In Verwesung war übrigens noch keiner der gefangenen Fische übergegangen, denn ich löste sie sämtlich heraus, um sie nachher an unseren Angelhaken zu befestigen und wieder andere Fische damit zu fangen, aber sie nahmen sie nicht.

Die Fasern des Blasentiers waren durch das Heraufziehen und die rauhe Behandlung an Bord arg beschädigt worden, aber wir wollten es nicht töten und warfen es wieder über Bord, wo es erst einen Moment seitwärts auf dem Wasser lag, sich aber dann wieder aufrichtete und nach und nach anfing, die emporgerollten Faserstücke, obgleich viele davon zerschnitten worden, niederhängen zu lassen. Die Tiere müssen außerordentlich zäh sein.

Wir hatten einen amerikanischen Schiffskapitän, Herrn Reynold aus Philadelphia, an Bord; der alte französische Kapitän war seine halbe Lebenszeit auf See gefahren; ich selber habe manche Seereise gemacht und die Tiere oft beobachtet: aber weder einer von uns noch von den Matrosen hatten je etwas Ähnliches gesehen oder es für möglich gehalten, und ich gestehe offen, ich würde es kaum selber geglaubt haben, wenn es mir ein anderer erzählt hätte. Wir hatten hier aber den Beweis zu deutlich auf der Hand, und diese Zeilen mögen vielleicht dazu dienen, andere Seefahrer auf dieses wunderbare Geschöpf, das bis jetzt nur so wenig und von einzelnen Leuten beobachtet wurde, aufmerksam zu machen. Der einzige Platz freilich, wo es genau beobachtet werden könnte, wären die zoologischen Gärten von Hamburg, London oder Amsterdam. Dort, wo man dem Seewasser eher zugänglich ist, würde es nicht so schwer sein, ein kleines, aber natürlich ziemlich tiefes Aquarium herzurichten, und der Transport des zähen Tieres, wenn vorsichtig und unbeschädigt in einem Netz gefangen, könnte nicht die geringsten Schwierigkeiten bieten. Ich bin fest überzeugt, daß es sich in einem mit Seewasser gefüllten und aufgehangenen Gefäß wochenlang an Bord halten müsse. Nichts aber wäre lohnender und interessanter, als die Natur dieses rätselhaften Geschöpfes mit voller Sicherheit zu bewachen, und das würde die darauf gewandten Kosten reichlich belohnen.

Am 24. hatten wir heftigen Nordostwind mit fast ununterbrochenen Regenschauern, der eine solche See aufwühlte, daß wir am nächsten Tage auf wahrhaft nichtswürdige Art hin und her geschaukelt wurden.

Donnerstag, den 26. sahen wir, bei noch sehr hohem Seegang, ein Boot zu uns herauskommen, in dem wir auch bald zu unserer Freude einen weißen Mann erkannten. Das war der erste Lichtblick in unsere Quarantänenacht, und richtig kam auch ein Arzt an Bord, d.h. er blieb dicht bei uns mit dem Boot liegen und ließ uns alle an die Bulwarks kommen, um uns zu besichtigen. Ich glaube, die Untersuchung fiel gut aus, denn wir waren alle gesund und wohlgenährt. Trotzdem dauerte es noch bis zum Sonntag, ehe das zweite Boot herauskam und uns freimachte, und am Abend des nächsten Tages, nachdem wir durch das Ungeschick der französischen Seeleute einen vollen Tag gebraucht hatten, um die drei englischen Meilen aufzukreuzen, erreichten wir endlich – mit welchen Gefühlen kann sich der Leser denken – die lang und heiß ersehnte und so oft durch unsere Fernrohre betrachtete Reede von La Guayra – gerade zu spät, um an diesem Abend noch an Land zu kommen. Das ermöglichten wir erst am nächsten Morgen, und ich hatte hier nicht allein das wonnige Gefühl, nach dem furchtbaren Schlingern an Bord wieder einmal festen Boden betreten zu können, sondern auch gleich von einigen deutschen Herren – selbst an der Landung – auf das herzlichste empfangen zu werden.

Der preußische Konsul Herr Wilhelms war mit einem Herrn Schröder aus La Guayra herausgekommen, und die Herren hatten es schon unter sich ausgemacht, mich gar nicht in das Hotel zu lassen. Herr Schröder nahm mich ohne weiteres und mit der liebenswürdigsten Gastfreundschaft in seine prächtige Wohnung hinauf, und jetzt, nach einer langen, mühseligen Fahrt, sitze ich hier oben wieder einmal, nach langer Zeit, bei lieben, guten Menschen in einem freundlichen Gemach. Vor mir liegt das weite, blaue Meer, das mich die letzten drei Wochen auf die unbarmherzigste Weise hin und her geworfen, unter meinem Fenster selbst rollt die schäumende Brandung ihre Wogen an Land, und rechts da drüben, von der warmen Tropensonne übergossen, schaukelt ein reizender Kokospalmenhain seine gefiederten Wipfel in der Seebrise.

So wechselt mein Leben hier draußen; aber darin liegt ja auch gerade wieder der unendliche Reiz, der für alle Beschwerden und Entbehrungen wieder einen »armen Reisenden« so reich entschädigt.


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