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19. Von Cuernavaca nach Acapulco

Von Cuernavaca aus hatte ich noch eine sehr berühmte Höhle besuchen wollen, aber fälschlicherweise hörte ich, daß ich dann den am 14. unfehlbar eintreffenden Dampfer versäumen würde und elf Tage in Acapulco zu liegen hätte. Außerdem konnte ich gerade jetzt einen besseren Kontrakt mit einem Arriero machen, der zwei Reisende zu befördern hatte, und da entschloß ich mich denn kurz, den geraden Weg zur Küste einzuschlagen.

Meine beiden Begleiter möchte ich aber doch mit ein paar kurzen Worten bei dem Leser einführen, denn es waren ein paar wunderliche Gestalten, die sich auch erst später weiter entwickelten.

Der eine von ihnen – wenn ich so sagen mag, die ›vornehmere‹ Persönlichkeit, denn vornehm sahen sie alle beide nicht aus – war ein kleines, gedrungenes und sehr gelenkes Männchen, ein Spanier – mit außerordentlich sorgfältig gekräuselten Haaren – was ich aber auch an seinem Begleiter bemerkte, und wahrhaftig frauenhaft weißen und kleinen, nur etwas schmutzigen Händen, als ob er sie sich an dem Morgen nicht gewaschen hätte. Er trug eine kurze blaue Tuchjacke, wie sie überall beim Reiten in Mexiko und oft dabei sehr reich verziert getragen wird, sehr enge Hosen und die zierlichsten Stiefel, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Dabei führte er einen kleinen Revolver, aber ohne Gurt und nur mit einem weißen, an den Enden rotgestickten Taschentuch um den Leib gebunden, so daß ich nicht recht einsah, wie er, da er das Tuch durch den Bügel gezogen, die Waffe zum raschen Gebrauch bei der Hand haben wolle. – Übrigens versprach ich mir kein besonderes Resultat von seiner Hilfe, wenn wir uns ja noch hätten gegen irgend jemand verteidigen müssen.

Auf dem Kopf hatte er einen jener grauen mexikanischen Filzhüte mit einem fast fußbreiten Rand, wie sie schon das Glück manches Hutmachers begründet haben. Dieser Rand war auch unten mit Silber gestickt, und so ein Hut kostete in der Hauptstadt von 20 bis 25 Dollars. Ich selber möchte ihn aber nicht geschenkt haben, denn sie sind entsetzlich schwer und durch den breiten und vollkommen steifen Rand höchst unbequem – aber es ist freilich Nationaltracht. Der Mann mochte etwa vierundvierzig Jahre zählen und hieß Don Pedro Gaspard.

Sein Begleiter war kaum dreißig Jahre alt, mit etwas blasser Gesichtsfarbe und auffallend weißen und auch reinen Händen. Er trug einen leichten, blauen Rock, an den Ärmeln ein klein wenig kurz, groß karierte, enge Beinkleider ohne Strippen, ziemlich derbe Stiefel und etwas gebrauchtes Unterzeug – was man recht gut sehen konnte, da ihm beim Reiten die Hosen gleich morgens heraufrutschten und dann über Tag so blieben. Als Waffe führte er einen Stockdegen, den er zugleich als Reitgerte für sein Maultier gebrauchte.

Er schien sehr gutmütiger Natur und war immer fidel, während der kleine Mann mit dem großen Hut einen mehr ernsten Charakter zu haben schien. Er sprach wenigstens den ersten Tag fast kein Wort und kam mir überhaupt ein wenig nervös vor.

Diese beiden – oder nur der Kleine, ich wußte es nicht – führten einen Diener bei sich, einen Burschen aus der Gegend von Jalapa, aber einen so ungeschickten Tölpel, wie ich ihn nur je in meinem Leben gesehen habe. Er saß stets auf seinem Pferde, als ob er schief aufgeklebt gewesen wäre und verlor im Lauf der Reise alles, was ihm nicht unverlierbar fest am Körper saß. Er trug ebenfalls einen großen, aber natürlich ordinären mexikanischen Hut und eine Zarape, auf welcher er der Hitze wegen ritt, und die denn auch richtig eines schönen Tages, da er noch dazu immer zurückblieb, unter ihm wegrutschte und verloren ging.

Das war meine Begleitung, dazu zwei Arrieros mit zwei Packtieren, also im ganzen acht Maultiere – damit brachen wir am 7. Januar endlich auf und schlugen dabei einen ziemlich südlichen Kurs mit nur wenig West ein.

Der Ritt von Cuernavaca aus war ziemlich heiß, denn mit allen nötigen Vorbereitungen hatten wir nicht so früh, als ich es wohl gewünscht, aufbrechen können – aber es konnte nichts helfen. Aus den Kokospalmen, Bananenhainen und schattigen Gärten der Stadt hinaus ritten wir in das offene Land hinein, und die Sonne brannte dazu aus allen Kräften nieder, während die Gegend, je weiter wir die Stadt verließen, mehr und mehr wild und verödet schien. Anfangs passierten wir allerdings noch einige Hacienden und große Zuckerrohrfelder, dann hörten diese auf. Nur in der Nähe der Bergquellen zeigte sich noch lebende Vegetation, weiter hinan an den Hängen war nichts als gelbliches Gras und eine Art Mageh mit Kaktuspflanzen zu sehen, und als wir mittags ein kleines Dorf erreichten, konnte es kaum was Traurigeres auf der Welt geben als dieses Nest.

Das Dorf selber bestand nur aus offenen Rohrhütten, die Wände nicht selten aus Reisig hergestellt, die einzelnen Baustellen mit den langen, stangenartigen Kaktus eingefriedigt und nur in Ausnahmefällen einen Fruchtbaum zeigend. Am Wege selber standen einige kleine, ärmliche Kabachen, in denen, dem Namen nach, Lebensmittel zum Verkauf gehalten wurden, in Wirklichkeit gab es aber nichts als ein paar grüne Platanos und einige Eier, aus denen sich die Reisenden ein Mahl herstellen konnten. Ein paar Orangen war das einzige, das uns noch etwas Labsal gab.

Dann ging's weiter, bis wir mitten in einer scheinbaren Wüste und außer Sicht jeder menschlichen Wohnung ein paar Indianer, Mann und Frau, an der Straße sitzend fanden, die im Schatten eines einzeln stehenden Baumes einen großen irdenen Krug und oben darauf ein mit einer gelben Flüssigkeit gefülltes Glas stehen hatten, zum Zeichen, daß dort irgend ein Getränk feilgeboten werde.

Ich hielt natürlich an und fragte, was das Glas enthalte; es war Tamarindenwasser oder kalter Tamarindentee, ein gesundes und erfrischendes Getränk, und wir leerten jeder ein Glas. Auf große Kundschaft konnten die armen Teufel aber kaum an diesem einsamen Platz rechnen, denn wir begegneten auf unserem ganzen Weg an dem Tage nicht einem einzigen Menschen, außer früh am Morgen einer kleinen Karawane von Karren. Trotzdem lagerten sie hier an dem heißen Platz mit unerschütterlicher Geduld und jedenfalls dem Bewußtsein, daß sie indessen daheim doch nichts versäumten.

Die Nacht verbrachten wir in einer elenden Posada in einem kleinen Städtchen, wo wir aber doch wenigstens ein paar Wassermelonen und eine gute Suppe bekamen, und brachen dann wieder früh zu neuem Marsche, und einer hohen Hügelkette entgegen, auf.

Wir befanden uns hier an der Grenze des bis jetzt eigentlich unabhängig gebliebenen Staates Guerrero, der sich augenblicklich allerdings in offenem Bürgerkriege befand, aber jedenfalls den Ruhm und mit vollem Recht beansprucht, daß er in seinen Grenzen nie Räubergesindel geduldet hat, und man ihn sogar jetzt – ein wohltätiges Gefühl gegen die ewige Unsicherheit im eigentlichen Staate Mexiko – mit voller Sicherheit durchstreifen kann.

Die politischen Zustände in diesem Staate sind eigentümlicher Art, stehen aber in Mexiko selber nicht vereinzelt. Seit der Kazikenzeit hatte sich nämlich die Familie Alvarez hier als Oberhaupt, das sich aus Gefälligkeit gegen den Präsidenten der Republik »Gouverneur« nannte, gehalten, und als der Vater des jetzigen Gouverneurs zu alt wurde, übergab er seinem Sohne, wobei eine Art Wahl im Lande gehalten wurde, sein Amt, das dieser auch unangefochten verwaltete, bis der Vater starb. Jetzt auf einmal trat ein anderer General, namens Ximenes, auf, ließ sich von seinen Anhängern wählen und setzte sich im Osten des Reiches fest. Alvarez dagegen rief seine Mannen zusammen und hielt den Westen, und wie wir hörten, so sollten sich die beiden feindlichen Parteien jetzt völlig gerüstet gegenüberstehen. Das schadete aber gar nichts, denn wir brauchten nicht zu fürchten, dadurch in unserer Reise aufgehalten zu werden. Frachttransporte ließ man allerdings nicht passieren, und Bewohner von Guerrero selber möchten auf einer Tour Wohl ebenfalls Schwierigkeiten gefunden haben, aber Fremde machten davon eine Ausnahme, und man verlangte von ihnen nur einen Paß.

Sonderbarerweise mischte sich die mexikanische Regierung gar nicht in die inneren Streitigkeiten eines ihrer Staaten, sondern ließ es ganz ruhig die verschiedenen Parteien unter sich ausfechten. Schossen sie einander tot, so war das ihre Sache, nicht die der Regierung, die mehr zu tun hatte, als sich um eine solche Bagatelle zu bekümmern.

Den zweiten Abend übernachteten wir wieder in einem kleinen Dorf in ziemlich ärmlicher Weise: ein paar junge Mädchen besorgten die Wirtschaft, und ich hörte, daß die Frau vom Hause krank sei. Ich hatte mich nicht erkundigt, was ihr fehle, bis ich nach dem Essen ein leises Wimmern hörte, und dann sah, daß die ganze Familie um ein halb im Freien befindliches Bett herumstand. Jetzt ging ich dort ebenfalls hin und hörte, die Frau sei an dem Nachmittag von einem Skorpion gestochen worden und leide, wenn auch die Wunde nicht gefährlich war, doch entsetzliche Schmerzen.

Da ich meine kleine Medizinflasche, wie immer, bei mir führte, so beschloß ich, einen Versuch mit Chloroform zu machen, und holte das kleine Fläschchen herbei, wobei sich augenblicklich alle im Hof Befindlichen herzudrängten, um die Wirkung zu beobachten. Da aber der geschwollene Fuß der Alten nicht besonders appetitlich aussah, so wandte ich mich an eine der Töchter, goß ihr von dem Chloroform in die Hand und ließ sie die Wunde und die benachbarten Teile damit einreiben. Die Wirkung war zauberschnell: das Chloroform konnte kaum getrocknet sein, als sich die Frau plötzlich von ihrem Lager emporrichtete und erstaunt umherschaute.

»Ist es besser?« fragte sie die Tochter.

»Ich habe keine Schmerzen mehr – wo sind sie hin?« erwiderte die Frau, und in demselben Moment fing auch die ganze Familie und alle Umstehenden so laut und entsetzlich an zu lachen, daß ich mich ganz erstaunt nach ihnen umdrehte. Es konnte wohl kaum etwas Komischeres geben als diesen Augenblick.

Übrigens muß ich hinzusetzen, daß das Chloroform nur auf eine bestimmte Zeit wirkte, dann kamen die Schmerzen wieder, waren aber doch nach der dritten Einreibung so gemildert, daß die Frau die Nacht schlafen konnte.

Am nächsten Morgen passierten wir eine reizende Lagune, die in einem fruchtbaren, mit Maisfeldern gefüllten Tale lag. Überhaupt schienen die Bewohner hier weit tätiger zu sein als in den östlicher gelegenen Staaten. Am Nachmittag, nachdem wir einen steilen Hang hinabklettern mußten und wieder in wärmeres Land kamen, lagerten wir die heiße Tageszeit hindurch an dem fast trockenen Bett eines ziemlich breiten Flusses, dessen Größe in der Regenzeit sich aber nur aus den zu Tal gewälzten Kieseln erkennen ließ – und dort auf seinen Poncho ausgestreckt, einen Becher Tee vor sich und eine Zigarette im Mund – öffnete mir Don Pedro, nachdem er lange und schweigend vor sich niedergestarrt – sein Herz.

Er war der Hoffriseur der Kaiserin Charlotte gewesen, für die er schwärmte – er konnte sie nie vergessen – er hatte auch die Lieferungen für alle zum Hofdienst gehörigen Toilette-Gegenstände gehabt und seinen eigenen Bedarf dabei frei eingebracht – die Kaiserin hatte ihm das größte Vertrauen geschenkt – ihn sogar in einzelnen Fällen zu ihrem Almosenier gemacht. – Er hatte alle vornehmen Familien in Mexiko frisiert und dabei die schönste Frau des Landes, ein wahres Bild, geheiratet. Den Kaiser aber hatten sie gemordet und den ganzen Hofstaat weggejagt. Lieferungen gab es natürlich gar nicht mehr und seine Frau war ihm mit einem vornehmen Herrn untreu geworden. Er hätte ihn auch umgebracht, aber er war mit bei der jetzigen Regierung – es ging nicht.

Und wie haßte er die Franzosen! Ich muß aufrichtig gestehen, ich glaube, es war ein wenig Brotneid dahinter, aber er haßte die ganze Nation, und wie er angab, nur aus dem Grunde, daß sie sich hier in Mexiko so nichtswürdig benommen hätten. Auf den Marschall Bazaine schimpfte er dabei am meisten, stimmte aber darin allerdings nur mit allen denen überein, mit denen ich in ganz Mexiko über denselben gesprochen. Daß ich ein Deutscher war, söhnte ihn, wie er mir versicherte, vollständig mit mir aus, denn er behauptete, mich anfangs für einen Franzosen gehalten zu haben.

Auch sein Begleiter verriet sich, während wir dort lagerten, indem er, in Vergessenheit seiner selbst, ein paar Lanzetten herausnahm und betrachtete, ob sie nicht vielleicht rostig geworden wären.

Es war der Barbier – daher auch die schneeweißen Hände – der ganze Laden mußte ausgerissen sein und hatte die »Meisterin« zurückgelassen.

Der Friseur wurde sentimental – er sprach bald von Totschießen, bald von seinem Haus und Grundstück, was er zurückgelassen hätte, und daß er letzt nach Kalifornien oder Panama gehen wolle – es sei ihm vollkommen gleich. Der erste Dampfer, der in Acapulco anlegte, sollte ihn mit fortnehmen aus diesem Lande des Fluchs und der Verdammnis, wo es nichts als Schurken und Räuber gäbe.

Die Unterhaltung wurde in Spanisch geführt und der Bursche des Friseurs, ebenfalls ein Mexikaner – der aber an dem Geschäft seines Herrn unschuldig war, denn er hatte Fäuste wie ein Mistkärrner – und ebenso schmutzig – lag daneben, hörte das alles mit an, was über seine Landsleute gesagt wurde, und schien sich vortrefflich zu amüsieren.

Als wir etwa um drei Uhr nachmittags wieder aufbrachen, erreichten wir noch vor Abend eine Zuckersiederei, wo wir bis zum nächsten Morgen zu rasten beschlossen.

Die Zuckerpresse hier war freilich in rohester und primitivster Weise aus ein paar knarrenden und von Ochsen in Bewegung gesetzten Walzen hergestellt, und es wurde dort auch nur der ganz rohe Zucker, sogenannter Rapadura, in Venezuela papelon genannt, fabriziert; doch die Leute zeigten wenigstens, daß sie etwas schaffen wollten, und schienen sich auf ihrer Hacienda auch ziemlich Wohl zu befinden.

Dicht daneben stürzte sich ein murmelnder Bergbach mit einem kleinen Wasserfall vorüber, und ich nahm dort, ohne meine Reisegefährten zu einem gleichen bewegen zu können, ein herrliches Bad.

Am nächsten Morgen brachen wir wieder mit vollem Mondschein schon um zwei Uhr auf und tauchten hier eigentlich zum erstenmal in das wirklich pittoreske Gebirgsland von Guerrero ein, denn unmittelbar vom Hause ab führte der enge Pfad schon eine steile Schlucht hinab, in der wir an der anderen Seite wieder hinaufklettern mußten, nur um einer neuen zu begegnen.

Es kann in der Tat kaum in der ganzen Welt eine wildere, romantischere Szenerie geben, als diese zerrissenen und dichtbewaldeten Schluchten und Hänge Guerreros, von Waldbächen dabei durchrauscht und in dem Zauber einer hellklaren Mondscheinnacht. Für die Maultiere war es allerdings ein beschwerlicher und böser Weg, denn selbst die niederführenden Hänge fielen so steil ab, daß sie sich dabei nicht ruhen konnten; aber die Nacht war wenigstens frisch und kühl, und der Anblick der wilden Höhen so entzückend, daß ich oft eine Strecke an irgend einer offenen Waldblöße zurückblieb, um mich dem vollen Genusse dieses Anblicks hinzugeben.

Es mochte ungefähr halb vier Uhr morgens sein, und an Tagesdämmerung war in diesen Breiten noch nicht zu denken. Unsere Tiere kletterten eben wieder einen steilen Hang hinab, und unten rieselte ein Bach durch den dunklen Grund, in den der Mond nur einzelne Streiflichter hineinwerfen konnte. Vor mir hatte ich Stimmen gehört, aber nicht darauf geachtet; ich rauchte meine kleine Pfeife und ließ meinem Maultier ruhig den Zügel, daß es seinen Weg eben nach Bequemlichkeit fortsetzen konnte. Da plötzlich, gerade an der tiefsten Stelle des Tales, unmittelbar am Wasser, das rauschend zwischen den Granitfelsen hindurchsprudelte, sah ich etwa acht oder zehn dunkle Gestalten am Wege stehen, und einzelne Mondstrahlen, die auf blitzende Gewehrläufe fielen, verrieten, daß sie auch bewaffnet seien. Wer sie wären, davon hatte ich allerdings keine Ahnung und auch in der Tat keine Zeit zum Überlegen; der erste Griff war nur nach dem Revolver, und den erst in der linken Hand, setzte ich so rasch als möglich Zündhütchen auf mein Gewehr und wunderte mich während derselben Zeit nur, daß es auf der anderen Seite noch nicht geknallt hatte. Die Leute blieben aber ruhig, Gewehr bei Fuß, stehen, und als ich jetzt, die Büchse schußbereit, an sie heranritt, riefen sie mir ein freundliches Buenas noches entgegen und – baten um ein paar Zigarren.

Ich hatte in dem ersten Moment wirklich gar nicht an die augenblicklichen Kriegsunruhen im Staate Guerrero, sondern immer nur an das kaum verlassene Räuberwesen Mexikos gedacht, und natürlich konnte mich die Frage nach Zigarren nicht gleich beruhigen, denn das besonders ist bei Straßenräubern eine oft gebrauchte List. Aber ich konnte mir auch nicht gut verhehlen, daß die Leute, wenn sie feindlich gesinnt gewesen wären, mir wohl kaum so lange Zeit gelassen hätten – es waren jedenfalls Soldaten, irgend ein Vorposten der einen oder anderen Partei, hier in dem engen Felsenpaß aufgestellt, um die Straße zu überwachen, und so stellte es sich auch zuletzt heraus. Es war der erste Vorposten von Ximenes' Armee, der entweder einen Einfall der Alvarez-Truppen verhindern oder doch durch seine Boten rechtzeitig den Freunden Kunde geben und sie warnen konnte. Die Burschen waren dabei so gemütlich als möglich, und als ich ihnen eine Handvoll Zigarren gab, dankten sie auf das freundlichste.

Eine eigentümliche Wirkung übte dieses Begegnen aber auf den Hoffriseur aus, der bis dahin immer versucht hatte, voranzureiten, während sich sein Mozo oder Bursche dicht hinter ihm halten mußte. Ihm schien doch der Schrecken etwas in die Glieder geschlagen zu sein, denn von dem Moment an ließ er seinen Burschen vorausreiten und hielt sich überhaupt soviel als möglich zurück.

An dem Abend erreichten wir, nach einem ziemlich langen und mühseligen Ritt, den Mexcala, einen großen, schönen Strom, der auch in ziemlicher Länge den ganzen Guerrero-Staat durchfließt.

Bis zu diesem Strom waren die Franzosen damals gedrungen, während sie die Küste des Stillen Meeres schon in Besitz hatten, sahen sich aber nicht imstande ihn zu kreuzen, denn er wurde von den Mexikanern scharf bewacht, so daß sie wieder nach Mexiko zurückkehren mußten.

Bis dahin hatten wir alle Wasser, die wir auf unserem Wege getroffen, mit Sicherheit durchwaten können; hier ging es nicht, denn der Mexcala war tief und reißend, und ich sollte hier zum erstenmal eine neue Beförderungsart antreffen. Die Weise, wie das geschah, sahen wir gleich praktisch ausgeführt, sobald wir nur das Ufer erreichten, denn ein Indianer mit seiner Frau hatte sich eben mit dem nötigen Reisegepäck auf einer winzigen Balsa – einem Floß – eingeschifft, während ein Pinto-Indianer in Schwimmtracht gerade bemüht war, den Esel vom Ufer herunterzuzerren, um ihn dann, als er ihn glücklich ins Wasser gebracht, mit dem Kopf auf das Floß zu legen, so daß er die Beine nicht ebenfalls hinaufbringen konnte.

Merkwürdig war das Floß selber, denn es bestand nur aus etwa 100 Stück zusammenbefestigten großen Kalabassen oder Flaschenkürbissen, die kaum mehr als etwa 6 Fuß im Quadrat einnahmen, aber natürlich außerordentliche Tragfähigkeit besaßen. Der Indianer schwamm dann, das Floß mit der rechten Hand haltend, nebenher und trieb es dadurch zum anderen Ufer hinüber, während der Esel, in seinen vergeblichen Bemühungen, an Bord zu kommen, nur aus besten Kräften dazu mithalf, indem er mit dem Halse nachschob.

Drüben am Land half der Indianer seinen beiden Passagieren heraus – der Esel war schon ans Ufer gestolpert, da er noch immer in Gedanken schob – dann, wie der Mann das Gepäck ebenfalls ausgeladen, trat er wieder zum Floß, packte es mit beiden Fäusten und hob es sich – anscheinend mit gar keiner sehr großen Mühe, auf die Schultern. Mit seiner Last wanderte er jetzt am Ufer hinauf, bis er eine Stelle oberhalb erreichte, von der aus er, trotz der starken Strömung, leicht zu uns herüberhalten konnte, und nun kamen wir an die Reihe.

Die Maultiere mußten natürlich selber hinüberschwimmen; als erste Ladung nahm er nachher das Sattelzeug und den Arriero, daß der drüben die Maultiere wieder auffangen konnte, bei der zweiten die Bagage, und zuletzt immer zwei und zwei von uns, während ich, drüben angekommen, ein wahrhaft prachtvolles Bad nahm.

Die Barbierstube ging aber wieder nicht ins Wasser.

An unserem Fährmann hatte ich übrigens zum erstenmal Gelegenheit, einen Pinto in all seinem Glanz zu sehen, denn der Bursche war vollständig nackt, hatte auf dem dunkelbraunen Teint eine Masse indigoblauer Punkte oder Flecken und ebensolche, aber schneeweiße, oben auf der Hand.

Die Ursache dieser Flecken darf aber nicht etwa in einer Verzierung gesucht werden, wie sich zum Beispiel die nordamerikanischen Indianer die Gesichter gelb oder blau malen. – Die Pintos denken gar nicht an etwas derartiges, sondern die Natur besorgt ihnen das, und zwar in höchst unangenehmer Weise durch eine Art von Hautkrankheit, die, ähnlich der Leprosie, bis jetzt wenigstens unheilbar ist und dazu bei näherer Berührung auch sogar ansteckend sein soll. Die Leute sind von Natur kupferbraun, und die am häufigsten vorkommenden Flecken blau und weiß und zeigen sich hauptsächlich an der Brust und an den Händen. Besonders ekelhaft sehen die weißen Flecken an den Rändern aus. Ich habe Frauen mit völlig schneeweißen Händen gesehen, während am Gelenk eine Art blauer Wulst sie einfaßt. Andere haben nur zur Hälfte diese Farbe und den oberen Teil der Hand dann blau und weiß punktiert.

Die Brust der Männer ist fast bei allen blau gesprenkelt, als ob man einen Pinsel mit blauer Farbe darauf ausgespritzt hätte, und hier und da sollen auch einzelne weiße Flecken über den ganzen Körper haben – von diesen kam mir aber keiner zu Gesicht.

Die Ursache dieser fatalen Krankheit scheint noch nicht ergründet zu sein, wie man ja auch noch keinenfalls mit Genauigkeit weiß, woher die Leprosie selber oder auch die Elefantiasis rührt. Deshalb ist auch bei allen diesen noch keine Heilung möglich. Entsetzlich widerlich wird einem aber der Anblick, wenn man gezwungen sein soll, Lebensmittel zu essen, die von solchen Händen zubereitet wurden. Mir drehte es wenigstens immer den Magen um, wenn ich sie den Teig zu ihren Tortillas zurechtkneten sah, und ich wäre nicht imstande gewesen, auch nur einen einzigen Bissen davon anzurühren. Körperlich scheinen diese Menschen aber nicht das mindeste Unbehagen zu spüren; sie sind gesund, und nur die ekelhaften Flecken wachsen über ihre Körper, je älter sie werden, und erben sich dabei gewissenhaft von Familie zu Familie fort.

Die Pintos beginnen eigentlich erst am Mexcala-Fluß, obgleich sie auch vorher schon einzeln vorkommen; von da aber bevölkern sie alles, und wenn sie auch nach der Meeresküste so bedeutend abnehmen, so findet man doch noch zahlreiche Exemplare von ihnen selbst in der Hafenstadt Acapulco, wohin sie mit verschiedenen Produkten zu Markte kommen.

Der Fluß selber hat jedenfalls seinen Namen von einer an seinen Ufern häufig wachsenden Pflanze, einer Art von Aloe oder Mageh, aus der ein besonderer, nicht unangenehm schmeckender Branntwein, »Mexcal« genannt, gewonnen wird.

Diese Nacht blieben wir in einer richtigen Pinto-Kolonie; ich ließ mir aber zur Vorsorge ein Huhn abkochen, dessen Zubereitung ich selber, und äußerst vorsichtig, überwachte, dann machte ich mir ein paar Becher Schokolade, ging an dem Abend aus und erlegte noch einen jungen Hirsch, und hielt nun, da ich fast nie Brot esse, eine ganz gute Mahlzeit. In dieser Nacht, im herrlichsten Mondschein, brachen wir wieder etwa um halb zwei Uhr auf und hatten einen bösen, langen Ritt in einem kein Ende nehmenden trockenen Flußbett, das uns höher und höher in die Berge hinaufführte. Es war eine wilde, trostlose Waldlandschaft, die nur sprudelndes Wasser hätte beleben können. So verödete sie der weiße, blendende Sand, in dem die armen Maultiere oft bis an die Fesseln einsanken, und ich war nicht böse darüber, als wir ziemlich früh Halt machten, denn ich fühlte, wie müde unsere Tiere geworden waren.

Hier erreichten wir vortreffliches Jagdrevier, wenigstens für Hirsche, von denen ich aber nur den kleinen virginischen Hirsch mit langem Wedel und vorgebogenem Geweih antraf. Es sind dieselben, die man überall in den Vereinigten Staaten findet, nur mit womöglich noch geringerem Geweih. Man trifft sehr selten einen alten Hirsch, der gut aufgesetzt hat.

Von hier brachen wir um halb ein Uhr morgens wieder auf und marschierten fast genau auf das südliche Kreuz zu, das schon ziemlich hoch und etwa um halb sechs Uhr im Zenith stand. Etwa um drei Uhr aber erreichten wir den zweiten großen Fluß, der auf unserem Wege lag, den Papagallo, und mußten diesen mit einem Kanoe übersetzen, was natürlich fast eine Stunde Zeit wegnahm, da die abgesattelten Tiere allein hinüberschwimmen sollten.

Natürlich warf ich augenblicklich meine Kleider ab, um in dem herrlichen, klaren Wasser ein Bad zu nehmen. Kaum aber merkten die Bootsleute meine Absicht, als sie mir beide erschreckt zuriefen, nur ja aus dem Wasser zu bleiben, denn es wimmele drinnen von Kaimans, und ich käme nicht ungefressen wieder heraus.

Dasselbe alberne Vorurteil, hier wie im Norden, und eigentlich nur eine Entschuldigung für die schmutzigen Burschen, sich nicht zu waschen. Ich ließ mich denn auch nicht irre machen; – kannte ich doch die Gesellschaft der Kaimans schon zur Genüge vom Mississippi her und wußte, daß ich nichts von ihnen zu fürchten hatte. Ich fragte nur den Indianer, wo sich gewöhnlich die Kaimans am meisten aufhielten, und als er mir den Platz unter einem Felsen, gerade in der Nähe der Kanoes, bezeichnete, sprang ich ins Wasser und schwamm darüber hin. Ich glaubte, ich würde die Indianer dadurch überzeugen können, daß ihnen die Kaimans nichts zuleide täten – aber weit gefehlt. Es wäre ein Wunder, sagten sie, daß ich nicht gefressen sei, und damit war die Sache abgemacht.

Umsonst suchte ich aber meine beiden Reisegefährten, den Friseur und den Barbier, zu bewegen, sich nur wenigstens einmal abzuspülen – die beiden Schmutzfinken hatten sich noch nicht einmal die Hände gewaschen, so lange ich mit ihnen zusammen war – Gott bewahre! Eine volle halbe Stunde saßen sie unmittelbar am Wasser, ohne sich auch nur die Fingerspitzen naß zu machen, setzten sich dann ins Kanoe, fuhren ans andere Ufer, stiegen wieder in den Sattel und ritten aufs neue in das staubige Land hinein. Mir fing die Gesellschaft schon recht von Herzen an leid zu werden.

Am anderen Ufer wurden wir einen Moment von zwei Zollwächtern oder Soldaten angehalten, die uns nach unserem Paß fragten. Keiner von uns hatte aber einen solchen, und ich selber nur zwei von einem Freund erhaltene Briefe aus Mexiko, einen für den General Ximenes, wie einen zweiten für die andere Partei des General Alvarez. Es konnte uns also nichts passieren, sobald der Brief nicht an einen verkehrten Truppenkörper abgegeben wurde. Aber selbst dann hätte es nichts geschadet, denn die Leute konnte ja alle mitsammen nicht lesen, und auch diese zwei wackeren Krieger baten uns ganz ungeniert, ihnen unsere Dokumente, Paß oder Brief, vorzulesen, da sie selber, wie sie offen erklärten, nichts davon verständen. Sie seien nur dahingestellt, um die Papiere zu untersuchen, weiter nichts, aber lesen hatten sie nie gelernt. Das Komische bei der Sache war, daß wir uns außerdem ohne irgend welches Licht als das des Mondes befanden, und der wurde jetzt ebenfalls durch die steilen Berge verdeckt. Die Leute waren deshalb vernünftig genug, sich mit dem Befühlen des Briefes zu begnügen und ließen uns ungehindert passieren.

Ich fragte sie, ob der Fluß fischreich sei; – ja – es waren viele Fische darin; – ob sie deren fingen, – nein, – sie verstanden nicht zu fischen; – ob viel Wild im Walde sei, – ja; – ob sie davon erlegten, – nein, – sie konnten die Hirsche nicht treffen; – wovon sie lebten: – Quien sabe! war die einzige Antwort, Tortillas si hay – wenn es welche gibt.

Das Volk ist wirklich urfaul; denn hier an diesen Strömen, im Innern des Landes, könnten sie doch wenigstens die reichsten Pflanzungen anlegen, aber es fällt ihnen nicht ein. Der Boden gäbe ihnen alles, was sie hineinsteckten, hundertfältig wieder; aber sie stecken eben nichts hinein und hungern lieber, als daß sie sich zu irgend einer Arbeit bequemten.

Die Szenerie in Liesen Bergen war in den dichten Waldungen reizend, und je höher wir stiegen, desto mehr bekamen die Berge ein fast europäisches Ansehen, denn Fichten und Tannen zeigten sich hier und da, und die eigentliche Kiefer bedeckte ganze Hänge.

Übrigens stand uns an diesem Tage eine strengere Kontrolle hinsichtlich des Passes bevor; denn wie wir vor einigen Tagen einer Vedette des Ximenesschen Korps hatten Rede stehen müssen, so erreichten wir jetzt die Außenposten von Alvarez, wo mein Brief von jemandem, der wirklich lesen konnte, einer genauen Prüfung unterworfen wurde. In demselben stand aber nur mein Name, die beiden Spanier waren nicht erwähnt, und der Hauptmann oder was er war, es ließ sich nicht gut erkennen, da er in Hemdsärmeln und barfuß vor seiner Hütte saß, schien Schwierigkeiten machen zu wollen. Endlich gestattete er mir, mit einem Peon voraus und nach dem Hauptquartier zu reiten, wo ich den für Alvarez erhaltenen Brief vorzeigen sollte. Dort würde dann entschieden werden, ob meine Begleiter ebenfalls passieren könnten. Zu diesem Zweck bekam ich ein kleines Stück Papier, auf das ich meinen Namen selber schreiben mußte, denn der Mexikaner brachte ihn nicht fertig, und dann schrieb er seinen eigenen als Legitimation darunter. Ich brauchte das Papier, um es den verschiedenen Posten, die ich passieren mußte, zu zeigen.

Bei diesen machte ich mir nun allerdings das Vergnügen, ihnen das Papier jedesmal verkehrt hinzureichen, erlebte aber nie, daß sie es umdrehten. Sie konnten wahrscheinlich alle verkehrt lesen, und gaben es dann mit den Worten: » 'sta bueno« zurück.

Im Hauptquartier, das von Soldaten wimmelte, wurde ich sehr freundlich aufgenommen und erhielt auch bald für meine Reisegefährten die Erlaubnis, nachzukommen, zu welchem Zweck ich dann meinen Peon mit einer erhaltenen Karte zurückschickte und indessen etwas für uns zu essen bestellte. Nachher schlenderte ich in dem kleinen Orte herum und besah mir die verschiedenen Häuser, in denen die Mannschaften einquartiert, oder besser, untergebracht waren. Die Leute hatten übrigens recht gute und sauber gehaltene Gewehre, natürlich nur Perkussionsschlösser, aber nicht zu schwer und dabei mit ziemlich langen Bajonetten versehen. Ich bin auch überzeugt, daß sie dieselben im Fall eines wirklichen Krieges viel mehr als Lanze wie als Feuerwaffe gebrauchen würden. Es scheint aber niemand, trotz alle den kriegerischen Vorbereitungen, an irgend einen Kampf zu denken. Der Oberst, der hier das Kommando führte, und mit dem ich über die Verhältnisse sprach, meinte, die Sache, wer hier im Lande Gouverneur sein solle, werde wahrscheinlich im Kongreß entschieden werden, und es sei dabei keinem Zweifel unterworfen, daß der Spruch günstig für Alvarez ausfallen müsse. Dann bleibe allerdings noch die Frage, ob sich Ximenes der Entscheidung gutwillig fügen würde, aber er hatte in dem Fall wohl wenig Hoffnung, genügende Truppen zu behalten, denn soviel ich dort sah und hören konnte, wollte das Volk von Guerrero gar keinen Krieg.

Der Oberst war der hübscheste Mexikaner, den ich im ganzen Lande gesehen hatte, mit edlen und intelligenten Zügen. Über die politischen Zustände seines Landes schien er auch vollkommen gut unterrichtet, wich aber meinen Fragen nach dem Urteil dieses Landesteils über die Erschießung des Kaisers aus. Ich mußte ihn auch zu direkt fragen, da ich der spanischen Sprache doch nicht so mächtig war, um etwas verblümt dahin zu gelangen

Nachher schlenderte ich noch etwas im Ort herum und betrachtete mir dabei besonders eine militärische Spielergruppe, die recht gut in Wallensteins Lager gepaßt hätte Die Leute lagen, kauerten und standen um eine unter einem schattigen Baum ausgebreitete Zarape her und spielten ihr gewöhnliches Spiel Monte, aber, ihren Verhältnissen natürlich entsprechend, ziemlich niedrig. Als ich zu ihnen trat, luden sie mich ein mit zu setzen, ich entschuldigte mich aber damit, daß ich das Spiel nicht verstehe.

»O, Sennor,« rief der Bankier, ein wildaussehender Bursche mit einer breiten Schmarre über das ganze Gesicht, »wir wollen Sie's schon lehren.«

»Das glaub' ich,« lachte ich, und die ganze Gesellschaft brach in ein wieherndes Gelächter aus – sie verstanden den Scherz.

Etwa zwei Stunden später, als ich meinen Peon zurückgeschickt, kam mein Barbierladen nach, und der Friseur führte sich augenblicklich bei dem Obersten ein und suchte diesem mit seinen Bekanntschaften in Mexiko zu imponieren. Mit den ersten Familien der Stadt war er allerdings bekannt, denn er hatte die Damen vom Hause frisiert und sich von den Männern nachher die Rechnungen bezahlen lassen, hier aber waren das alles plötzlich seine besten Freunde: General soundso – lieber Gott, un amigo caro – Gouverneur Y – wir sind wie Verwandte zusammen – Minister H – mehr als ein Bruder. Der Offizier hörte ihn sehr ruhig an; der Friseur schien seine Absicht aber doch nicht ganz erreicht zu haben, denn der Oberst gab mir endlich den Paß, den er aber nur auf meinen Namen ausstellen ließ und dann hinzusetzte: »in Begleitung von zwei Spaniern«.

Von hier aus bot die Szenerie des Landes, das wir durchritten, einen entschieden europäischen Charakter und bestand fast nur aus schönen und offenen Kieferwaldungen. Der Pfad zog sich auch größtenteils auf den Höhen hin, und wenn er einmal zu Tale lief, hob er sich immer rasch wieder, bis wir endlich am nächsten Tag Providencia erreichten.

Providencia liegt etwa 12 Leguas von Acapulco, aber lange nicht so weit von der Küste entfernt, der Gouverneur oder General Alvarez hat hier eine Hacienda und zugleich sein Hauptquartier. Von hier aus regierte er seinen Teil des Staates, während Ximenes im Osten desselben nach eigenem Gutdünken wirtschaftete, und die Regierung von Mexiko sich gerade so wenig darum bekümmerte, als ob Guerrero in China läge.

Providencia sollte ein kleines Städtchen sein, und da es so nahe der Küste und der Hafenstadt lag, so hatte ich mir leichtsinnigerweise schon ein ganz freundliches Bild davon gemacht, sollte mich aber darin sehr getäuscht sehen. Es war eins der elendesten Nester, die wir auf dem ganzen Weg gefunden, und in der Tat nichts, gar nichts darin zu haben als aguardiente, nicht einmal eine reife Banane, viel weniger denn eine Flasche Wein. Ebensowenig fand sich eine Posada im Ort, und wir mußten die Nacht vor einer der elenden Hütten im Freien lagern; in das Innere derselben hätte mich überhaupt niemand hineingebracht, denn sie sahen genau so aus, als ob sie von Ungeziefer wimmelten.

Vorher war es übrigens nötig, daß wir uns General Alvarez vorstellten, um von ihm unseren Paß nach Acapulco ausgestellt zu bekommen. Als wir ankamen, hielt er allerdings seine Siesta, um vier Uhr aber wurden wir vorgelassen, und ich muß gestehen, daß die ganze Sache im Innern des Gebäudes ziemlich geschäftsmäßig aussah.

Alle diese Hacienden, die ja auch noch sämtlich aus der spanischen Zeit herstammen, haben enorm weitläufige, natürlich nur einstöckige Gebäude mit großen, luftigen Zimmern und langen, bedeckten Gängen nach vorn und hinten, eine Art gemauerter Veranda, die gegen Sonne wie Regen hinlänglichen Schutz bietet. Einen Flügel dieser Häuserreihe, wie man es recht gut nennen könnte, hatte General Alvarez teils zu seinen Büreaus, teils zu Nachtlokalen eingeräumt, und dort saßen engbrüstige Mexikaner mit Brillen und schrieben oder trugen dicke Aktenbündel auf bestimmte Plätze und zu anderen ihresgleichen, die dort schon lagerten. Der Platz heimelte mich wirklich an, er sah ordentlich europäisch aus, und ich hätte mich darin recht gut in ein ehrliches deutsches Stadtgericht zurückversetzen können, wenn die Büreaubeamten nicht alle ihre Zigarre im Munde gehabt hätten, und das zerstörte die angenehme Täuschung gründlich. Wenn ich mir nur die Möglichkeit denke – und die Haut schaudert einem dabei – daß ein deutscher Assessor oder gar ein Aktuar, von einem Vize-Aktuar gar nicht zu reden, morgens mit der brennenden Zigarre im Munde ins Bureau käme, der Unglückliche wäre von dem Moment an brotlos für Lebenszeit.

Die vordere Veranda des Hauses war vollständig kriegerisch eingerichtet, und sogar sechs kleine Kanonen standen dort aufgepflanzt, während an der ganzen Länge der Wand die Gewehre und etwa ein Dutzend Lanzen lehnten. In der Tat schienen die Leute von Alvarez viel besser organisiert als die von Ximenes, die weit eher einer Bande von Straßenräubern, das heißt im Äußeren, glichen. Die ganze Sache ist aber, wie gesagt, nur allein militärischer Pomp, so weit sich das Wort Pomp auf barfüßige und mit den verschiedensten Hosen begabte Soldaten anwenden läßt. Es denkt niemand an einen Krieg, und da die Leute doch nichts weiter zu tun haben oder wenigstens nichts tun, was auf eins herauskommt, so könnten sie auch ebensogut die Zeit im »Felde« liegen.

Wir wurden in das Vorzimmer des Generals berufen und uns dort Stühle angewiesen, um zu warten. Das hielt ich aber keine zehn Minuten aus, stand wieder auf, sagte dem einen Aktuar oder was er war, er solle mich rufen, wenn es so weit war, und schlenderte indessen durch die verschiedenen Teile der Hacienda und den ziemlich gut angelegten, aber entsetzlich vernachlässigten Garten. Der Platz hätte recht gut zu einem kleinen Paradiese umgeschaffen sein können – aber es war eine echt mexikanische Wirtschaft, nur daß man hier, während in den niederen Hütten die Armut ihren Wohnsitz hatte, überall die Spuren des Überflusses erkennen konnte.

Nach einer halben Stunde etwa kam der Beamte, dem ich meinen Brief an den General schon übergeben hatte, atemlos hinter mir dreingestürzt. Der General hatte nach mir verlangt, und ich war nirgends zu finden gewesen.

Als ich in das Zimmer trat, fand ich den Friseur schon in voller Erzählung seiner hohen Bekanntschaften und Freunde in Mexiko: er schwamm zwischen lauter Generalen und hohen Würdenträgern im wahren Sinne des Wortes herum. General Alvarez, während der Oberst in dem kleinen Ort den Burschen rasch durchschaut hatte, schien entzückt von ihm und fragte ihn auf das lebhafteste nach diesem und jenem, von denen Don Pedro Gaspard natürlich alles zu erzählen wußte, was man nur von ihm verlangte – es hätte ja kein Friseur sein dürfen! Er ließ dabei, wozu wirklich viel gehörte, nicht einmal dem Barbier zu Worte kommen und schwelgte völlig in seinem Element.

Alvarez selber war ein Mann von untersetzter Statur mit pechschwarzen, glatten, kurzgeschnittenen Haaren und niederer Stirn, mit einem halb indianischen, aber vollkommen ausdruckslosen Gesicht. Er schien auch in der Tat nur die zweite Person an seinem Hofe, denn ein anderer, sehr magerer brauner Sennor, aber mit klugen Augen, wurde von ihm fortwährend um seine Meinung gefragt, verhielt sich aber ziemlich schweigend und ernst und zeigte sich auch keineswegs so von Hochachtung gegen den Friseur erfüllt. Er erkundigte sich endlich, wer denn eigentlich der sei, der dem General in dem Brief empfohlen worden, und als ich mich meldete, betrachtete er mich scharf und grüßte mich dann freundlich, gab auch unmittelbar danach, ohne den General weiter zu fragen, die Order, den Paß auszustellen, der in wenigen Minuten fertig war und Alvarez nur zum Unterzeichnen vorgelegt wurde.

Von Providencia brachen wir, nachdem wir am Abend nur mit Mühe ein Huhn zu einer Suppe aufgetrieben hatten, schon um Mitternacht wieder auf, um Acapulco, das Ziel unserer Reise, wenigstens vor der größten Tageshitze zu erreichen. Der Platz hatte nichts so Verführerisches, um uns nur eine Minute länger als nötig dort zu halten. Wieder ging es aber von hier in zwar nicht sehr hohe, aber doch ziemlich zerklüftete Berge hinein, und ich war wirklich froh, daß wir den größten Teil dieser Strecke in der Nacht zurücklegten, denn am Tage muß diese Tour wahrhaft zum Verzweifeln sein. Man weiß, daß man dem Meere nahe ist, man hofft es von jedem Hügelrücken, den man ersteigt, endlich erblicken zu können, und von jedem aus sieht man nur wieder eine andere Bergreihe vor sich, die eben hoch genug zu sein scheint, um die Aussicht gründlich zu versperren. So geht es Stunde auf Stunde, und selbst als der Tag anbrach, wiederholte sich dieses ewige Versprechen und Versagen, und doch konnten wir kaum noch vier oder fünf englische Meilen vom Meer entfernt sein.

Endlich, endlich nahm auch das ein Ende. Wir ritten in eine enge Bergschlucht hinein, rechts und links hoben sich höhere Bergkuppen empor, da plötzlich, wie das Gesträuch vor uns auseinander wich, hob es sich wie eine Last von der Brust. Der Blick wurde frei und vor uns – ein wahrhaft zauberisch schönes Bild – dehnte sich das weite blaue Meer, und lag da unten, in eine reizende Bucht hineingeschmiegt, wie ein Miniaturbild, aber mit all den glühenden Farben tropischer Sonne übergossen, das kleine, allerliebste Städtchen Acapulco, an einer wunderschönen, von bewaldeten Hügeln eingeschlossenen Bucht, einer der sichersten Häfen der ganzen Welt.

Ich konnte mich auch lange nicht von dem prachtvollen Anblick losreißen und blieb dort oben wohl eine halbe Stunde halten, während die Barbierstube indessen mit unseren Packtieren, von dem Anblick, wie es schien, nicht besonders angeregt, schon lange wieder bergab und in die Büsche eingetaucht war. Was konnten sie auch da oben sehen? Salzwasser und eine kleine mexikanische Stadt, von denen sie schon eine ganze Menge durchzogen. Übrigens sollte ich erst später erfahren, daß sie Ursache zu ganz besonderer Eile hatten.

Von hier aus fiel der Weg ziemlich steil zu Tal ab. Wir hatten keinen Berg mehr zu übersteigen, und ich konnte mich wieder des Genusses, den ich schon so oft empfunden, erfreuen, aus einem gemäßigten Klima, mit der Vegetation höherer Breiten, rasch und plötzlich in eine vollkommen tropische Natur hinabzusteigen. Die Kiefern hatten schon, seit wir Providencia erreicht, aufgehört und Laubbäumen Platz gemacht, von denen manche mit prachtvollen, bald weißen, bald gelben, großen Blüten überdeckt waren. Jetzt traten breitblättrige Stauden in den Vordergrund, – reiche Lianen schlangen ihre Blumenranken über den Weg selbst hinaus; noch etwas tiefer, und ein herrliches Tal öffnete sich vor uns, in dem wir schon unten die breiten Blätter der Bananen und einzelne Palmenwipfel erkennen können. Jetzt tauchten wir, während die Sonne über den Wipfeln emporstieg, hinein, und befanden uns wie mit einem Schlage mitten in den Tropen.

Freundliche Bambushütten – wenigstens von außen, denn im Innern ist sich der Schmutz in allen gleich – lagen tief und schattig in Fruchthainen und zwischen Kaffeebäumen und Bananen versteckt, und kleine Orangenwälder trugen kaum die Last der reifen, goldigen Früchte. Und wie die Vögel in den dichten Sträuchern zwitscherten und sangen und herüber und hinüber flatterten! Es war ein herrlicher Ritt in der kühlen Morgenbrise, und ich kann mich kaum eines schöneren in meinem ganzen Leben erinnern.

Das kleine Dorf, das wir hier erreicht, ließen wir bald hinter uns und trabten jetzt eine Strecke zwischen dichtbewaldeten Anhöhen hin, als plötzlich ein Hirsch dicht neben mir am Wege aufsprang und den einen Hügel hinansetzte. Er hatte meine Begleiter schon an sich vorbeireiten lassen und hätte es mit mir wahrscheinlich ebenso gemacht, wenn ich nicht zufällig gehalten, um von einem der Blütenbüsche reifen Samen abzupflücken.

Meine Büchse hing mir allerdings geladen am Gürtel, aber ich hatte kein Zündhütchen auf. Doch das währte nicht lange; wie der Blitz war ich aus dem Sattel, mein Maultier sich selber überlassend, drückte ein Hütchen auf den rechten Piston und bekam das flüchtige Wild eben noch gut zum Schuß, als es über eine offene Stelle hinübersetzte und wenige Sekunden später außer Sicht gewesen wäre. Es war ein glücklicher Schuß; die Kugel schlug vor der Keule ein, riß dem Hirsch den oberen Teil des Herzens weg und warf ihn in seinen Fährten nieder. Mein Maultier lief allerdings fort, da aber die Packtiere noch hinter mir dreinkamen, so konnte ich das Wild auf eins derselben laden und ging dann zu Fuß nach, bis ich die übrigen, die mein Tier aufgehalten, an einer murmelnden Bergquelle wieder überholte.

Dort nahm ich ein prachtvolles Bad in dem kalten, frischen Wasser, das sich die anderen aber aus Gesundheitsrücksichten wieder versagten, frühstückte dann und setzte nun meinen Weg nach dem kaum noch anderthalb Leguas entfernten Acapulco fort.

Der Pfad blieb sich hier vollkommen gleich; es war fortwährend dieselbe reiche Vegetation, von einer Üppigkeit, wie man sie nur unter diesen Breiten findet, und dann und wann trafen wir einzelne kleine Plantagen, oder eigentlich Gärten, mit wieder einer kurzen Strecke Wald dazwischen, bis sich der Pfad zuletzt zu einer breiten Straße ausdehnte und eine lange Häuser- oder vielmehr Hüttenreihe die Nähe der Stadt verkündete.

Ich mußte mir übrigens gestehen, daß sie oben vom Berge aus weit hübscher ausgesehen hatte, als hier unten in unmittelbarer Nähe, was jedoch unter den Tropen sehr häufig vorkommt. Malerisch genug machte sich das Ganze, das läßt sich nicht leugnen. In den offenen Bambushäusern am Wege schaukelten sich die paradiesisch angezogenen Männer und Frauen in ihren Hängematten, und die jugendliche Bevölkerung, in der Urtracht des Menschengeschlechts, wälzte sich vor den Hütten mit den Hunden und Hühnern herum; aber wenn man ein wenig genauer hinsah, trat der Schmutz dieser ganzen Rasse in höchst unromantischer Weise zutage, und an Poesie wilder Schönheit war kein Gedanke mehr.

Es geht das so in der Welt. Wir alle haben seinerzeit, und die Jugend noch heutigen Tages, für Fenimore Coopers Uncas und Chinchangook geschwärmt; wenn wir aber gesehen hätten, auf welche Weise der alte Chinchangook und ebenso der junge edle Häuptling Uncas ihre Mahlzeiten kochten, und wie selten sie daran dachten, sich Gesicht oder Hände zu waschen, so würden wir viel und vielleicht zu viel von dem Zauber eingebüßt haben. »Man darf in keinem Hotel in die Küche hineinsehen,« ist eine alte Regel, die selbst auf Europa ihre Anwendung findet, wie viel mehr denn auf Mexiko oder einen wilden nordamerikanischen Volksstamm. Ich selber war denn auch zufrieden mit einem flüchtigen Überblick des pittoresken Äußeren, und da sich selbst die Packtiere, die wittern mochten, daß sie ihrer Last bald quitt wurden, in einen scharfen Trab setzten, so gab ich auch meinem Tier die Hacken und sprengte hinterdrein.

Jetzt öffnete sich vor uns die Stadt. Niedere einstöckige Häuser, wie in allen spanischen Städten, enge Straßen, vergitterte Fenster und dabei eine schwüle, heiße Luft. Ich hatte mir Acapulco, das ich für einen bedeutenden Hafen am Stillen Meer gehalten, anders gedacht. Ich fand jetzt, daß es ein eigentlich verhältnismäßig kleines und unbedeutendes Nest sei – aber was schadete das! Die lange, beschwerliche Reise war glücklich überstanden, und als unsere Tiere endlich vor dem einzig möglichen Hotel der Stadt, dem Hotel Louisiana, anhielten, sprang ich aus dem Sattel und schwelgte wenige Minuten später in einer Flasche Rotwein, die, wenn sie nicht aus Magdeburg stammte, doch jedenfalls einer ähnlichen Stelle entsprossen war.


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