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17. Der Weihnachtsmarkt zu Mexiko und die Festzeit

Weihnachten rückte heran und die Festzeit, und auf der Plaza wurden schon durch das Aufschlagen vieler Buden die Vorbereitungen dazu getroffen.

Weihnachten! – Wie manche, manche Weihnachten habe ich draußen in der Fremde, fern von meinen Lieben, verlebt – und an wieviel verschiedenen Plätzen! Zuerst verträumte ich meinen Weihnachtsabend – und manche trübe Stunde war dabei – einsam in den Urwäldern Amerikas, und Christbäume standen genug da, aber an keinem ein Licht, nichts als die vor mir lodernde Glut, und statt dem Gejubel fröhlicher Kinder das Geheul der Wölfe um mich her. – Dann kam eine andere Zeit – ich kehrte ja nach dem Vaterland zurück, und eine Zeitlang war es, als ob ich nun in den Hafen der Ruhe eingelaufen wäre. Ich hatte Weib und Kind, und allen menschlichen Berechnungen nach mußte ich jetzt zu Hause bleiben.

– Es war nicht wahr. Das Jahr 1848 zeigte mir die Wahl, mein Leben als Schriftsteller in den aufgeregten Zeiten entweder kümmerlich zu fristen oder mir durch einen kecken Entschluß eine Stellung zu erzwingen, und – von ewiger Reiselust außerdem getrieben, wählte ich das letztere.

Die nächste Weihnachten fand mich zwischen den Goldgräbern in San Francisco, die zweite auf dem Walfischfang, die dritte in Indien – in Batavia. – Wieder eine Pause und wieder hinaus in die Welt. Im Jahre 1860 wanderte ich auf dem Weihnachtsmarkt von Lima umher – gestern auf dem von Mexiko, und man muß wenigstens gestehen, daß ich Abwechselung in der Sache habe.

Aber so weh dem armen Wanderer auch gerade an dem Tage zumute ist, wo ihm die Erinnerung alles Liebe und Gute aus der Heimat mit einem Schlag heraufbeschwört, und ihn die Sehnsucht mit allen Banden des Herzens nach Hause zurückzieht, so bereue ich doch wahrlich nicht, diesen Abend und die rege Zeit vorher in Mexiko verlebt zu haben, denn es kann wohl kaum einen Platz in der Welt geben – unsere deutsche Heimat, das Vaterland des Christbaums, natürlich ausgenommen, wo sich die ganze Bevölkerung so lebhaft an dem Fest beteiligt wie gerade hier in Mexiko.

Schon in Puebla fand ich unter den Kolonnaden der Plaza eine Masse Sonneberger Spielzeug ausgestellt, und Heiligenbilder oder kleine buntgemalte Gruppen – Szenen aus der biblischen Geschichte – wurden aus Ton und Wachs, oft nicht ungeschickt fabriziert, feilgeboten. Damals war es aber erst der Beginn der Feierlichkeit, und wenn es dunkelte, packten die Leute ihre Siebensachen zusammen und gingen heim. Anders wurde das aber, als Weihnachten herannahte, und jetzt sah ich plötzlich zu meinem Erstaunen, daß auch die Bäume nicht fehlten, und zwar unter fremdartigen Zweigen und Wipfeln des Lebensbaumes und der nicht hierher gehörenden Kiefer unsere alten ehrlichen Fichten und Tannen, die Käufer auf jedem deutschen Weihnachtsmarkt gefunden hätten. Und nun eröffneten sich in langen Reihen die Buden, welche die Ausstattung für das Nacimiento (Geburt Christi) liefern sollten.

Die eine Reihe nahmen die Christbäume ein und mit ihnen die verschiedenen dazu nötigen Moose, deren Mexiko in prächtigen Farben liefert. Zuerst das lange, graue spanische Moos – in Texas spanischer Bart genannt – dann ein herrlich braunes und dunkelgrünes Moos, was alles dazu benutzt wird, um den Fuß des Christbaumes – oder bei den Mexikanern die Ecken, in denen das Nacimiento aufgestellt wird, auszuschmücken und mit Grün zu bekleiden.

Dazwischen drängten sich Jungen herum, die lange Silberstreifen an einen Stock gebunden trugen und ihren Warenvorrat dem Publikum unter die Nase hielten. Auch große rote Blumen und kleine gelbe Früchte – dem Aussehen nach den Holzäpfeln ähnlich, fanden sich als Schmuck für den Baum, an dem man eben jene Silberfäden herunterhängen läßt, Sterne von Blech oder Zinn, welche die Strahlen der Lichter zurückwerfen, und neben den tausend kleinen Heiligenbildern auch Sonne und Mond der alten heidnischen Azteken.

Übrigens haben die Mexikaner ein ganz merkwürdiges Talent im Modellieren, und gar nicht etwa so selten findet man Indianer, die aus einem Klumpen Ton in wenigen Minuten den Kopf jedes beliebigen Menschen auf das treueste nachbilden. Ihre Wachs- und Zeugfiguren, in denen sie in einzelnen Modellen die mexikanischen Trachten wiedergeben, habe ich schon erwähnt, und selbst in ordinärem Ton findet man, ebenso wie in Wachs, manchmal kleine Gruppen, die teils heilige Szenen, teils Stiergefechte, Pulkearbeiter, Tänze, Maultiertreiber usw. vorstellen, zu einem fabelhaft billigen Preis.

Auf dem Christmarkt hier bildeten deshalb auch Buden mit derartigen Gegenständen die größte Zahl, und man fand dort manchmal ganz allerliebste Sachen, wie zum Beispiel kleine Landschaften, Schneegebirge usw. Dort drängte sich denn auch die Menschenmenge dermaßen zusammen, daß man nur langsam und im Schritt – oft fortgeschoben, oft gestemmt, hindurchkommen konnte.

Dazwischen kauern, genau so wie bei uns, die armen Kinder mit ihren Zwetschenmännern und Schornsteinfegern, kleine Jungen und Mädchen in zerlumpten Zarapen oder Rebozen, und bieten die billigsten und am rohesten gearbeiteten Figuren aus, damit auch die ärmsten Leute etwas finden, um ihr Nacimiento damit auszuschmücken.

Hier trifft man besonders die aus Pappe gearbeitete Mageh (die Aloe), um eine mexikanische Landschaft darzustellen, und hier und da sieht man auch kleine, mit Haaren von Baumwolle versehene Engel, die scheinbar über einer solchen Aloepflanze schweben, in Wirklichkeit aber mit dem Bauch auf die mittelste Spitze derselben gespießt sind.

Wendet man sich rechts, so gerät man in die Reihe der Dulcesfabrikanten, die in Mexiko außerordentlich stark vertreten sind und wirklich Bedeutendes besonders in überzuckerten Früchten leisten. Da findet man alle hier vorkommenden Arten fast, die sich nur irgend dazu eignen, selbst süße Kartoffeln – sogenannte Camotes – Feigen, Birnen, Orangen, Bananen, Ananas, Zitronen, Limonen und wie sie alle heißen. Daneben Dulces von Kokosnuß wie andere gewürzreiche Arten, in allen Formen, und zwar in ungeheuren Massen aufgehäuft, da es in Mexiko außerordentlich viel gekauft wird. Einige Arten weißen Zuckerwerks, die ich aber nicht gekostet habe, werden in der Tat körbeweise nach Hause getragen.

Wieder an anderen Stellen sind Eßwaren zu haben, an denen sich die zu Markt Gekommenen laben können – wenn sie Appetit dazu verspüren, denn besonders appetitlich sehen die dort aufgeschichteten Speisen gerade nicht aus. Ein Lieblingsgericht scheinen in Bananenblätter eingeschlagene zusammengesetzte Speisen zu sein, an denen auch der – hier aber sehr schwache – spanische Pfeffer nicht fehlt. Allerlei verschiedene Fleischarten werden zusammengelegt und gebacken, und dazu ißt man die Tortillas – flache, gebackene Maiskuchen, die noch am besten schmecken. Der Dunst dieser Kuchen, fett und erstickend, zieht aber über den ganzen Platz, und wenn am Abend noch der Rauch der als Beleuchtung dienenden Kienbecken dazu kommt, so bieten die verschiedenen dunkelroten Flammen mit den sich dazwischen bewegenden malerischen Gestalten wohl ein reizendes Bild, benehmen einem aber auch fast den Atem.

Aber je später es wird, desto mehr drängt sich das Volk dem Platze zu. Unter den Kolonnaden, wo die besseren Waren zum Verkauf ausgeboten werden, preßt es herüber und hinüber, und zwischen den Buden kann kein Apfel mehr zur Erde nieder, während einzelne Träger, die den Einkauf irgend einer Herrschaft fortschaffen sollen, dieselben auf den Kopf nehmen müssen und trotzdem die größte Mühe haben, wieder hinaus und auf einen nur etwas freieren Platz zu kommen.

Es gibt viele Deutsche in Mexiko, und daß diese den Heiligen Abend in alter, guter deutscher Weise feiern, versteht sich wohl von selbst. Die alte Sitte ist zu schön, und es ist Tatsache, daß das Kind, das nur ein einzig Mal glücklich unter einem Christbaum gestanden, denselben nie vergißt und von da ab eine Weihnachten ohne ihn für unmöglich hält. Hat er sich doch jetzt selber unter den sonst gegen alles Gemütliche so gleichgültigen Yankees Bahn gebrochen und wird bald den ganzen nordamerikanischen Kontinent siegreich durchwandern und erobern.

Die Weihnachtsbäume erleiden allerdings unter den Tropen eine kleine Veränderung, und selbst hier, wo man so schöne Fichten und Tannen hat, wie bei uns, ja ich möchte sagen noch voller und üppiger gewachsen, sehen die vergoldeten Bananen doch eigentümlich aus, die anstatt der Äpfel den Baum zieren, aber mir haben sie doch gefallen, und die Frucht hat dabei noch das Angenehme, daß später beim Schälen das Gold und Silber gründlich entfernt wird.

Ich verbrachte den Weihnachtsabend in einer deutschen Familie unter dem Christbaum und glücklicherweise in großer Gesellschaft – vorher schon hatte ich in einer anderen Familie bescheren sehen, – aber du lieber Gott, wie weh ist einem »armen Reisenden« dabei selber ums Herz, wenn man den Jubel der Kinder sieht und dabei nur an die eigenen – fern und unerreichbar – denken muß. Ich muß auch gestehen, daß ich mich vor dem Abend gefürchtet hatte. Hoffentlich war es der letzte Weihnachtsabend, den ich in fernen Landen verlebt habe.

Am 25. war großer Feiertag in der Stadt, aber nicht allein des Weihnachtsfestes wegen, sondern der Präsident hielt seinen Bando oder militärischen Umzug in der Stadt, später mit großer Sitzung im Abgeordnetenhause, wo er sich als neugewählter Präsident dem Volk zeigte und seine Anrede an dasselbe, aber freilich mit so leiser Stimme hielt, daß man auf den Galerieen auch nicht eine Silbe davon verstehen konnte. So viel bleibt gewiß, Juarez ist augenblicklich in Mexiko nicht allein populär, sondern das eigentliche Volk hat auch Vertrauen zu ihm, daß er die neugewonnene Republik festigen und erhalten werde – wenn nicht schon der Name Republik in allen südamerikanischen Staaten und ebenso in Mexiko – ein Spott auf die Sache selber wäre.

In einer Republik soll das Volk durch einen von ihm gewählten Repräsentanten regieren – aber was ist in allen diesen Staaten eben dieses souveräne Volk? Ein Haufen unwissender, roher Menschen, die, besonders in Mexiko, von klugen Advokaten geleitet und benutzt werden. Man braucht ihre Stimme und ihre Fäuste – weiter nichts –, ihre eigene Meinung wird nicht befragt und kann nicht befragt werden, denn sie haben keine – sie gehen mit der Masse und dem Erfolg.

Juarez' persönliche Erscheinung macht gerade keinen besonders günstigen Eindruck. Es ist eine kleine, gedrängte, derbknochige Gestalt, und sein braunes Indianergesicht mit den vorstehenden Backenknochen oder der niedrigen Stirn verrät eben keine großen geistigen Eigenschaften. Aber der kurze Nacken zeigt einen starren Sinn, und Zähigkeit hat er auch allerdings, von seinem Leiter Lerdo dabei noch tüchtig angespornt, genug bewiesen.

Als er den Saal der Abgeordneten betrat, wo eine Art Thronsessel mit zwei rotgepolsterten Stühlen für den Präsidenten und Vizepräsidenten des Hauses steht, wurde nur an einer Stelle etwas Vivat gerufen, und auch nur von dort, über der Tür des Eingangs, flogen eine Unzahl bunter Bänder wie ein Regen – oder noch besser, wie eine Ordensverteilung in Europa – über den Präsidenten und seine nächste Umgebung nieder. Sie enthielten daraufgedruckte Lobgedichte des Präsidenten, aus der Feder irgend eines Hofpoeten – denn warum soll es nicht auch in einer Republik Hofpoeten geben? Abends zogen kleine Trupps sehr mittelmäßig gekleideter Mexikaner mit etwas Musik und einer Art Standarte, mit Juarez' Bild darauf, durch die Straßen, Lichter dabei in der Hand tragend; auch wurden auf der Plaza viele Raketen abgebrannt, vor denen man sich ein wenig hüten mußte.

Die Abgeordneten im Saale selber betrugen sich sehr ungeniert. Fast alle rauchten, bis der Präsident eintrat; auch die Zuschauer gaben sich dem Genusse hin – es war ein entsetzlicher Qualm im Hause, und selbst bei der Ansprache des Ersten der Nation behielten die Zuschauer auf den Galerieen – mit wenigen Ausnahmen – ihre Hüte auf. Abends war nur das Palais und, sonderbarerweise, das städtische Leihhaus, dicht an der Plaza, illuminiert. – Oft liegt ein tiefer Sinn im kind'schen Spiel.


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