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10. Nach Louisiana

Um Louisiana zu erreichen, mußte ich wieder den Mississippi hinuntergehen, denn wenn auch in den jetzt ausgetrockneten Niederungen eine Landreise möglich gewesen wäre, würde sie mich doch jedenfalls zu lange aufgehalten haben, und das mußte ich mit meiner ohnedies beschränkten Zeit soviel als tunlich vermeiden.

Allerdings traf ich auch für den »Vater der Wasser« die unglücklichste Jahreszeit. Nach einem außergewöhnlich trockenen Sommer hatte er seinen möglichst niederen Wasserstand erreicht, und die in New-Orleans ausgebrochene Cholera, der ich aber nie aus dem Wege gehe – beschränkte außerdem den sonst vielleicht lebhafteren Verkehr auf dem Strom.

Trotzdem fand ich in Memphis ein sogenanntes Paket- oder viel besser gesagt ein »Baumwollen-Boot«, das nach New-Orleans Fracht und Passagiere einnahm und dabei mit den beredten Worten des Kapitäns »eine sehr schnelle Reise versprach!«

Lügen! Wer seine Fahrt wirklich zu beeilen wünscht, soll sich um Gottes willen keinem solchen Dampfer anvertrauen, oder dessen ewiges Anhalten würde ihn zur Verzweiflung bringen. – Mir selber machte es keinen sehr großen Unterschied, denn ich brauchte doch ein paar Tage für meine Korrespondenzen, und außerdem tat mir die Ruhe nach meinem langen Umherstreifen ebenfalls wohl.

Wenn ich aber auch hinter meinem Manyfold writer saß, fortwährend lockte mich trotzdem das Einladen der Fracht – (und die »Henry Aymes« tat fast weiter nichts, so daß wir oft nur fünf oder sechs Meilen den Tag zurücklegten) – auf das Verdeck hinaus, und ich konnte mich dann oft halbe Stunden lang nicht von dem sich darbietenden Anblick losreißen.

Es ist auch wahrlich ein wirklich lebendiges und prächtiges Bild, den Schwarm der Arbeiter zu beobachten, die dort draußen, von der steilen Uferbank nieder, die schweren Baumwollenballen teils ziehen, teils einfach hinabrollen oder stürzen, und geschieht diese Arbeit dann noch in dunkler Nacht und nur bei der grellen Beleuchtung einzelner Kienfackeln, so kann man sich kaum etwas Pittoreskeres denken.

Ein Baumwollenballen wiegt etwa 500 Pfund und ist eine im ganzen schwer zu bewegende Last. Ganz anders sieht aber ein solcher Ballen aus, wenn er sich – erst einmal in Schuß gebracht – durch sein eigenes Gewicht eine steile Bank hinabstürzt und jedesmal, während er sich überschlägt, wieder elastisch vom Boden emporschnellt. Die unten beschäftigten Arbeiter müssen sich dann wohl vorsehen, daß sie ihm nicht in den Wurf kommen: aber die Neger haben entsetzlich zähe Körper, und oft geschieht es, trotz allem Zurufen und sonstigem Warnungsschreien, daß einer oder der andere von einem solchen springenden Ballen erfaßt, umgeworfen oder auch wohl überrollt wird. Höchst selten trägt aber einer von allen eine Beschädigung davon.

So sah ich einen, dem ein Ballen, nachdem er ihn niedergeworfen, gerade über den Kopf ging, mir stach es wie ein Messer durchs Herz, denn ich konnte es mir gar nicht denken, daß der Schädel unzerquetscht geblieben wäre. Der Neger aber sprang im nächsten Moment schon wieder empor, schüttelte sich, während er von den anderen tüchtig ausgelacht wurde, nur den Staub aus den Ohren und sprang dann, als ob gar nichts vorgefallen wäre, wieder an seine Arbeit.

Wird nun ein solcher Ballen von der Uferbank herabgestürzt, was allerdings sehr viel Zeit spart, so ist immer die Gefahr vorhanden, daß er auf dem Weg nicht aufgehalten werden kann und dann in den Strom selber hineinspringt, und das erfordert nachher manchmal eine halbe Stunde, um ihn nun mit vereinten Kräften wieder heraufzuholen. Soviel als möglich müssen es die Bootsleute deshalb verhindern, und es ist wirklich ein prächtiges Schauspiel, die Gewandtheit der Neger zu beobachten, wie sie sich, anscheinend vollkommen rücksichtslos um die eigenen Gliedmaßen, hinter ihrem Ballen herstürzen und seinen Lauf zu lenken wissen.

Zwei und zwei von diesen Leuten gehören immer zusammen, und jeder von ihnen trägt einen großen Baumwollenhaken, der in der Form Ähnlichkeit mit einem Stiefelzieher hat; nur ist er scharf und spitz, und sie können damit leicht und rasch in den Ballen eingreifen, was mit den bloßen Händen gar nicht möglich wäre. Solange dieser Ballen nun auf nicht zu abschüssigem Terrain die rechte Richtung behält, lassen sie ihn ruhig springen, sobald er aber auszubiegen droht, haken sie ihn mit einem plötzlichen Ruck an und reißen ihn wieder herum, oder werfen ihn auch auf die flache Seite, ja fangen ihn oft in der Luft und bringen ihn fast stets ohne weiteren Unfall dahin, wohin er gehört und kommen soll.

Aber es ist das trotzdem schwere Arbeit, und kaum hat das Boot seine hundert, ja oft zweihundert Ballen eingenommen und geht wieder unterwegs, so sieht es sich schon von neuem nach einem Landungsplatz um – und selbst die kurze Zwischenzeit können die Leute nicht zur Rast benutzen. Die eben eingeladene Baumwolle muß ja auch weggestaut werden, so daß sie möglichst geringen Raum an Bord einnimmt.

Indessen herrscht oben in der Kajüte ein von dem unteren sehr verschiedenes und behagliches Leben. In dem durchwärmten und hell erleuchteten Raum bilden sich kleine Parteien. Wer rauchen will, hält sich vorn in der Nähe des Ofens und Schenkstandes auf; hier und da an den Tischen bilden sich kleine Spielpartieen, und irgend eine der Ladies – die aber, von den Herren vollkommen abgesondert, den hinteren Teil der Kajüte einnehmen – ist vielleicht grausam genug, Klavier zu spielen und dazu zu singen. Die offiziellen Künstler an Bord aber sind die Stewards, und auch das scheint eine neue Einrichtung, die aber Anklang gefunden und sich weit verbreitet hat.

Schon auf dem Seedampfer besorgten die Stewards oder Kajütenaufwärter der zweiten Kajüte die alleinige Musik. Auf dem White-River-Dampfer wurden der Barbier und die beiden Porter (Hausknechte) dazu mißbraucht – und etwas Heilloseres von Musik habe ich kaum unter den Chinesen gehört.

Hier hatten wir es besser; die beiden Oberstewards, von denen der eine Klavier, der andere die Violine spielte, verstanden beide ihre Instrumente vollkommen – den Klavierspieler habe ich überhaupt in sehr gegründetem Verdacht ein Deutscher zu sein, obgleich er sich für einen Franzosen ausgab. – Aber was half das? Anfangs spielten sie einige sehr hübsche und wirklich melodische Weisen zusammen, aber es waren ja amerikanische Ladies in Hörweite, und denen genügt in Musik nichts in der Welt als irgend ein fader Tanz, zu dem sie den Takt mit den Füßen klopfen können. Mitten in einem Stück wurde denn auch ein »Gentleman« zu den Musikern abgesandt, der einen solchen forderte, und dann blieb es den ganzen Abend dabei.

»Gentlemen« – es ist merkwürdig, wie wenig wirkliche Gentlemen man in jetziger Zeit in den Kajüten der amerikanischen Dampfer trifft. Nur wenige sind es, denen ich den Namen geben möchte, und selbst die wenigen spucken ununterbrochen um sich her, wo sie auch stehen, und haben, trotz der zahlreichen – ja zahllosen Spucknäpfe in der Kajüte und dem Vorbau, schon um zehn Uhr morgens das ganze Boot verunreinigt. – Aber davon ganz abgesehen, treibt sich auch eine Menge rohes, wüstes, oft halbtrunkenes Gesindel auf ihnen herum und macht den Aufenthalt darauf selten zu einem angenehmen. – Außerdem bemerkte ich auch noch einige wirklich konfiszierte Gesichter zwischen ihnen, die aber außerordentlich geschäftig schienen, viel zu notieren und einzutragen, und ihre Zwischenpausen nur benutzten, um an dem Schenkstand Whisky zu trinken. Mir fiel besonders auf, daß sie sich immer von anderen Leuten traktieren ließen, ohne, wie das in Amerika Sitte ist, selber einmal dazu aufzufordern.

An Bord befand sich ein amerikanischer Schriftsteller – wenigstens Korrespondent einer New-Orleans-Zeitung, mit dem ich bald bekannt wurde, und dieser gab mir rasch über jene Leute die nötige und genügende Aufklärung. Nach dem Geschäft, das sie betrieben, konnten sie gar nicht anders aussehen, denn es waren die Baumwollenrevenue-Officiers, die überall an Bord und Land herumspionieren mußten, um die verhaßte Taxe für dieses Produkt zu erheben und zu überwachen.

Das aber hatte unter den jetzigen Umständen seine besondere Schwierigkeit, denn die Taxe war enorm – 2&frac12; Cent für das Pfund beträgt für einen einzigen Ballen von 600 Pfund Gewicht 12&frac12; Dollar und für 60 Ballen zum Beispiel schon 750 Dollars, die wohl keiner der halbruinierten Pflanzer in gegenwärtiger Zeit bar liegen hat. Einem solchen Agenten der Regierung steht aber, wenn er boshaft sein will, das Recht zu, die Verschiffung der Baumwolle total zu verhindern, bis die Steuer an Ort und Stelle bezahlt ist, und deshalb muß er, da auch der Kapitän dadurch seine Fracht verlieren würde, von den verschiedenen Parteien auf irgend eine Art gewonnen werden.

Der Kapitän, der vielleicht 2000 bis 3000 Ballen an Bord nimmt, kann die ungeheure Summe natürlich auch nicht vorstrecken, aber er geht eine Art von Garantie ein, und der Agent befestigt jetzt sein Zeichen an dem Ballen und läßt ihn passieren. Um aber an den verschiedenen Ufern das Einschiffen der Baumwolle überwachen zu können, begleiten jedes Boot wenigstens zwei Agenten, die sich einander ablösen und ihre Kontrolle halten, in der Zeit aber natürlich von der Regierung besoldet und von den Kapitänen gefüttert werden. Es läßt sich denken, welche enorme Summen das dem Staat kostet – die verschiedenen Betrügereien solcher Burschen noch gar nicht gerechnet. Man braucht sie auch wirklich nur anzusehen, um zu wissen, was man ihnen zutrauen darf, und der Nettoertrag, den die Regierung der Vereinigten Staaten von dieser noch außerdem überall verhaßten und oft zweckwidrigen Taxe zieht, wird sich am Ende als ein sehr geringer herausstellen.

Ich konnte nicht umhin, meinen Gewährsmann zu fragen, weshalb die Regierung der Union nur um Gottes willen solche Gaunerphysiognomien zu Beamten erwählt habe, denen sie das größte Vertrauen schenken mußte, da ein wirklicher Betrug kaum oder doch nur sehr schwer kontrolliert werden konnte. Er zuckte die Achseln und meinte trocken: »sie übten wahrscheinlich dort, wo sie ansässig wären, irgend einen politischen Einfluß aus – hätten vielleicht ein Wirtshaus oder etwas derartiges, und auf ein paar tausend Dollar käme es dabei nicht an.«

So scheint es jetzt überall in der Union zu gehen. Der letzte Krieg hat eine Masse von unnatürlichen Verhältnissen ins Leben gerufen, und daß diese von den Yankees nun auch richtig ausgebeutet werden, läßt sich denken.

Sonderbares Leben das, an Bord eines solchen Mississippidampfers! Gestern fuhren wir von einem Landungsplatz zum anderen, ohne natürlich besonderen Fortgang gen Süden zu machen. Eine Unzahl fremder Gesichter tauchte dabei ununterbrochen von den verschiedenen Ufern auf: Pflanzer, die ihre Baumwolle verschifften und die nötige Rücksprache mit Kapitän und Agenten zu nehmen hatten; Neugierige, die aus irgend einer kleinen benachbarten Ortschaft herbeiströmten und weiter nichts taten, als daß sie halfen, die Kajüte vollzuspucken; Spekulanten auch vielleicht, die auf eine oder die andere Art einen Erwerb erhofften. Heute dagegen ist Sonntag – das Schiff hat überdies seine Ladung Baumwolle ein, und zum Überfluß sitzen wir noch auf einer Sandbarre mitten im Mississippi fest.

Nicht einmal Musik darf an dem Tage gemacht werden – kein Kartenspiel ist an Bord erlaubt, und das langweilige Volk weiß nicht, was es mit sich anfangen soll. Die meisten liegen auch wirklich auf ihren Betten und suchen den Tag zu verschlafen – und das nennen sie »den Sabbat heiligen«. Draußen aber mühen und quälen sich die Bootsleute schon seit Mitternacht, um das in dunkler Nacht festgefahrene Boot wieder mit ihren Spars und durch Hilfe der Dampfkraft flottzubekommen, und die Steuerleute fluchen dazu am heiligen Sabbat, daß es einen Stein erbarmen möchte – Gegensätze, wohin das Auge fällt, und Widersprüche – aber diese bilden gerade das amerikanische Leben, und durch die verschiedenen Elemente entsteht eben die nötige Reibung, um die ganze Maschine im Gang zu halten.

Station Vicksburg – zwei Stunden Aufenthalt. Das Boot legt an, um wieder Baumwolle, ich weiß nicht wie viele Ballen, Heu und zahllose Säcke Hafer an Bord zu nehmen, welche Zeit ich dann natürlich benutze, einen kurzen Spaziergang durch die Stadt zu machen. – Vicksburg ist eine der durch den letzten Krieg am meisten mitgenommenen Städte der Union, und die in Grund geschossenen Häuser der ersten Straßen sind kaum erst wieder aufgeführt, oder noch im Bau begriffen.

Heute aber herrschte ein ganz reges Leben in der Stadt, und sonderbarerweise waren dabei alle sogenannten Salons oder solche Stellen, an denen spirituose Getränke verkauft werden, – noch dazu an einem Wochentag – fest verschlossen. Das hatte aber freilich seinen gewichtigen Grund, denn in der Stadt sollte heute über die Konvention abgestimmt werden, und die Neger benutzten im Staat Mississippi zum erstenmal das ihnen neu erteilte Stimmrecht.

Um acht Uhr morgens begann die Wahl – ich war gerade an Land, um Briefe auf die Post zu geben. Dicht daneben befand sich das Wahllokal für die Neger, und der freie Platz davor schwärmte von ihnen. Sie hatten ihre Sonntagskleider angezogen, und manche von ihnen sahen stutzerhaft und komisch genug aus. Im ganzen behandelten sie die Sache aber doch mit ziemlichem Ernst, und einzelne sehr schwarze Individuen mit schneeweißem Hemdkragen und hohen Seidenhüten hielten Ordnung, indem sie den immer stärker anwachsenden Schwarm in eine Reihe zu bringen suchten und dabei von allen willig unterstützt wurden. Nur als die letzten an dem frostigen Morgen in den Schatten zu stehen kamen, löste sich plötzlich alles auf und mußte von neuem in der Sonne formiert werden, bis sich das Ende des unabsehbaren Zuges endlich in einer der Seitenstraßen verlor. Einzelne der Weißen verteilten indessen gelbe Stimmzettel unter sie, wobei sie bei den meisten genötigt waren, ihnen die Bedeutung derselben zu erklären – lesen konnten natürlich nur sehr wenige.

Das Ganze ist eben nur eine Form zugunsten der jetzt mächtigen radikalen Partei, denn mit den Stimmen der Neger müssen sie in den südlichen Staaten selbstverständlich die Majorität behalten. Welche Folgen aber dieser gewagte und jedenfalls übereilte Schritt haben wird, muß die Zeit lehren, und ich fürchte fast, keine guten. Ich will gar nicht leugnen, daß es unter den Schwarzen, besonders unter der Mischlingsrasse, tüchtige und ziemlich intelligente Burschen gibt, die einer guten Erziehung alles nötige entgegenbringen werden; wenn man aber diese halbviehischen Schwarzen betrachtete, die zum Beispiel in Vicksburg als Stundenarbeiter angenommen waren, um Fracht mit einladen zu helfen, und die zuletzt ihre Arbeit unter der Entschuldigung abbrachen, daß sie hinauf in die Stadt müßten, um zu stimmen (für was hatten sie natürlich keine Ahnung), so hätte selbst der eingefleischteste Abolitionist den Kopf schütteln müssen, denn man konnte sich in der Tat keine größere Ironie auf die republikanische Verfassung denken, als wenn man diese » coloured gentlemen« betrachtete, die jetzt imstande waren, sich einander in jedes Amt hineinzuwählen.

Der Tag verlief in Vicksburg übrigens sehr ruhig, und die einzige Prügelei fand zwischen einigen schwerbetrunkenen Irländern statt, von denen dann zwei, zur großen Befriedigung der Zuschauer, von der Polizei aufgegriffen und fortgeschleppt wurden.

In Natchez legten wir kaum eine Stunde an. Wir hatten jetzt unsere Ladung: fast 2800 Ballen Baumwolle (den Ballen zu zirka 500 Pfund), 100 Ballen Heu, 600 Faß Mehl, 100 Faß Äpfel und Kartoffeln, 1000 Sack Mais, 1400 Sack Baumwollensamen, etwa 500 Sack Hafer und Gott weiß, was sonst noch alles für Dinge. Das Boot ging tief im Wasser, aber wir brauchten jetzt auch keine Sandbank mehr zu fürchten und erreichten endlich – freilich mitten in der Nacht – Bayou Sarah, wo ich selber an Land gehen wollte, um dort ein paar Tage zu bleiben, und die alten, früher durchstreiften Plätze wieder aufzusuchen.

*

Man braucht wirklich nur den Fuß hier an Land zu setzen, und man hat, wenn man die früheren Verhältnisse dieser Gegend kennt, ein treues Bild der ganzen gegenwärtigen Zustände des Südens, und noch dazu in den nötigen grellen Farben.

Pointe Coupée, jene alte französische Ansiedelung, in einem der fruchtbarsten und begünstigtsten Landstriche gelegen, war früher ein wirklich zauberisch schöner Platz, und das kleine, ihm gegenüberliegende Städtchen Bayou Sarah unterhielt einen so lebhaften Verkehr mit den zahlreichen, am anderen Ufer liegenden Plantagen, daß eine Dampffähre ununterbrochen herüber- und hinüberlief.

Wir landeten mitten in der Nacht bei vollem Mondschein an der kleinen Stadt, die ich noch so treu im Gedächtnisse hielt, als ob ich sie vor kaum acht Tagen verlassen – aber ich kannte sie nicht wieder. Nur einzelne zerstreute Häuser standen an der Stelle, und wenn auch eine Bayou dicht darüber einmündete, die der Bayou Sarah glich, glaubte ich doch nicht, daß das der Platz sein könne.

»Das ist doch nicht Bayou Sarah?« sagte ich zu dem neben mir stehenden Steuermann, »hier will ich gar nicht an Land!«

»Das ist Bayou Sarah,« erwiderte er aber trocken, »so weit wenigstens, als sie es wieder aufgebaut haben. Das ganze Nest ist ja im Kriege niedergebrannt.«

»Angezündet?«

»Nein – angeschossen. Sie haben hier bös gewirtschaftet. Na, Sie werden schon selber sehen.«

Es war keine Zeit mehr zur Unterhaltung, denn das Boot lief an ein kleines Werftboot an, von dem aus uns aber eine Stimme warnte, nicht zu nahe zu kommen, weil ein altes Wrack dort unten läge und jetzt, bei dem niederen Wasserstande, größeren Booten gefährlich werden konnte. So legte denn unser Dampfer gar nicht an; eine schmale Planke wurde ausgeschoben, und wir mußten sehen, wie wir wenigen hier bleibenden Passagiere, bei steter Bewegung, auf das Werftboot gelangen konnten.

Das brachten wir nun allerdings fertig, aber oben zwischen den fremden, neugebauten Häusern und alten Ruinen einzelner eingestürzter Backsteingebäude kannte ich mich allerdings nicht mehr aus und mußte nun erst vor allen Dingen ein Hotel erfragen, wo ich ein Unterkommen für die Nacht finden konnte. Das zeigte sich denn auch endlich im Henrietta-Hotel – einer kleinen, von einer coloured lady gehaltenen Holzbude –, wo ich wenigstens, trotz der späten Stunde, noch ein leidliches Bett bekam.

Am nächsten Morgen trat ich meine Wanderung an, um womöglich noch vor allem anderen ein paar alte Bekannte von früher her aufzufinden und von ihnen Näheres über die jetzigen Zustände zu erfragen – das letztere aber zeigte sich kaum nötig, denn die jetzigen Zustände prägten sich ziemlich deutlich überall aus. Wohin man nur blickte, sah man Weiße, emsig mit irgend einer Arbeit oder hinter ihren Ladentischen beschäftigt, während vor den Branntweinläden und an den Straßenecken die coloured gentlemen im dolce far niente ihren Beruf zu suchen und zu finden schienen.

Das ganze Städtchen sah wüst und öde aus und machte einen traurigen Eindruck, und die wenigen aus der alten Zeit, die ich wirklich noch vorfand, glichen den sie umgebenden Ruinen auf das vollständigste.

Amerika – wie hatte ich mich darauf gefreut, dieses Land nach so langer, langer Abwesenheit wieder einmal zu besuchen und mit alten Freunden in alten Freuden, in alten Erinnerungen zu schwelgen – und jetzt? –

Im Norden, ja, dort war es mir wirklich gelungen; dort waren sie auch vorgeschritten mit der Zeit und jahrelange schwere Arbeit blieb da nicht unbelohnt. Ihre Zustände verbesserten sich, und sie konnten mit Befriedigung auf die zurückgelegte Laufbahn blicken. Das aber war nicht im Süden der Fall und Bayou Sarah wirklich der traurigste Ort, den ich von allen übrigen noch gefunden. Ich fühlte mich dort denn auch schon nach wenigen Stunden unbehaglich und ging nach St. Francisville hinauf, wo noch andere Bekannte lebten.

Wenigstens einer war dort, der sich wirklich freute, mich wiederzusehen, wenn auch die Jahre nicht spurlos über seinen Scheitel gegangen. Er war Friedensrichter in St. Francisville, und wir hatten früher zusammen in Pointe Coupée gelebt.

Und wo waren die alten Freunde dort oben geblieben? – tot und begraben – gestorben, entweder friedlich am gelben Fieber oder auch verdorben, wahnsinnig geworden, erschossen – was weiß ich! Selbst das Haus, wo ich dort oben gelebt, stand nicht mehr und war der Erde gleich gemacht.

Jetzt drängte es mich nach Pointe Coupée hinüber, um die Stätte zu besuchen, wo ich so viele, viele glückliche Tage verlebt. Das Wohnhaus war freilich, wie ich schon gehört, niedergebrannt, aber der Garten stand doch noch wenigstens und der alte Baum, in dem ich in meiner Hängematte so manche wundervolle Nacht verträumt.

Bayou Sarah gegenüber landete ich mit dem Skiff, da die Dampffähre, jetzt nur ein- oder zweimal des Tages und zu unregelmäßigen Zeiten, aber nie für einen lumpigen Passagier lief. Es war das an der früheren Taylorschen Plantage – eine der bestgehaltenen am ganzen Mississippi, mit ungeheuren Zucker- und Baumwollenfeldern und praktisch eingerichteten, großen, aus Backsteinen aufgeführten Zuckerhäusern. Der Platz war eine Wüste.

Das Wohnhaus sah zerfallen, der Garten vernachlässigt und überwachsen aus. Die Zuckergebäude lagen in Trümmern: die Truppen der Föderalen hatten sie niedergebrannt, wie mir der junge Bootsmann sagte. Die Negerhütten – früher weiß angestrichen und jede mit einem kleinen Garten – schienen kaum noch zur Hälfte bewohnbar und selber schon zum Teil angegriffen, um trockenes Holz zum Feuern für die übrigen zu liefern.

Ein paar Dutzend entsetzlich schmutziger Neger und Negerinnen mit Kindern von allen Farben lungerten noch um ihre alten Wohnungen herum, aber einer sagte mir, daß ihnen der neue Besitzer den Aufenthalt gekündigt habe, weil er selber seine Arbeiter mitbringen wolle, und sie blieben jetzt nur noch hier, bis sie einen anderen Platz gefunden hätten.

Fast alle Neger waren auf dieser Stelle geboren worden.

»Und ist denn die ganze Plantage dieses Jahr gar nicht bebaut worden?«

»Bebaut?« lachte der Neger, »keine zehn Fenzriegel liegen mehr um den ganzen Platz, und sie werden auch nicht gebraucht, denn die Kletten, die jetzt allein darauf wachsen, fressen die Schweine und Kühe doch nicht.«

»Keine Fenz mehr?«

»Nicht die Spur, die ist schon im Kriege zu Feuerholz verbraucht worden, und was damals nicht verbrannte, hat nachher die Flut weggeschwemmt, als die Unionstruppen oben die Dämme durchbrachen und den Mississippi über uns losließen. Das war eine schwere Zeit, und wir glaubten damals, daß wir alle weggeschwemmt würden!«

Ich schritt an den brachliegenden wüsten Feldern hinauf, auf der Levée hin, der Stelle zu, wo früher das Ferry-Hotel gestanden. Der alte Mann hatte recht gehabt, die Fenzen, die sonst üppig stehende Zucker- und Baumwollen-Felder umschlossen, waren verschwunden, in den Feldern selber wuchsen Kletten, und das Cocogras, der ärgste Feind der Kultur, fraß sich weiter und weiter in sie hinein. Die ganze Plantage bot einen entsetzlich traurigen Anblick, und ich war froh, als ich endlich die hohen Büsche erkannte, die, wie ich von alten Zeiten her wußte, den Garten und das Grundstück des Ferry-Hotels einschlossen – ich hätte mir die Freude recht gut ersparen können.

Dort stand ich auf der Levée, dem Ferry-Hotel gegenüber – das war der Gartenzaun und hier lief der Weg zwischen demselben und der Levée hin – aber auf der Straße selber lagen ein Haufen zerbrannter Backsteine und ein paar andere zugehauene Steine, die früher, wie ich recht gut wußte, den Kamin des Front-Parlours gehalten hatten. In den früheren Garten, jetzt ein wüster Platz mit nur einigen wild aufgewachsenen Chinabäumen, führte gar keine Tür und das eine, seitwärts liegende Tor war verschlossen. Dicht dabei wohnte ein Franzose, der jetzt ein traurig genug aussehendes Hotel hielt. Es war eine graue Bretterhütte mit ein paar Verschlägen, in denen Fremde untergebracht werden konnten. Ihn bat ich, mir den alten Platz aufzuschließen, und ich muß gestehen, daß ich wohl eine Viertelstunde gebrauchte, ehe ich mich vollständig wieder zurecht finden konnte – und kein Wunder!

Der Mississippi hatte wohl hundert Fuß von dem Ufer in seine wilde Strömung hineingerissen, erst die Levée unterwaschen und fortgespült, und dann die Hälfte des Gartens ebenfalls in seinen Fluten begraben. Mein alter lieber Baum war schon vor langen Jahren zu Tal geschwommen. Die Levée oder den Damm, der das Land vor Überschwemmungen schützte, hatte man bis hinein in den Garten legen müssen, ebenso den Weg, der jetzt dort vorüberlief, wo früher das Haus stand. Das Wohnhaus mit den Hintergebäuden war verschwunden, nur die alte Küche stand noch, schien aber nur eben noch zusammenzuhalten. Der Kamin mußte in späterer Zeit neu aufgeführt sein.

Und alle die Granat-, Orangen-, Feigen- und Pfirsichbäume, die schönen Tulpenbüsche, die sonst den Weg zierten? Was das Wasser noch übrig gelassen, hatte später das Feuer hinweggefressen. Nicht einmal die Stümpfe waren mehr zu sehen.

Ich schritt langsam hinaus durch die Felder, meinen alten Jagdplätzen zu, wo ich früher so oft Alligatoren und im Frühjahr und Herbst Schnepfen geschossen. Die ungemähten Wiesen waren mit hohem gelben Grase überwuchert, die Sümpfe durch die lange Dürre ausgetrocknet, so daß sich die Alligatoren wahrscheinlich in den Mississippi zurückgezogen.

Und weiter oben?

Das ganze Land lag wüst, denn wer sollte sich die Mühe nehmen, es zu bebauen, solange die von den Unionisten eingerissenen und nachher nur noch mehr durch die Flut zerstörten Dämme nicht wiederhergestellt waren? Das nächste hohe Wasser würde ja doch jede darauf verschwendete Arbeit augenblicklich wieder vernichtet haben.

Die Sonne war schon unter, ehe ich wieder von Pointe Coupée fort hinüber nach Bayou Sarah fuhr, und ich wunderte mich jetzt auch gar nicht mehr, daß der sonst so schöne, offene Strom, auf welchem die Dampfer immer dicht an Pointe Coupée vorüberliefen, jetzt nur, bis halb nach Bayou Sarah hinüber, eine einzige, wüst und zerwaschen aussehende Sandbank bildete. Es paßte ja doch zum ganzen und hätte gar nicht anders sein dürfen.

Und ist dies das Ende des schönen südlichen Landes, des Stolzes der Union?

Als ich nach Amerika kam und in den nördlichen Staaten von manchen dort durchreisenden südlichen Pflanzern häufig die Äußerung hörte: »Wir sind total ruiniert – der ganze Süden ist systematisch gebrochen und aufgerieben,« so muß ich gestehen, daß ich solche Reden damals für krasse Übertreibung oder doch wenigstens für die Ausbrüche vollkommen verzagter Herzen hielt. Ich vertraute auf den zähen amerikanischen Charakter, der zehnmal niedergeworfen, doch immer wieder nach oben kommt, und glaubte sicher, daß sich der Süden, und sei er noch so schwer und hart getroffen, doch sicher auch wieder in wenigen Jahren emporarbeiten und die alten Wunden verschmerzen werde und diese vernarben würden.

Schon auf dem Mississippi, wo ich mit vielen südlichen Pflanzern zusammenkam und häufig, ja täglich ihre Reden untereinander hörte, wurde dieser Glaube wankend, und mit der jetzt hier herrschenden Negerwirtschaft umher, mit den zerstörten Plantagen, mit den gebrochenen Herzen der Besitzer fürchte ich fast, der angerichtete Schaden sei schwerer wieder auszugleichen, als ich selber geglaubt hatte.

Wäre der Norden von dem Süden besiegt worden – und die Union kann Gott danken, daß das nicht geschah –, so würden sich die nördlichen Farmer, wenn sie auch alles in dem Kriege verloren hätten, doch bald wieder erholt und gekräftigt haben. Ihr Land mußte ihnen bleiben, das konnte der Feind nicht zerstören, und auf ihre eigenen Kräfte waren sie ja von jeher angewiesen gewesen. Aber anders ist es mit dem Süden, der sich nicht auf die eigenen, sondern auf die Kräfte der Schwarzen verließ, und sich nun mit einem Schlage den Boden unter den Füßen fortgenommen sieht.

Die südlichen »Barone,« wie wir sie recht gut nennen können, bildeten früher eine ganz besondere Klasse der amerikanischen Bevölkerung und die richtige Aristokratie des ganzen Landes. Der Unterschied zwischen ihnen und den nördlichen Farmern zeigt denn auch in ganz natürlicher Weise die Wirkung, die ein solcher, ihr ganzes Eigentum vernichtender Schlag notwendigerweise auf sie ausüben mußte.

Nehmen wir den gleichen Fall in Europa, oder noch besser in Deutschland an, einen hochadeligen Rittergutsbesitzer mit großem Vermögen und einen Bankier zum Beispiel, der sich von nichts zu einem Millionär aufgearbeitet hat. Laßt beide total verarmen, und der erstere ist vollständig und rettungslos verloren, denn er hat nichts gelernt, als standesgemäß zu leben und das, was er mit anderer Händearbeit verdiente, für sich zu benutzen. Er war dabei freigebig und liberal und verachtete jeden kleinlichen Nutzen, den er hätte ziehen können; aber das, was sonst zu den noblen Zügen seines Charakters gehörte, wird ihm jetzt zum Fluch, denn es verhindert ihn, ja macht es ihm unmöglich, im kleinen wieder von vorn zu beginnen.

Anders dagegen der Bankier, der kaum seinen Verlust entdeckt und das Unvermeidliche hat über sich hereinbrechen sehen, als er auch schon nicht etwa daran denkt, die Hände verzweifelnd in den Schoß zu legen, sondern im Gegenteil wieder genau so im kleinen zu beginnen, als er es früher schon einmal getan. Er weiß recht gut, daß er damit nur sehr langsam vorrücken kann, aber er rückt doch wieder vor, und nach mühevollen Jahren hat er sich auch sicher wieder – während der Edelmann zugrunde gegangen – eine ehrenvolle Stellung erkämpft.

Der südliche Pflanzer kann nicht selber arbeiten; er hat es nie gelernt, ja noch außerdem die Arbeit selbst für einen weißen Mann als etwas Schändendes gehalten. Deshalb auch sein Widerwille gegen die Emigration; er wollte keine weißen Arbeiter in seiner Nähe dulden, er schämte sich ihretwegen seinen Negern gegenüber, und verhinderte die Niederlassung von kleinen Farmern in den südlichen Staaten, soweit es nur irgend in seinen Kräften stand. Er erreichte auch in der Tat zum großen Teil seinen Zweck, aber ihm nun zum Fluche, denn die schwarzen Arbeiter sind ihm genommen, und die, welche allein nun seinen Grund und Boden vor dem Verwildern bewahren könnten, deutsche Ansiedler und Pächter, fehlen und sind nirgends aufzutreiben.

An deren Statt treiben sich aber Tausende von müßigen Schwarzen auf den Plantagen und um die kleinen und größeren Städte herum und sind noch nicht imstande, sich an eine regelmäßige und stete Arbeit zu gewöhnen, weil dieselbe sie zu sehr an ihre kaum erst von den Schultern geworfene Sklaverei erinnert. Sie nennen sich auch nicht mehr untereinander, wie in früherer Zeit, mit dem vertraulichen » boys«, sondern » gentlemen«, für den sich jetzt der ruppigste Neger hält, und bemerken dabei gar nicht, daß sie, – wenn auch aus ganz anderen Ursachen – das nämliche Schicksal ihrer früheren Herren teilen.

Es ist eine von allen anerkannte und unbestrittene Tatsache, daß die Sterblichkeit unter den Negern seit ihrer Freiheit auf eine erschreckende Weise zugenommen hat, und tritt da keine Änderung ein, so wird die Regierung der Vereinigten Staaten wohl der Sorge um ihre »schwarzen Brüder« enthoben werden, ehe viele Jahre mehr vergehen. Die Ursache liegt auch auf der Hand. Die Neger wurden allerdings zu schwerer Arbeit angehalten, aber doch gewöhnlich nicht über ihre Kräfte benutzt, um diese für den eigenen Herrn zu schonen und zu erhalten. Dabei bekamen sie ihre regelmäßige Nahrung und Kleidung und hatten keine Sorge, denn erkrankten sie, so mußten sie verpflegt werden, und wurden sie alt, so mußte man sie ebenfalls bis an ihren Tod füttern.

Das ist jetzt anders geworden, und Gott verhüte, daß jemand glauben sollte, ich wolle hier der Sklaverei das Wort reden und sie verteidigen. Sie war ein Fluch des Landes und eine Schmach für dasselbe, und schon der Handel mit den Schwarzen eine Scheußlichkeit, die von zivilisierten Nationen gar nicht geduldet werden durfte. Aber die Abschaffung derselben hätte auf anderem, auf allmählichem Wege stattfinden müssen. So wie es jetzt geschehen ist, hat es nicht allein die früheren Sklavenhalter und Tausende ruiniert, sondern ist, von der tollen Gesetzgebung der Radikalen unterstützt, auch den Negern selber zum Verderben geworden, und viele, sehr viele werden darin untergehen.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die schwarze Rasse an geistigen Fähigkeiten der Weißen untergeordnet ist, und die Zeit muß erst lehren, inwieweit eine tüchtige Schulbildung imstande ist, auf sie einzuwirken. Der Charakter des Negers ist dabei schon von Natur sorgloser Art, und das ganze Verhältnis, in dem er früher stand, bestärkte ihn darin. Jetzt plötzlich tönte ihm das Wort in die Ohren: »Du bist frei! Du kannst nicht mehr von deiner Familie getrennt, nicht mehr verkauft und verschachert werden, und dieselben Rechte, welche die weiße Rasse beansprucht, sind auch dein – aber auch dieselben Pflichten. Du mußt von jetzt an für dich selber, wie für die Deinen sorgen, und wirst du krank oder alt, oder fehlt es dir an Nahrung und Kleidung, so ist kein Weißer mehr verpflichtet, für dich einzutreten.«

Das versteht der Neger noch nicht. Er arbeitet ja, aber was er verdient, wird auch am nämlichen Tag fast wieder verschleudert, und sei es auch nur, um sich einige früher entbehrte, überflüssige Genüsse zu verschaffen. Die Folge davon konnte nicht ausbleiben und blieb nicht aus. Das letzte Jahr war dem Baumwollenbau überhaupt nicht übermäßig günstig, die schwere Regierungstaxe drückte dabei die vollkommen unbemittelten Schwarzen noch ganz danieder, und das wenige, was sie wirklich verdienten, wurde dann auch ebenso rasch in den Wind geschlagen, ja die meisten gerieten noch außerdem in drückende Schulden.

Wie soll das jetzt im Winter werden? Die Plantagen liegen verödet, in den Städten werden nur wenig Arbeiter gebraucht, denn überall schränkt man sich bei den schlechten Zeiten ein und vermeidet auf das ängstlichste jede nicht irgend notwendige Arbeit. Viele Neger haben schon jetzt nicht das Notwendigste zum Leben, und natürlicherweise verlegen sie sich nun aufs Stehlen.

Viele Bewohner von Bayou Sarah haben mir versichert, daß ihnen durch den ganzen Krieg hindurch kein Stück Vieh abhandengekommen ist. Jetzt fehlt alle Augenblicke eine Kuh, und sie müssen darauf bedacht sein, sie aus den Sümpfen zur Stadt zu treiben, wenn sie sie nicht alle verlieren wollen. Ebenso ist es mit Hühnern und Schweinen, und wird noch ärger werden, sobald die Not bei den Schwarzen steigt.

Daß sich eine solche Arbeitsscheu für einige Jahre einstellen würde, war vorherzusehen und konnte nicht ausbleiben, denn ein Sprung von Sklaverei zur vollsten Freiheit mußte auf diese Menschen seine Wirkung ausüben. Das aber würde sich nach kurzer Zeit ausgeglichen haben, denn wenn auch frei, wäre dem Neger so lange das Gefühl einer untergeordneten Stellung geblieben, bis er sich nicht selber durch Bildung und Intelligenz aus dieser Sphäre herausarbeiten konnte.

Da erläßt die radikale Partei im Norden durch die im Süden kommandierenden Generale das wahnsinnigste Gesetz, das sich nur denken läßt, ich meine das, welches den Negern das Stimmrecht zuspricht; und was jetzt die Faulheit nicht allein zuwege brachte, vollendete der Hochmutsteufel, der allen halb barbarischen Völkern besonders gefährlich ist.

So sind hier in dem Parish-West-Feliciana bei den letzten Wahlen von 48 zu ernennenden Geschworenen 44 Farbige gewählt – also unter 48 nur 4 Weiße. Ganz abgesehen nun davon, wie unerträglich es selbst für einen Weißen ist, der nie Sklaven gehalten und sein ganzes Leben gegen die Sklaverei geeifert hat, vor eine Court gestellt zu werden, die fast ausschließlich aus jeder, selbst der geringsten Bildung baren Negern besteht, was sind die Folgen für die Neger selber? Geschworene werden nie besoldet: es ist ein Ehrenamt – mit den Negern kann natürlich keine Ausnahme gemacht werden, und wovon sollen jetzt diese Schwarzen und ihre Familien leben, wenn der Mann wochenlang seiner ihm aufgelegten Pflicht folgt, d. h. sich auf der Geschworenenbank über ihm unverständliche Dinge den Kopf zerbricht?

Aber die Schwarzen bleiben dabei noch nicht stehen. Sie werden Richter wählen, die von dem, was Rechtens ist, nicht mehr verstehen als eine Kuh. Ja, man spricht sogar im Süden davon, bei der nächsten Präsidentenwahl einen Neger zum Vizepräsidenten vorzuschlagen. Nun denke man sich den Fall, daß der Präsident stirbt und ein Schwarzer das Weiße Haus bezieht! Eine der furchtbarsten Revolutionen, die noch je die Welt gesehen, wäre die unausbleibliche und augenblickliche Folge eines solchen unerhörten Falles.

Drüben auf Taylors Plantage, und wahrscheinlich auf tausend anderen ebenso, liegen die Neger, denen aufgegeben ist, ihre alten Wohnungen zu verlassen, da man ihre Arbeit nicht mehr braucht und das Besitztum in andere Hände überging, ohne Verdienst, ohne Geld, und wissen nicht, was sie jetzt beginnen sollen. Der Winter ist vor der Tür, was sie verdient, haben sie auch gewissenhaft verzehrt, – und vielleicht noch mehr dazu – und der selbständige Charakter fehlt ihnen, mit dem sich der Backwoodsman zum Beispiel nur mit seiner Axt und Büchse mitten im Walde niederläßt und selbst der Wildnis eine erträgliche Heimat abzwingt.

In Bayou Sarah selber – so klein die Stadt auch ist, kann man ganze Trupps von Schwarzen sehen, die müßig in den Straßen und vor den Schenklokalen liegen. Was soll aus diesen werden?

Im Anfang unterstützten die Freedmens-Bureaux allerdings auch müßige Subjekte, die sich für den Augenblick nicht selber helfen konnten oder wollten, aber das mußte natürlich einmal ein Ende nehmen. Hier und da schwindelt sich wohl noch einmal ein einzelner eine Weile durch, indem er sich krank stellt, aber auf die Länge der Zeit geht das nicht, denn schon jetzt machen die ungeheuren Summen, die diese Bureaux (natürlich auch mit zahlreichen Betrügereien einzelner Beamten) gekostet haben, das Volk murren.

Die Neger müssen in der nächsten Zeit lernen, sich selber zu helfen, oder wenn sie das nicht können, eben zugrunde gehen. Mitleid von den Weißen haben sie aber jetzt im Süden, bei der herrschenden Erbitterung, wahrlich nicht zu hoffen, und kommt nun eine andere politische Partei ans Ruder, so sind die Folgen nicht abzusehen.

Aber die südlichen Pflanzer hoffen selber nichts mehr für sich; sie sind vollständig an Geist und Mitteln gebrochen, und nur einer späteren Generation mag es Vorbehalten bleiben, das wenige ihnen Gebliebene zusammenzuraffen und damit ein neues Leben zu beginnen. Und doch wie deutlich zeigt ihnen jetzt schon alles den alleinigen Weg, den sie gehen können, um sich wieder eine selbständige Stellung zu erringen.

Oben in St. Francisville sprach ich einen alten Southerner, der ebenfalls durch den Krieg fast alles verloren und nun mühsam von klein auf wieder beginnen mußte. Er hatte ein bedeutendes Geschäft gehabt und jetzt wieder einen kleinen Detailhandel angefangen und schimpfte dabei in erbitterter Weise auf die Yankees. Da zeigte ich ihm die Waren, die seinen ganzen Laden von A bis Z füllten, Eisen- und Blechwaren, hölzerne Eimer und Besen, Zwiebeln und Mais, geräucherte Schinken und eingeblechte Gemüse, Koffer und Büchsen, Gewehre und Werkzeuge Medizinen und Patentmittel, Kaffeemühlen und eiserne Kochgeschirre, Kalikos und wollene Hemden, Knöpfe und Schnallen, Schirting und Seide, Äxte und Sägen, kurz alles, was in den Regalen lag, an den Wänden hing oder im Laden zerstreut stand, und alles das, was er selber verkauft, kam aus den nördlichen, kam aus den Yankeestaaten, denn der Süden erzeugte bisher nichts, gar nichts, als eben Baumwolle, Zucker und Reis. Für alles übrige wanderte das bare Geld gen Norden – wandert es noch und macht die »Feinde« reich.

Ich fragte ihn, ob es nun nicht besser sei, den Kampf in ehrlicher und friedlicher Weise mit dem Norden aufzunehmen und das Leben in anderer Weise zu versuchen. Wenn es mit dem Baumwollenbau, der fehlenden Negerarbeit wegen, nicht mehr im großen ging, was hinderte die Pflanzer denn, ihr eigenes Welschkorn und ihre Gartenfrucht zu ziehen, ihre eigenen Schweine zu mästen und sich so unabhängig zu stellen wie ein nördlicher Farmer? Fabriken könnten überall angelegt werden, prachtvolles Holz füllte die Wälder, Eisen lag in vielen südlichen Staaten – in Arkansas zum Beispiel in Masse – und weshalb könnten sie das von Baumwolle, was sie noch erbauten, nicht auch selber verarbeiten und dadurch um so viel höher verwerten?

Der alte Mann sah im Anfang etwas verdutzt aus und schaute sich wie erstaunt in seinem eigenen Laden um. Es war ihm wohl selber noch nicht eingefallen, daß er wirklich nichts – ausgenommen vielleicht die Sardines à l'huile – in seinem Verkaufslokale hatte, was nicht aus den Staaten der verhaßten Yankees stammte. Aber er schüttelte trotzdem mit dem Kopf und meinte: das ginge nicht, sie alle paßten nicht dazu, und sie wollten lieber in einem ganz anderen Land ein neues Leben beginnen, als hier unter den Gesetzen der vollständig übermütig gewordenen und verhaßten Yankees das alte fortführen.

Von ihm hörte ich denn auch bestätigen, was ich schon von vielen anderen ebenso gehört, daß sich eine weitverzweigte Auswanderungsgesellschaft gebildet habe, um – wo es auch sei – eine andere Heimat aufzusuchen. Selbst unter einer Monarchie wollten sie lieber arbeiten, als unter dieser Republik, und ganz unverhohlen sprach er dabei aus, wie nach dem Tode Maximilians eine neue Hoffnung im Süden erwacht sei: daß nämlich Frankreich und Deutschland die Sache zu der ihrigen machen würden, während sich die nördlichen Staaten natürlich einer solchen Einmischung widersetzt hätten. Dann aber war ein Krieg unvermeidlich, und ich bin fest überzeugt, daß in dem Fall die Südstaaten aufs neue gemeinsame Sache mit Frankreich gegen den Norden gemacht hätten, selbst auf die Gefahr hin, dem französischen Kaiserreiche mit Mexiko einverleibt zu werden.

Es waren das allerdings nur Träume wahnsinniger Politiker, aber daß sie bestanden haben, weiß ich aus dem Munde vieler Pflanzer selber – ebenso, wie ich in Sachsen eine kleine Anzahl verrückter oder doch wenigstens kurzsichtiger Menschen kenne, die noch in diesem Augenblick viel lieber französisch als »deutsch« werden möchten und dabei auf das hartnäckigste leugnen, daß Preußen ja doch auch nur Deutschland sei.

Niemand kann natürlich sagen, wie sich noch die hiesigen Verhältnisse zwischen jetzt und der nächsten Präsidentenwahl gestalten werden, denn die Radikalen treiben es wirklich zum Äußersten; aber freilich ist im Süden die Kraft vollständig gebrochen. Niemand denkt hier mehr an Widerstand, nicht einmal das junge, sonst doch so hitzköpfige Volk. Mit Militär und Negern gegen sich, müssen sie sich fügen, und nur in einzelnen Fällen macht sich die Erbitterung in einem Gewaltakt Luft.

So sitzt jetzt hier in St. Francisville einer der angesehensten und reichsten Pflanzer von Pointe Coupée, Morgan mit Namen, im Gefängnisse. Er hatte in der Wut einen Neger erschossen und wird jetzt wahrscheinlich einer Jury von lauter Negern entgegengestellt werden, bei der es nicht einmal möglich ist, eine gleichgemischte zu bekommen. Dazu brauchte es sechs Weiße, und von allen achtundvierzig Geschworenen gehören ja nur vier der kaukasischen Rasse an.

Da man hier überall auf das Resultat außerordentlich gespannt war, läßt sich denken.

In Bayou Sarah selber fesselte mich übrigens nichts; die paar dort wohnenden Deutschen, mit Ausnahme eines alten wackeren Schusters, namens Wölfling, waren in den langen Jahren, – abgeschieden und allein zwischen Amerikanern wohnend, vollkommen verknöchert und wollten von Deutschland selber gar nichts mehr wissen. Was kümmerte sie Deutschland – was hatte sich Deutschland um sie gekümmert! Neue waren allerdings hinzugekommen: ein Arzt, ein Apotheker, ein paar jüdische Krämer, aber sie sahen auch neu aus und wohnten in neuen Häusern, und ich selber hatte keine Lust, mit ihnen bekannt zu werden. So schiffte ich mich denn auf dem ersten dort anlegenden Dampfer »Abeona« wieder ein, stromab, New-Orleans entgegen, und bekam jetzt auf dem entsetzlich langsam gehenden Boote wenigstens Gelegenheit, die Ufer an beiden Seiten des Stromes, die aber nur wenig Tröstliches boten, zu beobachten.

Welch ein prachtvoller Anblick war das früher gewesen, die reizenden Plantagen zu schauen, die dort im Schatten von Chinabäumen und Orangen lagen, mit geputzten Damen auf der von Blumen halb versteckten Veranda, mit schaukelnden Hängematten und an der Levée hingaloppierenden Reitern!

Das ist alles vorbei.

Die Sklaven sind allerdings frei; kein spekulierender Yankee – denn nur diese waren in früheren Zeiten die eigentliche Sklavenhändler – kann mehr abends auf einer Plantage einkehren und die Herzen der Neger mit Angst und Entsetzen erfüllen, ob er nicht vielleicht eine Familie kaufen und dann die einzelnen Glieder derselben trennen und auseinanderreißen würde. Die Peitsche keines grausamen Nigger drivers zerfleischt mehr den Rücken armer Teufel, und die Southern Lady hat ebenfalls die Macht verloren, ihre armen Sklavinnen zu kneipen und mit Füßen zu treten. Aber die ganze Poesie des schönen Landes ist auch damit vernichtet worden, und wenn man sich darüber auch trösten könnte, tut es einem doch unwillkürlich leid, diese zerstörten Stätten, selbst nur im Vorüberfahren, zu beobachten.

Keins der prachtvollen Pflanzerhäuser scheint mehr bewohnt zu sein; alle Jalousien sind geschlossen. Nirgends haben die Felder mehr Fenzen, und den dunkelbraunen Klettenwuchs, mit dem sie überwuchert sind, kann man überall beobachten.

Aber die Strafe für die übermütig gewordenen Baumwoll-Barone ist vielleicht nur zu gerecht. Sie wollten nicht mehr hören und glaubten sich, wie sie die volle Gewalt über ihre Sklaven hatten, allmächtig. Das ist vorbei und die Peitsche ihnen aus der Hand genommen, aber damit auch zugleich nicht allein ihr Wohlstand, sondern auch das Vertrauen zu sich selber vernichtet, und wo sie früher keinem Einwanderer gestatten wollten, sich zwischen ihnen niederzulassen, so denken sie jetzt selber daran, den Rest ihrer Habe zu Gelde zu machen und sich ein neues Vaterland zu suchen.

Eine gewichtige Lehre für alle ihre Gesinnungsgenossen – wenn diese Herren nur je etwas lernen wollten.

Baton Rouge, das wir heute morgen passierten, scheint, wenigstens äußerlich, durch den Krieg wenig gelitten zu haben. Nur das große, prachtvolle, aus weißem Stein errichtete Statehouse wurde inwendig ausgebrannt und steht jetzt noch, natürlich als Ruine. Wer hätte hier Geld, um es wieder herzustellen?

Das einzige, was jetzt hier besser aussieht, ist der alte Mississippi selber, dessen Flut sich sonst immer nur trüb und gelb dem Golf entgegenwälzte. Jedenfalls ist der fabelhafte niedere Wasserstand aller amerikanischen Ströme die Ursache; aber er sieht jetzt ordentlich klar aus und die vorn am Bug aufgedrängten Wasser sind durchsichtig. Deshalb ist er aber doch noch immer so böse und tückisch als je, unterwäscht die Ufer und reißt oft ganze Acker Land auf einmal fort, wofür er dann freilich gegenüber wieder eine Sandbank anschwemmt und Leuten, die sonst eine ganz gute Flußlandung hatten, ein entschiedenes Schloß vor die Tür legt. Einzelne Schichten des angeschwemmten Bodens bestehen allerdings aus Sand, und es scheint fast, als ob er an diesem unter Wasser ganz heimlich lecke, bis er sich ein gehöriges Terrain ausgewaschen. So fanden wir unterhalb Plaquemine einen Platz, wo vielleicht vier Acker Land zugleich und auf einmal und weit über hundert Schritt breit in den Strom hineingebrochen waren, und so gleichmäßig tiefer als das übrige Land zeigte sich die Stelle, daß man recht gut sehen konnte, die Oberfläche sei in einen vollkommen leeren Raum hinabgestürzt.

Höchst gefährlich sind freilich solche Einstürze, wenn sie bei außergewöhnlich hohem Wasser stattfinden und dann ein Stück der Levée oder des aufgeworfenen Dammes mit fortnehmen. Jetzt, bei der schwachen Arbeiterbevölkerung, wäre es sogar nicht einmal möglich, den Schaden rasch wieder auszubessern, und die Folge jedenfalls eine Überflutung des innern Landes.


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