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13. Von Vera-Cruz nach Puebla

Mittags um ein Uhr ging der Eisenbahnzug von Vera-Cruz ab. Die Bahn führte aber bis jetzt nur erst bis Paso del Macho, das wir noch an dem nämlichen Abend erreichen sollten.

Dort, wo wir vorüberkamen, standen unmittelbar vor der Stadt ein paar beschädigte Eisenbahnwagen. Im letzten Kriege waren Kugeln hindurchgefahren und hatten die Achse des einen zerschmettert – aber es dachte niemand daran, sie zu reparieren. In Wind und Wetter blieben sie stehen und mochten da auch ruhig verfaulen. Waren sie total ruiniert, dann mußten neue angeschafft werden. Jetzt zählten sie noch mit.

Die Reise von Vera-Cruz, oder vielmehr die Abfahrt, sieht übrigens noch ziemlich behaglich aus. Unmittelbar an der Stadt setzt man sich in einen ganz bequemen Eisenbahnwaggon, und mit all den bei solcher Fahrt gebräuchlichen Vorrichtungen scheint es gar nicht, als ob man eben im Begriff stände, in ein – gerade nicht wildes, aber doch verwildertes Terrain einzutauchen. Das ändert sich freilich noch an dem nämlichen Tage.

Die Szenerie ist wundervoll. So wie man nur erst einmal die niederen Festungsmauern der Stadt und den Schmutz der nächsten Umgebung hinter sich hat, begrüßt das Auge die wundervollste Vegetation, und Kokospalmen ragen überall aus einem üppigen Gewirr von Schlingpflanzen und Blütenbüschen empor. Rote, weiße und gelbe Winden schlingen sich zu undurchsichtigen Mauern und Gewölben zusammen, und hier und da strecken die breiten Blätter der Bananen ihre grünen Arme dem Licht entgegen. Dann und wann aber, wie man durch die Baumgipfel einen freien Blick gewinnt, ragt plötzlich in der Ferne der hohe, spitze Schneekegel des Orizaba herüber und sticht merkwürdig gegen die wilde, überreiche Vegetation der heißen Zone ab, aus welcher er emporsteigt.

Kleine Ortschaften, an denen Stationen angelegt wurden, unterbrechen die Fahrt; Fruchtstände in Bambushütten, die mich lebhaft an ähnliche auf Java erinnerten, bieten dem Fremden eine nicht unangenehme Abwechslung, und das Auge findet überall so viel zu schauen, daß man sich wirklich kaum um seine Reisegefährten kümmern kann und mag. Weiß man doch auch nicht einmal, ob es für die kurze Zeit der Mühe lohnt, denn welche von ihnen begleiten uns auf der längeren Tour? Das muß sich erst im Nachtquartier ergeben. Von da ab wurde nämlich die Weiterreise nur durch die Diligence auf dem camino real ermöglicht und sollte am nächsten Morgen beginnen.

Nun muß ich aufrichtig gestehen, daß mir das Wort camino real nicht besonders gefiel, denn wenn ich an Ecuador, Peru, Chile, Uruguay und alle anderen südlichen Staaten zurückdachte, so überlief mich ein stilles, ahnungsvolles Grauen. Camino real heißt eigentlich »königlicher Weg« oder Hauptchaussee, und wenn ich mir irgend einen recht nichtswürdigen Weg lebhaft ausmalen wollte, so brauchte ich mir nur die caminos reales jener Gegenden ins Gedächtnis zurückzurufen. Aber früher gelesenen Beschreibungen nach sollten ja alle die Hauptwege unter der Regierung des Kaisers gründlich restauriert sein, und ich hatte also nichts Ähnliches wie in den durchwanderten Republiken zu befürchten.

Paso del Macho hieß die Station, wo wir unser Abendessen einnahmen und dann übernachteten. Dort vor dem Hause hielt auch schon die Diligence – genau ein solches Fuhrwerk, wie es sonst in den Vereinigten Staaten von Nordamerika üblich war –, und noch jetzt erzählen dort die alten Leute an langen Winterabenden, neben ihren Abenteuern mit Bär, Panther und giftigen Schlangen oder Überfällen der blutgierigen Wilden, ihre Fahrten in einer solchen Diligence.

Diese ist jetzt hier in Mexiko als »Neuerung« eingeführt – ein roter neunsitziger, doch gut in Federn hängender Kasten, aber so stark gearbeitet, um selbst den Schrecknissen eines camino real die Stirn zu bieten; und dort hinein sollten wir am nächsten Morgen gepreßt und unserem weiteren Schicksal überliefert werden.

Das Hotel, in dem wir uns befanden, bestand aus einem großen Saal, um den herum, nicht unähnlich denen in einer Kajüte an Bord eines Schiffes, verschiedene kleine Schlafgemächer lagen und nur durch dünne, nicht einmal zur Decke reichende Bretterwände getrennt wurden.

In erster Klasse mit der Eisenbahn war auch ein Herr mit zwei sehr elegant gekleideten Damen, jedenfalls Schwestern, gekommen, die beim Abendessen sehr viel Wein und nach dem Kaffee jede ein großes Glas Kognak tranken. Es waren Französinnen und, wie ich bald fand, meine Reisegefährtinnen für morgen früh. Außerdem befanden sich noch zwei ältere und zwei jüngere Mexikaner am Tische und eine junge mexikanische Frau mit einem kleinen Kinde und einem jungen Hunde – sämtlich Futter für das Innere der Diligence. Da wir übrigens alle müde waren und früh wieder heraus mußten, suchten wir bald unser Bett, und ich selber ging nur noch vorher etwa eine Stunde mit einem seit langen Jahren in Mexiko lebenden Deutschen vor dem Hotel spazieren und ließ mir einiges über die jetzigen und früheren Verhältnisse des Landes erzählen.

Am nächsten Morgen, noch bei stockfinsterer Nacht, ein Heidenlärm: die Passagiere, wie die ganze Nachbarschaft, wurden geweckt, damit die eigentlichen Schlachtopfer erst Kaffee trinken konnten, ehe sie ausgeliefert wurden. Jetzt kamen die Maultiere – oder mulas – und jeder suchte sich in der Dunkelheit seinen ihm durch den Einschreibezettel angewiesenen Platz. Das schien freilich anfangs ganz unmöglich, denn eine Unzahl kleines Gepäck, wie Reisesäcke, Zigarrenkisten, größere Schachteln und andere Dinge, standen so überall im Wege, daß niemand imstande war, die Füße auszustrecken. Einige wollten dagegen protestieren, doch der eine Mexikaner bat sie vernünftigerweise, nur erst einmal den Wagen abfahren zu lassen, nachher würde schon alles rasch »zusammengeschüttelt« werden, und darin hatte er vollkommen recht.

Es ist auch eine allbekannte Tatsache, daß bei solchen Abfahrtsgelegenheiten, sei das nun ein Schiff, ein Boot oder ein Wagen, alles im Anfange überfüllt erscheint und niemand die Möglichkeit sieht, darin auszuhalten: aber erst einmal kurze Zeit unterwegs, und es reguliert sich alles. Selbst das Unmögliche wird möglich gemacht, und man richtet sich zuletzt selbst behaglich ein – behaglich – Gott verzeihe mir das Wort auf einem camino real!

Die Tiere zogen an, der Wagen rollte in die Nacht hinaus, und jede weitere Unterhaltung wurde in dem Moment unmöglich, denn die Räder gingen über ein paar im Wege liegende Steine fort, wie ich damals dachte, und solche Stöße erfolgten, daß nur jeder beschäftigt war, sich selber auf seinem Sitz festzuhalten, ohne dem Nachbar mehr als nötig zur Last, d. h. auf den Leib zu fallen. Aber die »Steine« hörten nicht auf; was ich für etwas Zufälliges gehalten, war der gewöhnliche Gang der Diligence, und: Steht bei den Fallen! dachte ich mit meinem alten Kapitän Schmidt. Tu l'as voulu, George Dandin – der Stein rollte, und was ich mir eingebrockt, mußte ich nun auch essen.

Der Mond stand allerdings am Himmel, und der Kutscher konnte seinen Weg notdürftig erkennen; im Innern des Kastens herrschte aber völlige Dunkelheit. Während das Kind schrie, der kleine Hund winselte, die Männer fluchten und die Damen stöhnten, wurden wir unglücklichen Passagiere mit wahrhaft eiserner Ausdauer auf den steinharten Sitzen auf und nieder gestoßen, und wir alle fühlten, daß erst einige Übung in diesem Marterkasten dazu gehörte, um auch nur seinen Empfindungen durch Worte Luft zu geben, wenn man nicht seine eigene Zunge leichtsinnigerweise in Gefahr bringen wollte, abgebissen zu werden.

Eisenbahn! Ich hatte anfangs geglaubt, daß der Preis derselben für die kurze Strecke, und mit nur 25 Pfund Gepäck frei, etwas hoch gegriffen sei. Jetzt fand ich, daß sie spottbillig gewesen, und daß man hätte den dreifachen Preis fordern dürfen, nur um einen solchen Weg unmöglich zu machen. Aber das sollte noch besser kommen.

Endlich wurde es Tag. Wir sahen erst an beiden Seiten des Weges hohen, prächtigen Wald im Dämmerlicht und konnten dann auch nach und nach unsere eigenen Jammergestalten im Innern des Wagens unterscheiden.

Die Diligence fuhr übrigens lange nicht mehr so rasch, als beim Ausgang aus Paso del Macho, wo sie »besseren,« d. h. trockenen Weg gehabt. Dort war die Straße wenigstens abgetrocknet durch Wind und Sonne, hier hatte der Schatten und Schutz der Bäume beides verhindert, darauf einzuwirken, und als ich jetzt einen Blick aus dem Fenster hinauswarf, fand ich, daß der ganze camino real nur aus einer fast ununterbrochenen Kette von Sumpflöchern bestand, um welche sich der Kutscher entweder herumwinden mußte oder in die er, wenn er das unmöglich fand, keck und unerbittlich ein- und hindurchtauchte.

Bis dahin hatten wir alle ziemlich mürrisch gesessen und das nun eben doch Unvermeidliche schweigend ertragen. Jetzt plötzlich, als der Wagen sich etwas rascher fortbewegte, war es, als ob der ganze Vorderteil versänke. Im nächsten Augenblick erfolgte ein furchtbarer Stoß; das Hinterteil hob sich, im Innern stürzte alles durcheinander, und nun war es, als ob sich die ganze Diligence überschlagen und einen sogenannten Purzelbaum schießen wollte. Aber es schien nur so. Das hinten aufgeladene Gepäck mochte doch glücklicherweise zu schwer gewesen sein, es drückte den Rückteil wieder zurück, der vordere Wagenteil hob sich, als ihn die mulas weiter rissen, empor, und fort rollten wir, einem neuen Loch entgegen.

Dieser kleine Zwischenfall schien aber die Zungen gelöst und die ganze mürrische Laune verscheucht zu haben. Die Behandlung war zu niederträchtig, und wir brachen fast alle in ein freilich halbverzweifeltes Lachen aus. Jetzt wurde auch die Unterhaltung allgemein; wir waren auf einmal bekannt miteinander geworden, und die nachherigen Stöße konnten nur dazu dienen, diese Bekanntschaft zu befestigen.

Sonderbarerweise sprang aber die Unterhaltung sehr bald von dem Wege selber ab und drehte sich, wenigstens für zwei Stunden, nur um die Ladrones oder Straßenräuber, die diesen Weg unsicher machten, die Diligence schon oft angefallen und beraubt und sogar eine Anzahl Menschen dabei getötet hatten. Ich war auch für die Herren nicht ganz unvorbereitet. Ich saß mit meiner geladenen Doppelbüchse im Arm, Revolver und Messer an der Seite, im Wagen und sah nur bis jetzt noch nicht die Möglichkeit ein, wie man bei einer solchen Fahrt sich wirksam verteidigen könne. Wenn nur die Hälfte der Geschichten wahr war, welche sich die Mexikaner erzählten, so unterlag es fast keinem Zweifel, daß wir ebenfalls angefallen werden mußten, und von einer versprochenen Eskorte war keine Spur zu erkennen. Der Wald um uns her lag öde und still und bot fast bei jeder Biegung die herrlichste Gelegenheit, aus dem Hinterhalt vorzuspringen und eine Ladung Rehposten in den durcheinander geschüttelten Kasten hineinzufeuern. Aber die Räuber blieben aus, und statt deren überholten wir bald darauf in einem kleinen Dorf einen Trupp Infanterie, der bestimmt schien, uns zu begleiten. Der Weg hatte hier auch in der Tat einen solchen Grad von Nichtswürdigkeit erreicht, daß wir doch nur im Schritt fahren konnten.

Die Soldaten standen an der Straße, unter den Bäumen aufmarschiert, und sahen mit ihren braunen Gesichtern und grauen Uniformen mit grünen Streifen nicht schlecht aus. Sie schienen auch gute Gewehre zu haben, und es war nicht wahrscheinlich, daß es ein Trupp von Straßenräubern wagen sollte, die auf solche Art unterstützten Passagiere anzugreifen. Aber die Freude dauerte nicht lange. Etwa eine Stunde Wegs, ja, hielten sie gleichen Schritt mit uns. Der Weg bestand hier aus einer solchen Kette von Schlammlöchern, daß die acht vor die Diligence gespannten Maultiere kaum, und nur mit größter Anstrengung, den leeren Wagen hindurch schleppen konnten, der zuletzt auch wirklich vollkommen stecken blieb. Unsere Eskorte marschierte nun voraus, und als es dem Kutscher nach großer Anstrengung gelang, die Räder wieder frei zu bekommen, so daß wir weiter rücken konnten, überholte uns die zweite Eskorte, die soldadera, das heißt die Frauen und Queridas der vorangegangenen Soldaten, die Körbe mit Lebensmitteln auf ihren Köpfen trugen und ganz ernsthaft und ehrbar an beiden Seiten des Wagens mitgingen – bis wir wieder stecken blieben. Dann verließen auch sie uns, und nach einer halben Stunde etwa holten wir beide Teile der Truppe ein, die sich unter den Bäumen ein Feuer angezündet hatte und ihr Frühstück kochte und verzehrte. Wir fuhren vorüber, und das war das letztemal, daß wir, bis dicht vor Puebla, irgend einen Soldaten zu sehen bekamen.

Ganz wunderbar schön und herrlich wurde aber hier die Szenerie, als wir uns besonders dem kleinen Orte Córdoba näherten, und hier schienen die Eingeborenen doch auch einigermaßen die Hand geboten zu haben, um der Natur, die ihnen alles gab, nur wenigstens etwas entgegenzuarbeiten. Bis dahin hatten die einzelnen Hütten, die wir im Walde fanden, nur wie verlassen in der prachtvollen Vegetation, aber von Unkraut umwuchert, gestanden. Jetzt zeigten sich hier und da kleine Gärten, und wo nur ein Keim in die Erde gesteckt war, da wuchs ein Wald von Fruchtbäumen empor. Kam man dann zu einer größeren Hazienda, so war es wirklich ein ganz prachtvoller Anblick, diesen fabelhaften Reichtum zu sehen, den die Natur entfaltete. Bananenstämme schossen bei einem ganz enormen Umfang im Stamm zu einer Höhe empor, wie ich sie fast noch nirgends gefunden. Mango, Sapotes, Orangenbäume, Chirimoyen, Agua-catas standen überall mit ihrem herrlichen Laub, und die Hecken bildete gewöhnlich ein dichter Streifen von Kaffee- und einzelnen Kakaobäumen, die im Schatten des Fruchtwaldes gediehen.

Wie wohl das dem Auge tat, nachdem man so lange Zeit nur den wild durchwachsenen Wald gesehen, zu dem der entsetzliche Schlammweg ganz vortrefflich paßte! Hier wurde sogar dieser camino real etwas besser, so daß wir nicht mehr alle Augenblicke auszusteigen und halbe Stunden zu marschieren brauchten, und wir erreichten endlich, aber schon nach Dunkelwerden, und nachdem wir noch vor Sonnenuntergang den Schneekegel Orizaba deutlich gesehen und bewundert hatten, das kleine Städtchen Orizaba, wo wir im Diligence-Hotel übernachten sollten.

In Orizaba fand ich einige Deutsche, und da uns Passagieren noch ein paar Stunden Rast blieben, weil wir erst um zwölf Uhr wieder aufbrechen sollten, so ging ich mit diesen noch kurze Zeit auf den »Christmarkt«, der aber eigentlich fast nur aus Spielbuden und Spieltischen bestand, und wo fast alle Waren zum Verlosen eingerichtet schienen. In dieser Zeit ist nämlich das Hasardspiel freigegeben, und die Spielpacht bringt der Stadt für diese eine Woche etwa 36 000 Dollars ein. Man kann sich also denken, was diese Leute verdienen müssen, um doch auch noch ihren eigenen Gewinst dabei zu machen.

Nie im Leben habe ich aber auch das Spiel so und für alle Klassen, von dem reichsten Haciendero bis zu dem ärmsten Indianer hinab, ausgebeutet gesehen, und man findet Tische, wo um Unzen, wie andere, wo um eine kleine Kupfermünze gespielt wird, und zwar an einem so leidenschaftlich wie am anderen. Aber nicht allein die Spieler frequentieren diese Zelte, nein, fast sämtliche Familien der Stadt, da eine sehr große Bude mit vielen hundert Sitzen zu einem echten Lottospiel eingerichtet und fast jeden Abend auch vollständig besetzt ist. Wie gemischt aber die Beteiligung dabei sein muß, beweist schon der Ausrufer, der die Nummern zieht und auf den Bildungsgrad der minder Befähigten freundlichst Rücksicht nimmt. Er zieht zum Beispiel Nr. 87 und ruft dann ochenta siete, dann aber auch noch einmal die beiden Zahlen, wie sie hintereinander stehen, ocho siete, damit solche, welche keine verbundenen Zahlen lesen können, sich leichter hineinfinden. Die erste Quinterne gewinnt dabei einen bestimmten und ziemlich hohen Satz. Die gezogenen Nummern werden mit Maiskörnern besetzt.

Auf dem Markte saßen eine Menge Fruchtverkäufer bei dem Licht von lodernden Kienbränden, das einen eigentümlichen Schein über das Ganze warf. Kienholz gibt es hier in Masse, denn an den Vulkanen stehen große, aber freilich schon sehr gelichtete Kieferwaldungen.

Orizaba ist ein wichtiger historischer Punkt in der Kaisergeschichte geworden. Maximilian, als er hierher kam, befand sich schon auf seinem Weg nach Europa. Er hatte eingesehen, daß er seine Stellung nur durch einen langen Kampf vielleicht erhalten konnte, und wollte kein Blutvergießen in Mexiko mehr seinethalben. Sein Entschluß war gefaßt, sein meistes Gepäck schon zum Versenden fertig. Da trat sein böser Geist wieder an seine Seite – der Pater Fischer, der in dem charakterschwachen, aber gutherzigen Monarchen das beste Werkzeug gefunden zu haben glaubte, in Mexiko das Konkordat einzuführen und der Kirche die »geraubten Güter« wieder zurückzuerstatten, und dessen Überredung – darin stimmten alle überein – ist es allein zuzuschreiben, daß Maximilian nach der Hauptstadt zurückkehrte. Was er ihm damals gesagt, weiß natürlich niemand, aber wahrlich nicht die Wahrheit, denn der Kaiser hätte sonst nie den unglückseligsten Schritt seines Lebens getan, der ihn seiner Todesstätte entgegenführte.

Der Kaiser starb – aber Pater Fischer – ein höchst zweideutiger Charakter in Mexiko, da man ihn dort ganz unverhohlen einer sehr unangenehmen Juwelengeschichte bezichtigte – lebte und hatte sogar die Frechheit, nach Österreich in derselben Zeit zurückzukehren, wo man in der Hauptstadt Mexiko, im Diario Official die Documentos officiales de los traidores – das heißt das geheime Archiv des toten Kaisers veröffentlichte, das gerade, wie jeder Unterrichtete in Mexiko behauptet, von diesem nämlichen Pater der Regierung »überlassen« wurde.

Dort drüben in jenem weißen, langen Hause wohnte der Kaiser, – dort verzehrte er sich in quälenden Zweifeln – dort brachten ihm die Bewohner von Orizaba einen Fackelzug, als er sich endlich – schwankend wie er war, entschlossen hatte, seiner ersten Absicht zu entsagen. – Jetzt konnte er nicht mehr zurück, und am nächsten Tage ging er – in Begleitung des triumphierenden Pfaffen – seinem Schicksal, seinem Tod entgegen.

Armer Maximilian! Wohl nie im Leben sind einem Kaiser, der Herrscher eines fremden Volkes sein wollte und darüber zugrunde ging, so viele, so aufrichtige Tränen nachgeweint worden, als dir, denn selbst deine ärgsten Feinde haben dir zugestehen müssen, daß du es gut und ehrlich gemeint und kein falscher Gedanke in deinem Herzen lebte. –

Leider war meine Zeit in Orizaba kaum nach Stunden gemessen, denn nach Dunkelwerden trafen wir ein und sollten schon um Mitternacht den Platz wieder verlassen.

Erst um elf Uhr warf ich mich auf mein Lager, um wenigstens den Körper ein klein wenig auszuruhen; Punkt zwölf wurde aber schon wieder geweckt, und nachdem wir kaum noch Zeit gehabt, eine Tasse Kaffee zu trinken, sahen wir uns wieder verpackt und rasselten mit furchtbaren Stößen in die Nacht hinaus.

Die Straße war von hier aus nämlich besser, das heißt trockener, und der Kutscher konnte rascher fahren, bis wir endlich die Stelle erreichten, wo sich der Weg aus dem wärmeren Lande hinauf auf die Hochebene zieht. Dort aber war ich seelensfroh, als ich mit Tagesanbruch dem Marterkasten entspringen konnte, um zu Fuß die sogenannten Cumbres hinaufzusteigen, und die prachtvolle Aussicht auf die untenliegenden Täler belohnte mich auch reichlich für die kleine Mühe.

Nur den Revolver mußte man an der Seite tragen, denn gerade vor dieser Stelle war ich besonders gewarnt worden, da hier die meisten Überfälle stattgefunden haben sollten. Zum Glück jedoch hatten wir den Herrn Baron J.W. von Müller nicht bei uns, dem in der kurzen Zeit seines Aufenthalts in Mexiko so ganz haarsträubende Abenteuer mit Räubern, wilden Stieren, Tapiren, Tigern und so weiter begegnet sind, der aber doch glücklicherweise mit dem Leben davongekommen ist. Wir wurden gar nicht belästigt und konnten, als die Diligence endlich nachkam, wieder einsteigen. Ich selber nahm jetzt meinen Platz hinter dem Kutscher, denn in dem Kasten selber bekam man erstlich gar nichts von der wundervollen Szenerie zu sehen, und dann wäre da drinnen auch eine Verteidigung gegen einen doch möglichen Angriff vollkommen nutzlos gewesen.

Hier muß ich aber meine aufrichtige Bewunderung den mexikanischen Kutschern zollen, die wirklich das Außerordentlichste leisten, was ich je in der Art von Fuhrwerk gesehen habe. Die Diligence ist mit acht Tieren bespannt, von Paso del Macho waren es, durch den Schlamm, Maultiere, hier Pferde. Zwei gehen an der Deichsel, vier davor und zwei wieder vorn. Der Kutscher hat, während er mit dem rechten Fuß den Hemmschuh reguliert, in jeder Hand drei Zügel und in der rechten noch die lange Peitsche, mit der er das vordere Gespann erreichen kann. Dabei fährt der Bursche, der sich den Mund verbunden hat, um nicht zu viel Staub zu schlucken, und nie flucht (überhaupt habe ich in keinem spanischen Land so wenig fluchen hören als in Mexiko), mit einer ganz fabelhaften Sicherheit und macht mit seinem Achtgespann die schwierigsten Wendungen. Dem auch nur ist es zuzuschreiben, daß auf den entsetzlichsten Wegen so verhältnismäßig wenig Unfälle vorkommen. Freilich stehen immer noch genug Kreuze am Wege, die teils von Räubern verübte Mordtaten, teils die Stellen bezeichnen, wo beim Umschlagen der Diligence Kutscher oder Reisende den Hals gebrochen haben; und ein Wunder ist das freilich nicht. Übrigens fahren diese Kutscher nicht allein mit acht, sondern sogar manchmal, bei außergewöhnlich schlechter Beschaffenheit des camino real, wie zuzeiten in der Regensaison, mit dreizehn Pferden auf dieselbe Weise. Die ersten Kutscher für diese Diligencen waren Amerikaner, welche diese Wagen auch hier eingeführt haben, aber die Mexikaner, die ja auch außerdem mit Pferden ganz vortrefflich umzugehen wissen, haben ihnen das bald abgelernt und können jetzt wahrlich nicht mehr übertroffen werden.

Merkwürdig ist der Unterschied, den diese paar tausend Fuß, die wir emporgestiegen waren, in der Vegetation machten, und wie niedrig die Bäume plötzlich in der kurzen Frist geworden waren. Kaktus und Agaven traten hier ganz entschieden auf, wie ein palmenähnlicher Baum, der da oben auch Palme genannt wird und mit seinen langen, spitzen und messerähnlichen Blättern ganz vortrefflich zu der übrigen stacheligen Vegetation paßt, aber eigentlich Yuca (Yucca) heißt.

Der Weg war hier trocken, aber Steine lagen überall, und kleine wie größere Vertiefungen unterbrachen beständig die Straße. Diese konnten aber natürlich den Kutscher nicht abhalten, seinen Pferden auf das rücksichtsloseste die Peitsche zu geben, und fort donnerte die Kalesche, uns arme Passagiere auf eine Weise zusammenschüttelnd, die wahrlich nicht beschrieben werden kann, die erlebt sein muß, um sie in allen ihren Schrecken und Mißhandlungen zu begreifen.

Der Kutscher selber hat natürlich einen besseren Platz auf seinem Bock, aber neben ihm kann man nicht sitzen, da die Stelle sein Gehilfe einnimmt. Dieser führt eine zweite Peitsche, hat die Pflicht, dann und wann abzuspringen und nach dem Geschirr zu sehen, wie auch neue Blöcke für die Hemmschuhe zurechtzuzimmern, und sucht sich dann, ehe er wieder heraufklettert, ein paar Taschen voll Steine zusammen, um diese von oben auf ein etwa nachlassendes Tier hinabzuwerfen. Zuzeiten springt er auch, genau wie die Treiber auf Java, eine Strecke neben den Pferden her und haut so lange mit seiner Peitsche auf sie ein, bis er sie in einen rasenden Galopp gebracht. Daß er uns arme Passagiere im Innern dabei wie Erbsen in einer Kinderklapper durcheinanderwirft, kümmert ihn verwünscht wenig; er will nur rascher von der Stelle kommen, und das erreicht er denn auch in der Tat.

In Palmar, einem kleinen Städtchen, das wahrscheinlich seinen Namen von den palmenähnlichen Bäumen hat, denn Palmen selber kommen natürlich auf der Hochebene nicht mehr vor, frühstückten wir, aber freilich sehr erbärmlich, und tranken einen nichtswürdigen Wein dazu. Überhaupt muß man es sich von da an vergehen lassen, Wein zu fordern, wenn man nicht für eine nur einigermaßen trinkbare Sorte einen ganz enormen Preis bezahlen will. Man muß nämlich nicht allein den Wirten den sehr teueren Transport, sondern auch den Gewinn an diesem bezahlen, und daher kommt es, daß schon in Puebla eine Flasche Bordeaux 1½, eine Flasche haut sauterne 2 Silberdollars, in Mexiko die letztere aber sogar 2½, also beinahe 3 preußische Taler kostet. Das ist etwas zu viel für den geringen Genuß.

Überhaupt ist Mexiko ein entsetzlich teures Land; enorme Preise werden für alles von dem »armen Reisenden« gefordert, und man kann die Hand nur fortwährend in der Tasche haben. Ein Real (5 Silbergroschen) ist etwa genau dasselbe hier, was ein einzelner Groschen bei uns ist, und wird womöglich noch geringer geachtet. Einem deutschen Schriftsteller kann es deshalb auch in diesem Lande der Unzen wohl nie recht behaglich werden. Ja, wenn ihn die Nachdrucker bezahlen wollten, möchte es gehen, aber so arbeitet er mehr für andere Leute als für sich selber, und das einzige, was ihm übrig bleibt, ist, sich in allen Stücken einzuschränken.

Hinter Palmar kam ich zum erstenmal in Sicht der beiden berühmten Vulkane mit den fast unaussprechlichen Namen: Popocatépetl (der rauchauswerfende Berg in der alten Indianersprache), und daneben der breitere Iztaccihuatl (die weiße Frau), und der letztere Name ist nicht schlecht gewählt, denn, besonders wenn man etwas näher kommt, läßt sich, mit nur einiger Phantasie, leicht eine mit einem riesigen weißen Tuch überdeckte, ruhende Frau auf dem Berge erkennen. Überhaupt findet sich diese Bildung nicht so selten in Mexiko, denn lange, durch vulkanische Kraft aufgeworfene Hügel zeigen noch an anderen Orten in ihren wunderlichen Konturen Ähnlichkeit mit dem Bilde einer langausgestreckten Frau. So passierten wir vor Puebla einen nicht hohen Berg, die Malincha, auf dem die Phantasie uns ebenfalls eine Frau erkennen läßt, die, auf dem Rücken liegend, mit heraufgezogenen Knieen ruht. Gesichter lassen sich ebenfalls überall auf den Bergen unterscheiden.

Die beiden riesigen Berge sahen wunderbar schön aus, und ihre Kuppen waren mit ewigem Schnee bedeckt. Durch die Biegung der Straße und benachbarter Höhen wurde uns aber ihr Anblick bald wieder entzogen, und ich tröstete mich nur mit dem Gedanken, daß wir ihnen ja jetzt immer näherrückten und sie bald in ihrer ganzen Pracht bewundern sollten.

Vor Puebla, das wir spät am Abend erreichten, erhielten wir wieder eine reitende Eskorte von Bewaffneten, denn gerade in der Nachbarschaft einer größeren Stadt treibt sich das raublustige Gesindel am meisten herum. In Orizaba schon, wo die Frau mit dem kleinen Kinde und dem jungen Hunde ausstieg, hatten wir aber einen neuen Passagier bekommen, der einen furchtbaren Schnupfen hatte und in einem fort nieste, die Zwischenzeit jedoch lediglich dazu benutzte, Mord- und Raubgeschichten an der Straße zu erzählen, in denen er meistens eine Rolle spielte. Es war ein kleiner Händler aus Mexiko selber, kam jetzt von Tabasco und konnte die Keckheit und Unverschämtheit der Ladrones gar nicht lebhaft genug beschreiben. Er war eine wahre Chronik sämtlicher in der Republik vorgefallenen Angriffe schlechter Menschen, und immer dazwischen durch kam dann wieder der Ausruf, wie gnädig ihn besonders der liebe Gott beschützt habe, daß er immer mit dem Leben davongekommen sei.

Die Gegend von Palmar bis Puebla ist trostlos genug. Dann und wann findet man wohl mit Mais oder Weizen bestellte Felder, aber Kaktus und Agaven (hier Mageh genannt) bilden überall die Hauptvegetation, und hier betraten wir auch den Distrikt, wo die Bereitung des Pulque beginnt: ein wunderliches Getränk, das aus der Mageh-Aloe-Art gewonnen wird, und auf dessen Bereitung ich später zurückkommen werde. Ich kostete es in der einen kleinen Stadt bei einem alten Weibe auf dem Markte, das mir die gelblichweiße, trübe Flüssigkeit, in der eine Menge kleiner, schwarzer Gegenstände herumschwamm, in einer schmutzigen Kalabasse kredenzte.

O ihr schönen, herrlichen Bilder von mexikanischen Indianerinnen mit Federkrone und Schurz, die sehr im déshabillé in einer Hängematte ruhen oder graziös einen Bogen und Pfeil in der Hand halten – wo seid ihr geblieben, was ist aus euch geworden? Das hier war eine mexikanische Indianerin, wie entsetzlich schmutzig sah aber das alte Scheusal aus, und wie hingen ihr die Lumpen um die Knochen! Ich überwand allerdings den Ekel und hob aus Wißbegierde die Schale an die Lippen, aber es war ein trauriger Genuß. Das trübe Zeug schmeckte fade und schal, etwa genau so, wie es aussah, und ich goß den Rest einem gerade vorbeilaufenden Hund über den Rücken, der es aber nicht einmal dort vertragen konnte.

Als es dunkel wurde, versuchte ich zu schlafen – es ging nicht. Das furchtbare Schütteln des Wagens rüttelte mich immer wieder empor, wenn mir selbst der Mann mit dem Schnupfen Ruhe gelassen hätte, und ich dankte Gott, als wir endlich das Pflaster von Puebla erreichten, wo wir doch bald nicht allein ein Nachtquartier, sondern wo sich auch ein paar Tage Rast für mich finden sollten, da ich mir fest vorgenommen hatte, Puebla wenigstens zwei oder drei Tage zu durchstreifen.

Im Hotel de las Diligencias hielten wir an, und eine Stunde später lag ich schon in meinem Bett und schlief dem kommenden Morgen entgegen.


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