Friedrich Gerstäcker
Die Blauen und Gelben
Friedrich Gerstäcker

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Der Sieg der Reconquistadoren.

Indessen aber war in der Stadt selber eine Veränderung vorgegangen, denn Bruzual mochte doch wohl eingesehen haben, daß er die Vorstädte nicht länger halten konnte. Ohne deshalb den Feind auf die beabsichtigte Bewegung aufmerksam zu machen, zog er seine Truppen durch abgeschickte Boten, die sich aber keiner Signale bedienen durften, mehr und mehr zusammen nach der Plaza zu. Er gab zwar die nächsten Straßen noch nicht auf, aber er verteidigte sie nur noch an den Eingängen, wo er sie mit dem Kern des Heeres leicht unterstützen und dadurch um so wirksamer seinen eigenen letzten Zufluchtsort, das Regierungsgebäude, schützen konnte. Daß selbst dies letzte hoffnungslos und nur ein Aufschieben der Katastrophe sein mußte, wollte er nicht einsehen oder seinen Generalen wenigstens nicht gestehen. Oder glaubte er noch wirklich Monagas von seiner Siegesbahn zurückzuscheuchen? Jedenfalls hatte er im Regierungsgebäude selber jede Anstalt zu einer verzweifelten Gegenwehr getroffen, und selbst die wenigen Kanonen, die Caracas besaß, waren dort aufgefahren und gerichtet worden, um die Plaza damit zu beschießen.

Monagas hatte übrigens den Rückzug der Regierungstruppen nicht unbeobachtet gelassen, aber seine Leute bedurften einer kurzen Ruhe, und nur darauf trachtete er, daß Bruzual und die Gelben fortwährend alarmiert und in steter Erwartung eines Angriffs gehalten wurden. Bald mußte von der, bald von jener Seite eine kleine Patrouille vorrücken und ihre Gewehre abfeuern, bald ertönten hier, bald dort in der Stadt Signale, als ob die verschiedenen Scharen wieder gesammelt werden sollten, und das konnte er allerdings mit einem kleinen Teil seiner Leute ins Werk setzen. Der Rest aber wurde gar nicht gestört, denn, daß die Regierungstruppen wieder die Plaza verlassen und einen Angriff auf die Vorstädte machen würden, brauchten sie nicht zu fürchten. Nur die Möglichkeit war da, daß die Feinde versuchen konnten nach La Guayra durchzubrechen, um die See zu erreichen, und die Ausgänge dorthin wurden deshalb besetzt und gut bewacht. Aber die Gelben machten nicht einmal diesen letzten Versuch, sich dem siegreichen Angriff zu entziehen, waren auch vielleicht zu erschöpft.

Mit Tagesanbruch begann der Kampf von neuem, und zwar jetzt noch durch frische Truppen der Blauen verstärkt, die über den Calvarienberg herunter ihren Eingang erzwungen hatten. Bruzual versuchte nun endlich mit Monagas einen Vertrag abzuschließen, und schickte einen Parlamentär an ihn ab, aber der alte General ließ sich auf nichts derartiges mehr ein. Er wußte gut genug, daß er den Feind in seinen Händen hatte, und wollte den furchtbaren Zustand, in dem sich Caracas befand, auch nicht um eine Stunde verlängern. Unbedingte Unterwerfung war die einzige Forderung, die er aufstellte; Übergabe auf Gnade und Ungnade, und wenn Bruzual sich dem nicht fügen wolle, ein Kampf bis aufs Messer.

Jetzt dämmerte der Tag, und mit dem helleren Licht, das sich noch wie scheu über den Himmel stahl, wurde der Angriff der Reconquistadoren wieder heftiger. Heller und heller wurde es, und einen wunderbaren und höchst eigentümlichen Anblick boten die Straßen der Stadt, die sowohl, durch welche sich der Kampf wälzte, als auch die noch nicht davon berührten.

Eigentlich haben nur die Konsuln der verschiedenen Länder das Recht, die Flagge ihres Landes aufzuziehen, und das war bisher die Hauptursache, weshalb sich so viele, besonders deutsche Kaufleute um das Konsulat irgend eines kleinen Staates bewarben. Der kleine Ehrgeiz des Titels wegen schien das wenigste. Nutzen hatte sie sonst gar keinen, und nur manchmal Schererei mit ihren Landsleuten, die sich nicht selten einbilden, die Konsuln wären nur deshalb in eine überseeische Stadt gesetzt worden, um ihnen persönlich aus einer augenblicklichen Verlegenheit zu helfen. Einen großen Vorteil aber boten die Flaggen in den stets wiederkehrenden Revolutionen jener Länder, denn die verschiedenen Parteien, von denen doch jede ans Ruder zu kommen hoffte, respektierten gewöhnlich die also aufgesteckten Flaggen, weil sie von früher her wußten, daß sie an Frankreich, England, Amerika und auch Spanien schon schwere Entschädigungen hatten leisten müssen. Über die deutschen Flaggen aber waren sie immer in Zweifel und wußten nie, welchem Lande sie angehörten – ging es den Deutschen doch manchmal selber so. Mancher deutsche Konsul entzog sich also nur durch das Aufstecken der Flagge den größten Unannehmlichkeiten und persönlichen Verlusten, denn daß ihm der Staat, den er repräsentierte, nicht wieder zu seinem Recht verholfen hätte, wußte er gut genug.

Nun war aber in Venezuela, und besonders in Caracas, vor kaum zwei Monaten, und zwar am 1. April, die Entfaltung der norddeutschen Farben mit großem Enthusiasmus gefeiert worden, und fast jeder deutsche Einwohner, welchem Lande er auch angehörte, hatte sich eine schwarz-weiß-rote Flagge angeschafft und sie damals aufgesteckt. Diese Flaggen wurden jetzt sämtlich wieder hervorgeholt, und während die übrigen Konsulate, solange der Straßenkampf währte, ihre Landesfarben wehen ließen, prangten die Hauptstraßen der Stadt, besonders aber die Calle del Comercio, wo sehr viele Deutsche ihre Läden haben, in einem wahren Schmuck von schwarz-weiß-roten Fahnen.

General Colina, voll Grimm und Wut darüber, daß er geschlagen wurde, wo er sich nur blicken ließ, hatte einen Teil seiner Leute ausgewählt, um mit diesen den weiter oben kämpfenden Blauen in die Flanke zu fallen. Monagas selber war dort mitten im Kugelregen, und wenn es ihm gelang diesen abzuschneiden und gefangen zu nehmen, so hätten die Gelben damit schon den halben Sieg errungen. Wie ein Wetter, mit gefälltem Bajonett stürmte die wilde, pulvergeschwärzte und zur Verzweiflung getriebene Schar die mit den Flaggen geschmückte Straße hinab – aber nicht weit – sie waren nicht unbemerkt geblieben. – Nur eine Querstraße weiter oben kam eben General Napo mit den Seinen herbei, um den Feind auch dort zu umgehen, und jetzt pfiffen die Kugeln herüber und hinüber, und das Kampfesgeheul der Streitenden ertönte von allen Seiten.

Colina wollte sich nicht werfen lassen. Die Blauen waren nicht stärker als er selber, und wenn er sie jetzt zurücktrieb, hatte er freie Bahn. Unter seinen Leuten war auch die überwiegende Mehrzahl Neger, und in wildem Ingrimm warfen sich diese dem Feinde entgegen. Aber sie konnten keinen Fuß breit Raum gewinnen, denn die Blauen fochten mit der nämlichen Erbitterung, und noch mit dem Gefühl, daß sie siegen mußten, während es bei den Gelben nur noch ein Aufflackern letzter Verzweiflung war.

»Das ist Colina!« rief José dem an seiner Seite kämpfenden Hierra zu – »wenn wir den schwarzen Teufel fassen könnten!«

»Vorwärts!« zischte Hierra zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, und den Revolver in der linken Hand, den Säbel in der Rechten, warf er sich rücksichtslos mitten in den Feind hinein und gegen Colina an. Von beiden Seiten drangen Feinde gegen Hierra an, aber seine scharfe Waffe hieb sich Bahn. Er blutete schon aus tiefen Wunden – er fühlte und achtete es nicht; vorwärts drängte er, und die Seinen preßten jetzt so wild und mit so wütendem Geschrei hinter ihm drein, daß der Feind anfing zurückzuweichen.

»Hierra!« rief José, in Angst um den Freund, dem er wegen der dazwischen drängenden Soldaten nicht so rasch folgen konnte, – »halt an, wir stehen zu dir – nicht zu weit!« Hierra sah und hörte nicht; das Antlitz totenbleich, die Augen stier auf den Neger geheftet, hieb er sich durch. Dicht vor Colina traf ihn aber der volle Stoß eines Bajonetts, zwei Läufe seines Revolvers schoß er noch auf den Neger ab, aber schon flimmerte und dunkelte es ihm vor den Augen – er brach zusammen, und mit einem Wutschrei hieb sich José, von den Seinen dicht gefolgt, zu ihm durch.

Jetzt war aber auch kein Halten mehr unter den Gelben. Einem solchen Angriff hatten sie weder Mut noch Kräfte mehr die Stirn zu bieten. Colina selbst wurde schon von feindlichen Bajonetten bedroht und mußte fliehen, um nicht in ihre Gewalt zu geraten.

Zwar stürmte noch ein ganzer Zug Gelber zum Sukkurs heran, aber aus den Seitenstraßen drängten, durch das Schießen angelockt, auch die Blauen zum Beistand herbei; einen Teil des Feindes schnitten sie noch ab und nahmen ihn gefangen, die übrigen flohen unaufhaltsam der Plaza zu, und auch dort angegriffen und geschlagen, warfen sie sich endlich in die Kathedrale, um diese als letztes verzweifeltes Bollwerk zu benutzen.

General Napo war mit seinen Leuten, den Feind und seinen Sieg verfolgend, die Straße hinuntergerückt: mitten im Weg aber, unter toten und verwundeten Freunden und Feinden kniete José, den sterbenden Hierra in seinen Armen haltend.

»Hierra, mein lieber, lieber Hierra, weshalb stürztest du dich auch so wild und tollkühn in ihre Bajonette – hörst du mich noch?«

Hierra schlug die Augen auf und blickte zu dem Freunde empor.

»José?« – das ist brav von dir – sind sie geflohen?«

»Die Unseren jagen sie die Straße hinab.«

Ein leichtes Lächeln flog um des Sterbenden Lippen.

»Grüß' meine Mutter!« – sein Kopf sank zurück – er war tot.

José sah sich in Verzweiflung nach einem ihm befreundeten Hause in der Nähe um, und pochte endlich an einem so lange, bis man ihm, freilich erst nach vorsichtiger Anfrage, öffnete. Dahinein trug er den toten Freund, und jetzt mit fremdem und dem eigenen Blute bedeckt, stürmte er wieder die Straße hinab, um sich den Seinen zu neuem Kampfe anzuschließen.

Eine kurze Zeit war hier Waffenstillstand, denn Monagas hatte dem General antragen lassen, die Kathedrale als neutral zu betrachten. Die Soldaten sollten das Gotteshaus verlassen und sich in irgend einem anderen Gebäude festsetzen dürfen, ohne dabei von den Reconquistadoren belästigt zu werden.

Die Kathedrale, erst seit einigen Monaten neu restauriert, und mit dem Geld von Einheimischen und Fremden, von Katholiken und Protestanten in einfacher, aber würdiger Weise ausgebaut und geschmückt, war der Stolz der Bewohner von Caracas, und mit Recht, denn sie konnte sich jedem anderen Bauwerk Südamerikas getrost an die Seite stellen. Monagas wie alle seine Offiziere wollten sie deshalb gern schonen. Bruzual aber, in nichtswürdig kleinlicher Rache, denn er selber beschäftigte sich in derselben Stunde mit der Vorbereitung zu seiner eigenen Flucht, verweigerte solche Schonung. »Sie sollten die Kathedrale nehmen, wenn sie könnten!« war seine Antwort. Ob er vielleicht hoffte, daß die Reconquistadoren das Heiligtum unter jeder Bedingung schonen und noch mit ihm unterhandeln würden? Doch darin hatte er sich geirrt, denn Monagas dachte nicht daran, das schon umstellte Wild wieder laufen zu lassen. Er hatte geschworen den Erbfeind aus dem Lande zu jagen und die Regierung gründlich zu stürzen, das aber konnte nur geschehen, wenn er ihr letztes Bollwerk brach und ihr jede Hoffnung und Stütze nahm. »Vorwärts!« Wieder wirbelten die Trommeln und riefen die Trompeten zum Sturm, und mit einem wahren Feuereifer gingen die Blauen an ihre Arbeit.

An der Vorderseite der Kirche konnten sie sich freilich keinen Erfolg versprechen, denn die im Regierungsgebäude aufgestellten Kanonen bestrichen den Platz, und die mußten vorher genommen werden. Zu gleicher Zeit warfen sich aber die Reconquistadoren in die hinten an die Kirche stoßenden Gebäude, gewannen von da aus die Fenster und trieben, nach einem furchtbar blutigen Kampf im Heiligtum selber, die Gelben hinaus,

Bruzual war um diese Zeit schon verschwunden, aber Colina, in all' dem Haß und Ingrimm seiner Rasse, ließ noch bis zuletzt mit seinen Kanonen auf die Kathedrale feuern, sandte Kugeln durch die gemalten Fenster, und zerschoß unter anderem auch das schöne silberne Kruzifix, das auf dem Altar stand. Aber damit erwachte auch der Grimm der Blauen zu voller Höhe. Die meisten Regierungssoldaten waren schon in die Seitenstraßen hineingeflohen, hatten ihre Waffen und Abzeichen weggeworfen, liefen zu dem Feind über und ergaben sich als Gefangene. Ein kleiner Teil aber befand sich noch mit der Regierung im Regierungsgebäude, und diese verlangten jetzt, daß Bruzual der Metzelei ein Ende machen solle – aber wo war Bruzual. Man suchte ihn überall, kein Mensch hatte ihn, seitdem die Blauen anfingen die Kathedrale zu stürmen, gesehen, und diese ließen den Herren im Regierungsgebäude keine längere Zeit mehr zum Besinnen.

Die Besatzung desselben bestand fast allein aus Falconschen Generalen und Offizieren, denn die gemeinen Soldaten hatten fast alle die Waffen weggeworfen. Der größte Teil dieser Offiziere würde auch vielleicht die Waffen gestreckt haben, wenn die Regierung nicht so ganz den Kopf verloren hätte, denn an einen wirklichen Widerstand war ja doch kaum noch zu denken. Die Blauen hätten das ganze Gebäude selbst ohne Kampf recht bequem in vierundzwanzig Stunden aushungern können, aber das ließ ihre Ungeduld nicht zu. Ihr Blut war einmal aufgeregt, draußen auf der Plaza und in den Straßen lagen ihre Kameraden verwundet oder tot, und sie wollten zur Sühnung der Gefallenen jetzt wenigstens einen vollständigen Sieg, und darin unterstützte sie Monagas auch.

»Vorwärts, Landsleute!« rief er ihnen zu, wie er zwischen ihnen herumritt und sie zum Kampf anfeuerte – »vorwärts, meine Burschen! Das dort ist das letzte Nest noch, was ihr auszunehmen habt, und dann könnt ihr ausruhen und eure Heimat wieder aufsuchen, aus der euch hinfort keine gelbe Bande mehr hinaustreiben soll. – Vorwärts und seht, daß ihr mir den Herrn Bruzual lebendig fangt. Ich möchte den Herrn gern einmal in die Kathedrale führen und ihn fragen, was er von seiner Arbeit denkt. Vorwärts!«

Die Soldaten brauchten keine weitere Aufforderung, und wenn auch keine rechte Ordnung mehr unter ihnen herrschte, da sich hier Leute aus allen Provinzen zusammengefunden und schon die Kathedrale gemeinschaftlich gestürmt hatten – so schadete das nichts. Sie alle trugen doch das blaue Band der Revolution um ihre Hüte, und Offiziere hatten sich bald an ihre Spitze gestellt, um sie zu führen.

Teja war einer der Ersten, und selbst Castilia ließ sich nicht länger zurückhalten. Eine Weile wohl blieb er erschöpft liegen, um sich etwas auszuruhen; wie aber die Trompeten wieder zum Angriff tönten, war er einer der Ersten unter den Stürmenden. Teja, an dessen Seite er sich hielt, bat ihn sich zu schonen, erhielt aber zur Antwort nur ein: »Vorwärts, Kamerad! – Solange noch einer der Schurken ein gelbes Band um seine Mütze trägt, habe ich geschworen den Degen nicht aus der Hand zu legen. Vorwärts! Nachher können wir rasten!«

Ein weiteres Gespräch war unmöglich geworden, denn direkt gegen das Regierungsgebäude sprangen sie an, und einzelne Schüsse fielen auch noch von dort heraus – mehr aber wohl, um die Stürmenden abzuschrecken als ihnen ernstlichen Widerstand entgegenzustellen, denn die Hälfte der dort Belagerten war unentschlossen, ob sie sich überhaupt länger verteidigen sollten.

Die unten befindliche Haupttür war von innen dermaßen verbarrikadiert, daß es unmöglich gewesen wäre, sie ohne großen Zeitverlust zu sprengen, aber dessen bedurfte es auch nicht. – Leitern hatten die Angreifer jetzt genug, noch von dem Sturm der Kathedrale her, und wenn auch die unteren Fenster vergittert waren und verteidigt wurden, so trieb doch eine tüchtige Salve die an den Fenstern Stehenden hinter die schützenden Mauern, und an zehn, zwölf Stellen zugleich klommen die Blauen empor und warfen sich oben in den großen Saal, wo sie allerdings keinen Widerstand, sondern nur noch die zurückgebliebenen Minister fanden. Um diese kümmerte sich aber niemand, nur in die Gänge und verschiedenen Stuben verteilten sich die Stürmenden jetzt, um dort den letzten Rest der Offiziere gefangen zu nehmen und Monagas zu überliefern. Was der dann mit ihnen vornahm, ging sie nichts an. Die Belagerten schienen aber an Widerstand, der auch nutzlos gewesen wäre, nicht mehr zu denken. Nur ein Schuß fiel in dem ganzen Gebäude, nachdem es die Blauen erstiegen, und selbst der nur im Einzelkampf.

Teja und Castilia hatten die nächste Tür aufgestoßen und betraten einen der Säle, in dem sich noch etwa zwanzig Offiziere befanden.

»Sennores!« sagte der erstere, indem er gegen sie vortrat und den Degen senkte. – »Sie sind meine Gefangenen – versuchen Sie keinen Widerstand, denn Ihre Sache ist verloren.«

Die Offiziere schwiegen – keiner regte sich, als ein junger Bursche von gelber Hautfarbe, mit häßlich markiertem Gesicht und stumpfer Nase, nach vorn sprang. Er hielt seinen Revolver noch in der Hand und schrie, als er sich gegen Castilia anwarf:

»Das ist der Spion! Das ist der Schuft, der den Benito erschossen hat,« und ohne sich zu besinnen, hob er den Arm, der Schuß blitzte, und Castilia fühlte an der Schulter einen Schmerz. Ehe aber noch einer der anderen auf ihn einspringen konnte oder seine eigenen Kameraden imstande waren, ihn zu hindern, kam mit einem mächtigen Satz Samuel Brown auf ihn los – sein Gewehr ließ er dabei fallen, er brauchte es nicht, und es war ihm nur im Wege – mit seiner linken Hand aber erfaßte er den rechten Arm des frechen Burschen, daß dieser mit einem lauten Aufschrei den Revolver fallen ließ – der Neger hatte ihm den Arm gebrochen – und griff jetzt mit der rechten Hand ihm nach der Kehle, während er in wirklich dämonischer Lust schrie:

»Und kennst du mich noch, Caracho? – Kennst du den General Samuel Brown, den du verhöhnt und mit dem Degenkorb ins Gesicht geschlagen hast? He! Kennst du mich?«

Der Unglückliche wurde braun und blau im Gesicht, und Teja selber sprang hinzu, um ihn von dem tödlichen Griff zu befreien – Samuel aber schob ihn wie ein Kind zurück und schüttelte sein Opfer, ohne im geringsten in seinem Griff nachzulassen. Dabei blitzten seine in Wut glühenden Augen so wild umher, ob irgend jemand da sei, der ihm seine Beute streitig machen wollte, daß niemand wagte ihm entgegenzutreten.

»Sennores, das ist Mord!« schrie einer der gelben Generale, als er sah, daß der Offizier die Arme schlaff am Körper sinken ließ – wollen Sie das dulden?«

Castilia selber, Teja und Samuels Kameraden sprangen jetzt hinzu, um den Rasenden zu bewegen, den Unglücklichen loszulassen. Ja, sie ergriffen seinen Arm, um ihn gewaltsam fortzuziehen. Er lachte, denn seinen Griff brachten sie nicht los. Wie eiserne Klammern hatten sich seine Finger in den Hals des Feindes gepreßt, und als er sich jetzt mit einem gewaltsamen Ruck von allen, die ihn hielten, frei machte, hob er den Körper des gelben Offiziers, wie er ihn am Halse hielt, mit dem einen Arm empor und schleuderte ihn dann verächtlich auf den Boden nieder. Der so Mißhandelte fühlte freilich nichts mehr davon; es war vorbei mit ihm.

Daß diese Zwischenszene keinen besonders beruhigenden Eindruck auf die gefangenen Offiziere machen konnte, läßt sich denken. Wohl hatte der feige Mensch, der wie ein Meuchelmörder seine Pistole auf einen nichts Arges Ahnenden abgefeuert, seine Strafe in furchtbarer Art und Schnelle erhalten, aber konnte das nicht das Zeichen zu einem Angriff auf sie selber werden? Schon zogen die meisten von ihnen wieder ihre Revolver, um sich auf einen, wenn auch verzweifelten Kampf vorzubereiten. Aber obgleich sich der Saal mehr und mehr mit Soldaten der Blauen füllte, schien man doch nicht daran zu denken, etwas gegen die Offiziere zu unternehmen, und als jetzt General Alvarado das Gemach durchschritt, trat General Guzmann von den Gelben vor, reichte ihm seinen Degen und sagte finster:

»Sennor, die Regierung hat uns im Stich gelassen, und wir selber haben nicht den geringsten Grund, den jetzt beendeten Krieg noch einmal hier zu erneuern. Wir sind Ihre Gefangenen.«

»Meine Herren!« erwiderte Alvarado sehr artig – »liefern Sie Ihre Waffen ab, und verweilen Sie dann noch kurze Zeit hier, bis wir Monagas Bericht erstattet haben. Sie werden aber keinenfalls zurückgehalten werden, denn unser Krieg galt nicht den einzelnen.«

Wie sich die ganze Revolution nur gegen das herrschende System gerichtet hatte, so schien auch jetzt, unmittelbar nach dem Sieg, jeder Groll gegen die einzelnen Personen, wenn sie auch selbst viel Unheil über das Land gebracht hatten, verschwunden. Man betrachtete sie als beseitigt, als nicht mehr gefährlich; man wußte, sie konnten keinen Widerstand mehr leisten, wenn sie es auch vielleicht gewollt hätten, und kümmerte sich deshalb nicht mehr um sie. Nur nach Bruzual ließ Monagas suchen, aber obgleich man das ganze Gebäude von oben bis unten hin durchstöberte, so war er doch nirgends zu finden. Er schien wie in den Boden hinein versunken, und selbst die Minister wußten nicht einmal, was aus ihrem Designado geworden war.

Desto schlimmer wirtschafteten freilich die Soldaten in dem Regierungsgebäude selber, das man ihnen vollkommen preisgab, oder wo man ihnen wenigstens keinen Einhalt tat. In den Sälen tanzten sie herum, die Aktenstöße, die sie vorfanden, und die von den Gelben dazu benutzt worden waren, Türen und Balkons zu verbarrikadieren, schleuderten sie aus den Fenstern auf die Plaza hinab und trieben sonst noch allen Übermut. Und indessen läuteten die Glocken der arg mitgenommenen Kathedrale den Sieg der Freiheit ein, der der Stadt wie dem Land den lang' und heiß ersehnten Frieden wiedergeben sollte.

Auch die Straßen belebten sich jetzt. Das Schießen hatte aufgehört. Einzelne Trupps der Blauen zogen singend und jubelnd vorüber; hier und da öffnete sich ein Fenster, dort eine Tür, und neugierige, aber immer noch schüchterne Menschen schauten hervor und wollten der ungewohnten Ruhe noch immer nicht trauen. Sie hatten auch Ursache scheu zu sein, denn die Kugeln waren ihnen in den letzten Stunden toll genug um die Köpfe gezischt, so daß die Mütter in Angst und Sorge nicht einmal wußten, wo sie ihre Kinder verbergen sollten. Die Häuser dort sind alle niedrig gebaut, einstöckig und wohl mit Mauern an den Seiten umgeben, aber mit weiten Hofräumen, zu denen die luftigen Gemächer führen, während die hohen, breiten Fenster und ebensolche Türen den feindlichen Kugeln überall den Zutritt gestatteten.

Jetzt krochen die Einwohner aus ihren Verstecken wieder hervor. Erst wurden die Burschen hinausgeschickt, um zu sehen, ob die Luft rein sei, dann kamen die Familienväter und öffneten vorsichtig ein Fenster – jetzt endlich, als kein Schuß mehr fiel, kamen auch die Mütter und Töchter, denen bald darauf die Kinder folgten, denn jauchzend verkündeten ja jetzt die draußen Vorüberziehenden den Sieg der Reconquistadoren, und die vollen Töne der Glocken bestätigten die frohe Kunde.

Deutsche Fahnen hingen dort aus, die mehr als zwanzig Kugellöcher aufzuweisen hatten, und sollten sie früher zur Abwehr raublustiger Banden dienen, jetzt blieben sie aufgesteckt, um den Sieg der Revolution über ein unerträglich gewordenes Regiment zu feiern.

Von der Plaza fort, zwecklos – ziellos, seine Lanze noch in der Hand, aber unverwundet aus all dem Gemetzel entkommen, schritt ein alter Mann mit schneeweißen, wirren Haaren, im bloßen Kopf und mit bloßen Füßen, die Straße entlang. Seine dünnen Kattunlappen, die er als Kleidung trug, hingen ihm in Fetzen vom Leibe, die Lanze selber war bis zum halben Schaft mit geronnenem Blut bedeckt, und das große dunkle Auge glühte unter den zusammengezogenen Brauen. Die Leute auch, die ihm auf der Straße begegneten, wichen ihm scheu aus, und die in den Fenstern zogen sich erst furchtsam von den weiten Gittern zurück und sahen ihm dann lange nach, so lange sie ihm nur mit den Augen folgen konnten.

Ein paar Bekannte, das heißt Soldaten, die mit ihm von Chacao hereingekommen waren und ihn da bemerkt hatten, und denen er jetzt begegnete, nickten ihm zu und riefen ihn an. Er antwortete ihnen aber gar nicht – er sah sie wohl kaum und schritt nur still und in sich gekehrt die Straßen entlang, in denen er sich nicht zurechtfand, sondern bald links, bald rechts einbog, ohne zu wissen, wohin sie eigentlich führten.

Vor einem der Häuser, an denen er vorbeipassierte, hatte sich eine Anzahl von Menschen versammelt. Es mußte dort im Inneren etwas vorgehen, die Tür stand offen, und sie schauten den Gang hinab, als ob sie von dorther etwas erwarteten. Dies Zusammentreten der Leute mußte dem Alten aufgefallen sein – er blieb stehen und suchte ebenfalls einen Blick in das Innere zu gewinnen, aber er konnte dort nichts erkennen. Der Gang war leer, und nur hinten im Hof sah er Leute hin und her gehen.

»Wer wohnt hier?« fragte Perdido, und sah einen der neben ihm Stehenden so starr an, daß dieser einen Schritt von ihm zurückwich; die blutige Lanze in der Hand des alten Mannes mochte ihm wohl Achtung einflößen. Es war aber einer der Freiheitskämpfer, und er antwortete artig.

»Sennora Corona, Sennor.

»Corona?« wiederholte der Alte und sah den Sprecher erstaunt an. »Sonderbar – Corona« – und sein Blick schweifte ins Leere, als ob alte, schon halbvergessene Bilder daran vorüberzögen. –

»Und was ist drinnen geschehen?« fragte er nach einer langen Weile.

»Die Tochter der alten Frau soll begraben werden,« lautete die Antwort – »sie ist schon vorgestern gestorben, aber solange der Kampf hier in den Straßen dauerte oder die Blauen vor den Toren lagen, konnten sie sie nicht auf den Kirchhof tragen lassen. Jetzt aber sind die Leute gekommen, und sie werden sie nun wohl bald hinausbringen. Gehört Ihr zu den Reconquistadoren, Sennor?«

Der alte Mann gab ihm keine Antwort, nur in den Gang schaute er hinein und sagte dann, aber nur zu sich selber und nicht mit anderen redend:

»Ja, ich weiß, es ist Manuela, ich muß ja auch hinein und sie begleiten, denn sie wissen sonst gar nicht, wohin sie sie legen sollen. Es ist nur gut, daß ich das Grab schon so lange gegraben habe. – Der eine, der meinen Bruder totstechen wollte, war der Präsident – was für rotes Blut er hatte,« fuhr er fort, als er an seiner Lanze hinaufschaute. »Nun, jetzt ist alles vorbei, und wir wollen das arme Kind nur begraben – laßt mich einmal da vorbei, Compannero.«

Der Mann, der die Worte gehört hatte und schon an dem Blick des Alten sah, daß es bei ihm im Hirne nicht alles in Ordnung sein könne, machte ihm scheu Platz. Durch die übrigen drängte er sich auch ohne weiteres hindurch und schritt jetzt, seine Lanze noch immer in der Hand, den Gang hin, der ihn in den Hofraum führte.



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