Friedrich Gerstäcker
Die Blauen und Gelben
Friedrich Gerstäcker

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Präsident Falcon.

In der Wohnung des Präsidenten Falcon, einem lustigen wenn auch äußerlich nicht mit besonderer Eleganz ausgestatteten Gebäude, herrschte in den unteren Räumen, wo in großen Sälen hier und da ein oder zwei Menschen an einem Tisch und vor einem Schreibzeug saßen, und auf der Gottes Welt nichts zu tun zu haben schienen, feierliche Stille. Die Wachtposten gingen vor dem Tor und auf dem Hofraum gleichmäßig auf und ab, und selbst die verschiedenen unteren Beamten verkehrten fast nur im Flüstern oder doch in sehr leiser Sprache miteinander. Es schallte ja auch so merkwürdig in den hohen, leeren Gemächern, wenn jemand einmal ein lautes Wort unwillkürlich ausstieß.

Eine Republik! – Nichts rücksichtsvoller und scheuer hätten die Hofdiener in dem Palais eines europäischen Fürsten sich untereinander betragen können, als sie es hier, in den Vorzimmern des doch nur ersten Bürgers der Republik taten, und sonderbarerweise scheint ein solches Gefühl im Blut zu liegen.

In alten Zeiten bei den meisten wilden Stämmen, und bei vielen jetzt noch, wird der Fürst als ein halber Gott verehrt, dem man sogar in vielen Fällen alle menschlichen Schwächen abspricht. Die Chinesen verehren ihren Kaiser als Gott – die alten Mexikaner taten das nämliche mit ihren Kaziken. Wenn ein gewöhnlicher Dorfscheik in Abessinien sein Mittagsmahl verzehren soll, so wird eine Matte oder ein Tuch über ihn gehangen, damit ihn niemand essen sieht – er soll auch gar nicht essen können, sondern luftige und überirdische Wesen kommen und nehmen die Nahrung, während er da unter dem Tuch sitzt, für ihn in Empfang.

Wir sind in Europa etwas davon zurückgekommen – oder vielmehr etwas aufgeklärter geworden, doch besteht noch in vielen Kreisen eine gewisse Vergötterung fort, die auch durch den äußeren Nimbus aufrecht erhalten wird – und wie oft auch nur durch den äußeren Nimbus.

Die Engländer haben in ihrer Sprache ein darauf zielendes Buchstabenrätsel: Was ist Majestät (majesty), wenn du sie ihres äußeren Glanzes beraubst? Antwort – Die beiden äußeren Buchstaben des Wortes majestym und y – werden weggestrichen und es bleibt: a jest – ein Scherz.

Dieser Nimbus fehlte hier jedoch ganz. Da war nichts von dem Glanz und der Pracht, wie wir sie gewohnt sind bei den Herrschern morgen- und abendländischer Völker zu sehen. Keine kostbaren Teppiche deckten den Boden, um den Schritt lautlos verhallen zu lassen, keine Kunstwerke schmückten die Wände, keine schwerseidenen Gardinen verhüllten die Fenster und verbreiteten ein geheimnisvolles Dämmerlicht in dem feenartig ausgestatteten Raum. Die großen Säle zeigten fast keine Möbel außer abgesessenen Stühlen und einigen alten Aktenschränken; auf den Tischen lagen sehr einfache wollene Decken, wie sie bei uns nicht einmal ein unbemittelter Bürger in seinen Zimmern dulden würde, und die paar Beamten selber zeigten ebenfalls keine goldgestickten Livreen, sondern gingen in kurze Jacken und weiße Hosen gekleidet und – rauchten sogar bei ihrer Beschäftigung ihre Zigaretten – aber dennoch lag eine gewisse Scheu und Ehrfurcht auf ihrem ganzen Wesen, und selbst die Wachen wurden davon angesteckt.

Der Gran ciudadano Mariscal Presidente – Juan C. Falcon befand sich aber auch zu Hause und konnte jeden Augenblick herunterkommen, und war ein viel zu guter Herr, um ihn zu erzürnen.

Der eine Beamte hatte seine Feder jetzt zum drittenmal geschnitten, um einen großen Bogen Papier mit einem geschnörkelten Namenszug anzufangen. So oft er sie aber auf einem daneben liegenden Blatt probierte, gefiel sie ihm nicht, und er fing wieder von vorn an, wobei ihm der gegenübersitzende Kamerad auf das teilnahmsvollste zuschaute und nur dann und wann nach der Uhr sah, ob er nicht bald zum Mittagessen gehen könne.

Plötzlich horchten sämtliche Anwesenden erstaunt auf, denn im Vorhof erschallte ein lauter Schritt – Wer war das? Selbst die Wachen betrachteten ihn verwundert. Gehörte er hier ins Haus?

Die Beamten kannten den Herrn, der in den unteren Saal trat, aber keiner von ihnen stand auf, um ihn zu begrüßen. Es war einer der geachtetsten Bürger der Stadt, aber – wie sie recht gut wußten, keine persona grata bei der Regierung, und sie brauchten deshalb keine Umstände mit ihm zu machen. Ja, hätte er Einfluß gehabt – oder hätte man vermuten können, daß er ihn bekommen würde – wie rasch wären sie emporgefahren und hätten sich nach seinen Wünschen erkundigt.

Sonderbar, daß es da drüben über dem Weltmeer in so viel tausend Dingen genau ist wie bei uns und selbst bei den wildesten Völkern finden wir ähnliche Verhältnisse.

Der Sennor nahm aber seinerseits ebensowenig Notiz von den Angestellten. Er kannte seine Leute, und ohne den Hut abzunehmen, trat er nur zu dem einen Tisch, an dem der ältliche Herr noch immer seine Feder schnitt und sagte ruhig:

»Wollen Sie mich dem Präsidenten melden?«

Der Mann sah erstaunt auf: »Se. Exzellenz sind nicht zu Hause. Was wünschen Sie?«

»Daß Sie mich dem Präsidenten melden,« lautete die Antwort. »Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt und nicht viel Zeit. Der Präsident hat gewünscht mich zu sprechen.«

»Hat gewünscht Sie zu sprechen?« wiederholte der Beamte mit unverhohlenem Erstaunen.

»Soll ich mich vielleicht erst bei Ihnen legitimieren?« fragte übrigens der Fremde, und der Mann mit der Feder hielt es doch jetzt für geraten, etwas artiger zu sein – man konnte nicht wissen.

»Wir hatten strengen Befehl, jeden Besuch abzuweisen,« sagte er von seinem Stuhle aufstehend, »aber wenn es der ausgesprochene Wunsch ist – ich werde Ihnen gleich Antwort bringen.«

Er verließ den Saal und stieg die Treppe zu den oberen Gemächern und der Wohnung des Präsidenten hinauf, kehrte aber schon nach wenigen Minuten wieder zurück und deutete jetzt mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung und einer Bewegung des Armes an, daß der Herr nur hinaufpassieren möge; es sei alles in Richtigkeit.

Der Fremde schritt durch den Saal und die Treppe hinauf, wo er oben erst einen Bedienten traf; aber kaum war er aus Hörweite, als auch schon ein anderer Beamter aus dem Nebensaal herbeischoß und in einem halben und sehr geschäftigen Flüstern fragte:

»Du, war denn das nicht der Rafael Arvelo?«

»Ja, gewiß war er's.«

»Na? Was will denn der bei Falcon oben? Umgesattelt?«

»Quien sabe!« meinte achselzuckend der Alte.

»Hm, hm, hm, hm, was ist denn da wieder im Wind? Und schien außerdem kurz angebunden. Es soll draußen bös aussehen. Die Blauen stecken überall, und die Geschichte mit Barcelona gefällt mir gar nicht.«

»Laß du nur den Alten machen. Der ist von jung auf in der Welt gewesen und wird sie schon wieder herumkriegen, denn nachgeben tut er nicht – so viel ist sicher.«

»Und wenn sie wirklich Ernst machen? Könnten uns hier einen verdammten Spaß anrichten. Der Colina ist jetzt auch gerade nicht hier und vor dem haben sie doch den meisten Respekt.«

»Bah, hier in Caracas stecken Soldaten genug, und der Bruzual ist mir am kleinen Finger lieber wie der ganze Neger – wir haben überhaupt zu viel Negerblut in der ganzen Wirtschaft.«

»Protektion,« rief der andere, mit den Schultern zuckend »– aber treu sind sie, und man kann sich auf sie verlassen.«

»Und weshalb haben sie denn da heute den Koch eingesteckt?« fragte der alte Beamte wieder. »Möchte überhaupt wissen, was der ausgefressen hat, und geschah so Knall auf Fall.«

»Quien sabe – aber da schlägt's zwölf. – Wer hat denn heute die Mittagsstunde?«

»Ich – bleibt nur nicht wieder so lange wie neulich. Wenn der Alte herunterkommt und findet keine Seele hier, ist's ihm immer nicht recht. Es fällt auch jetzt alle Augenblicke etwas vor, und wenn ich jemanden nach einem Boten schicken soll, so hab' ich nie einen Menschen da.«

Der andere lachte – das machte ihm die wenigsten Sorgen. Es war Mittagszeit, und er mußte zum Essen, und gleich darauf waren die hohen, öden Räume noch viel öder und leerer als zuvor.

Der Venezuelaner war indessen die Treppe hinaufgestiegen und wurde von einem dort schon bereit stehenden Diener ohne weiteres in Falcons eigentliches Zimmer geführt, aber ohne daß irgend jemand ein Wort dabei gesprochen hätte. – Es ging alles lautlos zu.

In dem ersten Gemach, das allerdings sehr elegant eingerichtet war, dessen Möbeln aber doch nicht den großen Raum gemütlich ausfüllen konnten, und das deshalb etwas leer aussah – etwa als ob der Besitzer ausziehen wollte und schon einen Teil seiner Sachen fortgeschickt habe – war niemand, aber die Tür des Nachbarzimmers stand offen, und der Besuch sah, daß sich der obere Teil einer quer übergespannten Hängematte heftig bewege, als ob eben jemand daraus aufstände. Im nächsten Augenblick trat auch Falcon ins Zimmer, und auf den Erwarteten, während sich der Diener zurückzog, zugehend, streckte er ihm die Hand entgegen und sagte freundlich:

»Guten Tag, Arvelo – wie geht's? Ist eine lange Zeit, daß wir uns nicht gesehen haben. – Man muß Sie wahrhaftig gewaltsam herzitieren, Mann, um Ihrer einmal habhaft zu werden. Waren Sie etwa im inneren Land?«

»Nein Exzellenz,« sagte Arvelo, den Gruß achtungsvoll erwidernd, »ich habe keinen Fuß aus Caracas gesetzt, mit Ausnahme einer kurzen Geschäftsreise nach La Guayra.«

»Und sich gar nicht bei mir sehen lassen?«

»Exzellenz waren immer so beschäftigt.«

Falcon, der sich eben abwenden wollte, sah sich rasch wieder nach ihm um, ob er bei den Worten nichts Ironisches in seinem Gesichte erkennen könne; wenn es aber wirklich in der Antwort lag, in den Zügen Arvelos war nichts davon zu erkennen, und er begegnete ruhig dem halb forschenden Blick des Präsidenten, der auch gleich darauf sagte: »Setzen wir uns, amigo – setzen wir uns, ich möchte manches mit Ihnen besprechen, Arvelo, und in einigen Dingen auch Ihren – Rat hören.«

»Meinen Rat, Exzellenz?« fragte Arvelo kopfschüttelnd indem er der Einladung aber Folge leistete – »und wozu sind Ihre Minister da, wenn Sie sich aus der Gegenpartei einen Mann zum Ratgeben wählen?«

»Aus der Gegenpartei, Arvelo? Also wirklich? Ich hoffe doch nicht, daß Sie schon zu den sogenannten Blauen übergegangen sind.«

Falcon stand ihm gegenüber, und ein eigentümlich halb ernster, halb humoristischer Zug lag um seine Lippen.

Falcon war ein stattlicher Mann, und man hätte ihn für einen Mann fast schön nennen können. Er hatte ein intelligentes und dabei gutmütiges Gesicht – wenn auch mit einem etwas pfiffigen Zug um die Mundwinkel, eine sehr gewölbte Stirn, die sich aber schon stark zur Glatze ausbildete und ein Paar kluge, offene Augen, sah auch jeden, mit dem er sprach, immer fest an, und genierte deshalb seine gewöhnliche Umgebung oft ganz entsetzlich. – Er trug einen ziemlich starken heruntergehaltenen Schnurrbart, sonst aber ein glattrasiertes, ziemlich volles Gesicht, markierte Augenbrauen und die Haare an beiden Schläfen heruntergekämmt und ein wenig gekraust oder doch in eine Locke eingebogen, und ging heute morgen, wo er noch nicht seine gewöhnliche einfache Generalsuniform angezogen, ganz in weiß, weiße Jacke, Hose und Weste gekleidet, mit außerordentlich feiner Wäsche, worauf in Südamerika besonders viel gehalten wird.

»Zu den Blauen, Exzellenz?« sagte Arvelo, dem Blick jedoch lächelnd begegnend – »das ist in diesem Augenblicke ein sehr weiter Begriff in Venezuela. Wenn Sie zu denen meinen, die mit den gegenwärtigen Zuständen nicht ganz einverstanden sind, dann allerdings, sonst aber habe ich mich nicht anwerben lassen und bin vollkommen mein eigener Herr geblieben.«

»Und sind der Unzufriedenen wirklich so viele, Arvelo?« fragte Falcon, indem er ihm gegenüber Platz nahm, »und weshalb gehören Sie selber dazu. Reden Sie offen mit mir. Sie kennen mich von früher her, und was wir miteinander sprechen, geht nicht über diese Schwelle hinaus. Ich muß Ihnen auch gestehen, daß mich meine Umgebung in der letzten Zeit so außerordentlich gelobt hat, daß ich selber anfange, mißtrauisch zu werden, und ich möchte deshalb einmal einen Mann hören, der eben kein Blatt vor den Mund nimmt und gerade kein eigenes Interesse – wenigstens kein direktes – verstehen Sie mich nicht falsch – in der Sache hat. Sie waren nicht im inneren Land?«

»Nein, Exzellenz,« erwiderte ruhig Arvelo, »kurze Spazierritte in die Umgebung abgerechnet, aber ich habe viele Leute gesprochen, welche aus dem Innern kamen, und selber genug in der Nachbarschaft gesehen, um zu bedauern, daß die Regierungstruppen so wirtschaften, wie sie es wirklich tun.«

»In der Tat – aber in welcher Art?«

»Indem sie rücksichtslos bis zum äußersten, besonders gegen die ärmere, schutzlose Klasse, ein förmliches Plünderungssystem eingeführt haben und dadurch Ihrem Namen mehr schaden, als sie der Sache nützen.«

»Aber dulden das die Generale?«

»General Colina hat den schlimmsten Namen unter allen. Das Volk nennt ihn schon nicht mehr Colina, sondern El Cólera.«

»Er ist vielleicht übereifrig in seinem Dienst, aber treu wie Gold.«

»Ich habe nichts dagegen, aber beantworten Sie sich selber die Frage, Exzellenz, ob der General einer Republik vor allen Dingen dem jeweiligen Präsidenten oder seinem Vaterland selber Treue zu zeigen hat.«

Falcon nahm die Unterlippe zwischen die Zähne, erwiderte aber nichts darauf – endlich fragte er weiter: »Und im inneren Lande?«

»Sieht es – nach allem, was ich darüber gehört habe – ziemlich bös aus. Die Nachrichten von allen Seiten stimmen darin überein, und das Volk erklärt, daß es den jetzigen Druck nicht viel länger ertragen könne.«

»Das Volk,« sagte Falcon verächtlich – »tun Sie mir den einzigen Gefallen, lieber Arvelo, wer ist das Volk? Ein paar Unzufriedene, die unter dieser Präsidentschaft keine Anstellung, keine Versorgung erhalten haben und nun Hals und Kragen daran setzen, um eine neue ans Ruder zu bringen, und ihre eigenen Umstände zu verbessern. Glauben Sie aber wirklich, daß die des Volkes selber dadurch gebessert würden?«

Arvelo zuckte mit den Achseln. – »Man sagt im Land, es könne nicht schlechter werden.«

»Caramba, Sennor,« rief Falcon, auf seinem Stuhl rückend, »das ist etwas stark.«

»Exzellenz wünschten, daß ich ganz aufrichtig sprechen solle.«

»Ja, das ist ganz richtig,« meinte mit einem Lächeln der Präsident, »aber Sie werden wahrhaftig grob.«

Über Arvelos Züge flog es ebenfalls wie ein leichtes Lächeln, aber der Moment war zu ernst, um Scherz damit zu treiben und er fuhr fort: »Nehmen Sie die Lage nicht zu leicht, Exzellenz; es ist diesmal in der Tat keine von unzufriedenen Stellenjägern angeregte und eine Zeitlang in Gang gehaltene Revolution, wie wir sie freilich nur zu häufig in diesen Ländern haben. Ich fürchte fast, daß Sie über den Umfang und die Ausbreitung derselben getäuscht sind.«

»Aber bester Freund,« sagte Falcon, »ich erhalte die umfassendsten Berichte aus allen Teilen des Landes – und es ist kein kleines Stück Arbeit, sie nur zu lesen – aber von allen Seiten wird mir einstimmig berichtet, daß die Sache nicht die geringste Gefahr habe und nur mit einiger Strenge leicht beseitigt werden könne. Ich bin bis jetzt zu gutmütig gewesen, fürchte ich, und dadurch vielleicht haben die Unzufriedenen, deren es ja unter jeder Regierung gibt, Mut gefaßt und Raum gewonnen. Ich werde etwas strenger verfahren, und besonders hier in Caracas ein wachsames Auge auf eine Anzahl von Leuten haben müssen. Oleaga hat mir das schon lange angeraten, und ich wollte nur immer nicht darauf eingehen.«

»Ich wiederhole,« fuhr Arvelo fort, »daß sich Exzellenz vollkommen über den ganzen Charakter der jetzigen Revolution täuschen und daß Sie Ihre Minister – ich sage nicht absichtlich – in dieser Täuschung befestigen. Es ist möglich, daß sie ihr selber unterliegen.«

»Und in welcher Art, wenn ich fragen darf?«

»In der Art, wie Sie die Mittel wählen, sie zu beseitigen und unmöglich zu machen. Sie suchen die Revolution in Caracas und in den Köpfen einiger Unzufriedenen, aber da ist sie entschieden nicht. Sie entsprang aus den Verhältnissen und wurde, da keine Änderung eintrat, so mächtig, daß sie das bis jetzt kaum Denkbare möglich machte und zwei feindliche Parteien, die Godos und Föderalen miteinander vereinigte.«

»Die Godos stecken doch hinter der ganzen Geschichte,« rief Falcon ärgerlich, »und die von unserer Partei, die sich von ihnen beschwatzen lassen, sind nur nachher doppelt angeführt.«

»Das ist, was Ew. Exzellenz gewöhnlich gesagt wird,« bemerkte ruhig Arvelo, »aber es ist falsch. Man kann ebensogut behaupten, daß sich die Föderalen den Godos, wie die Godos den Föderalen angeschlossen haben. – Daß sich beide vereinigten Parteien die Union nennen, wissen Sie.«

»Allerdings – ich hatte schon einige Male Gelegenheit, betreffende Schriftstücke mit dieser Überschrift in die Hand zu bekommen,« bemerkte Falcon sarkastisch – »Dios, Union y libertad – der liebe Gott und die Freiheit müssen bei jeder Rebellion ihren Namen dazu hergeben, und haben doch beide nichts mit der Sache zu tun, – aber was sind das für Verhältnisse, von denen Sie sprechen, aus denen die Revolution entsprungen sein soll. Wenn ich helfen soll, muß ich klar in der Sache sehen, wie Sie mir zugeben werden.«

»Allerdings, Exzellenz, und Sie sollen nicht sagen können, daß Sie Wahrheit gesucht, aber sie nirgends gefunden haben. So erlauben Sie denn, daß ich Ihnen offen sage: Das Land geht in dieser Weise seinem Ruin entgegen.«

»Das Land ist außerordentlich reich.«

»Das ist es, aber die Adern seines Reichtums dürfen nicht unterbunden werden, oder es verschmachtet im Überfluß.«

»Und habe ich das getan?«

»In früheren Zeiten hatten wir einen Staatsschatz – die Einnahmen und Ausgaben waren geregelt und der ersteren mehr als der letzteren. Zahlreiche Schiffe aller Länder besuchten unsere Häfen und die Zölle warfen enorme Summen ab. Der Handel im Innern war belebt. Eine Herde Vieh aus den Llanos folgte der anderen; auch dadurch flossen dem Staat Abgaben zu und viel Geld kam in das innere Land. Arbeiter gab es dabei im Überfluß, die Hacienderos konnten ihre Grundstücke bewirtschaften. Zugstiere waren ebenfalls in Masse da, um die reichen Ernten selbst von den entferntesten Plätzen nach den Hafenstädten zu schaffen, und das Land hob sich mit ungeahnter Schnelle.«

»Und was hindert das Land jetzt, ruhig darin fortzufahren?« fragte Falcon, der die Tatsache allerdings nicht bestreiten konnte, aber auch wußte, wie sehr das alles jetzt abgenommen hatte, ja danieder lag.

»Die Verhältnisse,« erwiderte achselzuckend Arvelo. »Dem Land sind die Arbeiter entzogen, denn was nicht aufgegriffen und von der einen oder anderen Seite unter die Soldaten gesteckt wurde, entfloh in die Gebirge und hält sich dort versteckt. Gesunde, inländische Arbeiter sind fast nirgends mehr auf einer Hacienda zu finden, und nur mit fremden hat man sich hie und da eingerichtet, um wenigstens das Notwendigste zu erzielen und nicht ganz bankerott zu werden. Zugstiere gibt es aber fast gar nicht mehr, und wo noch welche sind, muß man sie versteckt in den Kaffeepflanzungen halten, damit sie nicht marodierenden Soldatentrupps in die Hände fallen, und dann rettungslos fortgeschleppt und geschlachtet oder, noch schlimmer, von den Offizieren um einen Spottpreis verkauft, d. h. verschleudert werden. Dabei ist man unvorsichtig genug gewesen, nicht einmal Fremde, besonders Spanier und Franzosen, zu verschonen, die unter dem Schutz ihrer Konsulate stehen und später natürlich die übertriebensten Forderungen einreichen und auch aus dem Land herauspressen werden. Die Viehtreiber mit ihren Herden aus den Llanos und vom Apure bleiben natürlich aus, denn sie werden sich hüten, ihre Tiere selber den Regierungstruppen – oder auch den Blauen vorzuführen, und so liegt der ganze Handel im Innern danieder. Das aber hat wieder zur Folge, daß fremde Schiffe hierher keine Waren absetzen, ebenso wie keine Fracht bekommen können. Sie bleiben aus, und die Zollämter in Hafenstädten haben jetzt kaum den zehnten Teil der Einnahmen, wie in den früheren Jahren.«

»Allerdings wahr,« bestätigte Falcon.

»Und wo bleibt das Geld, was sie wenigstens einnehmen? Es verschwindet, als ob man einen Eimer voll Wasser in das Meer schüttet. Verschuldet sind die Douanen schon auf Monate ungewisser Einnahmen hinaus, aber selbst die Schuldner können auf ihre Anweisungen kein Geld bekommen, sondern es verschwindet in rätselhafter Weise. Ja, nicht einmal die Soldaten bekommen ihren Sold und betteln auf der Landstraße jeden Passierenden an. Wo bleibt das Geld? Für das Land geschieht nichts – keine Straße wird gebaut oder nur instand gehalten, wenn es nicht aus Privatmitteln geschieht. Eine Eisenbahn sollte gebaut werden, und große Summen sind darauf verschwendet, jetzt liegt sie unbeendigt da, das Material verfault, und die Personenwagen sind, zum Amüsement der Fremden, mit Ziegeln gedeckt und dienen nur höchstens Herumstreichern zum Nachtquartier. Der Kaffee wächst in den Hacienden fort, aber es sind keine Hände da, ihn zu pflücken, ja der urbar gemachte Boden kann zum großen Teil nicht einmal vom Unkraut und jungen, wilden Schößlingen freigehalten werden, und kehrt zum Urwald zurück, während kein einziger Acker dazu in dem ganzen weiten Land der Kultur gewonnen wird. Mit einem Wort, es ist nicht allein kein Vertrauen mehr im Land, nein, dem Land sind überall die Hände gebunden, und das sind die ›Verhältnisse‹, die ich meine und die die Revolution hervorgerufen haben und in Gang halten, ja sie so lange in Gang halten werden, bis man sie auf die eine oder andere Art heben und beseitigen kann.«

Arvelo schwieg, und Falcon sagte nach einer kurzen Pause kopfschüttelnd:

»Alle Wetter, Amigo, Sie entwerfen mir da ein freundliches Bild, das sich aber, wie ich hoffe, nur in Ihrer Phantasie – so gut Sie es sonst meinen mögen – ein wenig schwarz gefärbt hat; ich möchte sonst selber nicht unter einer solchen Regierung leben.«

»Scherzen Sie nicht darüber, Exzellenz,« sagte Arvelo ernst, »es ist in jedem Strich treu und wahr geschildert, und wollten Sie selber ungekannt das Land durchstreifen, so würden Sie es in jedem einzelnen Punkt gar zu oft hinter der Wirklichkeit noch zurückstehend finden.«

»Und doch nennen mich die Venezuelaner den ›Großmütigen‹?« sagte Falcon und sah Arvelo dabei von der Seite an.

»Das ist Ihr Fehler,« rief aber dieser, »daß Sie Ihre unmittelbare Umgebung mit dem venezuelanischen Volk verwechseln, der Fehler manches ersten Mannes in einem Staat, ob er nun Kaiser oder Präsident heißt. Wen haben Sie denn um sich, der nicht von Ihnen abhängt, oder von Ihnen etwas erhofft, etwas erwartet? Alle diese zahlreichen Generale, die Sie geschaffen, alle die Pensionen, die Sie dem Lande aufgebürdet haben, glauben Sie, daß die Ihnen, wenn einmal die Sache zum Ausschlag kommt, auch etwas nützen werden? Glauben Sie wirklich, daß die Leute, die sich durch eine solche Summe für den Augenblick bestechen lassen, und die es auch sind, von denen Sie jetzt der Großmütige genannt werden, länger bei Ihnen aushalten, als es ihr eigener Vorteil mit sich bringt? Sie werden da noch bittere Erfahrungen machen, Exzellenz, und zu spät bereuen, einer Anzahl von Leuten Ihr Ohr und Ihr Vertrauen geschenkt zu haben, die kein Interesse auf der Welt kennen, als ihr eigenes, und die ihr Vaterland nur als eine Melkkuh betrachten, die sie jeden Augenblick abschlachten würden, wenn sie ihnen keine Milch mehr gäbe. – Und welche Summen kostet es dem Lande.«

»Und so soll ich Ihnen mehr glauben, als all' den Hunderten, doch auch ehrenwerten Männern, mit denen ich jetzt verkehre?« sagte der Präsident, den diese Auseinandersetzung natürlich nicht freuen konnte.

»Wenn Sie wirklich die Revolution dämpfen wollen, ja.«

»Also halten Sie das doch für möglich?«

»Allerdings tue ich das,« erwiderte Arvelo, »aber nicht mit den Mitteln, die Sie jetzt anwenden.«

»Und welche sind das?«

»Ein kleinliches Spioniersystem, das Ihrer nicht würdig ist, Exzellenz, und nur einem Schwarm von nichtsnutzigen Denunzianten Tür und Angel öffnet. Ein jeder Schurke hat dabei das Schicksal eines ehrlichen Mannes in der Hand, und wenn es wirklich die Revolution nicht rascher vorwärts treibt, erbittert es den eigentlichen braven Bürgerstand nur mehr und mehr gegen eine solche Regierung.«

»Das Spioniersystem,« sagte Falcon, doch etwas verlegen, »ist erstens gar nicht so verbreitet und bedeutend, als Sie glauben, und dann hält es mich von allen Vorgängen im Lande auf das genaueste au fait, so daß ich imstande bin, meine Schachzüge immer nach dem richtigen Punkt zu führen.«

»Sie täuschen sich, Exzellenz,« erwiderte Arvelo ruhig; »es dient im Gegenteil nur dazu, Sie irre zu führen und in Sicherheit zu lullen, wo die Gefahr allerdings schon mit eiserner Faust an Ihre Pforte pocht. Von kleinen, unbedeutenden Dingen, die Sie besser gar nicht erführen, oder die harmlos in sich selber verpuffen würden, werden Sie benachrichtigt, von dem Großen und Ganzen nicht, weil es die Existenz der Leute selber gefährden würde, oder weil sie sich auch vielleicht selber vorlügen, daß sie mit solchen Mitteln eine Revolution dämpfen könnten. Sie haben einen Krebsschaden im Lande, und Sie glauben den zu heilen, indem Sie ein milderndes Pflaster oben auf die Wunde legen. Diese schließt sich vielleicht auf Tage oder Wochen, aber im Innern frißt der Schade weiter und weiter, und immer an einer anderen Stelle bricht er aus, bis eben Hilfe nicht mehr möglich ist.«

Falcon war aufgestanden und ging eine Weile mit untergeschlagenen Armen in seinem Zimmer auf und ab. Er kannte Arvelo als einen braven, rechtschaffenen Mann, und er glaubte, daß er es gut mit ihm meine, aber – er traute ihm doch nicht so recht, denn er hatte in seinem Leben schon zu bittere Erfahrungen gemacht. Plötzlich blieb er wieder vor Arvelo stehen und sagte, ihn fest, aber nicht unfreundlich ansehend:

»Und was würden Sie jetzt an meiner Stelle tun?«

»Exzellenz, erwiderte Arvelo, »die Frage an sich klingt so einfach und klar wie möglich, aber sie ist nicht mit so wenigen Silben zu beantworten.«

»Also so viel finden Sie zu ändern?«

»Ja.«

»Gut – so lassen Sie einmal hören. Ich bin selber neugierig geworden.«

»Einmal, vor allen Dingen,« sagte Arvelo ernst, »lassen Sie den Volksvertretern Raum sich frei auszusprechen, damit Sie die Stimme des Volkes auch durch seine Vertreter erfahren.«

»Weiter.«

»Dann entlassen Sie die politischen Gefangenen, die noch – und viele unschuldig genug – im Kerker gehalten werden.«

»Um so viel mehr Unzufriedene über die Stadt loszulassen und sie den Blauen in die Arme zu werfen.«

»Es werden bald keine Blaue mehr im Lande sein, wenn Sie sich das Volk zum Freunde machen, und dann sind Sie imstande, ihre Armee bis auf das notwendigste zu entlassen und dem Boden wieder seine Arbeiter zurückzugeben. Dadurch wird Handel und Verkehr und mit ihm der Staatsschatz wachsen. Mit den fremden Regierungen, denen wir noch schulden, müssen wir in direkte Verbindung treten und neue Termine setzen. Sie werden willig darauf eingehen, wenn sie sehen, daß es der Regierung wirklich Ernst ist; dadurch bekommt der fremde Handel wieder Vertrauen zu Venezuela, und unsere Douanen werden die wohltätigen Folgen davon spüren. Alles andere macht sich von selbst. Wenn wir fremde Einwanderung unterstützen, bekommen wir auch fremdes Kapital in das Land, und wir brauchen die Vermischung des fremden Elements mit dem unsrigen, um das etwas träge venezuelanische Blut unternehmungslustiger und frischer zu machen – mit einem Worte: zu beleben.«

»Und was finge ich dann mit allen meinen Generalen an?« fragte Falcon, – »ich kann sie doch nicht umsonst füttern, und wenn ich sie entlasse, haben wir gleich wieder eine neue Revolution.«

»Es war der größte Fehler sie zu ernennen. Es ist, als ob man für einen Krieg eine immerfort schießende Maschine erfinden wollte, die nie wieder eingestellt werden kann. Der Krieg wird beendet, und die Maschine richtet nachher Unheil nach allen Seiten an. Aber die Sache ist doch nicht so schlimm, denn viele werden auf andere Art zu verwenden sein – die meisten freilich müssen Sie entlassen, aber sie vermögen nichts gegen die allgemeine Stimme des Volkes. Das Gehalt der Nutzlosen darf nicht mehr ausgezahlt werden. Viele davon werden freilich dann noch immer zum öffentlichen Skandal nur mit ihrem Titel herumlaufen.«

»Ich glaube nicht,« sagte Falcon etwas pikiert, »daß Leute zu Generalen ernannt wurden, die dem Stand Schande machen.«

»Als ich zu Ihnen ging, Exzellenz, sah ich vor einer der Negerkneipen, die besonders von den gemeinen Soldaten besucht werden, eine Anzahl von Menschen versammelt und hörte dabei wüsten Lärm. Ich bog aus, um mit dieser Gesellschaft in keine Berührung zu kommen, wurde aber angehalten und gebeten, ein sogenanntes Patent zu lesen, von dem ein widerlich schmutziger und halbtrunkener Neger, der jedenfalls der untersten Schicht der Bevölkerung angehörte, behauptet hatte, daß es das seine und er selber General sei. Ich nahm das Papier, das von Fettflecken entstellt, mit Branntwein parfümiert schien, zwischen zwei Finger und betrachtete es. Es war ein richtiges Generalspatent, vom Kriegsministerium ausgestellt, das den Neger, dessen Gesicht von Blut und Schmutz starrte, der aber doch von einigen gekannt war und wirklich die betreffenden Namen führte, zum General in der Armee mit dreihundert Pesos monatlichem Gehalt ernannte. Der Bursche behauptete, auf besondere Veranlassung des Kriegsministers nach Caracas gekommen, aber in der Nacht bestohlen zu sein und schien mit anderen, die das leugneten, eine Schlägerei gehabt zu haben. Ich selber konnte nichts tun, als seine Ansprüche bestätigen, und im Triumph wurde er dann wieder in die Pulperia hineingezerrt, wo das Trinkgelage jedenfalls von neuem begann.«

»Haben Sie das Papier?«

»Man würde es mir keinenfalls überlassen haben, wenn ich selber gewillt gewesen wäre, den schmutzigen Wisch in die Tasche zu stecken; aber der Mensch, der wirklich keinen Vergleich mit einem anständigen Tier aushält, soll der den Titel eines venezuelanischen Generals tragen?«

»Da hat jedenfalls ein Versehen stattgefunden,« sagte Falcon, den Kopf herüber und hinüber werfend. »Das Patent wird für einen Mann gleichen Namens, aber eine ganz andere Person ausgestellt gewesen sein.«

»Es ist möglich,« erwiderte Arvelo, »aber ich bezweifle es. Ähnliche Fälle sind mir schon selber bekannt geworden – ein solch entsetzlicher Mißgriff aber freilich noch nicht, und ich kann nur vermuten, daß der Kriegsminister den Mann – vielleicht auf Collinas Empfehlung, zum General vorgeschlagen hat, ohne ihn je gesehen zu haben.«

»Er muß aber doch die Qualifikation besitzen.«

»Müssen das alle Generale, Exzellenz?« fragte Arvelo, und ein leichtes Lächeln zuckte um seine Lippen.

Falcon biß sich auf die Unterlippe. Er verstand recht gut, was Arvelo damit meinte, war aber nicht gesonnen, darauf einzugehen.

»Demgemäß,« sagte er, das letzte Thema überspringend, »halten Sie eine vollkommene Umgestaltung der Regierung für notwendig – einen entschiedenen Systemwechsel.«

»Das letztere ja, das erstere nicht. Ich sehe nicht ein, weshalb diese Minister nicht das nämliche ausführen könnten. Täuschen wir uns nicht selber über ihre Neigungen. Oleaga besonders ist nur das, was Ew. Exzellenz wünscht, und mein armer Silva würde Gott danken, wenn er endlich einmal wieder Aussicht bekäme, über eine Summe zu verfügen, die ihm länger unter Händen bleibt, als drei oder vier Stunden. Wie mühsam muß er sich jetzt sein ›tägliches Brot‹ auch täglich zusammenholen, und wieviel vergebliche Gänge hat er. Er ist dabei der ›gesuchteste‹ Mann in der Stadt, und von dem Moment an, wo er in sein Haus tritt, nicht mehr zu Hause.«

Falcon lachte – er kannte recht gut die verzweifelten Versuche, die sein Finanzminister wirklich täglich anstellen mußte, um sich über Wasser zu halten und nur den dringendsten Bedürfnissen nachzukommen, und trotzdem bürdete er ihm noch täglich mehr auf; aber was ihm Arvelo gesagt, zog ihm doch bald wieder ernste Falten auf die Stirn.

»Oleaga wird vielerlei Bedenken dagegen haben,« meinte er.

»Möglich – aber er wird sie fallen lassen, sobald er sieht, daß Sie entschlossen sind – wenn ihn die Ereignisse selber nicht dazu nötigen.«

»Sie geben zu viel auf die Ereignisse,« bemerkte Falcon, indem er aufstand und neben seinem Stuhl stehen blieb. Arvelo nahm das als ein Zeichen, daß der Präsident das Gespräch zu beendigen wünsche.«

»Ich wiederhole nur,« endigte er, seinem Beispiel folgend, »was ich Ew. Exzellenz schon früher gesagt habe. Sie bauen zu viel auf die Versicherung Ihrer Umgebung – Sie nehmen die Sache zu leicht und wenden äußerliche Mittel bei einer innerlichen Krankheit an. Sie haben von mir die Wahrheit verlangt, und ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen die offen und treu zu sagen.«

»Ich gebe Ihnen das Zeugnis, lieber Arvelo, daß Sie meinen größten Erwartungen entsprochen haben, und ich danke Ihnen hiermit freundlich dafür. Ich verspreche Ihnen auch, daß ich versuchen will, wenigstens einem Teil Ihrer Wünsche Rechnung zu tragen.«

»Exzellenz werden sich selbst den größten Dienst damit erweisen,« erwiderte Arvelo und wollte sich mit einer förmlichen Verbeugung empfehlen, Falcon aber ging auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sagte:

»Auf Wiedersehen, alter Freund – ich hoffe, daß Sie mir immer beistehen werden, wenn ich einmal ein offenes Wort brauche, und ich glaube es nicht allein, ich bin fest überzeugt davon, daß Sie es ehrlich meinen.«

Arvelo drückte die gebotene Hand, verbeugte sich dann und ging, und Falcon blieb noch eine ganze Weile, nachdem er ihn verlassen, im Zimmer, in tiefe Gedanken versenkt, stehen und schaute vor sich nieder – aber er war nicht daran gewöhnt, sich zu lange mit einer verdrießlichen Sache zu beschäftigen.

»Wunderliche Menschen,« brummte er vor sich hin, »die alles, was vorkommt, nur immer von der schwarzen Seite betrachten. Er hat vielleicht in manchen Stücken recht. Die Douanen bringen nicht mehr das Notwendigste ein, und ich muß außerdem noch schmählich bestohlen werden – aber was tun? Ich kann doch nicht die ganze Welt vor den Kopf stoßen. – Nun, wollen abwarten, was Oleaga für Nachrichten bringt.«

Damit sah er nach seiner Uhr – ging zum Eckschrank, von dem er eine Zigarre nahm, zündete sie an und warf sich dann wieder in seine Hängematte hinein, um noch einen Teil des langweiligen Tages zu verträumen.



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