Friedrich Gerstäcker
Die Blauen und Gelben
Friedrich Gerstäcker

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Der Morgen eines Finanzministers.

Im Hause der Firma Gonzales & Co. in Caracas und in dem luftigen und hohen Lagerraum des Geschäfts, der viel kühler war als das Kontor, saß der Chef des Hauses, der alte Gonzales, hinter einem Pult mit seinen Büchern beschäftigt, während ab und zu gehende Cargadores eine Reihe von Karren abluden, welche Waren von La Guayra, der Hafenstadt, heraufgebracht, und nun gleich wieder aus dem Innern gekommenen Kaffee aufladen und zur Verschiffung an die Seeküste führen sollten.

Der alte Herr achtete aber gar nicht darauf, denn zwei seiner jungen Leute waren mit dem Empfang des einen Teils der Güter wie mit der Auslieferung des anderen betraut, und er hatte sich auch in der Tat so in ein vor ihm aufgeschlagenes Konto vertieft, daß er nicht einmal die Gegenwart eines fremden Herrn bemerkte, der mit dem Hut auf dem Kopf zwischen den Lastträgern eingetreten und an seinem Pult stehen geblieben war. Erst, als sich dieser räusperte und mit einem Buenos dias, Señor, die Hand auf sein Pult legte, sah er, über seine Brille hinweg, nach dem Besuch hinüber und erkannte – gar nicht etwa zu seinem Erstaunen, aber noch viel weniger zu seiner Freude – keine geringere Person als den Finanzminister der Vereinigten Staaten von Venezuela, der ihm vergnügt zunickte und besonders guter Laune zu sein schien. »Nun, Sennor Gonzales, wie geht's?« sagte der kleine, etwas wohlbeleibte Herr, indem er dem Geschäftsmann die Hand über den für ihn ein wenig zu hohen Tisch hinüberreichte – »immer so fleißig bei der Arbeit? Das ist wahr, ihr Geschäftsleute habt es in der jetzigen Zeit am besten. Ihr tut eure regelmäßige Arbeit, während wir bei der Regierung manchmal gar nicht wissen, wo uns der Kopf steht, und wo wir anfangen und aufhören sollen.«

»Nun, Sennor Silva,« erwiderte der alte Herr, indem er die dargebotene Hand des Ministers ziemlich gleichgültig nahm und ein eigenes, fast sarkastisches Lächeln dabei um seine Lippen zuckte, »Sie haben sich doch wahrhaftig vor allen anderen nicht zu beschweren, daß Sie mit Arbeiten überladen wären. Alles, was Sie tun, wenn man von Ihnen etwas haben will, ist, daß Sie mit den Achseln zucken.«

»Zugegeben, Sennor,« meinte der Kleine, »habe auch verwünscht gute Ursache dazu, aber – können Sie mir nur einen einzigen Menschen in der ganzen Stadt nennen, der nichts von mir haben wollte?«

»Und doch bekommt keiner etwas,« antwortete lachend Don Pedro – wie er gewöhnlich, der spanischen Sitte nach, genannt wurde. »Das einzige, was mir ein Rätsel bleibt, Sennor, ist, daß noch irgend eine Seele dem Staat borgt, denn man könnte es ebensogut hinaus auf die Straße werfen.«

»Aber Don Pedro, Sie gehen zu grausam mit uns um,« bemerkte der Finanzminister – »es ist schlimm, ja, aber so schlimm doch noch wahrlich nicht. Unsere Bonds an die Douane –«

»Und wenn man hinkommt und will sie einlösen, so sind die Zahlungen suspendiert –«

»Das war einmal der Fall, weil wir das Geld notwendig selber brauchten,« sagte achselzuckend der Minister, »und ließ sich eben nicht ändern. Es tat uns selber leid und wird auch nicht wieder vorkommen.«

»Ouien sabe! Wunderlichere Dinge sind in den Staaten hier vorgefallen, und das würde mich wenig in Erstaunen setzen, wohl aber, wenn die Regierung einmal einen der von ihr selber ausgestellten Wechsel honorierte.«

»Caramba, Sennor, Sie nehmen uns stark mit,« entgegnete der Finanzminister etwas verlegen – »wenn alle Leute so dächten, woher sollten wir dann die nötigen Fonds bekommen?«

»Es wundert mich eben,« erwiderte Don Pedro, »daß nicht alle Leute so denken, denn sonst sagt man doch gewöhnlich, daß der Mensch durch Schaden klug würde.«

»Hm,« sagte Sennor Silva, dem das Gespräch unangenehm wurde – »Sie haben gerade viel zu tun – ich sehe, die Ware geht und kommt bei Ihnen, als ob wir mitten im Frieden und in den geregeltsten Verhältnissen lebten –«

»Lieber Gott, alle Adern des Geschäfts sind noch nicht unterbunden, und wir hoffen eben auf bessere Zeiten, denn diese Zustände können ja nicht mehr lange dauern.«

»Da haben Sie recht,« rief Silva rasch – »Sie wissen doch, daß die Revolution in Barcelona völlig unterdrückt ist, und mit unserer Nachbarschaft wird General Colina auch bald fertig werden. Falcon muß ihnen eben den starken Arm und die Faust daran zeigen, nachher werden sie bald genug einsehen, daß sie nur unnützerweise gegen einen Stachel lecken, und den Versuch selbst aufgeben.«

»In der Tat? Ich hörte heute morgen gerade das Gegenteil von Barcelona.«

»Von wem?« fragte Silva rasch.

»Que importe,« meinte der alte Herr, mit den Achseln zuckend, »der Fremde kam gerade vom Osten und behauptete, daß es mit der ganzen Provinz, das wenigste zu sagen, sehr zweifelhaft stünde, während in den Hauptstädten die Blauen schon vollständig Herr wären.«

»Geschwätz,« rief unwillig der Finanzminister, »die Regierung muß es doch vor allen anderen wissen, und der Dampfer »Bolivar« ist heute morgen um sechs Uhr erst mit Regierungsdepeschen in La Guayra eingetroffen. Sie werden mir zugeben, daß die zuverlässiger sind, als was eben ein müßiger Reisender schwatzt. Nein, lieber Freund, die Revolution, wenn wir die Aufhetzungen von ein paar GodosGodos, die Partei der Aristokraten oder Besitzenden die in der letzten Revolution den sogenannten Liberalen unterlagen. überhaupt mit dem Namen belegen können, ist vollständig unterdrückt, und die Regierung hat die Zügel des Landes noch nie fester in der Hand gehabt, als gerade jetzt – nur – in – in mancher anderen Hinsicht befindet sie sich ein wenig in Verlegenheit.«

»Geld,« sagte Don Pedro lakonisch.

»Da Sie es gerade erwähnen, nun ja! – Just im gegenwärtigen Augenblick sind wir etwas knapp und werden genötigt sein, ein kleines Anlehen zu machen, um vor allen Dingen die Truppen zu bezahlen.«

»Und wozu brauchen Sie so viele Truppen, wenn der Aufstand unterdrückt ist?«

»Wir dürfen uns nichts vergeben, lieber Freund. – Wir müssen den Godos zeigen, daß wir jeden Augenblick die Macht und den guten Willen haben, ihnen den Daumen aufs Auge zu setzen, sobald sie nur halbwegs übermütig werden sollten. Dazu genügt der Bestand eines kleinen Heeres, und mit unseren vortrefflichen Führern, die wir haben –«

»Mein guter Sennor,« unterbrach ihn der alte Herr, der sonst eigentlich stets außerordentlich höflich und rücksichtsvoll auftrat und es gern mit keiner Partei verderben wollte, in Geldsachen aber ebensogut wie andere Leute ungemütlich wurde, – »allen Respekt vor zweien oder dreien von ihnen, aber sonst besteht Ihr Offizierkorps gerade gegenwärtig aus einer Bande, der ich wahrhaftig kein halbes Dutzend silberne Löffel anvertrauen möchte.«

»Sie übertreiben, lieber Freund. Ich gebe Ihnen zu, daß einige rauhe Burschen darunter sind –«

»Neger,« sagte Don Pedro.

»Seien Sie nicht ungerecht – ich erinnere Sie an General Colina –«

»El Cólera, wie ihn das Volk nennt,« bemerkte der Kaufmann.

»Ich möchte niemandem raten, den Namen in seiner Gegenwart auszusprechen.«

Gonzales rückte ungeduldig auf seinem Stuhl umher; er hatte viel zu tun und wußte außerdem, was der Beamte von ihm wollte – Geld – weiter nichts. Weshalb kam er nicht zur Sache und hielt ihn noch außerdem so lange von seinen Geschäften ab?

Einer seiner jungen Leute kam und legte ihm ein Papier vor.

»Sie müssen mich entschuldigen, Sennor,« bat der Kaufmann, »die Leute wollen abgefertigt werden und noch heute nach La Guayra abgehen.«

»Bitte, lassen Sie sich nicht stören,« erwiderte der Minister, »ich möchte Sie nur nachher noch um fünf Minuten bitten – ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen.«

»Nur nicht wegen Geldes, Sennor, denn mein Geldschrank ist in diesem Augenblick fast so leer wie Ihre Staatskasse.«

»Wir einigen uns vielleicht doch,« erwiderte der Staatsmann, ohne sich so leicht abweisen zu lassen – er war an Schwierigkeiten gewöhnt, und während Gonzales erledigte, was eben zu erledigen war, ging er zwischen den aufgelegten Kaffeeproben umher und prüfte die verschiedenen Sorten, als ob er überhaupt etwas davon verstanden hätte. Erst, als er sah, daß Gonzales wieder allein an seinem Pult saß, kehrte er zu diesem zurück und begann nun auch ohne weitere Vorrede:

»Sie erwähnten vorhin Geld, lieber Freund.«

»Ja, aber nur in abwehrender Weise.«

»Aber Sie wollen die Regierung doch nicht im Stich lassen.«

»Wären Sie vielleicht so freundlich, sich dieses Konto einmal anzusehen,« fragte Gonzales statt jeder anderen Antwort, indem er das vor ihm aufgeschlagene große Geschäftsbuch nur einfach herumdrehte, so daß es Silva lesen konnte, – »wie Sie hier bemerken, habe ich die Regierung wahrhaftig nicht im Stich gelassen, aber sie wohl mich, und zwar in unverantwortlicher Weise. Für alle diese Summen: da eintausend, da zwei – hier sogar einmal viertausend, habe ich Anweisungen an das Zollamt, aber das Zollamt zahlt nicht, und wenn ich dem Lumpengesindel da unten fünfzig Prozent bewilligt hätte, würde ich die Hälfte vielleicht als Vollzahlung herausbekommen haben – so aber nicht –«

»Und daß Sie die Anweisungen zurückbehielten, beweist doch gerade wieder, daß Sie Vertrauen zur Regierung hatten und vorher wußten, Sie würden richtige Zahlung dafür erhalten. Jener Zustand war aber vorübergehend, und da wir in nächster Zeit nur durch schon angezeigte Ladungen etwa neunzigtausend Pesos sichere Einnahme erwarten, so können Sie überzeugt sein, daß Ihre Ansprüche dann augenblicklich befriedigt werden.«

»Ich wollte, ich hätte das im Vermögen,« erwiderte Gonzales trocken, »was Sie schon über die neunzigtausend Pesos an die Douane Schecks ausgestellt haben. Doch wie dem auch sei, ich habe augenblicklich kein Geld, wenn ich wirklich den guten Willen hätte, mir noch weiter die Finger zu verbrennen. Da drüben das Kistchen, – das kleine da, was gleich hinter Ihnen steht, ist mein vorläufiger ganzer Kassenbestand, und das soll Ihnen zu Diensten stehen, wenn Sie mir noch eine Anweisung dafür an die Douane geben. Habe ich so viel riskiert, kann ich die Kleinigkeit auch noch daran wagen.«

»Und was enthält die Kiste,« fragte der Finanzminister, der schon einen verlangenden Blick danach warf.

»Hundert Pesos in Centabos (Kupfer),« erwiderte Gonzales, die Achseln zuckend, »ein Schelm gibt mehr als er hat.«

»Caramba, Sennor,« rief der Finanzminister, dem das doch ein wenig stark erscheinen mochte, obgleich ihm in seiner Stellung und ohne Kasse schon manches geboten war, »ich will Ihr Anerbieten für einen Scherz halten, denn Se. Exzellenz würden sehr böse werden, wenn sie etwas erführen, was sie nicht gut anders als eine Beleidigung nehmen könnten.«

»Que quiere, Sennor,« meinte der alte Herr, wiederum die Schultern in die Höhe ziehend, »wie können Sie verlangen, daß wir Geld haben sollen, wo uns der Staat selber das nicht bezahlt, was er uns schuldig ist. Ich bin ebenfalls nicht gewohnt, meine Leute in Kupfer auszuzahlen, und trotzdem wird mir zuletzt nichts anderes übrig bleiben. Besser in Kupfer als gar nicht.«

»Guten Morgen! Sennor!« sagte der Minister kurz, wandte sich ab und verließ den Laden, denn er war sichtlich durch die letzte Zumutung gekränkt worden. Der alte Gonzales aber lächelte still vor sich hin, schloß sein Buch und ging an eine andere Arbeit.

Der Minister hatte kaum das Haus verlassen, als ein junger Mann in den Laden trat und auf das Schreibpult des alten Herrn zuschritt.

»Vater!«

Gonzales sah rasch und fast erschreckt empor, als diese Stimme sein Ohr traf.

»José! Du hier? Junge, ich freue mich, daß du da bist, denn nun ist es doch nicht wahr, was mir mein Bruder gestern von dir geschrieben hat. Wie geht es dir?«

»Gut, Vater – aber was hat dir der Onkel geschrieben?«

»Daß du den Blauen offen beigetreten und sogar in Victoria gesehen wärest, und zwar in der besten Arbeit, um das Volk gegen Falcon aufzuwiegeln.«

»Jedes Wort davon ist wahr, Vater,« antwortete lachend der junge Mann, indem er sein schwarzes, breites Hutband ein wenig verschob und dem Vater die darunter versteckte blaue Kokarde entgegenhielt.

»Und bist du wahnsinnig, selbst mit diesem Abzeichen an der Stirn hier in Caracas herumzulaufen?« rief Gonzales von seinem Sitz emporfahrend und den Blick scheu umherwerfend, »weißt du, was dir bevorsteht, wenn es durch irgend einen Zufall entdeckt wird? Der Strick – und hast du denn nicht einen Augenblick daran gedacht, in welche schwierige, ja gefährliche Lage du sogar deinen Vater durch solche Unvorsichtigkeit bringst?«

»Bist du mit der jetzigen Regierung – mit unserem Präsidenten zufrieden, Vater, und wünschest du, daß er noch länger so fort regiere, um das Land bald vollständig zu ruinieren?«

»Unsinn, kein vernünftiger Mensch wünscht das, erwiderte der alte Mann, »und je eher er zum Teufel gejagt würde, desto besser wäre es für Venezuela, aber –«

»Wer soll ihn fortjagen, wenn nicht eine Partei gegen ihn die Waffen ergreift?« fuhr José rasch fort. »Das ist ganz richtig, und deshalb haben wir auch die Sache nach besten Kräften in die Hand genommen. Je energischer wir es aber betreiben, desto rascher kommen wir zu Ende, und glaube mir, Vater, Falcons Kreaturen ausgenommen, und die, die er direkt besoldet, ist die ganze Stadt, ja das ganze Land gegen ihn.«

»Und woher kommst du jetzt? Ich habe dich wenigstens seit vier Monaten nicht gesehen – von der Hacienda? – du warst verreist?«

»Allerdings – ich habe einen großen Teil des Inneren durchstreift; direkt komme ich jetzt eigentlich von der Hacienda. Da aber dort im Augenblick gar nichts zu tun oder zu versäumen ist, wollte ich euch doch auch wieder einmal besuchen.«

»Eben war der Finanzminister bei mir.«

»Ich habe ihn noch aus dem Hause kommen sehen. Er wollte jedenfalls Geld haben; gib ihm nur um Gottes willen keinen Centabo mehr.«

»Ich habe ihm eben die ganze Kiste voll angeboten.«

»Und er hat sie nicht genommen?«

»Nein.«

»Desto besser. Wenn es gut geht, schneiden wir in La Guayra und Puerto Cabello die Douanen ab und hungern dann die Gesellschaft in ihrem eigenen Nest aus.«

»Und wer bezahlt mir nachher die Summe, die ich der Regierung schon vorgestreckt habe?«

»Quien sabe! Hoffentlich ist es nicht übermäßig viel; aber wahrscheinlich wirst du sie in den Schornstein schreiben müssen, denn Falcon rückt von seinem Raube nichts heraus, und wer jetzt von den Beamten, mit der wachsenden Revolution vor sich, nur noch etwas in der Tasche hat, hält das ebenfalls fest. Die Herren werden in der nächsten Zeit nicht einmal mehr etwas zu stehlen finden.«

»Und glaubst du wirklich, daß die Revolution siegen wird?« fragte der Vater. »Das Volk haßt schon den Namen der Godos.«

»Aber gerade deshalb haben wir die Parteien diesmal ganz beiseite gelassen,« rief der junge Mann. »Es heißt nicht mehr Godos gegen Liberale, es heißt die Union gegen Falcon. Unsere Hauptanführer und die einflußreichsten Männer gehören teils den Godos, teils den Liberalen an, und von beiden strömen uns unsere Anhänger zu. Du solltest nur sehen, welche Aufregung im inneren Lande herrscht, während im Araguatal die Revolution schon in aller Form organisiert ist.«

»Und die Rassen? Du bist noch jung und kennst noch nicht die Eifersucht des gemischten Blutes gegen die Weißen. Falcon ist klugerweise in der Ernennung seiner Generale gar nicht wählerisch gewesen. Die meisten, wenigstens sehr viele von ihnen, haben Negerblut in den Adern, und darum kann er fest auf die unteren Klassen rechnen.«

»Das wird sich zeigen,« sagte José, »übrigens solltest du einmal bei uns den Generalstab sehen. Reines, weißes Blut findet sich nur bei den wenigsten, aber desto mehr indianisches.«

»Kommst du jetzt von der Hacienda?«

»Ja, Vater – ich habe sie wenigstens besucht.«

»Und wie steht es draußen?«

»Wie soll es stehen? Was die Regierungstruppen nicht früher weggefangen hatten, um eine Muskete zu tragen, das läuft jetzt zu den Blauen. Unkraut haben wir genug in den Kaffeegärten, weiter nichts, und deshalb schon drängt es alle, loszuschlagen, um diesem unerträglich werdenden Zustand ein Ende zu machen.«

»Und ich wollte doch, er dauerte – wenigstens noch eine Weile länger.«

»Aber weshalb, Vater – er ruiniert das Land.« –

»Ich möchte erst mein Geld von der Regierung haben, ehe sie aus dem Lande gejagt wird.«

»Und wie lange müßte das dauern, bis du von dieser Regierung auch nur einen Centabo wiederbekommst?«

»Wer weiß – die Douane hat Geld, und die Freunde Falcons wissen sich zu verschaffen, was sie brauchen.«

»Und gehörst du zu denen?«

»Nein, aber – ich kenne die Hausgelegenheit, und das ist bei uns die Hauptsache.«

»Hausgelegenheit? – wie versteh' ich das?«

»Du brauchst es gar nicht zu verstehen, mein Junge, denn je weniger davon gesprochen wird, desto besser – später erzähle ich dir die Geschichte vielleicht einmal. Aber weshalb bist du eigentlich nach Caracas gekommen und nicht lieber draußen auf der Hacienda geblieben? Du kannst hier nichts nützen.«

»Ich wollte euch alle nur gern einmal wiedersehen und zugleich hören, wie die Stimmung in der Stadt ist.«

»Die ist entschieden blau, aber das hat nicht die geringste Bedeutung, denn die Stadt selber erhebt sich nicht, darauf kannst du dich verlassen; und bloß um zu konspirieren? – Ich sage dir, José – ich wollte dich lieber draußen auf der Hacienda als hier in der Stadt wissen, denn du kannst hier nichts nützen und – dich und mich nur in Verlegenheit bringen.«

»Aber so schnell kann ich gar nicht wieder fort.«

»Du kannst nicht? Also hast du hier noch einen anderen Zweck. Darf ich ihn erfahren?«

José zögerte mit der Antwort. »Lieber Gott,« sagte er endlich, »ich bin solange fort von hier gewesen und – möchte doch auch manche von meinen alten Bekannten wiedersehen.«

Der Vater sah den Sohn über seine Brille eine Weile schweigend an. Dieser hatte jedenfalls etwas, das er ihm verheimlichte, denn das ehrliche, offene Gesicht des jungen Mannes konnte nicht lügen – aber er mochte auch nicht in ihn dringen – dazu blieb noch Zeit.

»Warst du schon drüben bei der Mutter?«

»Nein, ich bin eben erst angekommen.«

»Gut – dann geh' hinüber – sie hat sich lange nach dir gesehnt und wird sich freuen, dich wiederzusehen. Ich komme auch bald nach.«

»Also hasta luego, Vater,« rief José, dem es selber lieb schien, die Unterhaltung für jetzt abzubrechen. – Der alte Mann aber blieb noch eine Weile, die Stirn in die Hand gestützt, an seinem Pult sitzen, und manches war es auch in der Tat, was ihm herüber und hinüber durch den Kopf ging.

Nicht so ruhig verbrachte indessen Sennor Silva seinen Morgen, denn ihm lag die schwere Aufgabe ob, ehe er in das Ministerium hinaufging, Geld herbeizuschaffen – Geld um jeden Preis, und doch hätte es jeder Haciendero draußen im Lande leichter bekommen, als eben der Finanzminister des Staates selber. Bekam er es aber nicht, dann wußte er auch gewiß, daß er oben vor seinem Bureau schon zehn oder zwölf Menschen traf, die ihn seit acht Uhr da ungeduldig und sehnsüchtig erwarteten. Keiner von allen denen brachte ihm auch etwas – im Gegenteil, sie alle wollten von ihm haben, und ausweichen konnte er ihnen nicht mehr, noch sie vertrösten, denn damit hatte er sie schon die letzten vier Wochen immer und immer wieder abgespeist. – Es war rein zum Verzweifeln, und doch spielte die nämliche Szene jetzt fast jeden Tag.

»Da soll ja der Teufel Finanzminister sein,« brummte er, als er an dem dritten venezuelanischen Geschäftshaus mit nichts als »festen Versprechungen« abgefertigt war, und was er von denen zu halten hatte, wußte er nach den eigenen, so oft und oft gegebenen. »Die Kanaillen haben Geld, aber sie trauen der eigenen Regierung nicht mehr, weil sie selber alle verräterische Gesinnungen mit herumtragen. Wenn ich Präsident wäre, wüßte ich wohl, was ich täte, aber der verdammte Falcon ist nur immer so mit seinen eigenen Plänen beschäftigt, daß er keinen Augenblick mehr für den Staat über hat. – Und wer kann's ihm verdenken,« setzte er halblaut und außerdem gegen das ganze Menschengeschlecht erbittert hinzu – »recht hat er – ganz entschieden, und wenn ich an seiner Stelle wäre, machte ich es genau so. – Ich wollte nur, er wäre jetzt an der meinen« – und mit einem Seufzer betrat er eines der ersten Geschäftshäuser der Stadt, das aber nicht einem Landsmann, sondern einem Deutschen angehörte.

Das Resultat war freilich genau das nämliche wie bei Gonzales, nur daß ihm hier nicht einmal eine Kiste mit Centabos angeboten wurde.

»Tut mir leid, Sennor – nicht ein Peso bar Geld in der Kasse, denn das letzte hat unser Haus in La Guayra erst gestern an die Douane ausgezahlt. Warum lassen Sie es nicht von da heraufkommen?«

»Aber Sie müssen doch etwas bar Geld in Ihrem Geschäft haben,« entgegnete der Minister trostlos.

»Haben Sie welches in dem Ihrigen?«

»Caracho, nein, deshalb komme ich ja gerade zu Ihnen.«

»Wir werden bald in ganz Caracas kein Geld mehr haben, Sennor, denn wenn das so fortgeht, so begreife ich nicht recht, wo es herkommen soll.«

»Wenn was so fortgeht?«

»Das – Geld. Wo bleibt alles, was die Douanen einnehmen, was in der Stadt geborgt wird? Es verschwindet wie Wasser auf einem heißen Stein, oder in ein Faß mit Löchern geschöpft, und nicht einmal die Soldaten bekommen ihren Sold, viel weniger die Kaufleute ihre geborgten Kapitalien wieder. Ich werde in den nächsten Tagen mein Geschäft ganz schließen, um nur gar nichts mehr von der unangenehmen Sache zu hören.«

Sennor Silva schob die Hände in die Taschen, drehte sich auf dem Absatz herum und verließ das Haus. Er sah wohl, daß er hier doch nichts bekommen würde, und versäumte nur seine kostbare Zeit, aber er war an anderen Stellen nicht glücklicher. Noch vier andere Häuser, zwei spanische und zwei deutsche, versuchte er mit dem nämlichen Erfolg. Es schien sich heute alles gegen ihn verschworen zu haben, und in wahrer Verzweiflung die Calle del Comercio hinabschreitend, sah er als letzte Hoffnung eine deutsche Buchhandlung vor sich, mit der er insofern bekannt war, als er dort manchmal Papier borgte und dafür ebenfalls Anweisungen an die Douane gab. Diese aber, da sie nur kleine Summen betrugen, waren ziemlich regelmäßig ausgezahlt worden, und es galt jetzt dort einmal einen Versuch im größeren zu machen.

Der Deutsche, ein jovialer Preuße, hatte aber schon an dem Morgen in der Stadt gehört, wie die Sachen standen, und daß der Finanzminister auf der Jagd sei. In der Tür seines Ladens lehnend, die linke Hand in der Tasche, den Hut auf dem Kopf, zuckte ein drolliges Lächeln um seine Lippen, als er den Finanzmann herankommen sah.

»Sennor Rothe, wie geht es?« fragte der Staatsminister, als er an ihn hinankam und ihm freundlich zunickte – »wie machen sich die Geschäfte?«

»Wie Sie sehen, Sennor,« lautete die Antwort, »ich poliere hier meinen Pfeiler mit der Schulter, denn weiter gibt es doch nichts zu tun; aber es ist mir sehr lieb, daß ich Sie heute morgen sehe; ich wollte selber zu Ihnen hinaufkommen.«

»In der Tat? Kann ich Ihnen mit etwas dienen, Sennor?« fragte der Minister freundlich, denn eine Liebe ist der anderen wert, und wo er zuerst um irgend etwas gebeten wurde, durfte er auch um so leichter auf einen günstigen Erfolg seiner eigenen Sendung hoffen – »was wünschen Sie?«

»Ich habe gerade eine Zahlung zu leisten,« erwiderte der Deutsche und mußte sich Mühe geben, ernsthaft zu bleiben, denn der andere machte ein gar so bestürztes Gesicht, »und wollte Sie ersuchen, ob Sie mir nicht etwa tausend Pesos vorstrecken könnten. Ich gebe Ihnen vollständige Sicherheit und gute Zinsen. Die Regierung hat in der letzten Zeit so bedeutende Einnahmen gehabt –«

»Caramba, Sennor! bedeutende Einnahmen?« rief aber Sennor Silva, dem das doch über den Spaß ging, »in meine Kasse ist nichts davon gekommen, – aber Sie machen nur Scherz. Ich wollte gerade bei Ihnen anfragen, ob Sie mir nicht, gegen eine Anweisung an die Douane, ein- oder zweitausend Pesos leihen könnten. Sie wissen, daß diese Schecks prompt honoriert werden.«

»Von mir Geld?« fragte lächelnd der Buchhändler, – »is nich – no hay – ich zahle nur in Papier und – Siegellack. Ne, das ist zu gut, – jetzt will das Finanzministerium von mir Geld haben.«

»Mein lieber Freund,« flüsterte Silva geheimnisvoll, »wir gehen großen Ereignissen entgegen, und ich kann Ihnen so viel sagen, daß Sie sich nicht im Licht stehen werden, wenn Sie dem Staat aus – einer augenblicklichen Verlegenheit helfen.«

Der Deutsche lachte still vor sich hin. »Macht sich nicht; aber was meinen Sie, Sennor, wenn wir zusammen gingen? Wir brauchen beide Geld, und zusammen haben wir vielleicht mehr Kredit als einzeln.«

»Ich danke Ihnen, Sennor, der Staat weiß sich dann doch noch auf andere Weise Geld zu verschaffen, – guten Morgen,« – und Don Silva schritt steif und verdrießlich die Straße hinab.

»Auf andere Weise?« sagte der Deutsche leise und vergnügt vor sich hin, indem er dem Finanzminister mit den Augen folgte, – »o ja wohl, die Weise kennen wir genau. Er stiehlt es einfach. Ist das eine Gesellschaft. Wir scheinen hier gerade nicht heidenmäßig viel Geld zu haben.«

Gonzales war eben vom Frühstück zurückgekehrt und saß wieder an seinem Pult, als ein Regierungsbeamter mit zwei Soldaten, aber ohne Gewehr in das Lagerhaus trat, eine Empfehlung von Sennor Silva ausrichtete und ihn bat, ihm – die Kiste mit Centabos auszuliefern. Er legte dabei ein paar Zeilen des Ministers – die einfach die Bitte dahin aussprachen, auf den Tisch.

Gonzales nahm das Papier und betrachtete es aufmerksam.

»Ja, lieber Freund,« meinte er dann, »das ist alles recht schön, und die Kiste können Sie bekommen – ich habe es einmal versprochen, aber Sennor Silva muß mir dafür erst eine Anweisung an die Douane einschicken, denn ohne Sicherheit geb' ich nicht gern Geld aus den Händen.«

»Gut, Sennor,« erwiderte der Beamte, »da ich aber die Leute hier habe, können sie wohl das Kistchen gleich mitnehmen? Sennor Silva war in Eile. Ich bringe Ihnen nachher das Papier, wenn ich wieder vorbeikomme.«

»Bringen Sie mir erst das Papier, lieber Freund; in einem Geschäft muß alles seine Ordnung haben, und die Leute mögen indessen hier bleiben. Es ist viel besser, die warten, als ich; sie haben doch nichts zu tun.«

Der Beamte biß sich auf die Lippe, aber es war eben nichts zu machen, denn mit Gewalt konnte er nicht vorgehen. Er befahl den Soldaten, dort zu bleiben, bis er wieder zurückkehre oder den Zettel schicke, und schritt eilig die Straße hinab. Etwa eine Viertelstunde später kam ein anderer Soldat, der die Anweisung vor Sennor Gonzales auf den Tisch legte und schweigend davor stehen blieb. Der alte Herr prüfte sie aufmerksam durch seine Brille, und sie dann vor sich, unter einen Briefbeschwerer legend, sagte er:

»So, Leute – das kleine Kistchen dort, das da hinter euch steht – es ist ziemlich schwer. Nehmt euch damit in acht. Meine Empfehlung an Sennor Silva.«

Die Leute hoben das Kistchen auf und verließen damit den Laden. Der Soldat, der den Zettel gebracht hatte, blieb aber noch stehen und sah den Handelsherrn halb verlegen, halb lächelnd an.

»Nun, Amigo?« fragte dieser, »ist sonst noch etwas auszurichten?«

»Un realito, Señor – nada mas, por comidaEin Realchen, Sennor, nichts weiter, für Mittagbrot – realito, Diminutiv von Real – gewöhnlich von Bettlern gebraucht.

Gonzales lachte, griff in die Tasche, gab dem Burschen einen Real und dieser folgte jetzt mit einem vergnügten »Dios lo paga« (der liebe Gott möge es Ihnen wieder bezahlen) seinen Kameraden die Straße hinab.



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