Friedrich Gerstäcker
Die Blauen und Gelben
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sennora Corona.

Nahe der Plaza de San Francisco stand ein sehr großes, aber besonders freundliches und selbst elegantes Haus, das mit seinen grau angestrichenen und in den reichen Verzierungen sogar vergoldeten Fenstergittern wie mit Ölfarbe gemalten Wänden sehr zu seinem Vorteil gegen die Nachbarhäuser abstach. Ebenso konnte man auch schon von außen erkennen, daß das Innere desselben dem ersten Eindruck vollkommen entsprach, denn die blitzenden Fensterscheiben mit den reich gestickten, weißen Gardinen dahinter, ließen vermuten, daß ein recht wohlhabender Kaufmann oder vielleicht ein reicher Haciendero, der sich von seinen Geschäften nach der Hauptstadt zurückgezogen, dort seine Heimat und diese so geschmackvoll als möglich hergerichtet habe. Und doch bewohnte das Haus nur die Witwe eines in Bolivar verstorbenen Kaufmanns mit ihrer einzigen Tochter. Wenn die Damen aber auch ziemlich zurückgezogen lebten und besonders selten auskamen, so sahen sie doch sehr vielen Besuch bei sich und gaben sogar dann und wann kleine Tertulias, zu denen natürlich auch junge Herren gezogen wurden.

Sennora Corona war noch eine stattliche Frau, vielleicht achtundvierzig Jahre alt, und mußte einmal in ihrer Jugend bildhübsch gewesen sein, ja zeigte sogar die Spuren selbst jetzt noch in ihren Zügen und großen, schwarzen Augen, wie den fein geschnittenen Lippen. Von kräftigem Körperbau war sie dabei, mit einem sehr resoluten Zug um den Mund und in den etwas zusammengezogenen Brauen, zu dem ein kleiner, leichter Anflug eines schwarzen Schnurrbarts auf der Oberlippe recht gut paßte; auch entsprach ihr Charakter vollkommen ihrem Äußeren und ließ an Festigkeit nichts zu wünschen übrig.

Sie hatte auch schon Beweise davon gegeben, und es hieß sogar in der Stadt, daß sie bei der letzten Revolution, kurz vor der sie nach Caracas gezogen, den gegenwärtigen Präsidenten Falcon einmal aus wirklicher Lebensgefahr gerettet habe. – Das nähere erfuhr man freilich nicht, möglich auch, daß es ein bloßes Gerücht war. Ebenso blieb auch ihr früheres Leben, über das sie nie selber sprach – in Dunkel gehüllt. Nur so viel stand fest: sie hatte anfangs in großer Zurückgezogenheit und außerordentlich einfach, man wollte sogar behaupten, dürftig gelebt. Möglich, daß sie ihre Gelder erst nach und nach einbekommen konnte, jetzt dagegen schien sie das Versäumte nachzuholen.

Ebenso aber, wie ihre Vermögensverhältnisse, schienen sich auch ihre politischen Gesinnungen geändert zu haben, etwas, das in der Welt leider nur zu häufig vorkommt. Solange sie selber in anscheinender Dürftigkeit lebte, war sie entschieden föderal und gegen die Godos oder Besitzenden erbittert gewesen. Jetzt dagegen hatte sich das so vollkommen geändert, daß sie sogar gegen Falcon Partei nahm und für eine der eifrigsten Anhängerin der Revolution galt, wie sich denn auch in ihrem Hause nur solche versammelten, die ganz entschieden der revolutionären oder »blauen« Richtung angehörten.

Es ist wahr, viele sehr anständige Familien in Caracas hatten einen näheren Verkehr mit ihr abgelehnt, ohne einen anderen Grund als ganz unbestimmte Gerüchte über den zweifelhaften Charakter der Dame angeben zu können. – Andere aber, besonders wenn sie der extremen Richtung angehörten, verkehrten wieder sehr gern mit ihr, und zumal für die jungen Leute hatte sie in ihrem Hause einen Magnet, dessen Zauber sich nur wenige entziehen konnten – ihre Tochter Isabel.

Isabel war wirklich eine Schönheit, selbst unter den vielen und reizenden Jungfrauen der Stadt. Hoch und schlank gewachsen, von üppigen Formen, mit schneeweißem Teint und großen, blitzenden, schwarzen Augen, zeigte sie ein tadellos edles Profil, während ihr, wenn sie lächelte, zwei Grübchen in den Wangen und eines am Kinn, einen ganz hinreißenden Zauber verliehen.

Isabel war aber auch eine gefährliche Schönheit, denn sie hatte schon manches Unheil unter der jungen Männerwelt angerichtet. Ein junger Kaufmann, den sie erst zu begünstigen schien und dann abwies, schoß sich eine Kugel durch den Kopf – ein paar Offiziere sollten sich sogar ihretwegen gefordert haben, wenn es auch nicht zum wirklichen Duell gekommen war – und gegenwärtig wurde sie wieder von einer ganzen Schar von Anbetern umgeben, die sie, wie Motten ein Licht, umschwärmten und sich aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls die Flügel verbrannten. Freundlich blieb sie jedenfalls mit allen, lachte mit ihnen und hatte ihre Kurzweil, wich aber allen ernsten Gesprächen rasch und geflissentlich aus – und doch war der Charakter dieses wunderlichen und wunderlieblichen Wesens weit eher ernst als heiter.

Es gab Stunden, wo sie sich in ihr Zimmer einschloß und niemandem den Zutritt gestattete – selbst nicht ihrer Mutter, und trat sie dann wieder heraus, so schien es fast, als ob sie verweinte Augen habe. Nagte ein geheimer Kummer an ihrem Herzen? Niemand konnte es ahnen oder es ihr noch weniger ansehen, wenn sie abends, zum Tanz geputzt – und geschminkt, wie leider die meisten Damen in Caracas – bei den munteren Tönen des Instruments, von allen Fröhlichen die Fröhlichste, dahinflog und ihr silberhelles Lachen dann durch die Räume drang.

Ihrer Mutter konnten diese einzelnen trüben Stunden allerdings nicht entgangen sein – aber sie sprach nie mit ihr darüber oder fragte sie nur danach. Wußte sie den Grund? – Jedenfalls nahm sie die Sache außerordentlich kaltblütig auf und quälte sich keinesfalls darum. Sennora Corona hatte auch in der Tat mehr zu tun, als sich um Mädchenlaunen zu bekümmern, und über Tag ließen ihr die zahlreichen Besuche oft kaum Zeit zum Nachdenken.

Auch heute gegen Mittag hatte sich wieder ein kleiner Kreis von Damen in ihrem Boudoir versammelt, und es ist eine eigentümliche Tatsache, daß gerade die Damen in Venezuela so lebendigen Anteil an der Politik nahmen und – sonderbarerweise fast alle, wenigstens in der ungeheuren Mehrzahl – der revolutionären Partei angehörten. Aber man hatte heute auch wichtige Nachrichten zu besprechen; denn während in Barcelona der Sieg der Revolution schon nicht mehr zweifelhaft war, sollten sich nun auch in Valencia Schwärme bilden. Also drohte der Regierung im Osten und Westen zugleich Gefahr, und jetzt war auch Kunde über die Stimmung im Süden angelangt.

Sennora Corona (die eigentlich in der Stadt ihres robusten Äußeren sowohl als einer Angewohnheit wegen den spanischen Ausruf »Caramba« etwas mehr als nötig zu gebrauchen, auch häufig Sennora Caramba genannt wurde) bestritt diese Angaben auf das lebhafteste. Sie wollte erst kürzlich Briefe aus Barcelona selber, wie von der Lagune im Tal von Valencia erhalten haben, und denen nach sollte gerade im Gegenteil ein Umschlag in der Stimmung stattfinden. Die Leute bekamen es satt, in der ewigen Unruhe zu leben und wollten wieder daran gehen, ihre Äcker zu bebauen und Vieh zu züchten, denn das Verlangen nach Produkten stieg, und nirgends waren Vorräte, um es zu befriedigen.

»Und für wen sollen sie das Land bauen?« fragte Sennora Hierra, deren Gatte Caracas hatte verlassen müssen, weil ihn die Regierung hochverräterischer Handlungen wegen wollte verhaften lassen. »Für die Gelben, nicht wahr? Für das Lumpengesindel, das den Leuten in die Häuser bricht und ihnen die letzte Kuh aus dem Stall, die letzte Stange Zuckerrohr aus dem Felde holt? – Sie wären Toren, wenn sie's täten, bis sie nicht den Blutsauger, den Falcon, erst einmal aus dem Land gejagt haben.«

»Caramba! Sennora,« rief die alte Dame lachend – »Sie gebrauchen starke Ausdrücke, und wenn die Sr. Exzellenz zu Ohren kämen, möchte ich nicht in Ihren Schuhen stehen. – Aber Sie tun ihm auch unrecht – Sie wissen, ich bin keine Anhängerin des jetzigen Systems und wünschte wohl selber, daß manches anders und besser stände, aber Falcon ist nicht immer daran schuld, und ich weiß aus guter Quelle, daß er gerade jetzt dabei ist, eine Menge von Mißständen entweder gründlich abzuschaffen oder wenigstens zu mildern. Caramba! Man muß dem Mann doch auch Zeit lassen, und wenn er es dann nicht tut, nun gut, dann sind wir im vollen Recht, dagegen zu protestieren und meinetwegen auch zu handeln.«

»Beste Sennora,« warf eine der anderen Damen ein, »ich glaube, wir können das recht gut den ReconquistadorenReconquistadoras oder Wiedereroberer nannte sich die revolutionäre Partei, die man nach ihrem blauen Band um den Hut auch kurzweg die »Blauen« nannte, während die Regierungstruppen ein gelbes Band um die Hüte trugen, und danach im Gegensatz die »Gelben« genannt wurden. überlassen, denn die werden wohl bald mit dem braven Herrn Falcon fertig werden.«

»Meinen Sie wirklich?«

»In der Tat.« –

»Aber jedenfalls noch Geheimnis?«

»Gar nicht,« sagte die bezeichnete Dame, »wenigstens nicht hier. Im Osten und Westen ist die Revolution offen ausgebrochen, und jetzt fängt es im Süden auch an. Mein Mann ist dort. In Calabozo haben sie sich offen für die Revolution erklärt und wollen in der nächsten Zeit auf San Juan del Morro und von da auf Ortiz, Villa da Cura und Victoria marschieren, um Caracas von drei Seiten einzuschließen. Aber bitte, erwähnen Sie noch nichts in der Stadt, damit Falcon nicht gewarnt wird, denn die Depeschen von daher fangen die Blauen alle auf.«

»Caramba!« rief Sennora Corona erstaunt aus, »ja, dann steht es freilich schlecht mit der Regierung, und Sennor Falcon wird wohl die längste Zeit regiert haben. Nun, mir ist's gewiß recht; wenn sich die Godos nur auch der gestellten Aufgabe gewachsen zeigen.«

»Aber die Godos allein haben mit der Regierung gar nichts zu tun,« bemerkte Sennora Paez, eine andere Dame – »das Parteiwort ist ›die Union‹, die Godos in Verbindung mit den Liberalen, um nur dies Plünderungssystem zu brechen, das jetzt im Lande ausgeübt wird. Denken Sie nur, mein Mann hat schon seit drei Monaten eine Anweisung auf die Douane für fünfzehnhundert Pesos, und glauben Sie, daß sie ihm ausgezahlt wird? – Gott bewahre. Fünfzig Prozent haben ihm die Schufte da unten geboten, dann wollen sie ihm das Geld geben, und das andere stecken sie natürlich in die Tasche.«

»Nun natürlich,« meinte Sennora Hierra, »wenn der Präsident stiehlt, weshalb sollen sich die unteren Beamten einen Maulkorb vorbinden? Ich verdenk's ihnen gar nicht; aber daß das nicht länger so fortgehen kann, sieht ein Kind ein.«

»Aber die Revolution hat da unten im Süden keinen Kopf,« sagte Sennora Corona; »die Hauptführer sind alle in Barcelona, und ohne Haupt können sie nichts ausrichten.«

»Andres Alvarado steht an der Spitze der dortigen Reconquistadoren,« erwiderte Sennora Hierra, nicht wenig stolz auf ihre genaue Kenntnis der dortigen Verhältnisse, »und Adolfo Garcia befehligt die Streifkorps, die jetzt gerade zusammengezogen werden sollen.«

»Caramba – Alvarado, der Indianer?« rief Sennora Corona: »was versteht ein Indianer von der Kriegführung?«

»Entschuldigen Sie Sennora,« entgegnete die Dame Hierra, die selber ein wenig indianisches Blut in ihren Adern hatte, während ihr eigener Mann fast der vollen Rasse angehörte – jedenfalls Mestize war – »unter den Indianern finden Sie außerordentlich tüchtige Leute, und die Zeit ist vielleicht gar nicht so fern, wo gerade die Indianer die Stellung im Lande wieder einnehmen werden, aus der sie nur für eine Zeitlang durch die Schwärme der Eroberer verdrängt wurden. Glauben Sie mir, daß gerade diese Hoffnung eine Menge von wackeren Kräften unter die Fahne der Reconquistadoren versammelt hat, und wenn es einmal zum Kampfe kommt, werden Sie sie in den ersten Reihen finden.«

»O, daran zweifle ich sicher nicht, Sennora,« antwortete die alte Dame, die an die Abstammung von Sennor Hierra in dem Augenblick gar nicht gedacht hatte und wohl merkte, daß sie da eine wunde Stelle berührte. »Die Indianer sind jedenfalls eine tapfere Nation, und ich will recht von Herzen wünschen, daß sie ihren Zweck erreichen. Sie wären auch wahrscheinlich in mancher Hinsicht vorteilhafter zu verwenden, denn unter der weißen Rasse haben wir da schon bittere Erfahrungen.«

Sie horchte auf, denn draußen wurde an die Tür geklopft, und sie hörte, wie einer der Diener hinging, um zu öffnen – kam noch ein neuer Besuch? – Sie wäre so gern den alten losgewesen, und jetzt wurde sie hier noch immer länger zurückgehalten, wo ihr der Boden schon anfing, unter den Füßen zu brennen. – Sie hatte so viel zu tun.

Gleich darauf meldete der Diener Sennor Oleaga, Minister der Justiz und des Innern, und die Damen fuhren bestürzt von ihren Sitzen empor, denn was hatte gerade der Minister hier zu tun, wo sie sich noch inmitten des revolutionärsten Gespräches befanden. Selbst Sennora Corona war überrascht, rief aber auch gleich darauf mit ihrer tiefen, sonoren Stimme nach außen zu:

»Entre Vd. Señor – entre, Caramba, Sie wollen doch nicht draußen vor der Tür stehen bleiben?«

Sennor Oleaga betrat das Gemach. Es war eine hohe, vornehme Gestalt im schwarzen Frack und weißer Halsbinde, den schwarzen, kleinen Schnurrbart leicht gekraust und ein ewiges Lächeln auf den glatten Zügen.

»Sennoritas, ich würde unendlich bedauern, wenn ich glauben müßte, gestört zu haben.«

»Caramba, Sennor, machen Sie keine Umstände,« rief die Sennora vom Haus, jede weitere Antwort abschneidend. – »Sie sind uns allen willkommen. Nehmen Sie sich einen Stuhl und setzen Sie sich, und dann erzählen Sie uns, was Sie zu mir führt, denn Geheimnisse haben wir ja doch wohl nicht miteinander?«

»Geheimnisse? Nein,« erwiderte der Sennor, der durch die unzeremoniöse Anrede der Dame doch ein wenig außer Fassung gekommen war und den Blick dabei im Kreis umherschweifen ließ. Er schien noch nicht recht zu wissen, wo er sich eigentlich befand. Die Anwesenheit der Sennora Hierra, die er genau kannte, ließ ihm zwar über den Charakter der Gesellschaft kaum noch einen Zweifel; die Aufforderung der Dame vom Hause war aber so bestimmt gewesen, sie mußte am besten wissen, was sie zu tun hatte; ein Geheimnis konnte die Sache außerdem nicht bleiben, und so, förmlich gezwungen, einmal in seinem Leben gerade herauszureden und die Wahrheit zu sagen, fuhr er fort: »Eigentlich sollte ein anderer Bote mit dem ehrenvollen Auftrag bedacht werden, da ich mir aber das Vergnügen nicht versagen wollte, der Träger einer außergewöhnlichen Auszeichnung zu sein, die Ihnen Se. Exzellenz, unser großmütiger Präsident Falcon, zugedacht, so habe ich dies freudige Amt selber übernommen und überreiche Ihnen hiermit im Namen Sr. Exzellenz, in Anerkennung Ihrer loyalen Gesinnungen und früherer, dem Präsidenten selber und persönlich geleisteter Dienste das Diplom als Generala erster Klasse mit einem monatlichen Gehalt von dreihundert Pesos ohne Abzug.«

»Als General!« rief Sennora Corona, bald das große Kuvert, das er ihr entgegenhielt, bald den Mann selber erstaunt betrachtend, und die übrigen Damen saßen dabei, als ob sie aus Stein gehauen wären.

»Als Generala,« wiederholte aber der Minister mit seinem freundlichsten und wohlwollendsten Lächeln, »eine Auszeichnung, die Sie nur noch mit zwei anderen Damen Venezuelas, vielleicht des ganzen Kontinents teilen, und die gerade durch ihre Seltenheit um so viel wertvoller wird.«

»Aber ich begreife noch immer nicht,« stammelte die Dame.

»Bitte, lesen Sie nur das Dokument,« bat aber der Höfliche, »Sie bekleiden von jetzt ab Generalsrang im Staate. Die Auszeichnung liegt gleich dabei, die Soldaten müssen vor derselben ins Gewehr treten, und das monatliche Gehalt wird Ihnen an jedem Ersten regelmäßig ausgezahlt.«

Sennora Corona, sonst gar nicht so leicht außer Fassung gebracht, war doch durch das Neue dieser Situation und die Verleihung einer Würde, von der sie bisher auch noch nicht die entfernteste Ahnung gehabt, wirklich überrascht worden; aber das dauerte nicht lange. Sie riß das Kuvert auf und der erste Ausruf, der ihr entfuhr, als ihr eine Medaille darin entgegenblickte, war allerdings: »Caramba!« – Aber sie faßte sich rasch, und selbst noch, während sie das Schreiben, kaum den Sinn verstehend, durchlas, wanderten ihre Gedanken zu dem Kreis zurück, in dem sie sich befand, und ob es nicht doch am Ende besser gewesen wäre, gerade diesen Brief privatim entgegengenommen zu haben. Das aber war einmal geschehen, und sie selber auch bald entschlossen, wie sie handeln müsse.

»Mein lieber Herr,« sagte sie, indem sie das Papier wieder zusammenfaltete, »Se. Exzellenz legt viel zu großen Wert auf eine Handlung, die fast ebensosehr der Menschlichkeit als seiner Person galt, aber es gefällt mir von ihm. Es zeigt, daß er ein dankbares Gemüt hat, und ich bitte Sie, ihm in meinem Namen einen herzlichen Dank für die Ehre auszusprechen.«

»Ich werde nicht ermangeln. Also Sie nehmen es an?«

»Ich? – Nun gewiß – aber, Caramba! Was mir noch einfällt: Uniform brauche ich doch hoffentlich nicht zu tragen?«

Der Hofmann sah sie ganz verdutzt an, jetzt aber hielten sich die übrigen Damen auch nicht länger, denn schon das Unter-das-Gewehr-treten und die Medaille war ihnen komisch vorgekommen. Dem Fasse wurde aber der Boden ausgestoßen, als Sennora Corona, mit ihrem gewöhnlichen Caramba fragte, ob sie auch Uniform tragen müsse, und wie sie sich das Bild nur oberflächlich ausmalten, da brach der Damm und sie platzten gerade heraus. Oleaga selber versuchte natürlich ernsthaft zu bleiben, denn der Scherz vertrug sich nicht mit der ganzen Botschaft – aber es ging nicht. Er nahm die Unterlippe zwischen die Zähne; vergebens. Erst lächelte er, aber die Augen wurden ihm immer größer; er brachte kein Wort der Erwiderung über die Lippen, bis er sich auch nicht länger helfen konnte. Er lachte wirklich – aber nur ganz kurz, und hielt dann augenblicklich wieder, wie erschreckt inne, denn er durfte seiner Stellung nichts vergeben.

»Nein, das ist zu göttlich!« – rief Sennora Paez – überdies eine muntere und sehr lebhafte Frau –, »wenn ich mir unsere Corona in Uniform, das gelbe Band um die Mütze, den Schleppsäbel an der Seite denke – hahahaha.«

»Und wenn die Soldaten präsentieren, muß sie wieder grüßen,« rief Sennora Hierra, – »kostbar, dann geh' ich den ganzen Tag mit ihr spazieren und an allen Wachen vorbei, – hahahaha!«

»Muß sie denn auch eine kurze Jacke tragen?« fragte jetzt eine kleine, etwas runde Dame aus der Nachbarschaft, die noch gar nicht gelacht und sich nur im Geist, und wirklich entsetzt, die Figur ausgemalt hatte, und jetzt ging das Gelächter von neuem los, in das nun auch Sennor Oleaga mit einstimmte, denn der Gedanke war wirklich zu komisch.

»Aber, Sennoritas,« rief er endlich, sich gewaltsam zusammennehmend, denn er durfte sich ja bei seiner Sendung keine solche Blöße geben, – »wo denken Sie nur hin? Es wird doch wahrhaftig von keiner Dame verlangt werden, Uniform zu tragen. Es ist ja nur eine Auszeichnung, die ihr zugedacht wurde, ohne ihr dadurch die geringste Pflicht aufzuerlegen. Der Staat rechnet dabei nicht auf die Dienste, sondern nur auf die guten Wünsche und freundlichen Gesinnungen der Sennora, und in diesem Sinne bitte ich das Geschenk aufzunehmen. Aber Sie entschuldigen mich, meine Damen, – meine Zeit ist gemessen, und ich muß mir erlauben, mich Ihnen gehorsamst zu empfehlen. Sennora, ich habe die Ehre, mich Ihnen zu Füßen zu legen,« – und mit einer allgemeinen Verbeugung, der sich eine tiefere gegen die Dame des Hauses anschloß, verließ Sennor Oleaga das Zimmer und gleich darauf das Haus.

Isabel war ebenfalls mit gegenwärtig gewesen, aber sie hatte keine Silbe gesprochen, noch weniger in das Lachen der übrigen mit eingestimmt. Ein merkwürdiger Ernst lag auf dem Antlitz des schönen Mädchens, und einmal war es sogar, als ob sich ein Zug von Bitterkeit und Zorn um ihre Lippen legte. Wenn so, verschwand er aber bald wieder und ließ nur dem früheren Ernst Raum, und als Sennor Oleaga das Zimmer verlassen hatte, entfernte sie sich ebenfalls, ohne daß ihr Fortgehen von den übrigen bemerkt worden wäre.

Die Damen hatten übrigens jetzt auch anderes zu tun, als auf das junge Mädchen zu achten, denn selbst das Komische der Situation war im Nu vergessen, und man fing an, die Sache von der anderen Seite zu betrachten: Was hatte diese ganz außergewöhnliche Auszeichnung einer Frau, die, soviel man wußte, vollständig auf seiten der Revolution stand, zu bedeuten? War sie für die andere Partei gewonnen oder sollte das erst dadurch bezweckt werden – und beides ließ sich denken, denn der eigene Vorteil leitete ja doch nur zu häufig die Politik des Landes.

Sennora Hierra gab diesen Gedanken zuerst Worte:

»Was in aller Welt hat das zu bedeuten, Amiga?« rief sie, die Hände zusammenschlagend, aus. »Verkehren Sie denn mit diesem Falcon, daß er Ihnen so auf einmal einen Generals-Rang an den Hals wirft? General, eine Frau; es ist noch gar nicht dagewesen und wird großen Eindruck machen. Sie werden jetzt etwa der zweitausendste sein.«

»Verkehren? Ich?« erwiderte Senora Corona, die Lippe emporwerfend, »was hätte ich mit Falcon zu verkehren? Es ist die alte Geschichte von damals, ein etwas sonderbares Zeichen von Dankbarkeit für einen geleisteten Dienst, die außerdem ein wenig spät kommt, denn bei mir hatte Falcon bis jetzt seinen Beinamen: ›Der Großmütige‹ noch nicht bewährt.«

»Nein, das ist mehr als das!« rief aber Sennora Hierra lebhaft aus, »wenn Sie nicht mit ihm verkehren, so hat das auch einen anderen Grund, denn Falcon ist klug genug. Umsonst hat er nicht diese Unmasse von Generalen geschaffen; die Städte wimmeln ja von ihnen, und kein Steuerbeamter, kein Polizeidiener fast läuft in den verschiedenen Orten herum, der nicht den Generalsrang hätte. Aber was bezweckt er damit? – Nur sich einen festen Anhang in der Bevölkerung zu sichern, nur um Leute aller Art zu haben, die zu ihm stehen, weil sie von ihm bezahlt werden oder doch von ihm bezahlt zu werden hoffen, denn bekommen tun die wenigsten etwas.«

»Das ist richtig,« meinte Sennora Paez, »überall, wo er glaubt, daß irgend ein Mann Einfluß auf seine Umgebung besaß, und wenn es ein erbärmlicher Neger war, der nur unter der niedrigsten Volksklasse seine Freunde hatte, wurde er gleich zum General gemacht.«

»Der Zollschreiber unten in La Guayra,« sagte die andere Dame, »hat ebenfalls den Rang bekommen, nur weil sein Bruder eine große Pulperia hält und viele Menschen dort verkehren und politisieren. O, der ist schlau, das kann ich Ihnen sagen.«

»Jawohl,« bestätigte Sennora Hierra, »und das ist auch die Ursache, weshalb Sie zum General befördert wurden – General; es klingt zu lächerlich. Falcon hat seine Spione ja überall – der weiß recht gut, welche politische Farbe hier in Ihren Kreisen vertreten ist, und daß ihm das nicht gleichgültig sein kann, versteht sich von selbst. Jetzt hat er einen Haken ausgeworfen, und noch dazu mit einem recht hübschen Bissen daran, dreihundert Pesos monatliches Gehalt, und angebissen haben Sie schon.«

»Ja,« erwiderte lachend Sennora Corona, auf das Gleichnis eingehend, »die Lockspeise hab' ich genommen, aber den Haken nicht – kluge Fische sind nicht so leicht zu fangen, und er wird noch oft frischen Köder aufstecken müssen, ehe er mich zu seiner Partei hinüberziehen kann.«

Die Damen waren unruhig geworden und fingen an, nach ihren Hüten zu suchen. Natürlich! Die Neuigkeit brannte ihnen auf der Zunge, und sie konnten die Zeit nicht erwarten, um sie unter günstigen Verhältnissen los zu werden. Die Sennora Caramba General geworden – es war zu kostbar und mußte so rasch als möglich verwertet werden.

»Und Sie wollen schon fort?«

»Ach, liebe Corona, ich habe zu Hause so viel zu tun – mein ältestes Mädchen hustete, als ich fort ging – das Kind ist immer so zart; man darf es kaum aus den Augen lassen.«

»Und mein Mann klagt auch über Halsschmerzen – es ist ein wahrer Jammer, was man in jetziger Zeit mit den Männern für Not hat.«

»Und ich habe in Gedanken die Schlüssel zu der Speisekammer eingesteckt. Wenn »Meiner« jetzt nach Hause kommt, kann er nicht einmal etwas zu essen haben, und die Sitzung muß bald aus sein.«

»Auf Wiedersehen, liebe Freundin.«

»Morgen fragen wir einmal wieder vor, wie Sie in Ihrer neuen Würde geschlafen haben –«

»Jawohl, und ob Sie nicht durch die Epauletten geniert wurden – hahaha!«

»Aber wo ist denn Isabel geblieben? – Sie war doch vorhin hier.«

»Ich weiß es nicht, ich habe sie nicht hinausgehen sehen.«

»Also auf Wiedersehen, beste Freundin, auf Wiedersehen,« und die kleine Gesellschaft brach gemeinschaftlich auf, zerstreute sich aber schon vor der Haustür nach allen Seiten. – Keine nötigte auch die andere, mit ihr zu gehen, denn jede hatte ihre besonderen Wege, und keine von allen schlug, trotz der vorgeschützten dringenden Geschäfte, trotz Husten des Kindes, Halsschmerzen des Mannes oder eingesteckten Speisekammerschlüssels, den nächsten Weg nach Hause ein.

Die Folge davon blieb nicht aus. Noch an dem nämlichen Abend gab es kein einziges Haus in ganz Caracas – die ärmlichste Negerwohnung eingerechnet –, wo nicht das Tagesereignis besprochen worden wäre, und das Thema drehte sich überall um die Worte:

»Sennora Caramba ist General geworden.«

Sennora Corona blieb indessen, als ihre »Freundinnen« Abschied von ihr genommen, noch in tiefes Nachdenken versunken im Zimmer stehen.

»Ob sich denn das nicht auch auf eine andere, bessere Weise hätte bewerkstelligen lassen?« sprach sie leise vor sich hin – »aber dann freilich,« setzte sie mit einem verächtlichen Zug um den Mund hinzu – »hätte der Staat nicht die Zahlungspflicht zu übernehmen brauchen, sondern Falcon selber in die Tasche greifen müssen. Wo warst du, Isabel?« fuhr sie empor, als das junge Mädchen plötzlich das Zimmer wieder betrat und ihren gewohnten Platz am Fenster einnehmen wollte.

»Wo ich war – auf meiner Stube. Weshalb?«

»Du hast doch noch gehört, was mir Oleaga gebracht hat?«

»Ja.«

»Und was hältst du davon?«

»Ich begreife Falcon nicht –«

»Ich begreife ihn recht gut,« erwiderte die alte Dame – »aber ein so auffallender Schritt –«

»Sagen Sie lieber, ein so lächerlicher. Die Stadt wird sich herrlich darüber amüsieren.«

»Bah, was mich das kümmert,« erwiderte achselzuckend die Sennora, »acht Tage sprechen sie davon, dann denkt kein Mensch weiter daran, und daß die Woche recht bald anfängt, dafür werden die Hierra, Paez und die anderen sorgen, denn sie brannten darauf, hier fort und zu ihren Freundinnen zu kommen. Aber ich muß augenblicklich an Falcon schreiben – um ihm für die Ehre zu danken, versteht sich – das kann nicht auffallen. Ist Juan draußen?«

»Er sattelt gerade mein Pferd.«

»Du willst ausreiten? Allein?«

»Und warum nicht? Mir tut der Kopf so weh.«

Die Sennora war, ohne selbst die Antwort abzuwarten, an ihren Schreibtisch getreten und hatte rasch ein paar Zeilen auf einen großen Bogen geworfen – den Dank für die Auszeichnung, der aber außerordentlich kurz und bündig auszufallen schien. Mehr Fleiß dagegen verwandte sie auf ein kleines Blatt, das sie dem Brief einschloß und auf das sie, eng aneinander gedrückt, Zeile auf Zeile schrieb. Das Blatt schloß sie in den Brief ein, siegelte ihn und klingelte dann dem Burschen.

Dieser kam eben über den Hofraum, als es wieder an das Tor klopfte, und wie er zuerst dorthin ging und öffnete, stand ein junger Mann draußen und verlangte die Damen zu spreche».

»Ihr Name, Sennor?«

»Ein alter Bekannter – melde mich nur so an, weiter nichts.«

Der Bursche gehorchte, und gleich darauf steckte Sennora Corona den Kopf selber aus der Tür und schien etwas betreten, als sie den Besuch erkannte, aber sie konnte sich jetzt nicht mehr verleugnen, und mit einem nicht gerade freiwilligen Lächeln rief sie:

»Ah, Sennor Gonzales! entra – entra – Isabel! Da ist José wieder, von dem wir schon glaubten, daß er nach dem Kontinent hinüber wäre – und wo haben Sie die ganze Zeit gesteckt, Sennor?«

»Auf dem Lande, Sennora – aber ich freue mich herzlich, Sie wieder begrüßen zu können, und Sie, Sennorita, wie blühend Sie aussehen – Sie wissen nicht, wie glücklich es mich macht, Sie so wohl zu finden.«

Isabel hatte den ganzen Tag über eine etwas bleiche leidende Gesichtsfarbe gehabt, jetzt stand sie vor dem jungen Freund wie mit Purpur übergossen, und ihm die Hand entgegenstreckend, sagte sie herzlich:

»Es freut mich, Sie wiederzusehen, Sennor – wir haben Sie in unserer kleinen Abendgesellschaft oft vermißt.«

»Wenn ich das wirklich glauben dürfte, Sennorita,« erwiderte José, und seine Augen hefteten sich fest auf die reizenden Züge des jungen Mädchens – »aber das ist wohl nur eine jener tausend freundlichen Redensarten, an denen unsere Sprache so reich sein soll.«

»Ich habe die Wahrheit gesprochen – aber setzen Sie sich.«

»Ich sehe, Sie sind im Begriff auszureiten –«

»Das eilt ja nicht: das Pferd mag warten – ich glaube, daß meine Mutier den Burschen eben fortgeschickt hat. Bis er zurückkehrt, habe ich Zeit – aber wo waren Sie?«

Die alte Dame hatte allerdings den Burschen Juan draußen an der Tür mit dem Brief, wobei sie ihm einiges zuflüsterte, abgefertigt. Jetzt kehrte sie zu den beiden jungen Leuten zurück.

»Nun, Sennor, wo haben Sie gesteckt? Caramba, in der Stadt gingen schon die tollsten Gerüchte über Sie, und wir erwarteten nichts Geringeres, als Sie in nächster Zeit an der Spitze eines blauen Regiments gegen Caracas marschieren zu sehen.«

»An der Spitze wohl nicht, Sennora,« entgegnete lächelnd der junge Mann, »aber Capitano bin ich allerdings geworden. – Sehen Sie hier meine Kokarde?«

»Bei den Blauen?« rief die Dame rasch und erwartete mit Spannung die Antwort des jungen Mannes.

»Glauben Sie, daß ich mich bei den Gelben anwerben lassen werde?«

»Aber haben Sie denn wirklich schon ein organisiertes Heer? Wie uns erzählt wurde, desertieren Ihnen die Leute, sobald sie gepreßt und eingesteckt worden sind.«

»Wenn die Regierung das noch glaubt, desto besser, aber ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß das ganze Land auf unserer Seite steht und wir mehr Soldaten haben, als wir brauchen – wenigstens mehr bekommen können.«

»Aber Calabozo soll sich für Falcon erklärt haben?«

»Calabozo,« rief José, »ist durch und durch blau, und von dort her erwarten wir unseren stärksten Zuzug.«

»Aber setzen Sie sich nicht einer großen und ganz unnötigen Gefahr aus,« fragte Isabel, die dem Gespräch mit einem peinlichen Ausdruck in den Zügen gefolgt war – »wenn Sie die blaue Kokarde hier in Caracas fast offen und nur von dem dünnen Hutband bedeckt tragen? – Wenn das sich nun verschiebt – wenn Sie jemand verrät. Man wird Sie für einen Spion halten und die militärischen Gesetze sind entsetzlich streng – ja grausam.«

»Fürchten Sie nichts für mich, Sennorita!« antwortete José freundlich, »ich hüte mich schon, und übrigens ist meine Zeit in Caracas auch gemessen. Nur einige Freunde wollte ich hier wiedersehen – nur Sie einmal wieder begrüßen,« setzte er leiser hinzu –, »und dann ruft mich die Pflicht wieder in das Land zurück. Der Ausbruch muß bald erfolgen.«

»Also doch – nun, dann kann sich Falcon auch nicht lange mehr halten, wenn er nicht beizeiten Vorsichtsmaßregeln trifft.«

»Und ich glaube selbst, die nutzen ihm nichts mehr – die Stimmung gegen ihn ist allgemein, und wahrlich, sie hat recht. O, Sie hätten die Hütten der armen, unglücklichen Menschen sehen sollen, Isabel, in deren Nähe das gelbe Gesindel gehaust hat; es war ein Jammer! Die letzte Kuh ist ihnen nicht gestohlen, nein, offen fortgetrieben, der letzte Esel, auf dem sie sich Wasser holen mußten. – Die kleinen Zuckerfelder sind zerstört, und das wenige Hausgerät, was die Hütten bergen – und Gott weiß, es ist wenig genug – teils zerschlagen, teils geraubt. Und natürlich! Die Soldaten selber bekommen keine Löhnung, selbst die Offiziere nur in seltenen Fällen und beide sind einzig und allein auf Plünderung angewiesen.«

»Über das viele Geld, das von La Guayra heraufgekommen,« sagte Isabel mit zitternder Stimme – »es war doch alles für das Militär bestimmt?«

»Ja, das glaub' ich,« erwiderte bitter José, »das Militär hat es auch wohl bekommen, das heißt die Tausende von Generalen, die jener Bursche, der noch immer zur Schmach des Landes Präsident ist, ernannt hat, aber die Soldaten nichts – und was hat Falcon selber wieder auf dem letzten Dampfer fortgeschafft. Den Großmütigen nennen ihn seine Kreaturen, und im Lande selber heißt er der »Blutsauger«.

»Aber wieviel Mann haben die Blauen jetzt wohl unter Waffen?« fragte die alte Dame, die sich weit mehr für die Details, als das interessierte, was man im Lande von Falcon hielt.

»Noch nicht sehr viel,« lautete die Antwort, »weil wir die Leute noch nicht brauchen und die Distrikte nicht auch verwüsten wollen wie die Gelben. Doch nur das Zeichen erwarten sie, und ich bin überzeugt, daß wir dann auf achttausend schlagfertige Männer zählen dürfen,«

»Bah!« rief spöttisch die alte Dame, »achttausend – wenn Sie achthundert zusammenbringen, will ich's loben. Falcon hat noch viele Anhänger im Lande – mehr als man gewöhnlich glaubt, und ich fürchte, daß die ganze Sache fehlschlagen wird.«

»Seien Sie unbesorgt, Sennora. Hier selbst in Caracas ist die Partei der Reconquistadoren besonders tätig, und selbst im Palast haben wir unsere Spione.«

»Im Palast?« rief die alte Dame aus – »das ist nicht möglich!«

»Und in der allernächsten Nähe des Präsidenten,« meinte der junge Mann.

»Sie haben sich etwas aufbinden lassen, Sennor,« sagte kopfschüttelnd die alte Dame, »gerade die Männer hat sich Falcon zu viel zu großem Dank verpflichtet, und ich fürchte, Ihre Freunde lassen sich da durch falsche Nachrichten täuschen und zu unüberlegten Schritten verleiten.«

»Entschuldigen Sie, Sennora,« erwiderte José, »ich kann Ihnen allerdings nichts Bestimmtes mitteilen, weil ich der Sache zu fern stehe, und hier oder vielmehr in Victoria – nur Andeutungen gehört habe; aber ein fester Plan scheint entworfen zu sein, und gelingt er, so ist die ganze Revolution im Nu fertig, und Hunderte, vielleicht Tausende von Menschenleben werden geschont.«

»Und der Plan ist?«

»Falcon selber gefangen zu nehmen.«

»Caramba! Das ist keck – und welchen Zweck verbinden die Herren damit?«

»Vor allen Dingen, wie ich glaube, den,« versetzte José, »die zahllosen politischen Gefangenen zu befreien, die jetzt in den Kerkern schmachten, und dann auch Falcon zur Abdankung zu zwingen. Die Reconquistadoren sind keine Freunde von Blutvergießen. Doch, wie gesagt, Genaueres weiß ich selber nicht über die Sache, da ich nicht zu den Eingeweihten gehöre.«

»Und gibt es deren in Caracas?«

»Jedenfalls, aber ihre Namen wurden mir in Victoria nicht genannt.«

»Lieber junger Freund,« sagte die alte Dame ruhig, »das klingt alles sehr romantisch, und ihr jungen Hitzköpfe habt euch das untereinander sehr hübsch ausgedacht. Es ist aber kein Kinderspiel, den Löwen in seiner eigenen Höhle anzugreifen, und einige werden sich wohl daran die Finger verbrennen.«

»Wenn es nur die Rechten trifft, Sennora. Der ganze Plan scheint mir aber von allen Seiten zu gut unterstützt, und mit der Hilfe im Palais –«

»Und wer ist das?«

José schwieg – die alte Dame hatte so rasch gefragt und sah ihn dabei so schroff und forschend an – es war ja auch eine Frau – konnte sie schweigen und entfuhr ihr nicht doch vielleicht einmal unversehens ein Wort gegen eine andere Freundin?

»Trauen Sie mir nicht, Sennor,« fuhr aber die Dame fort, als sie sah, daß er mit der Antwort zögerte – »ich dächte doch, ich hätte bewiesen, daß ich es gut mit der Sache meine – und werde es noch mehr beweisen,« fügte sie hinzu, »wo gerade jetzt Falcon selber den Versuch gemacht hat, mich für seine Partei durch Bestechung zu gewinnen.«

»Hat er das in der Tat getan? Durch Versprechungen natürlich, denn das ist so ziemlich alles, was er hergibt.«

»Nicht durch Versprechungen nur, sondern durch ein monatliches Gehalt von dreihundert Pesos und einen Rang ohne Auszeichnung.«

»Sie haben es doch natürlich zurückgewiesen?«

»Daß ich eine Törin wäre. Es ist das die einzige Art, wieder etwas von dem Raub aus ihm herauszubekommen, und ich kann das Geld – wenn er es mir auch zu einem anderen Zweck gibt – recht gut zum Besten der Revolution verwenden. Geld brauchen die Blauen sowohl wie die Gelben – aber – mir liegt daran, zu wissen, wen sie in der Wohnung des Präsidenten haben; es ist sogar möglich, daß ich ihm nützen kann, und ich muß eingeweiht werden, wenn ich Hand in Hand mit ihnen gehen soll. Daß ich aber nicht ohne Einfluß in Caracas bin – ich dächte, ich hätte Ihnen das schon bewiesen.«

»Und versprechen Sie mir den Namen geheim zu halten? – Eigentlich weiß ich nicht einmal den Namen, sondern nur den Stand.«

»Bin ich denn so schwatzhaft, daß Sie meine Unvorsichtigkeit fürchten?« rief die Dame halb beleidigt.

»Und halten auch Sie es für nötig oder zweckmäßig, Sennorita, daß ich Ihnen die Person nenne?« fragte José.

»Ich bitte Sie darum,« sagte das junge Mädchen, und ihr Antlitz war dabei so bleich geworden, daß es selbst José auffiel. Weshalb in aller Welt lag den beiden Frauen so daran, bei der Verschwörung beteiligt zu sein? Und war das mehr als bloße Neugierde? Kaum wohl. José lächelte still vor sich hin, aber trotzdem war ein, wenn auch nicht ganz bestimmtes Mißtrauen in sein Herz eingezogen.

»Bueno,« rief er – »wenn Sie es denn durchaus wissen wollen – aber natürlich muß die Sache sehr geheim bleiben. Es ist Falcons Koch.«

»Caramba,« rief die alte Dame – »der Mulatte?«

»Ja, ich kenne ihn gar nicht, und das nur wurde mir gesagt.«

»Und soll der Plan schon in der nächsten Zeit zur Ausführung kommen?«

»Auch das kann ich Ihnen nicht sagen, aber wahrscheinlich bleibt es, daß die Verschworenen nur eine günstige Gelegenheit abwarten, um danach zu handeln. Bestimmen läßt sich ja in einer solchen Sache nichts.«

Draußen kam Juan zurück und fragte in der Tür, ob er das Pferd vorführen solle.

»Hast du den Brief richtig besorgt, Muchacho?«

»Alles in Ordnung, Sennora.«

»War er zu Hause?«

»Ja.«

»Ich werde draußen aufsteigen,« sagte Isabel – »laß es im Hof. Sennor, Sie entschuldigen mich – ich habe versprochen, eine Freundin abzurufen.«

Isabels Mutter war hinausgegangen, um noch einige Fragen an Juan zu richten.

»Isabel,« fragte José leise, aber herzlich – »ist es denn nicht möglich, Sie nur einmal auf eine kleine Viertelstunde allein zu sprechen. Ich habe Ihnen so vieles – so wichtiges zu sagen.«

»Über Politik?« meinte lächelnd Isabel – aber das Lächeln war erzwungen.

»Nein, wahrhaftig nicht,« beteuerte José, »dieser unglückselige Zwiespalt in unserem schönen Lande wird bald beseitigt sein, aber mich ruft schon in der allernächsten Zeit – vielleicht zu bald – die Pflicht von hier ab. Lassen Sie mich mit frohem Herzen zu ihr zurückkehren.«

»Ich verstehe Sie nicht –«

»Sie haben mich verstanden, als ich das letztenmal mit Ihnen sprach. – Sie waren damals so lieb – so gut –«

»Und jetzt?«

»Ich weiß es nicht – Sie kommen mir verändert vor – recht verändert, und wie ich Sie genauer ansehe, liegt solch ein trüber Zug um Ihre Lippen, daß es mir selber das Herz im tiefsten Innern ergreift. Sind Sie nicht glücklich, Isabel?«

»Ein andermal, lieber Freund – ein andermal,« wich Isabel aus. »Da kommt meine Mutter wieder. Vielleicht treffen Sie mich morgen früh. – Es – sollte mich recht freuen. Sie wieder zu sehen, und dann müssen Sie mir auch viel erzählen – ich bin so neugierig.«

Und ohne ihm weiter Zeit zu geben, noch ein Wort an sie zu richten, trat sie hinaus in den Hof, sprang leicht, von einem hingeschobenen Stuhl aus, in den Sattel, grüßte noch einmal freundlich zurück und trabte dann zu der schon geöffneten Hoftür hinaus auf die Straße.

Als sie sich noch einmal umschaute, sah sie, daß José ebenfalls das Haus verlassen hatte und ihr vor der Tür desselben aus nachsah, solange er mit den Blicken folgen konnte.



 << zurück weiter >>