Friedrich Gerstäcker
Die Blauen und Gelben
Friedrich Gerstäcker

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Die Schlacht bei Chacao.

Die Bewohner von Caracas hatten die letzte Zeit in einer recht trüben Stimmung verlebt, denn sie konnten es sich nicht verhehlen, daß dieser unnatürliche Zustand, mit zwei feindlichen Armeen in Waffen, und doch angeblich in Frieden, nicht lange dauern werde, sondern zuletzt ein gewaltsames Ende nehmen müsse. Dadurch aber, daß Rojas einen Vertrag mit Bruzual abschloß, spaltete er die Revolutionspartei in zwei Teile, und was man jetzt befürchtete, war, daß sich die Reconquistadoren des Westens unter Rojas passiv verhalten würden, während Monagas nicht genug Mannschaft besaß, um allein den Kampf bis in die Straßen von Caracas zu tragen. So lange aber dieses Provisorium und damit die Ungewißheit und Unsicherheit in der Stadt und im ganzen Lande dauerte, war auch natürlich an keine Ruhe, an kein Vertrauen zu denken. Viel weniger erschreckend als komisch wirkte indessen ein letzter Erlaß Falcons, worin der weggelaufene Präsident in aller Form gegen alles protestierte und sich den Präsidentenstuhl von Caracas vorbehielt.

Daß Falcon nie wieder zurückkehrte, davor war man sicher, aber man sah auch kein Ende des jetzigen Provisoriums, und der Zustand der Stadt, die sich fast schlimmer als in einer Belagerung befand, wurde von Tag zu Tage drückender.

Da kam die Nachricht, daß sich das westliche Heer von Rojas losgesagt habe und zu Monagas übergegangen wäre. Die letzten Truppen der Blauen, die noch, vollkommen nutzlos, in den Vorstädten gelegen hatten, verschwanden nun daraus und eilten nach Petare, um sich Monagas zur Verfügung zu stellen. Die von Las Ajuntas und Los Teques wie alle in der Nachbarschaft zerstreuten Korps stießen ebenfalls zu ihm, so daß er jetzt plötzlich ein Heer von mindestens fünftausend Mann befehligte, während Bruzual kaum siebzehnhundert Mann aufstellen konnte, und selbst diese noch fast jeden Tag durch Desertionen geschwächt sah.

Bruzual mußte, von dem Augenblick an, wo er die Nachricht von der Vereinigung der Reconquistadoren erhielt, wissen, daß er sich nicht halten konnte, aber – es ist so süß Präsident zu sein, und was blieb ihm überhaupt für eine Wahl? Dankte er ab, so verstand es sich von selber, daß seine Rolle in Venezuela ausgespielt war; hielt er sich aber, so gab es doch immer noch die eine Hoffnung, daß er, mit seinen gut bewaffneten Leuten, in dem verschanzten Caracas dem Feind eine empfindliche Niederlage beibringen konnte, und welche Änderung hatte nicht vielleicht ein einziger Sieg zur Folge.

Hartnäckig von Natur, entschloß er sich auch, in seiner Stellung zu verharren und Monagas trotzig die Stirn zu bieten.

Die Stadt jubelte über die Vereinigung der Reconquistadoren, und Bruzual wurde in seinem Haß gegen die rebellischen Bewohner zum äußersten getrieben. Er legte Zwangsanleihen auf und nannte sie nicht einmal mehr Anleihen, denn er wußte vorher, daß er sie nie zurückbezahlen würde. Vorzugsweise wurden auch die Geschäfte damit bedacht, deren revolutionären Charakter er kannte oder zu kennen glaubte, wie zum Beispiel Gonzales, Hierra und manche andere. Aber zuletzt schonte er auch nicht einmal mehr die stets treugebliebenen Anhänger Falcons. Es mußte Geld herbeigeschafft werden und – sei es auch nur, um Reisegeld für die Generale zu bekommen.

Die Soldaten durften tun, was sie wollten. Sie brachen die Läden der Leute auf, die mit Lebensmitteln und Spirituosen handelten, nahmen Waffen, Sättel, ja selbst Tiere weg, wo sie dieselben bekommen konnten, und fingen schon an, nicht einmal mehr die Fremden zu respektieren. Die nächste Regierung mochte dann zusehen, wie sie mit den Ansprüchen der Geschädigten fertig wurde.

Das diplomatische Korps machte jetzt einen letzten verzweifelten Versuch, den ganzen Streit noch gütlich beizulegen. Sie wollten wenigstens Bruzual Gelegenheit geben, sich ehrenvoll aus der Affäre zu ziehen, und eine Zusammenkunft wurde auf der Hacienda eines Deutschen, des Herrn Röhl – in dem sogenannten Sanssouci bestimmt, wo sich die beiden feindlichen Heerführer, Bruzual und Monagas, treffen sollten.

Die Hacienda lag vor Chacao, auf dem Wege nach Las Ajuntas, und war einer der reizendsten Punkte um Caracas.

Hohe, riesige Laubbäume, von einem Umfang, wie sie selten angetroffen werden, dabei schlank und prächtig gewachsen, beschatteten die Einfahrt in die Kaffeeplantage und führten durch eine breite Allee dem freundlichen, geschmackvoll angelegten Wohnhaus zu.

Dort sollten sich die beiden Männer, die jetzt über das Leben von vielen Hunderten ihrer Mitmenschen zu entscheiden hatten, treffen, und die Diplomatie glaubte schon gesiegt zu haben, wie sie es häufig tut, wenn sie überhaupt zu Wort gelassen wird. Es war aber hier ein unfügsames Material, mit dem sie es zu tun bekam, denn Monagas wie Bruzual sahen sich ziemlich kalt und förmlich an und hielten sich auch während der ganzen Verhandlung voneinander entfernt. Sie kannten sich allerdings beide von früherer Zeit her, waren aber nie besondere Freunde gewesen, und die jetzige Begegnung konnte natürlich nicht dazu dienen, sie einander näher zu bringen.

Bruzual erklärte, daß er der vom Ministerium erwählte Designado sei, und mit dieser Gewalt in der Abwesenheit des Präsidenten bekleidet, schon einen Vertrag mit dem General en chef der Reconquistadoren abgeschlossen habe, wonach die Revolution hätte beseitigt werden und Ruhe ins Land zurückkehren können, wenn man ihm Zeit gelassen hätte, dem Wunsche des Volkes gerecht zu werden. Das sei aber nicht geschehen, sondern Monagas sei wieder mit Bewaffneten ins Land gerückt und habe ihm dadurch die Möglichkeit genommen, seinen Versprechungen nachzukommen. Wolle Monagas abziehen und seine Truppen entlassen, dann verpflichte er sich in vier Wochen die Ruhe im ganzen Lande herzustellen, und weiter verlange doch auch Monagas, seiner eigenen Aussage nach, nichts.

Monagas war ein großer, stattlicher Mann mit einem, wenn auch nicht gerade edlen, aber doch ausdrucksvollen und beinahe schönen Gesicht. Die fünfundachtzig Jahre die er auf dem Rücken trug, mochten imstande sein, sein lockiges Haar zu bleichen, aber sie konnten seine hohe Gestalt nicht beugen. Nur das sonst feurige und sprechende Auge hatte etwas Unstetes. Es irrte fortwährend umher und sah den, mit dem er sprach, nur auf Sekunden an, um dann wieder seitwärts und über ihn hin zu schweifen.

Er hatte Bruzuals kurze, aber ziemlich entschiedene Rede ruhig angehört, jetzt stand er auf und sagte, während ein trotziges Lächeln um seine Lippen spielte:

»Meine Herren, Sie haben es gut gemeint, uns beide hier zusammenzubringen. Daß ein Versöhnungs- oder Ausgleichungsversuch unmöglich sein würde, wußte ich vorher, und wenn eine Ausgleichung der einzige Grund gewesen wäre uns hierher zu rufen, würde ich gar nicht gekommen sein. Ich bin Ihnen aber dankbar für die Gelegenheit, die Sie mir geben, mich kurz und offen gegen den General oder Designado Bruzual auszusprechen, und ich will sie benutzen.

Ich brauche die Ursache der Revolution nicht noch einmal hervorzuheben, sie ist bekannt genug: ihr Zweck aber war, Falcon und sein System zu stürzen. Deshalb bin ich mit meinen Truppen von Barcelona herübergekommen, deshalb hat sich mir des Generals Rojas Heer, als er selber der Sache abtrünnig wurde, angeschlossen. So wahr ich hier vor Ihnen stehe, Sennores, so wahr werde ich meine Absicht durchführen. Hat von heute an, in drei Tagen, General Bruzual die Regierungstruppen aufgelöst, entwaffnet und entlassen, und ist er bereit, einem vom Volke zu wählenden neuen Ministerium die Regierungsgewalt zu übertragen, so will ich friedlich mit meinen Reconquistadoren in die Stadt einrücken, und verpflichte mich, die Ruhe so lange aufrecht zu erhalten, bis ein neuer Präsident gewählt ist. Ich erkläre hierbei feierlich, daß ich selber auf diese Ehre verzichte und wie vordem als einfacher Bürger nach Barcelona zurückkehre. Weigert sich General Bruzual dessen,« setzte er mit erhobener Stimme hinzu, »so rücke ich nicht friedlich, sondern mit bewaffneter Hand in Caracas ein – aber ebenso rasch – und treibe die jetzige Regierung aus der Stadt. Der Sennor hat die Wahl, welche von beiden Arten er vorzieht.«

Bruzual sprang von seinem Sitze auf.

»Glauben die Herren auch jetzt noch, daß ein Vergleich zwischen uns und den Rebellen möglich ist?« rief er heftig aus – »ich meinesteils verzichte darauf und erkläre dem Sennor Monagas, daß ich heute so wenig wie in drei Tagen ihm gestatten werde, der Hauptstadt Caracas auch nur zu nahen. Er will das Land in den Krieg stürzen, um seinen eigenen ehrsüchtigen Plänen zu dienen, so mag er denn die Verantwortung aller Folgen allein tragen« – und von seinem Adjutanten gefolgt, verließ er das Haus, warf sich auf sein Pferd und sprengte in die Stadt zurück.


Caracas dröhnte und zitterte einmal wieder vom kriegerischen Lärm, und diesmal wahrlich nicht zum bloßen Schein, denn Bruzual schien entschlossen den Feind, ehe er noch alle seine Kräfte zusammenziehen konnte, anzugreifen und zu vernichten. Noch waren, wie er recht gut wußte, lange nicht alle Heerhaufen der Reconquistadoren zu Monagas gestoßen. Überall in den kleinen Plätzen lagen sie zerstreut, und die dem Südländer eigene Indolenz verhinderte sie, rasch und ohne Säumen den allerdings entschieden genug gegebenen Befehlen ihres jetzigen Oberbefehlshabers zu gehorchen. Es hatte nun einmal so lange gedauert und kam wohl nicht auf die paar Stunden an, und doch suchte gerade Bruzual diese »paar Stunden« zu einem letzten, man könnte sagen verzweifelten Schlag zu benutzen.

Noch in der Nacht wurden die Offiziere zusammengerufen, um den Feldzugsplan mit ihnen zu verabreden. Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch war alles auf den Beinen – aller Orten wurden Patronen gemacht, um genügende Munition zu haben, nach der man ja immer in die Stadt zurückschicken konnte, und in früher Morgenstunde schon sammelten sich die geordneten Scharen und rückten über Mariperez hinaus, gegen Chacao zu, um durch dieses hin Los dos Caminos zu erreichen und dort den Feind direkt in Petare anzugreifen. Aus Caracas waren fast alle Truppen herausgezogen und nur wenige zurückgeblieben, um die Regierungsgebäude und die Munitionsvorräte zu bewachen, damit es nicht den rebellischen Bewohnern der Hauptstadt etwa einfallen könnte, sich dieser Hilfsquellen zu bemächtigen. Bruzual rechnete allerdings viel auf die Teilnahmslosigkeit der Städter an solchen Kämpfen, aber er durfte doch nicht eine solche Möglichkeit außer acht lassen.

Übrigens war die Straße, auf der Bruzual vorrücken mußte, insofern gefährlich, als rechts und links eine Menge Hacienden mit ihren Kaffeepflanzungen und Fruchtdickichten lagen. Der Feind, wenn er das Terrain benutzen wollte, fand überall einen günstigen Hinterhalt, wo er sich decken, ja weite Strecken, wo er sich unbemerkt vorwärts bewegen konnte, um dem Gegner in die Flanke zu fallen oder ihn gar zu umgehen. Es mußte deshalb jede Vorsicht gebraucht werden, um sich dagegen sicher zu stellen, denn Bruzual wußte, daß er es mit einem schlauen und mutigen Gegner zu tun hatte. Deshalb rückte das Heer aber auch nur langsam vorwärts und verteilte außerdem noch rechts und links starke Patrouillen, die sich später vereinigen sollten, um, wenn man auf den Feind traf, für sich selbst einen Flankenangriff zu machen.

Colina befehligte die eine von diesen Vorpostenketten, und General Guzmann, ebenfalls ein tüchtiger Soldat, die andere, während Bruzual in eigener Person das Zentrum kommandierte und die Hauptbewegung leitete.

Am Mittag erreichten sie Chacao, rasteten dort und rückten dann gegen Los dos Caminos vor. Colina war freilich dafür gewesen, sich in Eilmärschen direkt auf den Feind zu werfen und ihn zu einer entscheidenden Schlacht zu treiben. Bruzual hatte aber seit der letzten Schlappe, die Colina erlitten, alles Vertrauen zu ihm verloren, und da voraus gesandte Kundschafter meldeten, daß Monagas nicht die Absicht zu haben scheine, sie in Petare zu erwarten, sondern schon selber im Vorrücken begriffen wäre, hielt er es für geraten und vorteilhafter, sich seine eigene Stellung zu wählen und das Heer zu dem Zweck auf Chacao zurückzuziehen. Das Terrain war dort freilich nicht besonders kupiert, aber die vielen Gebüsche und Pflanzungen gaben überall Deckung, während die äußeren Häuser selbst kleine Festungen bildeten, aus denen man die anrückenden Kolonnen gleich mit einem vernichtenden Feuer empfangen konnte.

So brach die Nacht ein; da es aber nicht regnete, ließ Bruzual die Leute im Freien und gleich an den ihnen angewiesenen Plätzen schlafen, denn wurden sie auch nur durch einen Plänklerangriff in der Nacht gestört, so konnte sonst das ganze Lager in Unordnung geraten. Bruzual traute den Leuten nicht mehr Disziplin zu, als sie wirklich besaßen, und das war außerordentlich wenig.

Der kleine Ort Chacao befand sich indessen, wie sich denken läßt, in furchtbarer Aufregung, denn während man bis jetzt geglaubt hatte, daß die entscheidende Schlacht vor und in Caracas geschlagen werden würde, so zeigten jetzt alle Anstalten Bruzuals, daß er gesonnen sei, den Schauplatz der Tragödie gerade hierher zu verlegen. Wurde er zurückgedrängt, so war es sogar möglich, daß sich die Gelben noch in jedem Hause zu halten suchten, und daß dann der ganze Ort zerstört wurde, schien unausbleiblich.

Die unglücklichen Bewohner des südlichen Teils des Städtchens, in deren Wohnungen man schon Verteidigungsanstalten getroffen hatte, flohen auch mit dem wenigen, was sie noch retten konnten, teils in die nördlichen Häuser, teils gleich hinein in die Kaffeewälder, als die sicherste Zuflucht. Dorthin schaffte man auch viele Kinder und Frauen. Wer noch nach Caracas hinein konnte, floh, so rasch ihn seine Füße trugen, denn in der Hauptstadt hielt man sich noch sicherer, als hier in den leichten und vereinzelten Gebäuden, die oft so dünne Wände hatten, daß sie nicht einmal einer Flintenkugel genügenden Widerstand leisteten.

Tadeo Vasquez hätte sich auch gern mit seiner Frau in Sicherheit gebracht, aber sie konnten den alten Perdido nicht verlassen, der, seitdem die Soldaten eingerückt waren, wieder eine merkwürdige Unruhe zeigte. – So wenig er sonst zu hören schien und selten auf das achtete, was man zu ihm sprach, so brauchte jetzt nur in weiter Ferne ein Trommelwirbel oder ein Trompetensignal zu ertönen, und er horchte hoch auf und sah scheu umher.

»Was für Soldaten sind das?« hatte er Tadeo gefragt, als die Truppen an dem Nachmittag durchzogen. Es war lange her, seitdem er eine Frage an ihn gerichtet, und der Indianer sah ihn erstaunt an:

»Regierungstruppen,« antwortete er freundlich, »die Soldaten des Präsidenten Falcons sind es, Perdido, die sich mit Monagas schlagen wollen.«

»Des Präsidenten?« rief Perdido, der nur das eine Wort aufzufangen schien, und scheu blickte er umher, als ob er einen Weg zur Flucht suche – »sie kommen doch nicht hier zu uns herein?«

»Hoffentlich nicht; fürchtest du dich vor ihnen?«

Der Alte hörte schon gar nicht mehr auf Tadeo, sondern kauerte sich zitternd in eine Ecke und murmelte leise vor sich hin: »Er hat sie umgebracht – er hat sie umgebracht – o, wenn doch erst die anderen Soldaten kämen!«

Tadeo fragte ihn jetzt, wen er meine, erhielt aber keine Antwort, und es war überhaupt schwer zu sagen, welchem Wahn Perdido sich jetzt gerade wieder überließ. In seinem Hirn jagten sich wild verworrene Bilder, und ob er eins oder das andere festhielt und darüber brütete, wer hätte es ergründen können?

Die Nacht war angebrochen und mit ihr die Angst der unglücklichen Bewohner, denn was sollte ihnen der nächste Tag bringen – der nächste Morgen vielleicht schon? Am Himmel ballten sich drohende Wolken zusammen, und von der Silla und den benachbarten Bergrücken herüber rollte der Donner. Dann und wann rissen die Wolkenschleier auseinander und zeigten für Minuten den blauen, gestirnten Himmel dahinter, wie er so friedlich auf die Erde niederlachte, – aber bald verschwand das wieder, und tiefe Nacht bedeckte das Tal, daß man die Hand nicht vor Augen erkennen konnte.

In solcher Nacht brauchten die Truppen aber nicht zu fürchten angegriffen zu werden, oder fürchteten es wenigstens nicht. Kleine Vorpostenschwärme waren auf der Straße und gegen Los dos Caminos vorgeschoben worden, unter deren Schutz man sich gesichert hielt, und an rasch entzündeten Lagerfeuern verbrachten die Truppen die Nacht. Sie waren fröhlich und guter Dinge, denn sie hatten einem armen Teufel von Materialwarenhändler, der noch ein paar Fäßchen »Agua ardiente« und Wein wie etwas gesalzenes Fleisch versteckt gehalten, den Laden erbrochen und ihm alles weggenommen. Als der aber zu Bruzual lief und Schutz oder Ersatz bei ihm suchte, fuhr ihn der General noch zornig an und sagte ihm, er hätte Strafe obendrein verdient, daß er die Lebensmittel nicht freiwillig abgeliefert habe, da er doch wisse, daß die Armee selbst am Notwendigsten Mangel leide, oder habe er vielleicht die Fässer für die Rebellen aufgehoben?

Es war zwölf Uhr, ehe sich die Leute zum Schlafen niederlegten, und selbst dann noch unterbrach der ewige Anruf der Wachen die Ruhe. Jetzt – es ging schon gegen Morgen – sprengte ein Reiter die Straße herab und wurde von dem Posten draußen angerufen.

»Wo ist der General?«

»Hier – was soll er?«

»Sie kommen, General!« rief der Reiter, vom Pferde springend, und das Tier am Zügel nehmend, »da drüben wird's lebendig. Auf dem Weg klappert's von Pferdehufen, und die ganze Armee muß in Anmarsch sein,«

»Torheit, Mann! Ihr habt eine Patrouille gehört und seid davongelaufen. Sonst hätten doch unsere Vorposten schon Lärm gemacht.«

»Die sind gefangen genommen oder desertiert,« antwortete der andere trocken. »Als ich vorhin an der Stelle vorüberkam, wo sie gestanden, war kein Mensch mehr zu sehen; rechts davon aber riefen mich Soldaten an, und als ich antwortete »Patria«, war auf einmal alles still, und an beiden Seiten konnte ich dunkle Gestalten erkennen, die durch die Büsche sprangen. Da setzte ich meinem Tier die Sporen ein und bin hierher gejagt, was es laufen konnte.«

»Wieviel Uhr ist's?« fragte Bruzual ruhig.

»Vier Uhr vorbei, General; es geht stark auf fünf.«

»General Guzmann, lassen Sie die Leute antreten! Jeder auf seinen Posten, und daß er den behauptet, bis der Tag anbricht. Wir dürfen uns nicht verlocken lassen, aus unserer Position herauszugehen. Vorwärts – es ist keine Zeit mehr zu verlieren.«

Die Signale ertönten, und im Nu war das Heer auf den Füßen, denn die Soldaten wußten gut genug, mit welchem Feind sie es hier zu tun hatten, und daß sie hier nicht lässig sein durften. Als sie aber in Schlachtordnung aufgestellt waren und einen Angriff jeden Augenblick erwarteten, schien es fast, als ob sich der Kundschafter doch geirrt habe. Oder lagerte Monagas ebenfalls in der Nähe und wartete nur auf das Tageslicht, um den Angriff zu beginnen? Das blieb das Wahrscheinlichste; – und wie langsam verging ihnen die Stunde, bis sich im Osten der erste Schimmer des nahenden Tages zeigte.

Die Grillen hatten die ganze Nacht gezirpt und die ChicharraChicharra, eine merkwürdige Gattung von Grillen, die ihr Zirpen zu einem solchen grell pfeifenden Ton steigert, daß einem die Ohren dabei gellen. Die Venezuelaner behaupten, das kleine Tier strenge sich dabei so an, daß es zuweilen dabei platze und vom Baum herunterstürze. manchmal einen solchen Lärm mit Rasseln und Pfeifen gemacht, daß die Soldaten in der Nähe sie verwünschten, weil es nicht möglich war, vor ihnen etwas anderes zu hören. Jetzt begann die Nachtschwalbe ihren melancholischen Ruf, immer das erste Zeichen des nahenden Tages – jetzt die Chicharra wieder – horch! Was war das? – Ein fremdartiger Ton in all dem monotonen Lärm, horch! Da noch einmal. Ein Trompetenstoß, der scheinbar noch aus weiter Ferne herüberdrang.

»Sie kommen!« Leise geflüstert lief der Ruf durch die Reihen von Mund zu Mund. Es war, als ob es jeder wiederholen müsse, um es sich selber gewissermaßen zuzurufen. »Sie kommen!« Und sie kamen in der Tat, aber nicht aus so weiter Ferne, als der Ton vorher verkündet hatte. – Vor ihnen, von Chacao nach Süden führend, lag die dunkle Straße, aber ein noch dunklerer Körper wälzte sich darauf heran, langsam aber sicher näher kommend – Totenstille herrschte. – Keiner wagte zu atmen, denn er wußte, daß der nächste Augenblick schon das unheimliche Schweigen brechen könne. Heller im Osten lichteten sich die Wolken, dunkler wurde der breite Streifen, der sich heranwälzte, und schien fast schon mit dem Schatten der nächsten Bäume zu verschmelzen.

»Quien vive?« tönte da der helle Ruf der äußeren Schildwache durch die Nacht hinaus. Ein Augenblick lautloser Stille folgte. Da plötzlich, wie aus tausend Kehlen, tönte die Antwort herüber: »Dios, Union y Libertad!« Und zu gleicher Zeit schmetterten die Trompeten der Reconquistadoren zum Angriff und blitzten – deutlich sichtbar an dem dunklen Morgen – die Feuerstrahlen aus den abgeschossenen Gewehren. Vorwärts! Die düsteren Scharen, die wie ein Schatten den Weg überzogen, drängten hervor, warfen sich auf den Feind und suchten ihn in verzweifeltem Ansturm zurückzuwerfen.

Es war ein wilder, unheimlicher und mit gegenseitiger Erbitterung geführter Kampf in dem Dämmerlicht von Chacao – aber so tapfer die Blauen auch den Feind angriffen, die Gelben, in ihrer halb gedeckten Position, hielten wacker stand und wichen und wankten nicht vor diesem ersten Anprall.

Die Angreifer kämpften freilich mit dem Nachteil, daß sie sich in der Dunkelheit auf der, wenn auch breiten Straße und dicht daneben halten mußten und sich nicht ausdehnen und ihre volle Kraft entwickeln konnten. Monagas hatte aber geglaubt, er würde den Feind trotzdem, und wenn auch nur eine kurze Strecke, zurückdrängen können, wodurch er gleich von Anfang an mutlos gemacht werden sollte. So wenig Sympathieen die Gelben aber auch für ihre Sache selber haben mochten, die Selbsterhaltung zwang sie hier standzuhalten, und es wurde von beiden Seiten mit einer ungeheuren Erbitterung gefochten. Heller und heller brach der Tag an – die Wolken röteten sich, und jetzt hob sich im Osten die glühende Sonnenscheibe empor und beschien den Bruderkampf der beiden Heere.

Es war eine wunderbar schöne Szenerie, mit einer Beleuchtung, wie sie sich selten und dann auch nur für Momente in dieser Jahreszeit findet. Der westliche und südliche Himmel blieb dicht umzogen und dunkle, fast schwarze Wolken lagerten darüber. Nur im Nordosten rissen die Schleier auseinander, zeigten dort ein Stück des blauen Himmels und in feenhafter Pracht, mitten in der Öffnung, die Doppelkuppe der von der Morgensonne rosig übergossenen Silla. Rings, mit saftigem Grün bedeckt, lagen die Berge und hier das Tal, ein Fruchtgarten, wie man ihn sich nicht schöner und blühender denken konnte, mit wehenden Palmen und breitblätterigen Bananen, mit blüteduftenden Orangen und Rosenhecken. Aber aus den Rosenhecken stieg der blaue Pulverdampf empor – blutende Leichen entstellten den Rasen, und die Leidenschaften der Menschen wüteten in einem Paradiese.

Monagas sah bald, daß er auf diese Weise und an dieser Stelle, die sich Bruzual selber zur Verteidigung ausgesucht hatte, nur langsam zum Zweck kommen und viele Menschen einbüßen würde. Sobald deshalb das Tageslicht die Gegenstände umher und besonders das Terrain deutlicher erkennen ließ, flankte er seine mit guten Gewehren versehenen Schützen aus, während er etwa tausend mit Lanzen bewaffnete Soldaten, denen nur eine kleinere Anzahl Schützen beigegeben war, den Hauptsturm gerade auf das Zentrum führen ließ.

Das alles geschah in unglaublich kurzer Zeit, und während José mit Hierra, unter General Napo, einem treuen Anhänger von Monagas, auf den linken Flügel beordert wurden, hatte Alvarado, und unter ihm Teja und Eloi Castilia, den rechten bekommen und flogen im Sturmschritt um das Dorf herum, damit sie den Feind in die Flanke nehmen konnten. – Aber sie fanden ihn nicht unvorbereitet, ja, Bruzual hatte gerade darauf gewartet und danach seine Dispositionen getroffen.

Dem rechten Flügel begegnete General Colina mit den Kerntruppen – dem linken General Guzmann. – Colina, der seine letzte Scharte auszuwetzen hatte, brach mit solcher Gewalt aus seiner Deckung, einer kleinen Kaffeepflanzung, hervor, daß er den Feind nicht allein zum Stehen brachte, sondern sogar zurückdrängte, und diesen Augenblick wollte Bruzual benutzen, um seine ganze Macht auf das Zentrum zu werfen, die Armee der Reconquistadoren dadurch voneinander zu reißen und dann mit der Feuerwaffe nach beiden Seiten hin in ihre Reihen hineinfallen. – Der ganze Plan scheiterte aber sofort an dem furchtbaren Ungestüm, mit dem sich die Lanzenträger gegen die Gelben warfen, um handgemein mit ihnen zu werden und nicht länger ihren Kugeln ausgesetzt zu sein, als auch an der für diesen Plan ungünstigen Beschaffenheit des Terrains.

Der Boden zeigte sich hier vollkommen eben, ohne die leiseste Erhöhung, und deshalb, noch dazu mit dem Gebüsch rechts und links, in welches die Blauen hineinsprangen, war es nicht möglich, daß die hinteren Reihen der Truppen ihre Gewehre auch nur gebrauchen konnten, während die vorderen Reihen den ganzen Anprall auszuhalten hatten. Die Schützen hinter den letzteren standen ebenso niedrig wie sie selber und konnten in dem furchtbaren, hin und her wogenden Kampfe, der jetzt schon Fuß an Fuß geführt wurde, gar nichts nützen, während die vorderen Reihen keine Zeit mehr behielten, wieder zu laden, und auf ihr Bajonett angewiesen blieben. Darin aber waren ihnen die Blauen mit ihren leichten Lanzen weit überlegen, und das Zentrum der Gelben, anstatt vorzudringen und die Feinde zurückzuschieben und zu trennen, wurde selber hinein in das Dorf geworfen, wo es sich nun wieder hinter Gebüschen und Häusern festzusetzen suchte.

Colina selber mußte sich zurückziehen, wenn er nicht abgeschnitten werden wollte, und Monagas hatte zu dem Zweck schon eine Abteilung seiner Lanzenreiter ausgesandt, die ihn dicht am Dorfe überholten und noch etwa fünfzehn oder zwanzig Gefangene machten.

Originell war die Art, in der mit den Gefangenen verfahren wurde. Man schoß sie nicht etwa nieder oder schleppte sie gebunden oder unter Eskorte weg – Gott bewahre – sowie sie zur Hauptmasse geführt waren, mußten sie nur ihre Uniformjacken ausziehen und ihre Mützen hergeben. Von denen riß man dann das gelbe Band ab und band ihnen ein blaues darum, so daß sie nicht mehr von den Reconquistadoren zu unterscheiden waren, und reihte sie dann augenblicklich wieder unter die Truppen ein. Die meisten schienen auch damit einverstanden, denn die hoffnungslose Lage der Regierung in Caracas konnte ihnen kein Geheimnis sein. Einzelne aber weigerten sich doch, gegen ihre früheren Kameraden zu kämpfen. Diese mußten dann ihre Gewehre und Patronentaschen abgeben und erhielten die Erlaubnis, zurück in das Land und, wenn sie wollten, nach Hause zu gehen.

Bruzual machte noch einen verzweifelten Versuch, den Feind, der schon anfing sich in Chacao festzusetzen, wieder hinauszuwerfen, aber es gelang ihm nicht. Er verlor, wenn auch langsam, doch nach und nach immer mehr Boden und sah sich bald genötigt, nur noch an seine Verteidigung zu denken.

Der Himmel droben hatte sich unterdessen wieder dunkel und drohend umzogen. Der Gipfel der Silla war längst verschwunden: der Wind fing an in den Palmenwipfeln zu rauschen, und die dürren Blätter, welche die trockene Jahreszeit noch an den Bäumen zurückgelassen, herunterzuschütteln. Jetzt fielen einzelne schwere Tropfen, und urplötzlich öffneten sich die Schleusen des Himmels, und der Regen schüttete auf den Boden nieder.

Es war fast, als ob beide feindliche Heere bei dem Beginn des Regens das Bedürfnis einer momentanen Ruhe gefühlt hätten. Das Schießen wurde eingestellt, die Soldaten mußten nach ihren Patronentaschen sehen, damit diese trocken blieben, und man benutzte zugleich die wenigen Minuten, um die Verwundeten aus dem Wege zu schaffen und wenigstens unter den Schutz eines belaubten Baumes oder in ein Haus zu bringen.

Der linke Flügel der von Bruzual vorgeschobenen Flanke war vollständig von Alvarado zurück und ins Dorf geworfen worden, und die Leute hatten sich dort, als der Regen begann, kaum wieder festgesetzt. Einzelne mit einer leichten Wunde liefen auch wohl in den von dem Kampf noch nicht berührten nördlichen Teil des Orts hinein, um sich einen Trunk Wasser oder, womöglich, einen Schluck Branntwein zu holen, den sie aber jetzt freilich von den Bewohnern erbitten mußten und doch fast alle Türen und Fenster fest verschlossen fanden.

Tadeo hatte einen unruhigen Morgen verlebt, und nicht etwa der Kampf, der seinem Hause noch ziemlich fern lag, machte ihm zu schaffen, sondern weit mehr der alte, unglückliche Mann, der bei dem Knall der ersten Schüsse emporgefahren war und dann hinaus wollte, weil er behauptete, seine Befreier kämen.

Welche wirren Bilder sich wieder in seinem Gehirn formten, war schwer zu sagen, aber er sprach jetzt davon, daß ihn der Präsident gefangen gehalten hätte, weil er sich vor ihm fürchte, und daß nun General Paez mit seinem Heere anrücke, um ihn zu befreien. Eine alte Revolution, an die kein Mensch mehr dachte, ging ihm im Kopf herum, und er warf Zeit und Personen wirr durcheinander, so daß Tadeos Frau, da er sich immer ungebärdiger zeigte, endlich selber besorgt wurde.

»Du hast ja die Medizin von Caracas mitgebracht, Tadeo,« bat sie ihren Mann – »so gib sie ihm doch lieber. Wenn die Schlacht sich hierher zieht, wird es am Ende noch schlimmer mit ihm, und wir wissen uns nicht mehr zu helfen.«

»Ich weiß nicht,« sagte der Indianer, »ich habe mich bis jetzt immer gescheut, ihm das Mittel zu geben. Wenn es ihn nur nicht noch schlimmer macht – oder gar krank. Jetzt ist er doch wenigstens gesund und hat uns die letzten Wochen wenig genug belästigt.«

»Aber die Sennora muß das doch wissen,« meinte seine Frau, »oder sie würde es dir gewiß nicht gegeben haben. Hat sie dir nicht gesagt, daß es ihn beruhigen würde?«

»Das hat sie,« erwiderte Tadeo, »und wenn du meinst, daß es ihm gut tun wird, will ich es ihm zurecht machen. Wo ist das kleine Fläschchen mit Branntwein, das wir uns zu dem Zweck noch aufgehoben haben?«

»Hier unter dem Brett hab' ich's versteckt gehalten, sonst hätten sie's ja lange gefunden und uns weggenommen. O santisima, sind das Menschen!«

»Der Kampf scheint beendet zu sein,« sagte Tadeo, der hinaushorchte, »ich höre kein Schießen weiter.«

»Das Wetter wird sie auseinandergetrieben haben. Es gießt ja, was vom Himmel herunter will, und hat gerade zu einer bösen Zeit angefangen. Nun regnet's auch bis spät am Nachmittag –«

»Ich fürchte, ich fürchte,« seufzte Tadeo, »Bruzual hat die Reconquistadoren zurück- und hinausgeworfen und wird sich nun hier in den Häusern festsetzen wollen – o, du lieber Gott, soll es denn nicht einmal Friede in dem unglückseligen Lande werden!«

»Haben sie den Präsidenten gefangen?« fragte Perdido, der aus seinem daranstoßenden Zimmer den Kopf in die Tür steckte – »ich höre kein Schießen mehr.«

»Es wird gleich wieder losgehen, Perdido.« antwortete Tadeo, der jetzt an dem Tisch stand, die erhaltene Medizin in eine Tasse ausleerte und diese dann aus einem kleinen, bis jetzt versteckt gehaltenen Eau de Cologne-Fläschchen mit Branntwein vollfüllte – »hier hab' ich aber etwas für dich zu trinken, das dir gut tun soll – komm' einmal herein und nimm das – aber auf einen Schluck. Es schmeckt nicht schlecht – es ist Agua ardiente.« Er winkte dabei dem Alten näher zu kommen. Der aber horchte hoch auf, denn draußen an der Tür wurde gerüttelt, und in demselben Augenblick begann auch schon wieder das Feuern, und zwar mit erneuerter Stärke.

Tadeo stellte die Tasse auf den Tisch und sprang nach dem Fenster, um zu sehen, wer draußen wäre, aber die nicht mehr sehr feste Tür gab nach, und er hörte draußen Stimmen, die sich der Stube näherten.

»Paysano!« rief einer von den zwei Soldaten, der den Kopf in die Tür steckte – »um Gottes willen einen Schluck Wasser; wir verschmachten bald, und mein Kamerad hier ist verwundet.«

»Das sind die Soldaten vom Präsidenten,« rief Perdido, und glitt scheu in seine Stube zurück, deren Tür er hinter sich ins Schloß drückte.

»Wasser!« stöhnte jetzt aber auch der andere Soldat und drängte sich in die Stube hinein – »mir klebt die Zunge am Gaumen – oder einen Schluck Branntwein – um Gottes willen.«

»Ja, den sucht Ihr hier umsonst,« seufzte die Frau, die nach der Ecke gegangen war, wo ein steinernes Gefäß mit Wasser stand, »aber zu trinken sollt Ihr haben – das schlägt man keinem Christenmenschen ab – nicht einmal einem wilden Indianer.«

»Um Gottes willen, sie kommen die Straße herunter!« rief Tadeo, als ein paar Reiter vorüberjagten und einzelne Fußsoldaten folgten – »das Schießen kommt näher.«

»Caracho – wir müssen wieder hinaus,« fluchte der eine Soldat und war zum Tisch getreten, wo er die Tasse sah und sie, ehe es Tadeo bemerkte, aufnahm und daran roch.

»Kamerad!« rief er aber gleich darauf erstaunt und froh aus – »da ist Agua ardiente – der Kerl sagt, er hat keinen« – und er setzte die Tasse an die Lippen.

»Um der Jungfrau willen!« rief Tadeo, der sich rasch und erschreckt nach ihnen umdrehte – »das ist die Medizin für den alten Mann!«

»Halbpart, Bruder!« rief der andere Soldat, ohne auf den Einwurf zu achten, als der erstere schon das Gefäß an den Mund setzte – »trink' nicht alles.«

»Da – nimm den Rest!« rief der erstere wieder, nachdem er getrunken und ihm das Gefäß hinhielt – »pfui Teufel, das schmeckt schlecht und brennt in den Eingeweiden! Fort!«

Tadeo sprang hinzu, um ihm die Tasse zu entreißen und wenigstens den Rest zu retten, aber der zweite hatte diesen schon hinuntergeschüttet, warf die Tasse auf den Tisch zurück, daß sie zerbrach, und sprang dann seinem Gefährten nach auf die Straße.

»Tadeo! – Sieh den Soldaten an!« schrie da seine Frau, die am Fenster stand und hinausschauen konnte – »was ist das?«

Der erste Soldat hatte kaum die Mitte der Straße erreicht, als er stehen blieb und zu taumeln anfing, das Gewehr entfiel seiner Hand, und laut aufbrüllend, stürzte er zu Boden.

Andere flohen vorbei! »Bist du getroffen, Compannero?«

Der zweite Soldat wollte seinem Gefährten zu Hilfe eilen – da packte es auch ihn – »Gift!« schrie er, zeigte nach dem Hause herüber und wollte, sein Gewehr aufgreifend, zurück, aber keine zwei Schritte tat er, da knickte er in die Knie – »Hilfe! Hilfe!« schrie er. »Ich brenne – Gift! Gift! Dort! – Dort!«

Reiter und Fußvolk stürmten vorüber, ohne darauf zu achten; die Trompeten riefen wieder zum Sammeln, und der Feind drängte nach. Schon schlugen die Kugeln die Straße entlang, und einer der Reiter stürzte getroffen vor Tadeos Haus vom Pferd. Noch einmal stellten sich die Leute – eine Salve knatterte und durch die Straßen brachen die Flüchtigen, und nachstürmten Monagas' Lanzenträger mit wildem Jubelgeschrei, die Bahn reinfegend von den Gelben, – die ausgenommen, die schon tödlich getroffen am Boden lagen.



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