Friedrich Gerstäcker
Die Blauen und Gelben
Friedrich Gerstäcker

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Die Versammlung der Reconquistadoren.

Das Hauptquartier der Reconquistadoren, von denen Rojas den größten Teil aus Caracas zurückgezogen hatte, war nach Los Teques verlegt worden, und etwas Bedeutendes musste im Werke sein, denn Mig. Ant. Rojas hatte alle seine oberen Offiziere dorthin zusammenberufen, um einem größeren Kriegsrat beizuwohnen. Sie fanden sich fast alle ein, denn sie wußten, daß dieser Tag ihnen endlich die Entscheidung bringen würde. Rojas konnte eine Erklärung seiner Handlungsweise nicht länger hinausschieben, denn die ewigen geheimen Depeschen und Verträge machten das Volk schon mißtrauisch.

Monagas mit seinem Heer stand in Petare, nur wenige Meilen von der Hauptstadt entfernt, und erklärte offen, daß der Sturz dieser Regierung in Caracas das einzige Mittel sei, um in Venezuela wieder Ruhe und Ordnung herzustellen. Mig. Ant. Rojas hatte noch vor ganz kurzer Zeit das nämliche als sein eigenes Programm aufgestellt. Weshalb zögerte er jetzt, sich dem Verbündeten anzuschließen, und die Gelben, denen sie an Zahl dreifach überlegen waren, aus Stadt und Land hinauszujagen? War er denn noch an einen Vertrag gebunden, der von seiten des Feindes auch in keinem Punkt gehalten worden? Bruzual entließ nicht allein keine Soldaten, sondern griff sogar in der Stadt auf, was er erwischen konnte, und steckte es unter das Heer; und war die Bevölkerung Venezuelas etwa deshalb aufgestanden und unter die Waffen getreten, um nur Falcon zu verjagen und dann Bruzual – noch dazu unter dem Namen des früheren Präsidenten – genau so weiter wirtschaften zu lassen, wie jener es vor ihm getan hatte?

Schon deshalb war man um so gespannter auf den heutigen Tag, denn er konnte ja nichts anderes bringen als Rojas Erklärung, daß er sich von dem bisher mit Bruzual eingegangenen Vertrag lossagen wolle und deshalb die Offiziere um ihre Meinung befrage.

Rojas überraschte seine Leute aber mit einer anderen Ansicht.

In dem großen und ziemlich geräumigen Wirtshaus des Ortes, wo auch die Diligencen, die nachmittags in ruhigen Zeiten von Caracas abfuhren, gewöhnlich übernachteten, war jetzt das ganze Offizierskorps versammelt und stand in kleinen Gruppen leise flüsternd zusammen. Unter ihnen General Alvarado, Garcia, Teja und der junge Castilia. Nur Bermuda fehlte, der sich noch, gewissermaßen als Gesandter der revolutionären Partei, in Caracas selber aufhielt und dort, wie es hieß, auf das freundlichste von Bruzual behandelt wurde.

Die Hauptmasse der Offiziere bestand übrigens aus Mischlingsrassen: Mestizen, Indianern und Halbindianern, d. h. eine Vermischung von Mestizen und Indianern. Es waren prächtige, muskulöse Gestalten, schlank und doch kräftig gewachsen, mit Feuer und Leben in den Adern und in jeder Bewegung ihres Körpers. Sie hatten alle, ohne Ausnahme, schwarzes, lockiges Haar und schwarze, blitzende Augen, zu denen die bronzene Haut vortrefflich paßte, und selbst die Hellfarbigen unter ihnen, die Mischlinge von Mestizen und Weißen, die nur eine kaum merklich dunklere Färbung zeigten, als die Abkömmlinge rein spanischen Blutes, glichen den anderen darin, und man fand oft bildhübsche, edle Gestalten unter ihnen.

Die ganz weiße Rasse war am wenigsten unter ihnen vertreten; Teja als Alt-Spanier gehörte natürlich zu diesen, Castilia und noch einige andere Kreolen, sie verschwanden jedoch in der Masse.

Rojas war noch nicht erschienen, und es blieb den jungen Leuten Zeit, ihre Meinungen untereinander auszutauschen. Aber es herrschte kaum eine Verschiedenheit unter ihnen, und nur ein Mestize, Santos mit Namen und Adjutant von Rojas, schien von den anderen abzuweichen, indem er äußerte, er glaube, die Revolution habe lange genug gedauert, und das Land sehne sich nach Frieden. Durch einen neuen Kampf aber, der wieder Hunderte von Menschenleben nutzlos hinopferte, würde eine wirkliche Einigung nur hinausgeschoben, die Gemüter noch mehr gegeneinander erbittert.

»Caramba, Amigo,« sagte Eloi Castilia, der des eben eingetroffenen Teja Arm nahm und ihn etwas beiseite führte, »haben Sie gehört, was uns Sennor Santos da predigte?«

»Nun – und was weiter? Es ist seine eigene Meinung, und jeder hat ein Recht dazu, wie Sie wissen.«

»Aber ich glaube gerade, daß es nicht allein seine eigene Meinung ist, die er da ausspricht, sondern die des Generals. Er ist sein Adjutant, und ich würde mich jetzt gar nicht wundern, wenn uns Rojas ähnliche Vorschläge machte.«

»Er wird sich hüten,« meinte Teja, »denn er muß wissen, daß er damit bei uns nicht durchdringt.«

»Aber er weiß das wahrscheinlich nicht, oder hofft wenigstens uns eines Besseren zu belehren. Sie werden sehen, daß ich recht habe. – Die ganze Versammlung kam mir gleich von Anfang an merkwürdig vor, denn so viel weiß Rojas doch jedenfalls, daß er uns nicht um seine Zustimmung zu fragen braucht, wenn es hieße, er wolle gegen den gemeinsamen Feind anrücken.«

»Warten wir das ab,« erwiderte Teja – »da kommt er selber, und wir werden nun nicht mehr lange über seine Pläne in Zweifel bleiben. – Kommen Sie hier herüber, da können wir am besten hören, was er sagt. Ich gebe Ihnen mein Wort, ich bin selber neugierig geworden.«

Rojas betrat den Saal. Es war das vordere, breite und ziemlich lange Gastzimmer, in dem ein mächtiger Tisch den Platz eigentlich beschränkte. Der Tisch ließ sich aber nicht hinausschaffen, und die Offiziere mußten deshalb zusehen, wie sie sich alle unterbrachten. Der General aber, nach beiden Seiten freundlich grüßend, nahm den oberen Platz ein und begann, während lautloses Schweigen in der Versammlung herrschte, ohne weiteres seine Anrede.

»Sennores, ich glaube nicht, daß ich Ihnen noch zu sagen brauche, zu welchem frohen Zweck wir heute hier versammelt sind.«

»Sehen Sie? Er will losschlagen,« flüsterte Teja dem Freund zu.

»Warten wir es ab,« war die einzige Antwort, die er erhielt, und Rojas fuhr fort:

»Die Revolution ist vorüber; der Friede völlig hergestellt, und wir können nun wieder mit der Hoffnung in unsere Heimat zurückkehren, daß wir das Land von seinem Unterdrücker befreit und ihm Frieden und Ordnung wiedergegeben haben.«

»Wie gefällt Ihnen das?« flüsterte Castilia und von einzelnen wurden leise, aber sehr erstaunte Carachos gehört, denn auf diese Wendung war allerdings niemand vorbereitet gewesen – Santos vielleicht ausgenommen. Rojas aber sprach unbeirrt weiter:

»Der tapfere Monagas ist noch mit einigen tausend Mann von Barcelona herübergekommen, um uns zu unterstützen, aber er traf zu spät ein. Wir hatten schon gesiegt und den Feind gezwungen, unsere Bedingungen anzunehmen. Präsident Falcon floh vor dem Andringen unserer Scharen, und der wackere und ehrenhafte General Bruzual, der jetzt an der Spitze der Regierung steht, wird alles, was in seinen Kräften liegt, tun, um das durch den unglückseligen Bürgerkrieg heruntergekommene und ausgesogene Land wieder aufzurichten. Meine Bitte an Sie, Sennores, indem ich Ihnen noch vorher den Dank des Landes für Ihren Mut, Ihre bewiesene Tapferkeit und Aufopferung ausspreche, geht jetzt dahin, mich in den nächsten nötigen Schritten mit demselben Eifer, den Sie im Kampf gezeigt haben, auch im Frieden zu unterstützen.«

Eine kurze Unterbrechung fand hier statt, denn einige erst später eingetroffene Offiziere – unter ihnen José Gonzales und Hierra – betraten eben den Saal und reihten sich schweigend den Gefährten an.

»Die Soldaten,« fuhr Rojas fort, »deren Arbeitskraft dem Lande entzogen wurde, haben, wenn auch unfreiwillig, dasselbe ausgesogen. Unsere erste Bemühung muß sein, dieses größte Übel zu heben. Aber dazu gibt es nur ein Mittel, und das ist, die Soldaten in ihre Heimat zu entlassen. Ich erkläre deshalb als General en chef der Reconquistadoren die Armee derselben von diesem Augenblick an für aufgelöst und entlassen, und ich ersuche Sie nun, zu Ihren verschiedenen Divisionen zurückzukehren, um die Waffen der entlassenen Leute in Empfang zu nehmen und zu sorgen, daß keine Unordnungen vorkommen, auch die Mannschaften sich nicht länger als nötig in der Nachbarschaft herumtreiben, sondern ohne Zögern in ihre verschiedene Heimat aufbrechen. Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, wie nötig ihre Arbeit überall gebraucht wird, und je eher wir sie derselben zurückgeben können, desto besser. Außerdem,« setzte er hinzu, während Totenstille in dem weiten Raum herrschte, daß man hätte eine Stecknadel können zu Boden fallen hören, »ist Oberst Santos, mein Adjutant, beauftragt, irgend welche Zahlungen an Löhnung seitens der Soldaten, die von ihren Offizieren befürwortet werden, zu berücksichtigen und zu befriedigen. Spreche ich dann noch einen persönlichen Wunsch speziell gegen Sie aus, so ist es nur der, daß auch Sie, Sennores, die Waffen niederlegen, und zu Ihren friedlichen Beschäftigungen zurückkehren wollen. Gehen Sie den Leuten mit einem guten Beispiel voran, und wie Sie mir bisher vertrauten, wo es notwendig war, den Boden mit Blut zu düngen, so vertrauen Sie mir auch jetzt, da wir siegreich errungen, was wir erstrebt, an General Bruzuals Seite auch das von Stürmen umhergeschüttelte Staatsschiff wieder in den Hafen der Ruhe einzulenken.«

Er schwieg und nichts regte sich in dem weiten Saal wohl eine volle Minute lang.

»General,« begann plötzlich Eloi Castilia und aller Blicke wandten sich auf ihn – »ich hatte erwartet, daß einer der hier anwesenden Generale oder wenigstens älteren Offiziere das Wort ergreifen würde. Ich sehe aber, daß dem nicht so ist; darum gestatten Sie denn mir – vielleicht dem jüngsten von allen im Dienst, wenn auch nicht an Jahren – eine Frage, und zwar im Namen meiner Freunde – und, wenn ich nicht sehr irre, im Namen des ganzen Offizierkorps an Sie zu richten.«

»Und welche Frage ist das?«

»Diese – ob Sie wirklich glauben, daß das Land damit, daß es General Bruzual gegen General Falcon eintauschte, während der erstere dasselbe System beibehielt und die gelben Truppen nicht entwaffnete – auch nur annähernd das erreicht habe was wir erstrebten, und ob wir jetzt die Waffen niederlegen und unsere blauen Bänder von den Hüten reißen sollen, damit die ›Gelben‹ wieder die volle Macht in Händen haben?«

»Sennor,« antwortete Rojas, indem sich seine Brauen finster zusammengezogen – »was Sie da sagen, ist weniger eine Frage, als ein direkt ausgesprochener Protest gegen die von mir verfügten Maßregeln. Was die darin enthaltene Frage aber betrifft, so kann ich sie aus vollem Herzen mit Ja beantworten. – Ich glaube in der Tat, daß wir alles, was wir erstrebten, erreicht haben, und würde es für Sünde halten, das Land noch länger mit einer nutzlosen Armee zu drücken und auszusaugen. – Das ist meine Antwort!«

»Und ist das auch Ihre Meinung, meine Herren?« wandte sich Castilia plötzlich an die versammelten Offiziere – »General Alvarado – Sie alle, die Sie Heimat und Familie verlassen haben, um Ihr Vaterland wieder frei und glücklich zu machen, stimmen Sie dem zu, was Ihnen General Miguel Antonio Rojas eben gesagt hat?«

Nur ein Laut klang in diesem Augenblick durch den Saal – nur ein einziges kurzes Wort, aber so entschieden, daß es gar keinen Zweifel lassen konnte – »Nein!« – Rojas und Santos waren die einzigen von allen, die es nicht ausgesprochen hatten.

Über Rojas Antlitz zuckte ein halb verlegenes, halb trotziges Lächeln.

»Caramba, meine Herren,« sagte er, »das klingt fast wie eine kleine Revolution in der Revolution, wenn es eben etwas anderes ausdrücken sollte, als Ihre eigene Meinung – aber auch als solche bedaure ich diese Auffassung. Glauben Sie mir, ich weiß Ihren Kriegsmut besser zu schätzen als irgend ein anderer, denn ich bin Zeuge gewesen, wie viele von Ihnen der Gefahr mit lachendem Antlitz und kühnem Herzen entgegengingen. Der Mut aber an unrechter Stelle wirkt gefährlich für den Mutigen selber, und – gefährdet unnützerweise auch andere, und das darf nicht geschehen. Sie haben meine Befehle als Chef der Armee vernommen, und ich erwarte und verlange von Ihnen, daß Sie denselben rasch und pünktlich nachkommen.«

»Ich muß um Entschuldigung bitten, General,« rief in diesem Augenblick, als es schon anfing unruhig im Saal zu werden, José Gonzales. »Ich selber mit noch fünf anderen Offizieren bekam die Order hier einzutreffen, etwas spät, und wir ritten von Las Ajuntas in einem Galopp hierher – und sind doch nicht mehr zur rechten Zeit gekommen. Dürfte ich Sie bitten, uns den Befehl zu wiederholen?«

Rojas wollte antworten, ehe er aber zu Wort kommen konnte, rief ein Indianer von der anderen Seite:

»Wir sollen die Waffen niederlegen und die Soldaten der Blauen nach Hause schicken, damit Bruzual mit den Gelben nach Gefallen in Caracas wirtschaften kann.«

»Sennor!« rief Rojas emporfahrend – aber jetzt brach von allen Seiten der Sturm gegen ihn los, und wie erst einer gesprochen hatte, wollten jetzt alle reden.

»Rebellion!« schrie Rojas, indem er seinen Degen zog und damit auf den Tisch schlug – »Rebellion im Heer!«

»Halt, General!« rief da General Alvarado, während die übrigen ihm bereitwillig das Wort ließen. »Durch das, was Sie uns eben verkündeten, haben Sie selber die Stelle als Oberbefehlshaber der Reconquistadoren freiwillig niedergelegt. Sie lösen die Armee, die Sie befehligten, auf, aber beim ewigen Gott! Sie können sie nicht zwingen die Waffen an den Feind abzuliefern. General Monagas steht im Feld, um mit Ihnen vereint unsere Rechte zu erobern. Treten Sie zurück – gut, keinem Menschen wird es einfallen, Ihnen den Oberbefehl aufzudrängen, aber – Sie haben Ihren Einfluß zu hoch angeschlagen, wenn Sie glaubten, es bedürfe nur eines Wortes von Ihnen, um Monagas zu isolieren und Bruzual freie Hand in Caracas zu lassen!«

»General Alvarado!« rief Rojas in größter Aufregung – »wissen Sie, welche Strafe nach den Kriegsgesetzen darauf steht, wenn ein unterer Offizier seinem Vorgesetzten –«

»Halt, Sennor,« unterbrach ihn Alvarado – »Sie sind mein Vorgesetzter nicht mehr. Sie haben sich selber von uns losgesagt; wir erkennen Sie nicht mehr an. Hier aber stehe ich und erkläre, daß ich noch heutigen Tages meine Division hinüber zu Monagas führe und sie, wie mich, ihm zur Disposition stelle. Wer von euch allen ist gleichen Sinnes?«

»Ich! Wir – Wir alle – wir alle!« tönte es von allen Seiten zugleich, und die Offiziere drängten herzu, um Alvarado die Hände zu schütteln. – Rojas stand allein mit Santos am anderen Ende des Saales, bleich vor innerlich kochender Wut – und doch konnte er allein gegen alle nichts ausrichten.

»Sennores!« rief er, sich an die letzte Hoffnung klammernd – »Sie dürfen die Soldaten nicht gewaltsam wieder in den Kampf führen, oder Sie begehen dasselbe Verbrechen an unserer Konstitution, welches Sie mit Recht dem Präsidenten Falcon vorgeworfen haben: Kein Bürger Venezuelas darf zum Militärdienst, unter welchem Vorwand auch immer, gezwungen werden.«

»Es klingt fast komisch, General,« erwiderte Alvarado, »daß Ihnen gerade dies Gesetz plötzlich einfällt – aber Sie haben recht. Keiner unserer Leute soll gezwungen werden, auch nur eine Stunde länger unter den Reconquistadoren zu dienen, als er selber dienen will. Sennores – ich habe den größten Teil meiner Division hier in Los Teques – die anderen finden wir auf dem Wege. Oberst Teja, haben Sie die Güte, Generalmarsch schlagen zu lassen, General Rojas soll selber Zeuge sein, was die Soldaten zu unserer Absicht sagen. Sind Sie damit einverstanden, General?«

Rojas sah finster vor sich nieder – er fühlte, seine Macht war gebrochen, aber er kannte auch die Unlust der Soldaten, länger zu dienen. Die Möglichkeit, jetzt und gleich nach Hause zurückzukommen, mußte einen gewaltigen Einfluß auf sie ausüben, und gab eine Abteilung das Zeichen, machte sie den Anfang zur Auflösung, dann wußte er auch, daß die übrigen nicht würden zu halten sein. – Er nickte als Zeichen der Zustimmung, und jetzt strömten die Offiziere aus dem Saal hinaus, um der Musterung, der sie selber mit der größten Spannung entgegensahen, beizuwohnen.

Indessen wirbelten draußen die Trommeln, und von allen Seiten eilten die Soldaten herbei, um sich aufzustellen – natürlich glaubte jeder, es werde Generalmarsch geschlagen, um sie nach Caracas zurückzuführen, und lachend und jubelnd verkehrte die muntere Schar, die hier vortrefflich verpflegt war, miteinander. Die Offiziere hatten sich indessen sämtlich auf dem Platze vor dem Regierungsgebäude versammelt, und Rojas mit seinem Adjutanten in eifrigem Gespräch folgte ihnen.

An Soldaten standen etwa fünfhundert Mann aufmarschiert, und eine wunderliche Mannschaft war es allerdings, wenn man sie so betrachtete. Uniformen hatten sie gar nicht, und Kopfbedeckungen von der verschiedensten Art, aber sie trugen jetzt sämtlich das breite blaue Band und waren jedenfalls ein entschieden anständigerer Menschenschlag, als die Truppen, deren man nur zu häufig in den Straßen von Caracas unter den »Gelben« begegnete.

Teja hatte die Kolonne geordnet, und schon mit einigen Leuten während der Aufstellung gesprochen. Ein Flüstern lief durch die Reihen, und erst als Rojas endlich, von den übrigen Offizieren gefolgt, vortrat, wurde alles still. Die Leute standen viel ruhiger in Reih' und Glied, als sie je in ihrem Leben gestanden.

Die Offiziere hatten indessen ebenfalls untereinander geflüstert und verlangt, daß Alvarado direkt die Ansprache an die Soldaten halten solle. Dieser aber weigerte sich und zog es vor, daß Rojas zuerst reden solle. Rojas konnte ihm dann wenigstens keine Vorwürfe machen, – Rojas schien das auch als selbstverständlich angenommen zu haben, denn, wie nur die Truppen sämtlich aufmarschiert standen, trat er vor und sagte mit seiner nicht gerade tiefen, aber klangvollen Stimme, die weithin über den Markt schallte:

»Soldaten der Reconquistadoren! Ihr habt die Waffen ergriffen zur Verteidigung eures Vaterlandes und um einen Präsidenten zu stürzen, der gegen die Konstitution unseres Landes das Volk bedrückte und den Wohlstand Venezuelas untergrub. Ihr habt euren Zweck erreicht. Präsident Falcon ist geflohen, um nie mehr nach Venezuela zurückzukehren. General Bruzual, vom Ministerium des Landes zum Designado ernannt, hat die Regierung übernommen und mit mir, dem General en chef der revolutionären Armee, einen Vertrag abgeschlossen, der uns Frieden und Ruhe sichert. Die Revolution – der Krieg – ist beendet. Ihr könnt von diesem Augenblick an ruhig in eure Heimat zurückkehren und eure Felder bestellen oder eure Herden hüten. Ich – der General en chef der Armee, entlasse euch, und kein Mensch hat, unserer Konstitution nach, das Recht, euch gewaltsam zurückzuhalten oder zum Militärdienst zu zwingen. – Ihr wißt, daß der frühere Präsident Monagas, der die Konstitution mit Füßen trat, der die Abgeordneten des Landes im Franziskanerkloster zusammenschießen ließ, und einst in einem Indianerdorf die Bewohner in die Kirche lockte, um diese dann anzuzünden und den ganzen Stamm zu vernichten. – Ihr wißt, sage ich, daß Monagas von Barcelona herübergekommen ist, um aufs neue das Land mit Blut zu überschwemmen. Laßt ihn nur versuchen, ob er imstande ist, die Bewohner von Venezuela für seine eigenen ehrgeizigen Pläne zu gewinnen. Ihr aber liefert eure Waffen ab, Leute; was euch der Staat noch an Löhnung schuldet, soll euch heute abend durch Oberst Santos ausgezahlt werden – und dann geht ruhig und friedlich nach Hause. Der Krieg ist vorüber, und Gott gebe, daß wir nie wieder genötigt sind, in einem verderblichen Bruderkampf ein Gewehr oder eine Lanze in die Hand zu nehmen!«

Er schwieg, aber kein Laut – kein fröhliches und donnerndes Hurra, wie er es erwartet haben mochte, antwortete ihm. Die Soldaten standen so fest und regungslos in Reih' und Glied, als ob sie aus Stein gehauen wären, aber ein leises Flüstern lief durch die Reihen der Offiziere. Alvarado wartete noch mehrere Minuten – er wußte recht gut, daß er keine Gefahr dabei lief. – Dann aber trat er vor und indem er den Hut gegen die Soldaten schwenkte, rief er:

»Kameraden! General Miguel Antonio Rojas hat sich, indem er euch aus dem Dienst entläßt, von euch losgesagt. Eure Löhnung muß euch natürlich werden, sonst habt ihr nichts mehr mit dem alten Kommando zu tun. – Ihr seid freie Menschen! Jetzt frage ich euch: Glaubt ihr, daß General Bruzual, Falcons rechte Hand, der sich mit seinen gelben Truppen fest verschanzt hat in Caracas, während er, trotz aller Verträge, keinen einzigen seiner Soldaten entließ, der Mann ist, der unserem Lande wieder Frieden und Ruhe geben wird? – Ich glaube es nicht. General Monagas, der mit seinen Reconquistadoren von Barcelona herübergekommen ist, hat erklärt, daß er auf jede Stellung im Staate verzichte, aber diese Regierung, ob sie nun Falcon oder Bruzual heißt, wolle er stürzen, damit die Abgeordneten des Volkes wieder frei in Caracas tagen können. Dann erst ist meiner Meinung nach ein Frieden in Venezuela gesichert. Jetzt kann es General Bruzual jeden Augenblick einfallen, seine Werbekorps wieder durch das Land zu schicken und die Leute wie Schlachtvieh einfangen zu lassen. Solange er am Ruder ist, hat er noch nichts anderes getan. Nehmen wir jetzt die Stadt und werfen die alten Anhänger Falcons und seine bezahlten Generale hinaus, so haben wir den Frieden in unserer Hand. Gehen wir jetzt nach Hause und liefern an den Feind die Waffen ab, dann sind wir hilflos in seine Hand gegeben. Ich breche noch heute auf, um meine Dienste dem General Monagas zur Verfügung zu stellen. Wer von euch geht mit?«

Wie mit einem Schlage schwenkten sämtliche Offiziere ihre Mützen und Hüte, die Soldaten hoben ihre Waffen in die Höhe, und mit einem donnernden Hurrageschrei rief es von allen Seiten: »Wir! wir! wir alle! Alle! Alle! Hurra Monagas – Nieder mit Bruzual – Tod den Verrätern!«

»Gott! Die Union und Freiheit!« rief Alvarado, seinen Säbel aus der Scheide reißend und in der Luft schwenkend, und mit einem wahren Jubelgebrüll wurde der Schlachtruf der Reconquistadoren beantwortet.

»So wollt ihr aufs neue das Land mit blutigem Krieg überziehen,« schrie jetzt Rojas in dem letzten Versuch zu Worte zu kommen, »und die bekämpfen, die gerade beschäftigt sind, Ruhe und Ordnung wieder herzustellen?«

»Das lügt Ihr!« rief plötzlich José Gonzales, nicht mehr imstande sich zu mäßigen. »Ruhe und Ordnung? – Die besten Bürger sind aus Caracas verbannt ober geflohen, nur die Fremden haben dort noch Sicherheit, und auch nur so lange, als es Bruzual beliebt. – Die Gefängnisse sind voll von politischen Angeklagten. Vorwärts, Kameraden, bis wir die gelbe Bande aus dem Lande verjagt haben; dann wissen wir, daß wir endlich auf Ruhe hoffen können. Bis dahin aber nieder mit jedem, der euch zum Verrat an eurem Vaterland verleiten will!«

»Hurra Monagas!« brüllten die Soldaten wieder, und Rojas mußte wohl einsehen, daß jeder Versuch, die Mannschaft aufs neue anzureden, nutzlos, wenn nicht gefährlich für ihn selber sein würde. Er zog sich mit Santos zurück und wollte gleich darauf mit seinem Adjutanten Los Teques verlassen, aber Alvarado kam ihm zuvor.

Er hatte vorher versprochen, der Mannschaft heute die schuldige Löhnung auszuzahlen – also war er doch im Besitz des Geldes – das durfte er nicht mit fortnehmen, und die davon unterrichteten Soldaten sammelten sich schon drohend um sein Quartier. Böse Worte liefen dabei von Mund zu Mund: »Rojas hat sich von den Gelben kaufen lassen, Bermuda ist schon ganz in Caracas geblieben und trägt ein gelbes Band um die Mütze – Rojas wollte uns nur weg haben, damit Bruzual nachher über Monagas herfallen und Falcon wieder zurückholen könnte« – und mehr dergleichen Reden, die schon zu Exzessen auszuarten drohten. Da warfen sich aber die Offiziere ins Mittel. Die Löhnung wurde ausgezahlt, dann bestiegen Rojas und Santos, von einem indianischen Diener begleitet, ihre Pferde, und fort sprengten sie, schon gegen Abend, auf der breiten Straße hin, die nach Victoria führt.


Wilder Jubel herrschte aber unter dem ganzen Korps, dem auch heute abend so ziemlich alle Freiheit gelassen wurde. Von ihrer Heimat und Beschäftigung so lange fortgerissen, waren alle durch das Zögern und Warten, zu dem sie Rojas' Politik in den letzten Wochen verdammte, fast zur Verzweiflung getrieben, und ihr Unmut ward von Tag zu Tag gesteigert. Jetzt war dem auf einmal ein Ende gemacht. Daß Monagas gleich losschlagen würde, wenn sie sich mit ihm vereinigen, wußten sie alle gut genug, und da sie nicht zweifelten, daß ihnen ein rascher Sieg über die eingeschlossenen und demoralisierten Truppen der Gelben werden mußte, so jubelten sie der Entscheidung schon jetzt entgegen.

Auch unter den Offizieren herrschte ein lebendiger, fröhlicher Ton. Viele waren hier seit langer Zeit zum erstenmal wieder zusammengetroffen, um jetzt vereint dem Feinde entgegenzuziehen und ihn für immer unschädlich zu machen. José und Eloi wie auch Teja konnten sich hier begrüßen und einander ihre indes erlebten Schicksale erzählen, und Teja ging mit hochgeröteten Wangen, aber ohne ein Wort zu sprechen, mit Eloi vor dem Gasthause auf und ab, als dieser ihm einen kurzen Bericht über den Tag gab, an dem Bermuda von ihnen und der Hacienda so raschen Abschied nahm.

»Er war ein Verräter vom ersten Augenblick an,« sagte Teja endlich, als Eloi geendet hatte, »und Rojas hielt ihn, weil er selber doppelte Gedanken im Herzen trug. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn wir ihn jetzt in Caracas als zweitausend und ersten General der Gelben wieder anträfen. Gebe dann nur Gott, daß er mir im Kampf begegnet.«

»Und glauben Sie, daß es Bruzual zu einem Kampf wird kommen lassen? Muß er nicht das Verzweifelte seiner Lage einsehen, wenn wir uns alle jetzt mit Monagas vereinigen und ihn mit unserem Heer erdrücken können?«

»Bruzual ist ehrgeizig und in diesem Augenblick faktischer Präsident in Caracas. So leicht gibt er seine Würde nicht auf, und alle die Leute, die nur von ihm eine Besoldung erhoffen können, stehen natürlich zu ihm.«

»Aber er kann und darf die Hauptstadt nicht den Gefahren eines verzweifelten Kampfes aussetzen.«

»Er kann und darf alles, was er will,« erwiderte der junge Spanier, »und, lieber Freund, ich muß Ihnen gestehen, ich habe, seit ich hier im Lande bin, einen sehr schlechten Begriff von der Vaterlandsliebe bekommen. Vaterland? – bah! – sie betrachten hier das Vaterland alle wie einen Schwamm, den sie so lange drücken, als er noch irgend etwas hergibt – und so lange lieben sie es. Sagen Sie selber, ob Caracas nicht in den letzten Jahren ein Sammelplatz von Blutsaugern war – und hat Falcon, Bruzual, Montes, Oleaga und wie sie alle heißen auch nur einen Funken von echter Vaterlandsliebe gezeigt? Ja, nehmen Sie diesen Rojas selber, der erst anscheinend nur für das Vaterland das Schwert ergriff, und sich jetzt um das nämliche Vaterland wenig kümmert, so wie ihm von der anderen Seite ein persönlicher Vorteil geboten wird. Wenn jemand in der Welt Ursache hätte, sein Vaterland wirklich zu lieben, so wäre es ein Venezuelaner, denn das Land ist so wunderbar schön; aber leider ist das Gegenteil der Fall. Ich gebe mich deshalb auch gar keinen Phantasieen hin, und erwarte nichts von der Begeisterung des Volkes – nur die Not kann das Volk zwingen. Jetzt brennt den Venezuelanern das Feuer auf den Nägeln, und das können sie nicht länger vertragen. Deshalb ist auch kein Rückschritt mehr möglich, und Rojas war ein Tor, daß er sich in diesem Stand der Dinge nicht auf der sicheren Seite hielt. Jetzt hat er seine Rolle ausgespielt, und kann nach Hause gehen. Aber fort mit all' den unerquicklichen Gedanken! Erzählen Sie mir lieber von daheim. Wie geht es bei Ihnen, Eloi? Alles wohl?«

»Alles – Gott sei Dank – die geringe Sorge abgerechnet, die sie jetzt meinetwegen haben.«

»Und Sennor Bermuda hat also wirklich gewagt, sein Spiel zu Ende zu spielen – es ist wunderbar. Wußte denn die Sennorita von dem Brief?«

»Nein, damals noch nicht, aber sie hat den Herrn nie leiden mögen, und, wie sie mir nachher gestand, immer eine gewisse Scheu vor ihm empfunden. Doch daß ich es nicht vergesse, mir sind von Haus aus, besonders für Sie, die freundlichsten Grüße von allen aufgetragen – selbst von den Kindern.«

Ein glückliches Lächeln flog über Tejas Züge.

»Und wenn wir diesen Kampf beendet haben, lassen Sie die Eltern einladen, uns doch wieder in unserer stillen Einsamkeit da draußen zu besuchen. Sie müssen schon ein paar Wochen darauf verwenden, Teja. Dann können wir uns auch in Ruhe und im Glück selbst der traurigen Stunden und Tage erinnern.«

»Ich komme,« antwortete Teja, ihm die Hand reichend, »Sie können sich fest darauf verlassen. Aber was ich Sie fragen wollte, kennen Sie den jungen Mann, der dort mit José spricht? Er sieht merkwürdig bleich aus, und die Augen liegen ihm so tief in den Höhlen – er muß krank sein.«

»Ich weiß es nicht – es ist der junge Hierra aus Caracas, dessen Vater ebenfalls in der Verbannung lebt – aber vorwärts, Freund! Wir dürfen jetzt keine Zeit mehr versäumen, und morgen hoffentlich können wir den gelben Herren nach Caracas die Meldung hineinsenden, daß ihre Intrigen gescheitert sind, und die vereinten Heere der Reconquistadoren vor ihren Toren stehen.«



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