Friedrich Gerstäcker
Die Blauen und Gelben
Friedrich Gerstäcker

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An der Lagune.

Langsam verfolgte José seinen Weg, und Isabellens Bild besonders schwebte vor seinem inneren Auge. – So lieb und gut – so hold und weiblich hatte er sie noch nie gesehen – so hatte sie ihn noch nie mit ihren guten treuen Augen angeschaut – und die Tränen darin – die bleichen Wangen selbst – konnte das alles geheuchelt sein, und trug er nicht selber vielleicht die Schuld an ihrem Leid? – Es war kaum denkbar, daß sie die Helferin, ja Mitwisserin von ihrer Mutter Plänen sein könne, und trotzdem war das Vertrauen und mit diesem die Liebe zu ihr aus seinem Herzen gewichen, denn die Alte – – Im Nu verlor sich die düstere Falte auf seiner Stirn, denn jetzt malte er sich die Folgen aus, die der in dem Herzen der Frau erweckte Verdacht gegen den unschuldigen und harmlosesten Mann Venezuelas herbeiführen könne.

Enano ein geheimer Verschwörer! Er mußte laut auflachen, wenn er sich nur die Möglichkeit einer solchen Anklage vorstellte. Enano, der ruhigste und zufriedenste Mensch in ganz Venezuela, dem man nichts auf Erden vorwerfen konnte, als daß er blindlings und vertrauensvoll an die Unfehlbarkeit und Weisheit Falcons glaubte, dabei aber keinem Kind selbst etwas in den Weg legte, keine politische Gesellschaft besuchte, ja nur höchst ungern über Politik reden hörte. Und trotzdem schienen seine Worte auf die Sennora einen Eindruck gemacht zu haben – trotzdem sann sie darüber nach. – Aber hatte sein Vater wirklich recht und spielte sie ein doppeltes Spiel, weshalb sollte sie dann nicht das an einem anderen für möglich halten, was sie ja selber trieb und durchzuführen suchte?

Wenn sein Vater recht hatte? Das Herz schlug ihm wild und heftig in der Brust bei dem Gedanken – und das Haus, das Falcon dort an der Rückseite des Coronaschen Grundstücks besaß – aber fort! fort! mit solchen Bildern, die ihm die Seele marterten – er brauchte Beweise, und noch hatte er diese nicht einmal für die alte Frau, obgleich er ihr jetzt selber nicht mehr traute. – Aber Enano sollte ihm den Beweis wenigstens liefern, denn ging sie in die Falle, dann wußte er, woran er mit ihr war, und dann – ein schwerer Seufzer hob seine Brust, als er die Straße hinab seines Vaters Wohnung zuschritt.

Die nächsten Tage vergingen in Caracas in völliger Ruhe. Es war fast, als ob ein stillschweigender Waffenstillstand zwischen den beiden feindlichen Parteien abgeschlossen sei. Aber hauptsächlich die armen Leute in den kleinen Orten vor der Stadt fühlten die sie niederdrückende Last, denn die dort eingestellten Soldaten wollten wenigstens leben, und da sie konsequent keine Löhnung bekamen, mußten sie stehlen, wo noch irgend etwas Eßbares aufzutreiben war.

Die entflohenen Gefangenen wurden übrigens nicht wieder eingebracht. Nach und nach kehrten alle die in jener Nacht ausgesandten Reiter zurück, ohne auch nur eine Spur von den Flüchtlingen gefunden zu haben, und die Kontrolle über die Wege hörte deshalb von selber auf. Was half es auch länger den Verkehr zu hindern, denn so viel sah man doch ein, daß sich die »Verbrecher« nicht so lange würden in der Stadt der Gefahr entdeckt zu werden ausgesetzt haben. Entweder waren sie in das innere Land entkommen oder hatten sich auch der Seeküste zugewandt, und in beiden Fällen mußte die Regierung, wenigstens für jetzt, die Hoffnung aufgeben sie wieder einzufangen.

Beide Parteien fühlten sich aber auch noch nicht stark genug, einen entscheidenden Schlag zu wagen. Falcon hatte dadurch, daß er Colina nach Calabozo sandte, seine überdies nicht sehr starke Armee geschwächt, und die Reconquistadoren warteten noch immer auf einen richtigen Führer, der sich an ihre Spitze stellen sollte, um dann das Volk aufzurufen und den Kampf ernstlich zu beginnen. Jetzt fehlte es ihnen nicht allein noch an Mannschaft, sondern auch an Waffen, und Agenten waren deshalb nach allen Seiten ausgeschickt worden, um besonders die letzteren zu beschaffen.

Ein günstigerer Zeitpunkt kam nicht wieder, Ana in ihre Heimat zurückzuführen, und José benutzte ihn denn auch. – Ohne natürlich bei irgend einem Oberkommando anzufragen, bestellte er sich zu früher Morgenstunde einen zweispännigen Wagen vor das Haus. – Anas Gepäck war vorher mit einem Karren expediert worden, und wie der Tag graute, erreichten sie schon die prachtvollen Felsenpartien, an denen sich eine vortrefflich gebaute und auch ausnahmsweise gut unterhaltene Straße gen Westen und zu dem hoch in den Bergen liegenden Los Teques hinzieht.

Dort wurden sie allerdings von dem in dem Städtchen liegenden Militär angehalten, und gefragt wohin sie wollten. José aber, in der Umgegend genau bekannt, gab eine nicht ferne Hacienda als Ziel an, auf der sie nur einen Besuch machen wollten. Gepäck hatten sie außerdem sehr wenig bei sich, und das Pikett, mit überhaupt keiner Order mehr Damen anzuhalten, ließ sie ruhig passieren.

Mehr Umstände wurden ihnen in Victoria gemacht, wo sie beide in das Gouvernementsgebäude mußten, um sich zu legitimieren. José fand es auch nützlich, hier einen anderen Namen anzugeben, und erklärte, er begleite nur seine Braut zu ihren Eltern, die auf einer Hacienda dicht hinter San Mateo wohnten. Er habe gefürchtet sie allein reisen zu lassen, da man sich in Caracas die schrecklichsten Geschichten von den »Blauen« erzähle, die in dieser Nachbarschaft schon überall herumstreiften und die Gegend unsicher machen sollten.

»Und sind Sie schon derartigem Gesindel begegnet, Sennor?«

»Nein – Gott sei Dank noch nicht,« erwiderte José »– aber man kann nicht wissen; die Gegend ist hier rauh und gebirgig.«

»Dann reisen Sie auch unbesorgt weiter – Sie haben nichts zu fürchten. Verlassen Sie sich darauf, daß unsere Truppen die Straße rein halten. Doch was ich fragen wollte – ist in Caracas alles ruhig?«

»Alles! Vollkommen!«

»Hat man die Flüchtigen, die neulich verfolgt wurden, nicht wieder eingefangen?«

»Bestimmt kann ich es Ihnen nicht sagen, Sennor, aber gestern abend ging allerdings das Gerücht, daß sie eingebracht wären.«

»Bueno, bueno!« sagte der freundliche Herr, »also ich wünsche Ihnen und Ihrem Fräulein Braut eine recht glückliche Reise.«

Ana war bei dieser Bezeichnung blutrot geworden, als sie aber den Saal verließen, bat José sie, ihm deshalb nicht zu zürnen. Er habe nicht gewagt, sie als seine Schwester vorzustellen, da es möglich wäre, daß ein Bericht über sie und ihren Bruder auch an diese Behörde gegangen sei und schon ein Aufenthalt ihnen unendliche Umstände bereitet haben würde. Die Galanterie habe dem Gobernador verboten eine Braut anzuhalten, und sie hätten damit das Schlimmste überstanden.

In Victoria wechselten sie die Pferde, und da dies der letzte von der Regierung behauptete Platz war, lag der Weg nach der Lagune von da an frei und offen vor ihnen.

Die Familie Castilia hatte indessen schwere und sorgenvolle Tage verlebt, denn keine Nachricht drang mehr von der Hauptstadt zu ihnen, und sie konnten nicht anders als das Schlimmste fürchten. Dazu kam, daß sich selbst im Lager der Reconquistadoren eine merkwürdige Unruhe zeigte, denn vergebens hatte Rojas versucht, genauere Kunde über die Bewegungen Colinas einzuziehen. Er war und blieb verschwunden, und alle Spione kehrten nur mit der einen Nachricht zurück, daß er allerdings San Juan passiert habe und in die Llanos eingedrungen sei – war es aber denkbar, daß er dieser Richtung folgen würde, und mußte man nicht annehmen, daß er sie hier, an der offenen Lagune, nur in einem etwas weiteren Bogen umging, und dann, wenn eine gehörige Truppenmacht von Victoria aus gegen sie vordrang, konnte er in der Tat einen vernichtenden Schlag gegen das noch junge und kaum halb organisierte – ja nicht halb bewaffnete Heer ausführen.

Rojas hatte auch deshalb ganz offen mit Castilia gesprochen und ihm erklärt, daß er nicht wagen dürfe, länger an der offenen Lagune stehen zu bleiben, bis er nicht nähere und zuverlässige Nachricht über den Feind erhalte. Sein Plan war, sich in die Hügel hineinzuziehen und dort zu verschanzen, bis er größere Verstärkungen heranbringen könne, und Castilia kannte die Verhältnisse des Landes zu genau, um nicht zu wissen, daß er einer schweren Zeit entgegengehe, wenn die »gelben« Truppen dann nachrückten und seine Hacienda erreichten. Er wußte, wie ihn Falcon haßte, und daß das »Verbrechen« seines Sohnes, den man natürlich des Landesverrats beschuldigte, diesen Haß nur verstärken mußte. Auf Schonung durfte er nicht rechnen und hatte auch deshalb schon beschlossen, wenn Rojas wirklich mit seinen Leuten abziehen würde, seine ganze Familie in das Land hineinzuschaffen und wenigstens dem ersten Anprall auszuweichen. Mochten sie ihm dann seine Hacienda auch plündern und verwüsten, so setzte er doch nicht die Sicherheit der Seinen zugleich aufs Spiel.

Oberst Bermuda war noch der einzige, der wirkliches Vertrauen zu haben schien, daß die »Gelben« gar nicht wagen würden, sie hier anzugreifen, und riet auch dem General hartnäckig ab, ihre Stellung aufzugeben. Sahen sie sich wirklich von einem viel stärkeren Feind bedrängt, so konnten sie sich auch von hier und südlich in die Berge wenden, und er selber hatte auf einer kleinen Rekognoszierungstour einen Platz entdeckt, der, wie er sagte, alle nur möglichen Vorteile bot, um eine nicht zu lange Belagerung auszuhalten. Alles Vieh aus der Nachbarschaft mußte man allerdings in einem solchen Fall mit forttreiben, aber das war dann ohnedies verloren, denn es wäre den Feinden in die Hände gefallen und von diesen wahrlich nicht geschont worden.

Bermuda hob dabei kräftig hervor, daß man die Familien, von denen man so gastfrei aufgenommen wäre, doch nur im äußersten Notfall ohne Schutz lassen dürfe, weil sie die Rache der Feinde sonst sicher erreichen würde, und die Frauen besonders dankten ihm im Herzen für seine Fürsorge, während selbst Castilia anfing, ein gegen ihn gefaßtes Vorurteil fallen zu lassen. Der Mann war in seinem ganzen Benehmen wohl ein wenig roh und heftig, aber einem Soldaten im Felde mußte man auch schon manches nachsehen – das rauhe Leben verbessert selten die Sitten. Und wie aufmerksam zeigte er sich gegen alle im Haus, wie erleichterte er ihnen jeden Verkehr mit der Nachbarschaft – sogar auf Kosten seines Dienstes – und seinem Fürwort bei Rojas gelang es oft, sogar Soldaten vom Exerzieren freizumachen, nur damit sie auf der Hacienda die dort notwendig gewordenen Arbeiten mit verrichten konnten. Es war das in einer Zeit gerade, wo es allerorten an Arbeitskräften fehlte, und viele Hacienden vollständig aufgegeben werden mußten, weil man gar keine Leute zu ihrer Bearbeitung herbeischaffen konnte, eine ganz besondere Vergünstigung.

Und Rosa? Daß er im stillen ihre Neigung zu gewinnen suchte, konnte keinem auf der Hacienda ein Geheimnis bleiben – viel weniger denn Rosa selber. Sie war auch gern in seiner Gesellschaft, denn er wußte gut und lebendig zu erzählen und kannte besonders den ganzen ausgedehnten Staat fast von einer Grenze bis zur anderen – aber Liebe oder selbst nur Zuneigung hatte sie noch nie für ihn empfunden, und manchmal, wenn sie seinen dunklen Blick auf sich haften und dann rasch abwenden sah, hätte sie sich fast vor ihm fürchten können.

Aber ihr Herz bewegten jetzt auch andere Gedanken, und von Tag zu Tag wuchs die Sorge um die Geschwister, als Tag nach Tag keine Kunde von ihnen sowohl wie überhaupt von Caracas kam, denn gerade in dieser Zeit war ja die Verbindung mit der Hauptstadt vollständig abgeschnitten, ohne daß sie sich eine solche Maßregel erklären konnten. Das einzige nur, was sie dabei in etwas beruhigte, war, daß auch von Teja keine Botschaft kam. Er mußte doch jedenfalls Hoffnung oder Aussicht haben, seinen Zweck zu erreichen, er wäre sonst sicherlich nicht so lange – ja, eigentlich schon über seinen Urlaub – ausgeblieben; oder war auch er dem Verhängnis zum Opfer gefallen, das über ihrer ganzen Familie lag?

Rojas selber sorgte sich schon um ihn, Bermuda aber beruhigte ihn vollkommen. Er hatte ja einen besonderen Boten an eine sehr einflußreiche Person in Caracas abgesandt, um seine Bemühungen zu unterstützen, und gerade auf den Brief baute er die größte Hoffnung. Nur seine alte Befürchtung sprach er gegen Rojas aus, die dieser aber kopfschüttelnd abwies, daß nämlich Teja sich in Caracas, durch große Versprechungen vielleicht gelockt, habe verleiten lassen, die Sache der Reconquistadoren ganz aufzugeben und zu dem Feind überzugehen. Welches Interesse hatte ein Ausländer – noch dazu ein Spanier – an dem Lande und dessen Sache. Nur wo er den eigenen Vorteil sah, blieb er und wohl möglich, daß er den weit eher da drüben als hier zu finden glaubte.

Rojas wollte nichts davon hören, obgleich ihm das sehr lange Ausbleiben des jungen Mannes nicht gefiel. Jetzt waren volle elf Tage verflossen, seitdem er die Lagune verlassen hatte, und was nur in aller Welt konnte er treiben? Daß er aber zu dem Feinde übergegangen sei, glaubte er trotzdem nicht, denn er hatte recht gut den Eindruck bemerkt, den Rosa auf ihn gemacht, und ob diese keimende Neigung nun erwidert wurde oder nicht, es lag nicht in Menschennatur, in solcher Weise ein derartiges Gefühl abzuschütteln, ja, in offene Feindschaft umzukehren.

Es war am Abend des elften Tages; die kleine Gesellschaft saß eben wieder in dem nach der Palmenallee hin offenen Saal beim Mittagessen, und es ging eigentlich recht schweigsam zu. Der alte Castilia konnte nämlich die Ungewißheit nicht länger ertragen und hatte beschlossen, einen neuen Boten nach der Hauptstadt zu senden; aber wo jetzt einen solchen auftreiben, der ihnen, nur einigermaßen rasch, wieder Nachricht bringen konnte, denn merkwürdigerweise war Felipe, seitdem ihn Bermuda nach Caracas geschickt, auch nicht wieder nach der Lagune zurückgekehrt. Die Mutter hatte Tränen in den Augen, und die Speisen wurden fast ebenso wieder vom Tisch genommen, wie sie aufgetragen waren. Nur die beiden Offiziere aßen davon.

Bermuda hatte wohl mehrmals versucht, ein Gespräch mit seiner Nachbarin Rosa anzuknüpfen: sie gab ihm aber, zwar freundliche, doch nur kurze Antworten. Endlich begann die Mutter:

»Ich weiß nicht, wie mir so sonderbar zumute ist; wie eine Zentnerlast liegt es mir, gerade heute, auf der Seele – wie eine Ahnung recht drohender, furchtbarer Gefahr. Wenn wir heute keine Nachricht von Eloi bekommen, Antonio, so entscheidet sich an diesem Tag sein Schicksal in Caracas – Gott schütze ihn.«

»Auch mir war es so den ganzen Tag,« sagte Rosa, »ich muß immer unwillkürlich, und ohne, daß ich es oft selber weiß, dort drüben nach dem Torweg sehen, als ob wir heute gerade bestimmt einen Boten von dort erwarteten, und doch – Heiliger Gott!« rief sie plötzlich, als sie wieder den Kopf dahin gewandt, »zwei Reiter sprengen ins Tor herein; unter den dunklen Bäumen sind sie jetzt.«

»Da ist etwas vorgefallen!« rief Rojas, von seinem Stuhl emporspringend und gespannt das Erscheinen der beiden aus dem dunklen Schatten der Bäume, die ihre unteren Zweige tief niederhängen ließen, erwartend. Nur dann und wann konnte man für einen Augenblick die sich darunter bewegenden Gestalten flüchtig erkennen. Aber schon tönten die klappernden Hufschläge an ihr Ohr und gleich mußten sie jetzt in der helleren und vom Sonnenlicht beschienenen Palmenallee auftauchen.

Die ganze Gesellschaft war aufgesprungen und stand auf der Terrasse, die zugleich eine Art von freiem Balkon bildete. Jetzt tauchten die beiden Reiter hervor, heraus ins Sonnenlicht – im vollen Karriere kamen sie angesprengt, und »Eloi!« schrie die Mutter mit einem Jubelruf, indem sie die Arme den Nahenden entgegenstreckte – »Eloi, mein Sohn – mein Kind! mein Kind!«

»Mein Sohn!« rief aber auch der alte Castilia, und er mußte sich an dem Geländer halten, um nicht umzusinken, so wirbelte ihm der Kopf. Wie ein Reh aber die breite, steinerne Treppe hinabfliegend, daß ihre Fußspitzen kaum die Stufen zu berühren schienen, sprang Rosa dem geliebten Bruder entgegen, und wie sich dieser aus dem Sattel des schäumenden Tieres warf, das er unbekümmert sich selber überließ, hing auch die Schwester schon an seinem Hals und schluchzte und lachte vor Freude.

»Caracho!« hatte Bermuda leise zwischen den Zähnen durchgeflüstert, als er selber jetzt in einem der beiden Reiter den Hauptmann Teja erkannte – Rosas Bruder hatte er ja noch nie gesehen – »hat ihn der Teufel! richtig wieder da. Was hängen soll, ersäuft nicht, sagt man gewöhnlich, und doch wird ihm wohl schwerlich sobald wieder eine bequemere Gelegenheit zu ersterem geboten.« Er trug Gift und Galle im Herzen, aber er durfte es nicht verraten. Doch niemand achtete in diesem Augenblick auf ihn, denn die ganze Dienerschaft war hinaus vor das Haus gestürzt, und selbst Rojas eilte die Treppe hinab, um so rasch wie möglich von seinem Hauptmann weniger die näheren Umstände der Rettung, als den Stand der Dinge in Caracas zu erfahren.

Dort unten ging er jetzt mit Teja, um den sich natürlich in diesem Augenblick niemand bekümmerte, durch die Palmenallee hinab dem kühlen Schatten der hohen Bäume zu, und der Hauptmann mußte seinem General natürlich Folge leisten. – Wie gern wäre er freilich da oben mit im Hause gewesen, um Zeuge der Szene des Wiedersehens zu sein, das jene glücklichen Menschen ja auch ihm mit verdankten.

Indessen aber eilte Eloi, die Schwester in seinem Arm haltend, die Treppe hinauf, an das Herz der Mutter, an das des Vaters, und die guten Menschen hielten sich viele Minuten lang fest und innig umschlungen, ehe nur einer von ihnen Worte fand für die Seligkeit dieses Augenblicks.

Und jetzt sollte Eloi erzählen, wie er gerettet sei, und durch welchen glücklichen Umstand. Das aber, wie er nur die Tränen aus den Augen geschüttelt hatte, wehrte er lachend ab und zeigte dabei auf den gedeckten Tisch.

»Glaubt ihr, daß Leute, die fast eine Woche lang in den kahlen, trockenen Bergen herumgehetzt sind, sich jetzt hinsetzen und erzählen können, ehe sie einmal wieder eine ordentliche Mahlzeit und ein Glas Wein genossen haben? – Teja! O, Teja! Wo ist denn nur der Hauptmann auf einmal hingeraten? Und was ist aus unseren Pferden geworden?«

»Sorge dich nicht um die Tiere, die sind gut aufgehoben und bedürfen wahrhaftig der Pflege,« erwiderte Castilia – »sie sehen entsetzlich mitgenommen aus.«

»Und wir nicht minder, Papa – es war eine schwere Zeit für Mann und Roß, aber sie ist glücklich überstanden. – Doch wo steckt nur Teja? – Ihm hauptsächlich verdanke ich meine Rettung. Übrigens wären wir beinahe gar nicht weit von hier den Gelben noch einmal in die Hände geraten.«

»Sind sie so nahe?« rief Bermuda, der bis jetzt ein schweigender Beobachter der Szene gewesen.

»Sennor?« fragte Eloi.

»Oberst Bermuda,« stellte ihn der Vater vor. »ein treuer Freund unseres Hauses.«

»Oberst Bermuda? In der Tat?« sagte Eloi, indem er den Offizier höflich, aber sehr kalt grüßte. Der Vater sah ihn etwas erstaunt an, aber Bermuda, der die halbe Abweisung nicht bemerkt zu haben oder zu beachten schien, wiederholte die Frage, und Eloi erwiderte: »Es war ein Streifkorps, wie ich glaube, das von Victoria ausgeschickt sein mochte, um uns aufzuspüren, oder sich auch vielleicht mit General Colina vereinigen sollte, der auf dem Rückmarsch von Calabozo ist.«

»Von Calabozo?« riefen beide Männer erstaunt aus – »und was um Gottes willen hat er dort gemacht?«

»Qien sabe,« meinte Eloi achselzuckend, »wir haben aber unterwegs Flüchtige getroffen, die sich in die Berge warfen, um nicht von der Bande gepreßt zu werden, und diese sagten allerdings aus, daß Colina schon wieder gegen San Juan del Morro anrücke und das hohe Land erreicht habe. Wohin er sich jedoch von da ab wenden würde, ließ sich nicht bestimmen. Das wahrscheinlichste war, daß er sich nach Victoria zog, da er wohl kaum eine starke Heeresmacht mit sich führt.«

»Und wie steht es in Barcelona?« fragte Bermuda.

»Sie entschuldigen mich, Herr Oberst,« erwiderte ihm Eloi, »aber ich sehe dort den General mit Teja kommen, und jetzt wollen wir vor allen Dingen etwas essen. Nachher, da wir doch dem General Bericht erstatten müssen, stehe ich mit Vergnügen zu Diensten. – Mutter, ich habe einen schmählichen Hunger und in den letzten Tagen auch wahrlich nicht eine einzige ordentliche Mahlzeit gehabt; wenn nur Teja käme.«

»Aber so iß doch nur,« bat die Mutter – »da stehen ja die Speisen – der Hauptmann wird noch beschäftigt sein.«

»Dann wart' ich, bis er fertig ist,« erwiderte Eloi entschieden, »denn einen braveren Mann gibt es nicht in der ganzen Armee der Reconquistadoren. Er hat an mir wie ein Bruder gehandelt, und kein Bissen geht über meine Zunge, den er nicht teilt – aber wo ist Ana? Ich habe sie noch nicht gesehen.«

»Ana? Noch in Caracas,« sagte die Mutter – »ach, mit Schmerzen warten wir auf sie. Sie wird doch wissen, daß du frei geworden bist?«

»War doch der junge Gonzales an meiner Seite, als wir flohen – das hier ist noch sein Revolver, den er mir beim Scheiden in die Hand gedrückt, – und ein Glück war es, wir haben ihn gebraucht.«

»Ach, so ist Blut geflossen?« rief die Mutter, entsetzt die Hände faltend.

»Diesmal nicht,« rief Eloi lachend, »obgleich es gerade kein Unglück gewesen wäre. Wir trafen einen kleinen Trupp Gelbe – fünf Mann –, die uns zufällig in den Weg liefen und uns anhalten wollten. Die beiden Revolver taten uns aber vortreffliche Dienste. Die Kerle wurden ungemein höflich, als sie in die Mündungen sahen. Wahrscheinlich war es auch wohl nur auf unsere Pferde abgesehen, denn sie konnten hier draußen kaum eine Ahnung von unserer Flucht haben.«

Teja hatte indessen dem General einen kurzen Überblick über das wenige geben müssen, was er in Caracas von dem Feinde gesehen. Die Besatzung schien gering zu sein, da aber überall in der Nachbarschaft Truppen herumstanden, ließ sich die Stärke nicht genau bestimmen. Der Geist, der dort herrschte, sollte kein besonderer sein – fast alle Bürger waren revolutionär gesinnt. Die eigentliche Befreiung versprach er ihm nachher oben zu erzählen »– und nun noch eins, General,« sagte er, als sie von den niederhängenden Zweigen soweit verdeckt waren, daß sie an der Stelle nicht gesehen werden konnten. Er blieb dabei stehen und nahm ein Papier aus der Tasche. »Diesen Brief hat Oberst Bermuda gleich hinter mir her nach Caracas geschickt – wahrscheinlich, um mir die Befreiung des jungen Castilia zu erleichtern.«

Der General nahm den Brief und überflog ihn mit den Blicken, sah dann aber Teja erstaunt an.

»Oberst Bermuda? – Diesen Brief?«

»Durch Felipe, mit dem Befehl ihn unverweilt an die Adresse abzugeben.«

»Wer ist die Dame, die hier auf der Adresse genannt steht?«

Teja zuckte mit den Achseln. – »Ich weiß nur, daß sie von Falcon zur Generala ernannt wurde.«

»Zur Generala?« sagte Rojas leise vor sich. »Eine sonderbare Empfehlung ist das übrigens – und mir hat er gesagt, er hoffe gerade das meiste von diesem Brief für Ihr Unternehmen.«

»Sie sehen, was er mir zugedacht hat – den Strick. Bermuda ist ein Schurke, aber es wird mir doch nichts übrig bleiben, als ihn zu fordern.«

Rojas blickte noch immer sinnend vor sich nieder, die Sache war ihm jedenfalls äußerst fatal; endlich sagte er:

»Verdenken könnte es Ihnen kein Mensch – aber – wollen Sie mir einen Gefallen tun, Teja?«

»Von Herzen gern, General.«

»Dann lassen Sie die Sache in diesem Augenblick ruhen und ihn nicht einmal merken, daß Sie von seinem Brief etwas wissen.«

»Aber, General, Sie können doch nicht verlangen, daß ich unter dem Menschen weiter dienen soll.«

»Nein,« entgegnete Rojas entschieden, »ich werde Sie heute noch zum Oberst befördern, dann stehen Sie mit ihm gleich, und außerdem findet sich vielleicht bald eine Gelegenheit, Sie anders unterzubringen, denn meinen Oberst möchte ich vorderhand, und nach diesem Brief ein wenig unter den Augen behalten.«

»Ich halte ihn für einen ausgesprochenen Verräter.«

»Er würde es in demselben Augenblick werden, wo er erführe, daß sein Geheimnis entdeckt ist, denn schon die Scham müßte ihn dazu treiben. Damit ist uns aber hier nicht gedient, denn Bermuda kennt zu genau die hiesigen Verhältnisse und unsere kleinsten Schwächen wie die Quellen, aus denen wir uns allein stärken können, so daß wir ohne weiteres die Lagune räumen müßten, sobald er zum Feind überginge. Wie Sie mir aber vorhin sagten, steht es in Barcelona gut, und wenn ich, was ich fest hoffe, in diesen Tagen günstige Nachricht von Alvarado bekomme, so bessert sich unsere Lage, und wir brauchen dann nicht mehr viel zu fürchten. Für jetzt also sagen Sie nichts. Sehr vertraut waren Sie nie mit Bermuda – er mag Sie – unter uns – auch nicht leiden. – Seien Sie höflich wie immer, und warten Sie Ihre Zeit ab. Wenn Sie der Sache, für die wir ja beide kämpfen, nicht unendlich schaden wollen, so – richten Sie kein Unglück an.«

»Es wird mir schwer werden, selbst nur höflich gegen ihn zu sein.«

»Wenn ich Sie darum bitte? – Und nun kommen Sie – ich sehe, man wartet droben auf Sie. Sie werden hungrig sein.«

»Das kann ich nicht leugnen,« rief Teja lachend.

»Und ich bin auch begierig, Ihr Abenteuer zu erfahren. A propos, wie kamen Sie zu dem Brief?«

»Felipe gab ihn mir – er traute dem Auftrag nicht, und ist selber im Herzen vollkommen auf unserer Seite.«

»Wie das ganze Volk. Für so scharfsinnig hätte ich den Burschen aber nicht gehalten. Er saß da so still in seiner Ecke und schenkte sich ein Glas Wein nach dem anderen ein.«

»Es ist ein merkwürdiges Volk, diese Venezuelaner,« erwiderte Teja, »und eigentlich ganz von uns Spaniern verschieden. Sie scheinen fortwährend nur träumerisch durch das Leben zu gehen, und doch entgeht ihrem Blick nichts, was in ihren Bereich kommt – und wie politisieren sie oft zusammen. In anderen Republiken werden Sie nie Leute der unteren Klassen, wenn sie einmal zusammen kommen, über Politik sprechen hören, hier treiben sie fast gar nichts anderes, und man hört da oft genug vernünftige und klare Ansichten. Aber von den Rechten eines Republikaners haben sie noch immer keinen Begriff.«

»Und das ist ein Glück,« erwiderte Rojas, »oder der Henker sollte eine Republik regieren – nein, sie sind gerade so, wie wir sie brauchen, und – können so bleiben. Aber da haben wir das Haus, und nun eilen Sie hinauf, um den Dank der Familie entgegenzunehmen. Sie haben ihn sich redlich verdient.«

Und wie freudig wurde jetzt Teja von der Familie empfangen, wie tief errötend, aber mit wie glücklichem Lächeln streckte ihm Rosa die kleine Hand entgegen. Wie herzlich drückte ihm der alte Castilia die seine, und wie belohnten ihn die Freudentränen, die in der Mutter Augen glänzten. Aber keiner von allen fragte nur, auch selbst mit einem Blick, wie der Bruder gerettet sei, wie sie hierher gekommen wären, denn erst sollten und mußten sie essen, und der alte Castilia stand still dabei und sah lächelnd, was für Quantitäten von Lebensmitteln beide jetzt zu sich nahmen.

Rosa schenkte ihnen ein und hatte ebenfalls alle Hände voll zu tun, aber endlich war auch dem Hunger genügt, und Eloi mußte jetzt beginnen, und zwar mit der Szene auf dem Dampfer, die ja so unglücklich für den jungen Mann endete. Dann kam seine Gefangenschaft, seine Behandlung, und wie man ihn für tot in seine Zelle geworfen hatte. Dann das zufällige Zusammentreffen mit Gonzales, die Verabredung zu seiner Flucht und das Zusammenwirken der beiden – José und Teja, wobei der letztere manches ergänzen mußte. Teja suchte freilich den Anteil, den er selber an der Rettung Elois gehabt hatte, so gering als möglich darzustellen – es war schon alles vorbereitet gewesen, und er hatte nur eben noch die Hand zur Ausführung bieten können. Aber Eloi ließ das nicht zu, und allein auf dem Weg hierher verdankte er, wie er erzählte, dem Terrainüberblick Tejas seine Rettung; denn durch die Verfolger sowohl, wie durch auf ihrem Weg befindliche Besatzungen, denen sie ausweichen mußten, in die Berge getrieben, hätte er selber nie allein den Weg gefunden und wäre den Feinden wahrscheinlich wieder gerade entgegengelaufen. Das hatte sie auch solange auf dem Weg gehalten, denn einmal mußten sie sogar drei volle Tage in einer Schlucht versteckt bleiben und lebten in der Zeit nur von dem Wildbret eines Hirsches, den Teja zufällig an einem Wasserloch überraschte und mit seinem Revolver erlegte.

Oberst Bermuda fühlte sich während der ganzen Erzählung nicht recht behaglich, denn er spielte dabei eine zu untergeordnete Rolle; es nahm in der Tat niemand Notiz von ihm, und doch mußte er anstandshalber, und aus »Interesse an der Familie« das Ende abwarten.

Erst dann erhob er sich, ließ sich sein Pferd satteln und ritt nach Maracay hinüber.

»Kennst du den Oberst Bermuda von früher, Eloi?« fragte diesen der Vater, als er später mit dem Sohn allein war.«

»Ich? Nein; wie kommst du zu der Frage?«

»Du behandeltest ihn so merkwürdig kalt und abstoßend, als er dir vorgestellt wurde. Er muß es auch bemerkt haben, denn er war den ganzen Abend sehr still und schien beleidigt.«

Teja hatte schon gegen Eloi den Wunsch des Generals und dessen Grund ausgesprochen, und Eloi sagte darum ausweichend:

»Ich weiß nicht, Vater – sein Gesicht mißfällt mir.«

»Sein Gesicht?«

»Ja – wer kann gegen ein Vorurteil. Ich verkehre nicht gern mit Menschen, die mir beim ersten Anblick mißfallen; aber ich werde die Höflichkeit gegen ihn nicht aus den Augen setzen, solange er in unserem Hause ist – was hoffentlich nicht lange mehr der Fall sein wird.«

»Ich bitte dich darum.«

Am nächsten Morgen, noch vor dem Frühstück, traf José mit Ana ein, und lange lagen sich die Geschwister in den Armen, die auf so furchtbare Art getrennt wurden und im Geist schon Abschied für das Leben genommen hatten. Aber wie ein Unglück selten allein kommt, so folgt auch in glücklicheren Zeiten oft eine frohe Nachricht der anderen.

Kaum eine Stunde später sprengte nämlich ein Kurier des detachierten Alvarado in die Hacienda und brachte Depeschen, die jede Wolke am politischen Horizont zu zerstreuen schienen. Colina war allerdings schon von dort in wilder Hast vorbei und direkt auf Caracas marschiert, und man hatte nicht gewagt oder auch vielleicht versäumt, seine Kolonne anzugreifen. Aber gerade dieser Raubzug des Negergenerals trieb alle jungen Leute, die sich noch in Sicherheit geglaubt, vor ihm her und den Blauen zu. Wenn sie denn einmal Soldaten werden mußten, so wollten sie auch in den Reihen derer kämpfen, deren Partei sie angehörten, und Alvarados Truppe wuchs so rasch, daß er jetzt schon fast tausend Mann unter Waffen hatte. Ebenso waren von Osten gute Nachrichten eingetroffen, die alles bestätigten, was schon Teja über Barcelona erzählt, und Alvarado, ein Vollblut-Indianer, aber ein tüchtiger und gewandter Führer, drängte jetzt Rojas selber, endlich ihre defensive Stellung aufzugeben und zu einem entscheidenden Angriff vorzurücken.

Dazu entschloß sich nun Rojas allerdings noch nicht, denn der südamerikanische Charakter braucht entsetzlich viel Zeit zum Überlegen, und rasches Handeln findet selten unter dieser Menschenrasse statt. Aber an ein Aufgeben der Lagune war jetzt ebenfalls nicht mehr zu denken, und da Alvarado den General um einige tüchtige und zuverlässige Offiziere gebeten hatte, so zeigte sich hier eine ganz vortreffliche Gelegenheit, Teja und Bermuda zu trennen.

Teja wurde als Oberst hinüber nach Kagua gesandt, wo Alvarado sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, und Bermuda triumphierte im stillen, denn er behielt jetzt wieder freie Hand auf der Hacienda, wo ihm gegenwärtig nur der eingetroffene Sohn etwas unbequem war. Wie vornehm hatte ihn der junge Laffe bei ihrem ersten Begegnen behandelt; aber es konnte nichts helfen, er war einmal der Sohn vom Hause, und – vielleicht fand sich später eine Gelegenheit, selbst diesen auf Reisen zu schicken. Er mußte nur eben seine Zeit abwarten.

Castilias hätten zwar José Gonzales, dem wie dessen Familie sie zu großem Dank verpflichtet waren, gern eine Zeitlang bei sich auf der Hacienda behalten, und gern wäre José geblieben – aber es litt ihn nicht länger fern von Caracas. Er hatte jetzt gesehen, daß im Lande selber die Revolution von Stunde zu Stunde wuchs und täglich neue Kräfte gewann und größere Dimensionen annahm, jetzt mußte er wieder nach der Hauptstadt – wo er angeblich mehr zu wirken hoffte –, im Grunde aber zogen ihn doch nur Privatinteressen dahin zurück. Isabellens Bild schwebte ihm vor, wo er ging und stand. Er konnte den Blick nicht vergessen, mit dem sie ihn zuletzt angesehen, das bleiche Antlitz und den schmerzerfüllten Zug um ihre Lippen, und – er mußte Gewißheit haben.

Es ist wahr, wenn er Ana gegenüberstand, verglich er oft im Geiste beide miteinander, sie und Isabel, und wie verschieden waren doch diese Mädchen: Ana, das Bild holder Weiblichkeit, zart und sanft und doch jetzt, in dem Neubesitz des Bruders, von Glück und Freude strahlend, Isabel dagegen das Ideal weiblicher Schönheit, eine Juno in Gestalt und Gesichtsform, voll Energie, mit blitzenden Augen und einem entschlossenen, fast kecken Zug um den Mund, der aber bei ihrer letzten Zusammenkunft all das Stolze, fast Trotzige verloren und in dem Schmerz gerade dem Bild, das er von früher noch in seinem Herzen trug, nur einen so viel höheren Reiz verliehen hatte.

Seines Vaters Worte hatten ihm wohl einen scharfen Stachel in die Brust gedrückt und Mißtrauen und Eifersucht in seine Liebe gesät, aber sollte er unbedingt einem nur hingeworfenen Verdacht alles opfern, was er bis jetzt für das Heiligste und Höchste gehalten? Nein, ein Geheimnis lag allerdings auf dem Leben der Geliebten, ein weher Schmerz in ihrem Herzen, aber mußte es die Folge einer Schuld, konnte es nicht ein Leid sein, das sie unverschuldet, mit heiliger Geduld ertrug? Und er hätte sie ungehört verdammen sollen?

Es drängte ihn nach Caracas zurück, das Rätsel zu lösen, und keine Bitten der Familie Castilia vermochten ihn zurückzuhalten.

Am nächsten Morgen, als sich die Pferde ordentlich ausgeruht hatten, bestieg er den Wagen wieder, und allein seinen eigenen, oft quälenden, oft wieder von süßen Hoffnungen erfüllten Gedanken nachhängend, eilte er nach Caracas zurück.



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