Friedrich Gerstäcker
Die Blauen und Gelben
Friedrich Gerstäcker

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Verraten.

Gerade als sie Sennora Coronas Haus erreichten, verließ Dr. Ignacio, der Hausarzt, dasselbe, und sie brauchten deshalb nicht anzuklopfen. Juan, der Bursche, schien aber Schwierigkeiten machen zu wollen. Die Sennora wäre nicht recht wohl – er wüßte nicht –

»Wir wollen gar nicht zur Sennora, sondern zur Sennorita,« sagte Hierra, ihn lachend beiseite schiebend, »komm nur, José, der Doktor ist ein gewöhnlicher Besuch im Hause und braucht dich nicht besorgt zu machen,« und dabei nahm er des Freundes Arm und führte ihn den ziemlich langen und schmalen und dabei jetzt vollkommen dunklen Gang entlang, der hinüber auf den erleuchteten Hof zulief. Dort unter dem Vorbau hing eine Astrallampe, und die Veranda diente zugleich zum Speisesaal, so daß man gewissermaßen im Freien sitzen konnte, und doch zugleich am Tage gegen die Sonne, oder durch ein gutes, regenfestes Dach gegen die plötzlichen Gewitterschauer geschützt war.

Dort überraschten sie die Damen unangemeldet, und die Sennora fuhr etwas erschreckt von ihrem Stuhl empor.

»Caramba!« rief sie aus, als sie zuerst Hierra und dann José erkannte, wie sie in das Licht der Lampe traten, – »so spät noch, Sennores? Sie hat wohl auch der Kriegslärm auf die Beine gebracht?«

»Meine liebe Isabel,« rief aber Hierra, ohne von der Frage Notiz zu nehmen, indem er auf das junge Mädchen zueilte und ihre beiden Hände nahm und küßte – »Sie müssen mir verzeihen, daß wir so hereinbrechen, aber ich hatte eine solche Sehnsucht, Sie heute abend noch zu sehen, daß ich mir das Glück dieses Augenblicks nicht versagen konnte.«

Isabel schien selber etwas bestürzt; war es der Anblick Josés, der so lange und in fast auffallender Weise ihr Haus gemieden? Hierra fing den Blick auf, den sie gegen ihn wandte.

»José wird auf längere Zeit verreisen,« fuhr Hierra fort, »und da ich gezwungen bin, ihn wenigstens auf einige Tage zu begleiten, so könnten wir diesen Besuch eigentlich,« setzte er mit erzwungenem Scherz hinzu, »eine gemeinschaftliche Abschiedsvisite nennen.«

»Sie werden verreisen?« fragte Isabel rasch und mehr neugierig als teilnehmend, was José nicht entging.

»Und wohin wollen denn die jungen Herren?« fragte die Sennora, die sich wieder bequem in ihren Stuhl zurückgelehnt hatte, ohne aber beide Freunde zum Sitzen einzuladen. Der Besuch schien ihr, aus irgend welchem Grunde, nicht recht angenehm – »etwa zu Ihren Freunden, den Blauen, Don José?«

»Bitte um Entschuldigung,« erwiderte ruhig der junge Gonzales, »wir haben beide Geschäfte in La Guayra, wo ein Schiff gerade eingelaufen ist, das unseren beiden Häusern Waren bringt. Ich selber werde dann aber meine Tour wahrscheinlich noch bis Puerto Cabello ausdehnen müssen, und dann auch wohl länger abwesend sein, als Hierra.«

»Also nach La Guayra? Und wann wollen Sie fort?«

»Morgen früh mit der Diligence.«

»So – ja dann werden Sie wohl noch manches zu besorgen haben,« meinte die Sennora, und es klang gerade, als ob das eine Art von Entlassung wäre – »es war sehr freundlich von Ihnen, Don José, daß Sie da noch einmal bei uns vorsprachen.«

»Ja, so rasch werden Sie uns aber noch nicht los,« rief Hierra lachend, während José schon einen Ansatz zu einer Abschiedsverbeugung machte, »ein Stündchen können wir immer noch miteinander verplaudern. Ach, kommen Sie, liebe gute Isabel, setzen Sie sich zu mir hierher. Denken Sie, daß ich auf lange Tage – vielleicht eine Woche lang, nicht in Ihre guten Augen schauen darf – und wie werden mir die Stunden, die ich ohne Sie verleben muß, so langsam dahinschwinden.

Er hatte sich dabei einen Stuhl vorgerückt, Isabels Hand aber nicht losgelassen und zog jetzt das junge Mädchen neben sich nieder.

Die alte Dame warf ihm einen eben nicht freundlichen Blick zu, konnte aber doch nicht gut etwas dagegen sagen, und José, mit einem kleinen Anflug von Bosheit, weil er merkte, daß er die Alte damit ärgerte, rückte sich ebenfalls einen Stuhl herzu und nahm Platz.

»Ich wäre der letzte, der dich drängte,« sagte er dabei, indem sein Blick wieder auf Isabels holden Zügen ruhte – »denn ich darf nicht grausam dir das Glück der letzten Stunde kürzen – Zeit haben wir auch, denn was noch zu ordnen ist, kann in kaum einer Stunde abgetan sein.«

Die Sennora rückte ungeduldig auf ihrem Stuhl, sah nach ihrer Uhr, stand auf, schraubte die Astrallampe etwas in die Höhe – setzte sich wieder, sah noch einmal nach der Uhr und rief dann nach Juan.

»Sennora.«

»Ein Glas Wasser.«

Der Diener kam und brachte das Verlangte, ein Wink rief ihn aber zugleich heran, und seine Herrin flüsterte ihm etwas zu. – Juan, ein schlauer, durchtriebener Gesell, den sie selber schon als Kind aufgezogen und seit dem neunten Jahre schon in ihren Diensten hatte, schlenderte langsam in den Hof zurück, als ob er in die Küche wolle, bog dann rechts ab und verlor sich in einer der hinteren Eckstuben, die im Schatten der hohen Gartenmauer und ebenfalls unter einer Veranda lagen.

Hierra plauderte indessen mit Isabel, die auch wieder freundlich geworden, aber doch etwas befangen schien, José machte sich auch schon Vorwürfe, daß er nicht doch lieber allein fortgegangen war, denn seine Gegenwart, nach allem, was früher zwischen ihnen vorgefallen, wie sie zusammen gestanden, konnte sie nicht angenehm berühren. Nur deshalb fühlte sie sich auch nicht frei in ihren Bewegungen – ihren Worten. Und wie bildschön sie heute abend aussah; es fiel ihm jetzt erst auf, daß sie sich wie zu einem Spaziergang oder einem Besuch angezogen hatte. Sie trug ein hellbraunes Seidenkleid, tief ausgeschnitten, darunter ein weißes kostbares Spitzentuch, und an ihrem Hals funkelte die kleine Schnur von Diamanten, die sie damals, als er sie am Ostersonntag sah, im Haar trug. Die Arme waren bloß und nur den linken umschloß ein kostbares goldenes Armband von prachtvoller Arbeit und mit einem Smaragd geziert. – Aber wie schön der Schmuck dem Mädchen stand, wie stolz und fast königlich sie darin aussah – nur etwas bleicher kam sie ihm heute vor als neulich, und die Augen flogen unstet umher und ruhten nur selten auf dem neben ihr schwärmenden Hierra.

Hierra hielt einen kleinen goldenen Ring zwischen seinen Fingern, und ihre Hand ergreifend, sagte er herzlich, doch mit halb unterdrückter Stimme:

»Isabel – ich habe bis jetzt noch nicht gewagt Ihnen dies Zeichen treuer und endloser Liebe anzubieten; lassen Sie es mich heute tun, wo ich zum erstenmal gezwungen werde, mich – wenn auch nur für kurze Zeit, von Ihnen zu trennen. Es ist nur ein einfacher Ring und darf sich kaum neben dem prachtvollen Schmuck, den Sie tragen, sehen lassen; aber er kommt auch aus einem einfachen, doch treuen Herzen und mag Ihnen ein Pfand sein und bleiben, wie gut – wie recht von Herzen gut ich Ihnen bin.« Er nahm dabei ihre zarte Hand und schob leise und vorsichtig den Ring an den Goldfinger, den er dann an seine Lippen hob und innig küßte.

Isabel duldete es – aber auch kaum mehr – eine flüchtige Röte goß sich über ihre Wangen, aber nur ein paar leise, kaum hörbare Worte des Dankes murmelte sie dabei, und José, der keinen Blick von ihr indes verwandt, zuckte plötzlich – er wußte selber nicht woher es kam – der Gedanke durchs Hirn, daß sie sich bei den Huldigungen, die er ihr früher gebracht, fast genau so benommen hatte wie jetzt: nicht gerade abwehrend, aber doch auch nicht ermutigend – nicht glücklich in dem Mitempfinden eines ähnlichen Gefühls, aber doch stillschweigend duldend, daß es ihr gebracht wurde. Aber Hierra, von Glück und Seligkeit berauscht, sah nichts dem Ähnliches. Isabellens Befangenheit entging ihm vielleicht nicht, aber er schrieb sie dann jedenfalls, wie es auch José selber tat, allein der Gegenwart desselben zu, und schwatzte jetzt so vielen tollen Liebesunsinn durcheinander, daß er endlich selbst auf der Geliebten Lippen ein Lächeln rief.

Der alten Dame war indessen ihr stummer Nachbar langweilig geworden, und da sie doch wußte, daß sie den nun auch nicht früher los wurde als den anderen, so brach sie endlich das Schweigen.

»Nun, Sennor, Sie sitzen ja heute so still da, als ob Sie nicht drei zählen könnten, und sonst geht Ihnen doch das Mundwerk flott genug. Caramba, ist denn heute nichts in der Stadt vorgefallen? Ich denke, es geht alles kopfüber und kopfunter. Hier vor meinem Hause war wenigstens ein Spektakel, daß einem angst und bange werden konnte.«

»Allerdings, Sennora,« wandte sich José rasch gegen die alte Dame. Er erschrak fast bei der Anrede, so vertieft war er in seine eigenen Gedanken gewesen, daß er alles um sich her darüber vergessen hatte. Jetzt kam ihm das Gespräch gerade recht, und er war auch in der Stimmung, keine besondere Rücksicht auf die Sennora zu nehmen. »Der Kampf hat begonnen und in glorreicher Weise. Unser berühmter Neger, General Colina, El Cólero, wie sie ihn seiner Raubzüge wegen im Lande nennen, und von einer unvergleichlichen Tapferkeit, wo es gilt, einem armen Teufel seine letzte Kuh wegzunehmen, ist so geprügelt worden und dermaßen gelaufen, daß ihn die Blauen nicht einmal erwischen konnten, obgleich sie ihm bis fast zu den ersten Häusern von Caracas folgten.«

Die Sennora nahm die Unterlippe zwischen die Zähne und warf den Kopf herüber und hinüber, aber sie durfte nichts dagegen sagen, wenn sie nicht ganz aus ihrer Rolle fallen wollte. José aber, der es bemerkte, gereichte das zur besonderen Genugtuung, und er fuhr deshalb fort:

»Außerdem kann man jetzt etwa berechnen, wie lange sich die Armee Seiner Exzellenz, Falcons des Großmütigen, halten wird. Tausend Mann hat Colina ungefähr mit hinausgenommen und zirka fünfhundert wieder mit zurückgebracht, nun wollen wir annehmen, daß etwa zehn Mann davon getötet wurden, so kommen vierhundert und neunzig Gefangene und Deserteure dabei in Anschlag, die jetzt alle auf seiten der Reconquistadoren stehen. Wenn wir noch drei oder vier solche Züge hinausschicken, sind wir hier in Caracas mit unseren Soldaten fertig und behalten kaum noch ein paar Schildwachen über, um die Wachen vor der Wohnung Seiner Exzellenz und dem Regierungsgebäude zu beziehen.«

»Sie sind wohl verrückt?« rief die alte Dame, die ihren Grimm nicht länger bemeistern konnte – »zehn Tote bei einem Angriff auf Las Ajuntas? Wenn General Colina wirklich geschlagen wurde und nicht Verrat im Spiele war, denn der Teufel soll das ganze Negergesindel holen, so sind auch drei- bis vierhundert Mann auf der Wahlstatt geblieben. Unsere Soldaten schlugen sich wie die Löwen, aber sie hatten das ganze Heer der – Blauen gegen sich und glaubten es nur mit einem kleinen Streifkorps zu tun zu haben.«

»Meine beste Sennora,« bemerkte José lächelnd, »die Armee der Reconquistadoren ist noch gar nicht da, oder sie bliebe nicht in Las Ajuntas liegen, sondern marschierte einfach nach Caracas herein. Wir haben jetzt erst erfahren, wie stark diese Armee ist. Monagas rückt mit vier- oder fünftausend Mann an, wieviel Mig. Ant. Rojas hat, weiß ich gar nicht, und heute abend ist auch die Nachricht eingetroffen, daß ein Korps schon im alten Schloß unter der Silla liegt, um gleich bei der Hand zu sein, wenn die übrigen anlangen. Falcon hat erklärt, daß er sich an die Spitze der Armee stellen wolle. Wir wissen das besser. Durchbrennen will er, weil er sieht, daß die Sache nicht mehr zu halten ist. Darauf können Sie sich verlassen, Sennora, wenn Falcon jetzt Caracas verläßt – und das soll, wie ich gehört habe, morgen geschehen – so sind wir ihn vollständig und für immer los, denn in diese Mauern kehrt er nicht zurück, und sich an die Spitze der Armee zu stellen, fällt ihm gar nicht ein. Er wird froh sein, wenn er der Sache hier noch mit heiler Haut den Rücken wenden kann.«

Sennora Corona hatte bei den früheren Worten innerlich gekocht und die Zähne zusammengebissen. Sie mußte sich gewaltsam zusammennehmen, daß sie nicht mit einem sehr unweiblichen Caracho dazwischen fuhr, und José bemerkte das zu seiner innerlichen Genugtuung. Jetzt aber veränderten sich plötzlich ihre Züge – ihr Blick hing an dem des jungen Mannes, als ob sie seine inneren Gedanken erraten wolle. Ihre Lippen hatten sich getrennt, und selbst ihr Gesicht nahm in dem Moment etwas Fahles – Leichenähnliches an. Wie unwillkürlich suchte ihr Blick dabei Isabel, und als auch José ihr jetzt den Kopf zuwandte, konnte ihm nicht entgehen, daß sie weit mehr auf seine als auf Hierras Worte lauschte.

»Aber beste Isabel,« rief lachend der junge Liebende in all dem sorglosen Glück seiner Jahre – »ich habe Sie jetzt nun schon zweimal gefragt, weshalb Sie heute abend so geschmückt sind, und ob Sie noch ausgehen wollen – Sie antworten mir gar nicht.«

»Ich – ich habe in der Tat gar nicht verstanden,« erwiderte das junge Mädchen verlegen lächelnd, »wir hatten allerdings die Absicht – und werden bald gehen müssen – nicht wahr, Mutter?«

»Ja – ja gleich,« sagte die Sennora – setzte aber hinzu, »wir haben noch ein paar Minuten Zeit, bis Juan zurückkommt, daß er auf das Haus passe. Also das erzählt man sich in der Stadt, Sennor?«

José war aufmerksam und – mißtrauisch geworden; es konnte hier nicht alles in Ordnung sein, wenn er auch noch keine rechte Ahnung über die Ursache hatte, und während er sich von da an ganz zwanglos bewegte, bald ein Blatt Papier aufhob, aus dem er sich eine Zigarre drehen wollte, und das ihm aus den Händen fiel, bald den Stuhl etwas rückte, bald sich Feuer nahm, suchte er Isabels wie der Sennora Gesichter im Auge zu behalten, und horchte jetzt, unter dem Anschein völliger Gleichgültigkeit, zu gleicher Zeit auf beide.

»In der Stadt?« erwiderte er, indem er seine kleine Dose mit geschnittenem Tabak aus der Brusttasche nahm, »gewiß, Sennora, und zwar in Kreisen, die schon etwas davon wissen können. Es macht auch niemand mehr ein Geheimnis daraus, denn die Sache ist doch nun einmal vorbei. Falcon hat seine Rolle ausgespielt und wird die Stadt und das Land so ruhmlos verlassen, wie er die ganze Zeit über hier regiert hat. Er ist total fertig und denkt auch gar nicht daran, sich länger hier zu halten, oder gar einer persönlichen Gefahr auszusetzen.«

»Und durch wen wissen Sie das alles?« fragte die Sennora, während sie aber fast gewaltsam Atem holte.

»Durch wen?« rief José, im hellen Übermut auflachend, »durch meinen kleinen Freund Enano, der sich neulich bei einer, Gott weiß auf welche Denunziation hin, vorgenommenen Haussuchung mit vortrefflicher Schlauheit herausgebissen hat. Er schloß ganz richtig, daß ihn nur ein »guter Freund« verraten haben könne, bekam aber noch glücklicherweise zur rechten Zeit einen Wink über die ihm drohende Gefahr, schaffte alle gravierenden Papiere beiseite und legte an deren Statt Abschriften von Gedichten – unter anderen sogar ein paar Gedichte an den Präsidenten – in das geheime Fach. Es war zu komisch, und die Beamten mußten natürlich mit langer Nase abziehen.«

Wieder faßte die Sennora ihre Unterlippe und sagte dann finster: »Der Enano soll ein ganz harmloser, unschuldiger Mensch sein.«

»Dafür gilt er,« erwiderte José.

»Aber wohin, glaubt man, daß sich der Präsident wenden wird?«

»Wohin? – Natürlich nach seiner Insel, wo man ihm von Venezuela aus nichts anhaben kann. – Die Kriegsschiffe liegen ja jetzt sämtlich geheizt vor La Guayra. – Schon seit vorgestern ist die Order hinuntergegangen, und der Brief, den wir heute nachmittag mit der Diligence erhielten, sagt, daß sie alle drei rauchen, als ob sie augenblicklich in See gehen sollten.« – Sein Blick wandte sich Isabel zu, und er sah, daß sie ihr Auge fest auf ihn geheftet hielt – und doch lächelte sie und nickte dabei wie zustimmend zu den Worten, die ihr Hierra jetzt, der ihre Hand gefaßt hielt, zuflüsterte. Das Mädchen war entweder an allem, was ihre Mutter betraf, vollkommen unschuldig oder – ein Teufel.

Die Sennora warf die Oberlippe verächtlich in die Höhe.

»Die Bewohner von Caracas,« sagte sie, »sind immer entsetzlich klug und wissen gewöhnlich viel mehr, als was – nicht einmal draußen in der Welt, sondern unter ihrer eigenen Nase geschieht. Was Falcon auch zu tun beabsichtigt, denen wird er's wahrhaftig nicht aufbinden, denn so klug ist er jedenfalls.«

»Sie nehmen ja auf einmal gewaltig seine Partei,« rief José; »aber so sind die Damen, wenn jemand im Unglück ist, lassen sie alle Prinzipien fallen und nur ihr schönes Mitleid walten. Deshalb waren auch gerade die Frauen von jeher die schlechtesten Politiker und verderben gewöhnlich alles, was sie in die Hand nehmen. Damen sollen sich überhaupt nie mit Politik befassen.«

Die Sennora wollte gereizt darauf erwidern, als Juan wieder hinten aus der Stube kam und sie rasch nach ihm hinübersah. Wo aber war er gewesen? Der Gedanke durchzuckte José. Hatte die Alte vorhin nicht selber gesagt, sie müsse warten, bis Juan zurückkehre – und konnte er überhaupt fortgewesen sein, wenn das Haus hinten, wie alle übrigen, mit einer festen Mauer geschlossen war? – Also gab es dort hinten einen Ausgang, und sein Vater hatte recht gehabt? Armer Hierra! Aber es war ja doch nicht denkbar, es konnte gar nicht sein.

Juan glitt, sich anscheinend erst mit etwas ganz anderem beschäftigend, quer durch den Hof; es konnte jedoch José nicht entgehen, daß die Sennora mit der größten Spannung auf das wartete, was er ihr zu melden hatte. Sie schien ganz vergessen zu haben, was José ihr gesagt, achtete wenigstens nicht im mindesten darauf, sondern folgte mit ihrem Blick nur dem indianischen Jungen, bis dieser endlich an ihr vorbeikam und ihr einige Worte zuflüsterte. Isabels Augen hingen indessen an der Mutter Zügen, ob sie daraus vielleicht lesen könne, welche Botschaft jener gebracht habe. Sie mußte dabei interessiert sein.

Der Sennora Gesicht verriet allerdings nicht was in ihr vorging; sie hatte zu lange eine »Rolle« gespielt, um eine so einfache Vorsicht der Selbstbeherrschung außer acht zu lassen; sie wandte sich sogar zu José, als ob sie das Gespräch wieder aufnehmen wolle, und dabei nur wie zufällig auf ihre Uhr sehend, sagte sie, von ihrem Sitz aufstehend:

»Aber es wird Zeit, daß wir uns zurecht machen, Sennores; Sie müssen uns heute abend entschuldigen. Ich hoffe, daß wir nach Ihrer Rückkehr das Vergnügen wieder haben werden, Sie bei uns zu sehen.«

Isabel erhob sich ebenfalls und mit ihr José. Hierra saß noch vor ihr und ließ ihre Hand nicht los.

»O, so rasch sollen wir jetzt scheiden? Ich hatte mich so darauf gefreut, nur wenigstens kurze Zeit noch hier bei Ihnen sein zu dürfen.«

»Sie bleiben ja nicht so lange aus, Sennor,« erwiderte Isabel freundlich – fast herzlich, – »kehren Sie recht bald zu uns zurück.«

»Wenn es denn sein muß, so leben Sie wohl, – aber Sie sind ja schon angezogen,« setzte er plötzlich, mit einem Blick auf ihre in voller Toilette prangende Gestalt hinzu: »wenn wir nun warteten, bis die Mama fertig ist, und die Damen dann begleiten dürften –«

Ein einziger, aber ziemlich vollklingender Ton zog durch den Hof, der jedenfalls von der Rückseite der Gebäude herkam, und José, der die Sennora so wenig wie möglich aus den Augen ließ, sah, daß sie unwillkürlich, wenn auch nur für einen Moment, emporzuckte. War das ein Zeichen?«

Er fühlte sich jetzt überzeugt, daß hier nicht alles war, wie es sein sollte. Sie beide schienen heute zu ungelegener Zeit gekommen, man hatte etwas anderes vor. Isabel war wie zu einer Staatsvisite angezogen, die Mutter noch in ihrem alten, gewöhnlichen Seidenkleid. Wollten Sie wirklich ausgehen, so hätten sie die alte Dame doch wenigstens bei ihrer Toilette treffen müssen, wozu sie meist immer ziemlich viel Zeit gebrauchte. Und jetzt der fremdartige Ton, der genau so klang, als ob jemand mit einem Klöppel auf einen der kleinen chinesischen Gongs geschlagen; die Abwesenheit Juans vorhin, und was hatte der Bursche noch jetzt immer mit der Sennora zu flüstern: er mußte ihr eine ganze Geschichte erzählen.

Hierra hatte auf das alles auch mit keinem Blick, mit keinem Gedanken von Argwohn geachtet. Sein Auge hing nur an der Geliebten, die ihm noch nie im Leben so schön, so wunderbar schön vorgekommen war, als jetzt, wo er sie verlassen sollte, um einem gefährlichen Kampf entgegenzugehen. Würde er sie wiedersehen? Zum erstenmal beschlich eine bange Furcht sein Herz, wenn er sein Leben und damit auch sie verloren hätte. Aber Isabel entzog ihm, wenn auch langsam, die Hand, die er noch immer gefaßt hielt. Sie neigte sich leise zu ihm über, es war ein halb gebotener Kuß, und, selig in Glück und Wonne, drückte er sie für einen Moment in seine Arme, wobei aber die alte Dame wie ungeduldig den Kopf schüttelte und doch nicht wegging, um sich anzuziehen. Es half nichts, sie mußten fort.

»Wir haben noch zu tun, Sennores,« sagte die alte Dame, die ihre Ungeduld kaum noch bemeistern konnte, »und ich bin auch noch lange nicht fertig, Juan wird uns nachher begleiten. Sennor José, es war mir sehr angenehm, Sie einmal wieder bei uns gesehen zu haben. Ich hoffe, Sie werden später Ihre Besuche fortsetzen. Lieber Hierra, tun Sie mir den Gefallen und machen Sie mit dem Abschiednehmen einmal ein Ende. Sie tun ja wahrhaftig gerade, als ob es für ein ganzes Leben wäre, und nach La Guayra fährt man in kaum drei Stunden.«

Sie reichte ihm ihre Hand, und es blieb beiden nichts übrig als zu gehen. José aber bemerkte doch noch, daß sie, wie sie sich wandten, Juan ein Zeichen gab, und der Bursche glitt jetzt rasch und wie eine Schlange quer über den Hof hinüber und wieder jener Tür zu.

José und Hierra gingen die wenigen Schritte die Veranda entlang und bogen in den dunklen Gang ein. Die Sennora hatte sie bis dorthin begleitet.

»Jetzt brennt da nicht einmal ein Licht,« sagte sie, »aber die Herren kennen ja den Weg. Können Sie die Tür öffnen?«

»Gewiß, Sennora,« antwortete José, »ich habe es ja schon so oft getan. Leben Sie wohl und auf baldiges Wiedersehen.«

Hierra schritt rasch den dunklen Gang hinab, aber seine Augen waren noch von dem Licht geblendet, seine Gedanken bei Isabel – er stieß an die Mauer an, und José nahm seinen Arm und hielt ihn fest. So schritten sie den Gang entlang, und Sennora Corona stand dort und sah ihnen nach, bis sie die Tür öffneten und das helle Licht der gegenüber brennenden Laterne von draußen hereinfiel. Dann wandte sie sich ab und kehrte in den Hof zurück. José drehte den Kopf und sah die Ecke frei, und gerade, als Hierra hinaus auf die Straße treten wollte, zog er ihn am Arm zurück und warf die Tür wieder laut ins Schloß, daß sie noch eingeschlossen in dem dunklen Gang blieben.

»Hast du noch etwas vergessen?« fragte Hierra; »laß mich hinaus, mir ist das Herz so schwer.«

»Halte dich ruhig,« flüsterte ihm José zu, »keinen Laut mehr, ich traue der Sennora nicht.«

»Was willst du tun?« fragte Hierra erstaunt, aber mit unterdrückter Stimme, »was hast du nur?«

»Was schon bessere Männer vor uns getan haben,« flüsterte José zurück, »horchen will ich und mich selber überzeugen, und du sollst bei mir bleiben. Halte dich nur einen Moment ruhig.«

»Aber was müssen nachher die Damen von uns denken?«

»Wir sind gerade hier, um zu sehen, was wir von den Damen denken sollen. Ruhig, Hierra, ich mache dich heute abend zu dem glücklichsten Menschen, den es auf der weiten Welt gibt, und beneide dich mein ganzes Leben lang, oder –«

»Oder?« fragte Hierra erstaunt, als er schwieg.

»Folge mir nur,« bat José, »es ist allein zu deinem Besten, daß ich dich bitte, nur für kurze Zeit ruhig zu bleiben. Da drinnen geht etwas vor. Die Frauen wollten uns los sein. Überzeugen wir uns, daß unser Verdacht, oder vielmehr der meinige, unbegründet war, so können wir uns jeden Augenblick unbemerkt zurückziehen, und sollten wir wirklich entdeckt werden, nun, so hast du dich nicht von deiner Angebeteten trennen können und warten wollen, um sie noch zu begleiten. Einem Liebenden und Geliebten verzeiht man alles.«

Hierra schüttelte mit dem Kopf. Es war ihm nicht recht, daß er in den Verdacht kommen konnte, selbst nur das geringste Mißtrauen zu zeigen, Mißtrauen gegen Isabel, und auf was sonst lief das Ganze hinaus? Aber er fügte sich trotzdem, und eine eigene Angst schlich ihm dabei ins Herz, der er gar keine Worte zu geben vermochte. War es die Ahnung eines nahenden Unheils? Und wer will leugnen, daß es solche gibt? Wie aber nun, mit derselben, der Schatten selbst eines Verdachts in seine Seele schlich, war er auch wie ein machtloses Kind in der Hand seines vollkommen ruhigen und leidenschaftslosen Begleiters, und nur leise flüsterte er: »Was sollen wir tun?«

»Vorderhand gar nichts,« flüsterte José zurück, »als nur langsam und vorsichtig weiter nach oben zurückschleichen. Sie haben die Tür zuschlagen hören und glauben jetzt, daß wir fortgegangen sind. Sie erwarten jemanden.«

»Aber der muß ja dann an uns vorüber,« sagte Hierra, »wir stehen in dem einzigen Gang, der auf die Straße führt. Laß uns gehen, José, und lieber draußen in der Nähe des Hauses bleiben. Mir schnürt die Angst hier die Kehle zusammen, und du wirst doch sehen, daß du dich geirrt hast. Isabel muß mir ja zürnen.«

»Lieber Freund,« flüsterte José, »kein Mädchen zürnt darüber, wenn sie merkt, daß ihr Geliebter eifersüchtig ist – aber horch! Siehst du dort?«

Er deutete mit der Hand vorwärts. Der Gang bildete einen langen, dunklen Tubus, in dem oben der hellere Hof in dem viereckigen Rahmen wie ein Bild sichtbar wurde. Der Gang lag aber genau so an der Mauer des rechts befindlichen Nachbarhauses, wie jene Tür, durch welche Juan vorhin aus und ein gegangen, und deutlich konnten beide jetzt erkennen, daß sich die Tür öffnete und eine in eine Cobija gehüllte Gestalt – ein Mann – darin sichtbar wurde, der mit raschen Schritten nach vorn eilte und eben hinter der linken Wand verschwinden wollte, als ihm Isabel entgegeneilte und ihre Arme um ihn schlang. Er ließ jetzt den Mantel fallen, der auf dem Hof liegen blieb, und ging mit ihr zu der Stelle, wo sie selber vorher gesessen hatten, und nun war es Hierra der, seinen Sinnen kaum trauend, nach vorn stürzen wollte. Aber jetzt hielt ihn José zurück, und indem er ihn bis an die Haustür führte, flüsterte er, dieser das Gesicht zugewandt, daß auch kein Laut den Gang hinaufdringen konnte:

»Ehe wir weiter forschen, Hierra, muß ich dir den Verdacht aussprechen, der mich bewog, dich hier zurückzuhalten. Der Indianerbursch ging vorher fort, und zwar durch eine Hintertür, die mit dem Hause, welches an dieses mit dem Rücken lehnt, unzweifelhaft in Verbindung steht. Jenes Haus aber ist Falcons, des Präsidenten, Eigentum, der es häufig und besonders abends besucht. Begreifst du jetzt, weshalb ich zurücktrat, und nicht mehr selbst um einer Isabel Hand werben wollte?«

»José,« stöhnte Hierra, »es ist nicht möglich – nicht denkbar – wenn es wäre, weshalb hattest du mich da nicht vorher gewarnt?«

»Weil ich selber keine Beweise hatte, selber noch an ihrer Schuld zweifelte, und nur mein Vertrauen zu ihr erschüttert fühlte. Gewarnt habe ich dich, aber nicht weiter durfte ich dabei gehen, als ich verantworten konnte. Auch selbst jetzt ist noch nichts entschieden,« setzte er beruhigend hinzu, als er fühlte, daß Hierras Arm wie in Fieberfrost zitterte, »wir wissen noch nicht, wer sie da aufgesucht, für wen sie sich so festlich geschmückt hat.«

»Wer kann es sein, wenn sie ihn heimlich empfängt?«

»Bst, nicht so laut, der Schall könnte in der engen Röhre nach vorn dringen; komm, daß wir uns selbst überzeugen, aber fasse dich. Ist sie deiner nicht wert, so verdient sie auch nicht eine Träne aus deinem Auge, und wenn mein Verdacht unbegründet ist, dann bitte ich dich um Verzeihung, und du ziehst als ein glücklicher – doppelt beglückter Mensch in den Kampf. Komm, die Zeit vergeht, und wir dürfen hier nicht so lange säumen.«

Hierra blieb noch einen Augenblick stehen – der Kopf schwindelte ihm, er mußte sich an der Mauer festhalten – aber das ging rasch vorüber. Krampfhaft ballte sich seine Faust, und ein unheimliches Feuer glänzte in seinen Blicken. José aber, wenig darauf achtend, da seine ganze Aufmerksamkeit nach vorn gerichtet blieb, hielt wieder seinen Arm, und vorsichtig schlichen die beiden jungen Leute nach vorn, drückten sich aber rasch in den dunklen Schatten der Mauer, als die Gestalt des fremden Mannes wieder zum Vorschein kam.

Auch der Sennora Stimme, die bis jetzt nur leise gesprochen harte, wurde lauter und deutlicher, und sie konnten jetzt beide hören, daß sie sich, nach der Art wie ihre Worte klangen, in nicht besonderer Laune befand.

»Das alles hilft nichts, Exzellenz Sie sagen, daß Sie sich an die Spitze des Heeres stellen wollen, und andere Leute sagen, daß der Dampfer schon unten in La Guayra auf Sie wartet, um Sie fortzuführen.«

»Und glauben Sie anderen Leuten mehr als mir, Sennora?«

»Früher tat ich es nicht,« brummte die Frau, »aber wenn andere Beweise ebenfalls zustimmen, dann wird einem der Glauben schon aufgezwungen –«

»Und welche Beweise wären das?«

»Wohin sind die drei Karren mit Koffern gegangen, die heute abend in Ihrer Wohnung aufgeladen und fortgefahren wurden, und die Straße nahmen, die hinunter an die Küste führt?«

»Sennora, Sie sind schlecht berichtet,« erwiderte Falcon, denn er war es wirklich, »oder Ihre Spione mögen auch vielleicht zu schlau sein und überschießen ihr Ziel. – Wissen Sie, was sich in den Koffern befand, die ich heute allerdings in das Fort von La Guayra geschickt habe? – Archive, wichtige Akten, denn das Kriegsglück ist wandelbar und ich durfte sie der Gefahr nicht aussetzen, von den Feinden zerstört zu werden, wenn sie vielleicht doch in ihre Hände fielen. Diese Schriftstücke aber enthalten die Rechtfertigung meiner Regierung, die Beweise, wie ich sorglich die langen Jahre hier in Venezuela gewirtschaftet habe, und wenn weiter nichts, so sollen sie wenigstens meinen guten Namen, den mir jetzt der Feind zu schmälern sucht, später einmal vor der Welt wieder herstellen. Sind Sie jetzt beruhigt?«

»Ich wußte es, ich wußte es ja, daß er nicht falsch sein könne!« rief Isabel und flog an seinen Hals; »o Juan, welche Sorge habe ich um dich schon gehabt, wie war mir manchmal das Herz tagelang so schwer, daß ich alle Lust am Leben verloren und ihm lieber selber ein Ende gemacht hätte. Dann verzweifelte ich an allem. Stundenlang saß ich und weinte, und nur wenn du wiederkamst, wenn ich wieder in deine großen, stolzen Augen schauen durfte, dann war alles gut, und ich trug selbst mit Lust die Qual, vor den Augen der Welt als die Braut eines anderen zu gelten, nur um von dir die leiseste Sorge, den leisesten Verdacht fernzuhalten.«

»Meine Isabel,« sagte der Angeredete zärtlich und preßte sie an sich, und Hierra machte eine Bewegung, als ob er nach vorn springen wolle. José aber, der ihn genau bewachte, hatte schon seinen Arm gefaßt und hielt ihn zurück. Sprechen durften sie nicht mehr miteinander, denn sie standen zu nahe, und selbst ein Flüstern hätte vielleicht gehört werden können.

»Und doch geht er fort,« sagte die Sennora – »in den Koffern waren keine Archive und Papiere, und die Dampfer da unten haben auch nicht umsonst geheizt. – Es läßt sich auch hier nicht mehr halten, denn wenn eine Bande der Blauen schon den Colina geschlagen hat, was soll dann erst noch mit den anderen werden. – Gehen Sie, Exzellenz, Sie sind falsch wie alle Männer – und was wird nachher aus uns – aus mir hier? – Glauben, Sie, daß ich einen Centabo meiner Pension von den Blauen bekäme, wenn Sie uns hier zurückließen?«

»Rede nicht so, Mutter – um Gottes willen, schon der Gedanke wäre Tod. – Er wird uns nicht hier – nicht so zurücklassen. Wäre ich dann nicht an jenen Hierra gebunden, der mich mit seiner Liebe martert und verfolgt?«

Hierra zitterte so heftig, daß José glaubte, er würde in die Kniee sinken, und ihn deshalb mit den Armen hielt.

Falcon antwortete eine ganze Weile nicht – er stand außer Sicht, aber es war augenscheinlich, daß er überlegte.

»Und wenn ich mich nicht zur Armee begebe,« sagte er endlich, »werden sie mich einen Feigling schelten.«

»Haben Sie sich je etwas daraus gemacht, was das Volk über Sie sagte?« rief die Sennora finster – »dort, wo Sie wohnen, sind Sie von der Welt abgeschlossen und können in Ihrem Reichtum und der Liebe meines Kindes schwelgen.« –

Falcon war aufgestanden und ging mit unterschlagenen Armen im Hof auf und ab, so daß er, wenn er bald die Mauer erreichte, auch den Freunden sichtbar wurde. – Plötzlich blieb er stehen, so daß sie, wenn sie sich vorbogen, eben noch seine Gestalt erkennen konnten.

»So kommt,« sagte er – »sind eure Vorbereitungen getroffen?« »Alles,« entgegnete die Sennora, »das Haus ist sogar an den Doktor Ignacio verkauft.«

»Und wir dürfen dich begleiten?« rief Isabel, mit vor Freude fast erstickter Stimme.

»Um elf Uhr sollen die Karren hier vor der Tür halten, die eure Sachen in den Hafen bringen. Morgen früh drei Uhr hole ich euch selber ab.«

Isabel stieß einen Freudenschrei aus und flog, jubelnd wie ein Kind, an Falcons Brust,

José, in der Aufregung, in die ihn selber diese Szene versetzte, hatte versäumt auf den Freund so scharf zu achten. Seine Absicht war auch gewesen, daß sie sich jetzt wieder still und unentdeckt zur Tür zurückzogen. Sie konnten dieselbe geräuschlos von innen aus öffnen, und wenn sie dann ins Schloß fiel, waren sie sicher draußen auf der Straße. Aber er hatte sich in der Geduld Hierras verrechnet.

Hierra, noch jung und in seiner Eltern Hause aufgewachsen, war im gewöhnlichen Umgang schüchtern, fast scheu, und José hatte ihn nie einer entschiedenen Handlung für fähig gehalten. Aber das heiße Blut des Südens in der indianischen Rasse, wenn auch doppelt vielleicht vermischt, rollte in seinen Adern, und wie lange auch der wilde, unzähmbare Geist in ihm geschlummert hatte, jetzt schäumte er über. Ehe José nur Zeit hatte ihn fester zu fassen, riß er sich los von ihm und mit einem Aufschrei, der aus keiner menschlichen Brust zu kommen schien, ein Dolchmesser, das er verborgen getragen, in der gehobenen Faust, sprang er gegen die Gruppe und den Präsidenten an.

Isabel lag an Falcons Brust, und der Schreck schien sie, während die Mutter einen lauten Hilfeschrei ausstieß, für einen Augenblick erstarren zu machen. – Sie fühlte, daß Falcon zurückwich, sie sah den gehobenen und bewehrten Arm des Rasenden, der zum Stoß gegen den Geliebten ausholte, und mit einem gellenden Angstruf warf sie sich ihm entgegen. Dadurch gewann der Präsident Zeit zurückzuspringen. Der erste Stoß ging fehl, und ehe Hierra das Mädchen von sich schleudern und auf den Verräter zum zweitenmal eindringen konnte, war José an seiner Seite, faßte ihn mit starkem Arm um den Leib und schrie: »Keinen Mord, Hierra – um Gottes willen keinen Mord! – und jetzt fort oder wir sind verloren,« flüsterte er ihm zu.

Und trotzdem würde er den seiner Sinne kaum mehr Mächtigen schwerlich zurückgehalten haben, wenn er noch in der Nähe seines Opfers geblieben wäre, aber Falcon, – wahrscheinlich unbewaffnet oder einen beabsichtigten Mordanfall fürchtend – war, diesen Augenblick benutzend, mit wenigen Sätzen in der Tür verschwunden, die hinüber nach dem anderen Hause führte. Hierra wollte nach, aber José ließ ihn nicht los. – »Die Freunde warten!« rief er ihm ins Ohr, »komm dahin, wo wir würdiger kämpfen können, als mit Meuchelmord – fort von hier!« Und mit kräftigem Arm zog er den Freund mit sich in den Gang hinein.

Noch einen Blick warfen beide, ehe sie in den Gang eintauchten, auf die Frauen zurück. Isabel hatte sich, als sie Falcon gerettet sah, wie Schutz suchend an die Brust der Mutter geworfen, aber keiner von beiden richtete auch nur ein Wort an sie. Den langen, dunklen Gang flohen sie hinab, öffneten die Tür, warfen sie wieder ins Schloß und eilten dann mit raschen Schritten die Straße hinauf.

Wohin? – Hierra konnte nichts mehr denken: das Messer war seiner Hand entfallen, und wie vernichtet hing er an des Freundes Arm. Aber José hatte rasch seinen Plan entworfen.

Die Möglichkeit war da, daß sie noch diesen Abend von der Polizei gesucht werden könnten, wenn er auch selber kaum daran glaubte; aber auch dieser Möglichkeit mußten sie ausweichen. Das beste war, sie eilten gleich zu ihrem Sammelplatz und hielten sich dort die wenigen Stunden, die noch zum Aufbruch fehlten, still und versteckt. Hierra war wenigstens gerettet, und nicht in der Liebe Qualen brauchte er künftig an das falsche, trügerische Wesen zu denken, das ein so schändliches, nichtswürdiges Spiel mit einem treuen Herzen getrieben; er konnte nur mit Verachtung auf das gesunkene, verlorene Wesen blicken.



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