Friedrich Gerstäcker
Die Blauen und Gelben
Friedrich Gerstäcker

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Die Blauen.

Wenn es in Südamerika, mit all seinen prachtvollen, tropischen Szenerieen, seinen Gebirgsstöcken, endlosen Ebenen und dichtbewaldeten Stromgebieten einen wundervollen und paradiesischen Punkt gibt, der fast alles vereinigt, was das Auge entzücken und die Sinne mit staunender Bewunderung erfüllen kann, so ist es die Umgebung der Lagune von Valencia, die sich an das fruchtbare Uraguatal schließt. Der schönste Punkt Venezuelas – der schönste vielleicht des ganzen südlichen Kontinents.

Dicht umher liegen die hohen zerklüfteten Gebirgsrücken, eine Auszweigung der Kordilleren, nicht weit südlich davon die monotonen Llanos, mit ihren niederen Palmen und verkrüppelten Chaparrobüschen, aber hier, fest hineingeschmiegt in das hohe Land, an einer weitgedehnten Lagune, die durch ihr silbernes Blinken nur den Glanz der Landschaft erhöht und ihr eine eigentümliche und wohltuende Frische gibt, keimt und blüht eine so üppige Vegetation in allem Reichtum tropischer Natur, wie sie sich die reichste Phantasie nur denken und ausschmücken könnte – und doch wieder wie verschieden von den aufeinander gedrängten Pflanzenmassen des Orinoco-Deltas und seinen weiten, wunderbar schönen, aber dem Menschen furchtbaren und gefährlichen Sümpfen.

Hier wiegt die Kokospalme ihre zierlichen gefiederten Wipfel in der Brise; hier raschelt die Banane mit ihren breiten Blättern und trägt kaum die Last der würzigen Früchte; hier breiten sich weite Anpflanzungen von Kaffee, Zucker und Kakao aus, und in den tiefen Schatten fruchtbedeckter Orangenhaine hineingebaut, von Blütenbüschen dicht umgeben, von prachtvollen Schlingpflanzen umrankt, liegen lauschig und versteckt die Wohnungen von Menschen, die zu den glücklichsten der Erde gehören könnten, wenn nicht fast ununterbrochen Ehrgeiz, Eigennutz und Herrschsucht einzelner das Volk zu endlosen Parteikriegen zwänge, und dadurch – selbst das Tal von Valencia zu einem Schauplatz der Not und des Elends machten.

Aber die jetzige Revolution war nicht mutwillig, wie manche frühere, über das Land gebracht worden. Falcon, der Präsident – wie manche gute Eigenschaft er auch sonst wohl haben mochte – hatte in seiner Gier, nur immer mehr und mehr Schätze anzuhäufen und Kreaturen um sich zu sammeln, die ihn darin unterstützen oder doch schützen konnten, das reiche, schöne Land so ausgesogen und an den Rand eines allgemeinen Bankerotts gebracht, daß sich endlich die besten Männer Venezuelas – und es gab deren doch noch in genügender Zahl – zusammentaten und erklärten, sie könnten und wollten diesen Zustand nicht länger ertragen.

Ihre erste und Hauptforderung war dabei: daß Falcon friedlich abdanken solle, und in diesem Falle wäre kaum ein Schuß im weiten Reich gefeuert worden: aber – wer verläßt gutwillig einen Thron, und wenn es nur der Präsidentenstuhl einer Republik wäre.

Falcon antwortete mit der Ernennung zahlloser Generale, die ihm jetzt nützen und einem möglichen Nachfolger nicht abzusehende Schwierigkeiten in den Weg werfen mußten. Daß er das Land dabei durch das Füttern nutzloser, ja oft schädlicher Menschen überbürdete, kümmerte ihn wenig. Was er herausziehen konnte, hatte er schon gezogen, und nur der Möglichkeit strebte er entgegen, seine Macht jetzt zu behaupten und dann vielleicht noch einmal – und wenn auch nur auf kurze Zeit – von neuem zu plündern.

Im guten, soviel stellte sich heraus, war es also nicht möglich, eine Änderung dieser unerträglich gewordenen Zustände herbeizuführen, so sollte denn Gewalt Gewalt vertreiben, und nicht allein die Godos stellten sich diesmal der früher siegreich gewesenen Partei der Föderalen entgegen, sondern diese selber lieferten der Revolution wackere und tüchtige Kräfte, die sich unter dem Wahlspruch: Dios, Union y Libertad dem gemeinsamen Feind entgegenstellten. Die Insurgenten nannten sich dabei Reconquistadores oder Wiedereroberer und wählten die blaue Farbe als Abzeichen für ihre Scharen.

Immer noch hatte man aber mehr gedroht, als wirklich gehandelt, weil man noch glaubte, daß Falcon es doch am Ende geraten finden würde, solchen wachsenden Anzeichen zu weichen. Dieser aber nahm das langsame Vorgehen des Feindes, von seinen Anhängern fortwährend darin bestärkt, für Schwäche und trat nur immer rücksichtsloser auf. Da beschlossen denn endlich die Reconquistadoren, auch nicht mehr Zeit zu verlieren. Falcon wich nicht gutwillig, so viel stand fest, und die Scharen wurden zu den Waffen gerufen.

Mit einer Schwierigkeit, die Falcon auch recht gut kannte, aber überschätzte, hatten sie freilich zu kämpfen: mit dem Mangel an Waffen und Munition, der sich bald aller Orten fühlbar machte, während die Regierung über ein verhältnismäßig brauchbares, wenn auch geringes Arsenal verfügen konnte. Die Führer der Partei waren aber schon lange tätig gewesen, besonders Revolver und Karabiner herbeizuschaffen. Musketen wurden ebenfalls aufgekauft, wo man deren fand, und Amerikaner waren darin die besten Lieferanten. Pulver hatte man auf kleinen Küstenfahrern von St. Thomas und Trinidad eingeschmuggelt, und Blei war außerdem in genügender Menge vorhanden, denn lange Zeit konnte der Krieg, wenn es nur überhaupt zum Schlagen kam, ja doch nicht dauern.

Das Tal von Valencia – der Garten Venezuelas – wurde natürlich wieder zum Sammelplatz ausersehen, denn dort waren Lebensmittel am leichtesten zu finden und hätten für eine größere Armee ausgereicht. Dort war aber auch ein dicht besiedeltes Land, das reichlich Mannschaft lieferte, und überhaupt fehlte es den »Blauen« nirgends an Soldaten.

Was wollten die armen Teufel auch machen. Krieg war einmal wieder im Lande ausgebrochen, und wenn sie nicht freiwillig zu den Blauen gingen, wurden sie von den »Gelben« gepreßt. Daß sie dort nie Sold bekamen, oder höchstens dann und wann einen Real, hatten sie schon von vielen Überläufern gehört die desertierten, wo sie eben konnten. Gutwillig bekamen die »Gelben« von der Bevölkerung ebenfalls keinen Bissen Brot und keinen Schluck Agua ardiente. Den »blauen« Soldaten gab man dagegen alles, was sie brauchten, denn das ganze Land stand fast auf ihrer Seite, und nur noch durch den Zwang seiner Generale und Truppen herrschte und regierte Falcon in der Hauptstadt. Von den Führern der Reconquistadoren wurde deshalb auch nichts gewaltsam beigetrieben, wie es leider in der Nähe der von den Gelben besetzten Plätze ununterbrochen geschah und geschehen mußte. Verhungern konnte man ja doch die Leute nicht lassen, und hungern taten sie schon. Dann wurden auch bei den Blauen nicht so viel Umstände mit dem Exerzieren gemacht. Weshalb auch? Feldschlachten hatten sie nicht zu liefern. Der ganze Kampf beschränkte sich auf das Verteidigen oder Stürmen eines festen Platzes, meistens, oder häufig doch, auf den Einzelkampf, und wenn sie nur ihre Waffen gehörig zu brauchen wußten, so kam es nicht darauf an, ob sie auch den linken Fuß einmal niedersetzten, während ihr Nebenmann mit dem rechten dasselbe tat.

Aber die Leute waren fast alle außer Arbeit und Verdienst und sahen selber ein, daß es keine Ruhe und keinen Wohlstand wieder im Lande geben würde, wenn nicht dieser Wirtschaft in der Regierung ein Ende gemacht und ein vernünftiger – oder vielmehr ehrlicher Mann an die Spitze kam. Wo sie den herbekommen wollten, wußten sie allerdings selber noch nicht, aber das kümmerte sie auch wenig. Das mußten die Leute besorgen, die den Aufstand hervorgerufen hatten und befehligten, und denen konnten sie es mit gutem Gewissen überlassen – überließen es ihnen wenigstens. Was wußten sie von den Rechten eines Republikaners? Sie hatten noch nie Gebrauch davon gemacht.

In dem kleinen, reizend gelegenen Städtchen Maracay, dicht am Ufer der Lagune und von den prachtvollsten Gärten eingeschlossen, hielten an dem nämlichen Tage, dessen Szenen in den vorigen Kapiteln geschildert wurden, einige hervorragende Führer der Reconquistadoren eine Versammlung, um die Schritte, die unternommen werden mußten, und die dazu nötigen Mittel zu beraten. Ein Zusammenwirken war zur Notwendigkeit geworden, und es wimmelte an dem Tage von blauen Soldaten in der Stadt.

Den Soldaten sah man ihnen freilich, sobald sie ihre Waffen ablegten, nicht mehr an, denn keiner von ihnen trug irgend welche Uniform. Sie sollten ja auch keine Stunde länger Soldaten bleiben, sobald ihr Zweck erfüllt, der Präsident zum Lande hinausgejagt, und die Macht seiner zahllosen Generale gebrochen war. Es war eine Landwehr im wahren Sinne des Wortes, und die bedurfte nichts weiter als der Wehr.

Die meisten gingen in lichtblauen oder grauen Jacken von gewöhnlichem amerikanischen oder deutschen Baumwollenzeuge, trugen Hosen, je nach Phantasie oder Laune, Alpargates an den Füßen und fast durchschnittlich Strohhüte. Kaum die Hälfte von allen hatte sich auch schon das blaue Band beschaffen können, denn wenn auch die Händler in Maracay dafür gesorgt haben mochten, daß hinlänglicher Vorrat davon vorhanden war, so fehlte doch den meisten das bare Geld, um dafür zu zahlen, und ohne das bekamen sie nun einmal kein Band. – Sehr gemischt war auch dabei noch ihre Bewaffnung. Manche hatten allerdings Musketen mit Bajonett und Patronentaschen, die meisten aber nur alte Karabiner, die jedenfalls einmal von einer europäischen Regierung ausrangiert und dann – nach dem einzigen Markt dafür – nach Südamerika geschafft waren. Viele führten sogar nur Lanzen und lange Messer im Gürtel, konnten dem Feind aber damit gewiß viel gefährlicher werden, als ihre Kameraden mit den Karabinern, denn sie wußten diese Waffe vortrefflich zu führen.

Gleichmäßiger bewaffnet waren die Offiziere, die jeder einen Säbel an der Seite – allerdings von sehr verschiedener Form, und wenigstens einen, oft auch zwei Revolver im Gürtel trugen. Als Abzeichen führten sie an ihrem Gut eine aus blauem Band rosenartig zusammengelegte Kokarde.

In der großen Posada, unfern von der Plaza, sollte die Versammlung der Führer stattfinden. Offiziere sprengten schon vom frühen Morgen an durch die Straßen, und überall standen Gruppen von Soldaten, die oft mit den lebendigsten Gebärden die Tagesereignisse besprachen und erhaltene Neuigkeiten austauschten. Sie politisierten auch auf das eifrigste miteinander, und zwar über die Verdienste der verschiedenen Präsidentschaftskandidaten – nur daß ihnen selber eine Entscheidung dabei zustehen könne, fiel ihnen nicht ein – hätten sie sich selbst für eine bestimmte Persönlichkeit begeistern können. Das aber war nicht der Fall und auch wohl mit die Ursache, daß die aller Orten gärende Revolution nur so langsame Fortschritte machte. Es fehlte ein Führer, dem man sich blindlings anvertrauen konnte, und die Neigung der Leute zersplitterte sich deshalb nach allen Seiten.

Dieselbe Frage beschäftigte aber heute die Offiziere, von denen sich ein buntes Korps gesammelt hatte. Die meisten von ihnen waren auch gemischten Blutes, von der dunkleren Farbe des Indianers an, durch den Mestizen und bis zu dem fast weißen Quadroon. Von wirklich rein spanischer Abkunft befand sich nur einer unter ihnen, aber doch manche Kreolen aus den besten Familien des Landes.

Vor allen Dingen galt es nun, ihren Operationsplan festzustellen und vereint gegen Caracas zu wirken, und Abgesandte sollten darum augenblicklich nach Barcelona gehen, damit sie von dorther in ihren nächsten Plänen unterstützt würden. Die Hauptsache war, die Regierungspartei in Caracas, die das Innere noch fast gar nicht besetzt hielt, zu isolieren und von dem Lande abzuschneiden. Dann konnte man sich auch darauf verlassen, daß die größeren Binnenstädte, wie z. B. Calabozo, augenblicklich zu ihnen stehen und sich offen für die Revolution erklären würden. Zu dem Zweck mußten die in das Innere führenden Städte, wie Ortiz, Victoria usw., besetzt werden, und wenn dann von Osten her die Truppen aus Barcelona einrückten, so blieb dem Präsidenten nichts anderes übrig, als eben der Übermacht zu weichen.

Für diese verschiedenen Unternehmungen, die sich von dort aus teils gen Osten, teils gegen Südosten zu richten hatten, wurden die betreffenden Führer ausgewählt – nicht mit Epauletten und Ordenssternen gezierte Offiziere, sondern schlichte Bergbewohner oder auch Llaneros, ihre Alpargates an den Füßen und den Strohhut auf dem Kopf. Aber es waren kräftige, geschmeidige Gestalten, im Sattel zu Hause, und mit ihren Waffen auch vertraut genug.

»Und welchen Präsidenten haben die Reconquistadoren in Barcelona aufgestellt?« fragte einer der höheren Offiziere, General Alvarado, beim Schluß der Versammlung den General Jefe (oder en chef) Mig. Ant. Rojas, der das Ganze leitete. »Hat man noch nichts darüber erfahren?«

»Einen Präsidenten scheinen sie noch gar nicht zu haben,« lautete die Antwort, »aber wie ich höre, sollte vor allen Dingen Monagas mit der Führung des Aufstandes betraut werden.«

»Was?« schrieen andere – »haben sie das Franziskanerkloster in Caracas vergessen? – Den Schlächter der Deputierten wollen sie zum Führer und nachher am Ende wieder gar zum Präsidenten wählen?«

»Er hat erklärt, daß er auf die Ehre verzichte; er will sein Vaterland nur von dem jetzt auf ihm lastenden Druck befreien und Vergangenes damit sühnen.«

»Redensarten! Weshalb nehmen wir nicht Dalla Costa, den Präsidenten von Guayana. – Gibt es einen besseren im Lande?«

»Der hat abgelehnt.«

»So ist ihm schon der Antrag gemacht?«

»Indirekt – er will Guayana nicht verlassen.«

»Er wird nachgeben, wenn es zum Wohl des Ganzen ist.«

»Und weshalb hält er dann mit seinen Leuten zurück? Er will neutral bleiben.«

»Verdenken kann ich's ihm nicht – Guayana ist überdies zu schwach bevölkert.«

»Und er duldet auch noch Falconsche Truppen in seinem Staat,« sagte Rojas. »Doch lassen wir das, ihr Herren. Wir hier bestimmen doch nicht den künftigen Präsidenten und werden das den zu wählenden Deputierten überlassen müssen. Also auf Ihre Posten. Je mehr Soldaten Sie von jetzt an zusammenbringen können, desto besser: und Sie, Hauptmann Teja, holen Sie nachher Ihre Depeschen ab – kommen Sie nicht zu spät.«

Damit ging er hinaus, wo sein Pferd angebunden stand, schwang sich hinauf und trabte seinem Quartier, auf einer der Hacienden draußen, zu.

»Dem haben Sie auf den Fuß getreten, Alvarado,« rief lachend Hauptmann Teja, ein junger Spanier, der neben ihm stand. – »Er wäre selber nicht böse, wenn er gewählt würde.«

»Wer? Miguel Rojas? – Nun, er hat einen großen Anhang im Lande und ist ein wackerer Soldat.«

»Das ist er, und ich wünsche mir keinen besseren General – aber er ist zu ehrgeizig.«

»Bah – das wäre kein Fehler, Ehrgeiz schadet nichts, wenn er nur dabei auch ehrlich bleibt, und deshalb gerade hätte ich Dalla Costa gern hier bei uns gesehen. Überhaupt ist der auch klüger als alle die anderen. Aber das geht uns nichts an. Wir ändern's doch nicht und haben nur dreinzuschlagen, wenn sich die Herren in Caracas nicht vernünftigerweise fügen wollen. Die Konstitution soll leben!«

»Und womit wollen Sie dreinschlagen?« fragte Teja.

»Womit? Mit Soldaten!« rief Alvarado.

»Und woher wollen Sie die nehmen, wenn sie nicht freiwillig kommen?«

»Ei, Caracho! dann nehmen wir sie mit Gewalt. Machen es die Gelben etwa besser, oder gehen sie zarter mit ihnen um?«

»Aber Sie ließen eben die Konstitution leben, und danach kann in Venezuela niemand zum Dienst gezwungen werden.«

»Unsinn! Die Konstitution ist recht gut in Friedenszeiten und muß dann aufrecht gehalten werden, aber im Krieg kann man doch wahrhaftig keine Umstände machen, wenn so ein Lumpenkerl zu faul ist, eine Muskete zu schultern oder eine Lanze in die Hand zu nehmen? Ich bin gewiß für Volksfreiheit, aber es muß alles seine Grenzen haben.«

»Sie sind wenigstens ehrlich,« lachte Teja, »und doch auch nicht viel bester als die übrigen; Freiheit wollt ihr in eurer Republik haben, aber nur jeder für sich selber und in seinem eigenen Kreis; den Nachbar mag nachher der Teufel holen. Kommen Sie und lassen Sie uns ein Glas vino seco trinken, denn wir haben scharfe Arbeit und einen langen Ritt vor uns, und ich muß aufrichtig gestehen, daß ich das faule Leben hier satt bekomme. Seit vier Wochen schon treiben wir uns in diesem kleinen Paradies herum und tun nichts, als den Hacienderos ihre Lebensmittel aufzuzehren und ihre Leute von der Arbeit abzuhalten. Selbst ein Paradies kann einem da langweilig werden.«

»Sie hätten mit der Familie Castilia bekannt werden sollen – gerade da draußen, wo Rojas sein Hauptquartier hat – das sind liebenswürdige Menschen, und mir ist die Zeit dort wie im Sturm verflogen.«

»Ich bin überall ein Fremder geblieben,« erwiderte Teja düster, »aber vamo nos – der Wein ist meine einzige Erholung.« Und den Freund unter den Arm nehmend, schlenderte er mit ihm die Straße hinab und einer der zahlreichen Posaden zu, in denen auch spanischer Wein feilgeboten wurde. –

Draußen vor der Stadt, und kaum eine halbe Legua von den letzten Außengebäuden entfernt, lag die prachtvolle Hacienda der Familie Castilia, auf der alles noch in der alten spanischen Zeit angelegt war.

Schon wenn man von der Straße aus unter die alten mächtigen Bäume einbog, die das Tor beschatteten und eine Strecke weit durch eine dichte Kaffeepflanzung hinführten, sah man in der breiten, aristokratischen Allee das stattliche Herrenhaus vor sich mit seinen luftigen Verandas und massiv steinernen Treppen und Portalen. Hier hinein fiel auch nie ein Sonnenstrahl, denn die Wipfel waren fest ineinander gewachsen und bildeten ein förmliches Dach. Aber kaum hundert Ellen schritt man darin hin, da öffnete sich plötzlich der hochgewölbte, laubige Gang, und ein zauberschönes Bild bot sich dem Auge dar.

Wie in einem Walde lag das schloßähnliche Gebäude, aber in einem Walde von blühenden Bäumen, unter denen der regelmäßig gepflanzte Kaffeestrauch das Unterholz bildete, während sich eine stattliche Allee von Königspalmen den riesigen Laubholzbäumen anschloß und, ihre Fortsetzung bildend, durch einen Orangenhain dem Portal entgegenführte. Um den breiten Fuß dieser wunderlichen Palmenart aber – von einer hohen, seitwärts daran hinführenden und aus Stein gebauten Wasserleitung getränkt – blühten Rosen, Vanille, Granaten und andere prachtvolle tropische Blumen, und wunderbar belebend lag der Duft der Orangen auf der herrlichen Umgebung.

Dahinein lenkte der General Jefe, Miguel Antonio Rojas, begleitet von seinem Adjutanten, sein Tier, und gab ihm schärfer die Sporen, als er schon im Portal die Damen vom Hause stehen sah. Es war etwas spät geworden, und er wußte, daß man sie mit dem Essen erwartet hatte. Taten die guten Menschen doch alles, um ihren selbsteinquartierten Gästen das Leben angenehm zu machen, denn sie betrachteten sie ja auch nicht als Fremde, sondern als wackere Kämpen für die Freiheit ihres schönen Landes.

Die Begrüßung war eine herzliche. »Sie haben uns lange warten lassen, General,« rief ihr freundlicher Wirt, der alte Castilia, ein Gentleman im vollen Sinn des Wortes, sie an. »Die Frauen sind schon böse geworden, denn sie behaupteten, das Essen wäre verdorben.«

»Wir müssen wirklich tausendmal um Entschuldigung bitten, Sennor,« erwiderte der General, indem er zugleich mit seinem Adjutanten, Oberst Bermuda, aus dem Sattel sprang, während herbeieilende Diener die Pferde abnahmen, »aber der Dienst geht vor, und wir hatten heute Wichtiges zu beraten. Meine Damen, wir legen uns Ihnen zu Füßen – zürnen Sie uns nicht, uns armen hungrigen Sündern.«

»Wenn Sie hungrig sind, soll Ihnen vergeben sein,« meinte lachend ein junges blühendes Mädchen von kaum siebzehn Jahren, mit schelmischen Grübchen im Kinn, und die Augen vor Lust funkelnd, daß sie wie zwei schwarze Diamanten blitzten.

Rosa, Castilias zweites Töchterlein, war in ein weißes, einfaches Gewand gekleidet, das aber mit Blau eingefaßt und durch eine blaue Schärpe zusammengehalten wurde. Blaue Blumen trug sie ebenfalls im Haar und bekannte damit die Farbe der Reconquistadoren. Aber auch mit vollem Herzen hing sie an deren Sache, wie sich denn überhaupt die ganze Familie auf Seite der Revolution gestellt und schon große Opfer für ihre Förderung gebracht hatte.

Auch die Frau vom Haus begrüßte die Gäste oben an der Treppe, und so jugendlich erschien sie noch, daß man sie kaum für Rosas Mutter gehalten hätte. Und trotzdem war Rosa nicht das älteste von ihren Kindern, sondern diese hatte noch eine um zwei Jahre ältere Schwester und einen um sieben Jahre älteren Bruder, wie auch noch ein paar jüngere Geschwister. Aber wie häufig finden wir das in Venezuela, wo sich, ungleich in anderen tropischen Ländern, die Mütter so lange jugendlich erhalten und in vielen Fällen für Schwestern ihrer eigenen Töchter gelten könnten.

Man ließ die Offiziere übrigens nicht lange in der Tür stehen; sie mußten doch erst ein wenig Toilette machen, und das Essen wurde schon aufgetragen. Kaum zehn Minuten später fand auch die heute etwas späte Mittagstafel alle um den großen, runden Tisch in der Vorhalle versammelt, und das Gespräch drehte sich bald – denn wovon hätte man jetzt anders sprechen sollen – um den gegenwärtigen Stand der Revolution und die Aussichten, die einen baldigen Sieg der guten Sache versprachen.

Oberst Bermuda saß neben Rosa.

»Und Sie tragen heute unsere Farbe, Sennorita?« fragte er freundlich, »das ist sehr lieb und gut von Ihnen, und ich danke Ihnen von Herzen dafür.«

Rosa errötete tief. »Möchte es bald die Farbe des ganzen Landes werden,« erwiderte sie, »es ist die Farbe des Glaubens, und alle guten Venezuelanerinnen sollten sie tragen.«

»Wenn alle so dächten wie Sie – aber es gibt auch Abtrünnige.«

»Hoffentlich nicht viele, und sie werden auch zu uns gehören, sobald sie sehen, daß es dem Vaterland zum Heil gereicht.«

»Wir haben vor kaum einer Stunde einen Brief aus Barcelona erhalten, General,« sagte der alte Castilia.

»Ich selber erhielt eine Depesche,« antwortete Rojas – »aber sie ist schon sechs Tage alt.«

»Dann wird sie mit demselben Segelboot nach La Guayra gekommen sein, das auch meinen Brief mitgebracht. Sie wissen also, wie es dort steht?«

»Die Bestätigung muß erst der Dampfer bringen, der, wenn ich nicht irre, heute in La Guayra eintrifft.«

»Allerdings heute, wenn er seine Zeit einhält, und dann muß er schon dort sein. Und damit bekommen wir noch genauere Nachrichten, als sie uns ein einfacher Brief bringen kann. Ich erwarte mit ihm meine Kinder, meinen Sohn und meine Tochter, die schon seit zwei Monaten in der Nähe von Barcelona waren und jetzt zu mir zurückkehren.«

»Ihr Sohn ist Soldat?«

»Nein, Jurist, aber ein warmer Anhänger unserer Sache, wenn er sich auch natürlich in seinen Briefen außerordentlich vorsichtig äußern mußte. Man weiß ja nie, in wessen Hände sie geraten.«

»Und sie werden hierherkommen?«

»Gewiß – so rasch sie können. Man wird ihnen doch in Caracas keine Schwierigkeiten in den Weg legen?«

»Bis jetzt habe ich nicht gehört, daß man Reisende belästigt hat, und glaube es auch kaum. Keinenfalls geschieht es von unserer Seite.«

»Und auch nicht von Falcons,« sagte die Sennora, »noch dazu, da eine Dame in Begleitung meines Sohnes ist. Wir dürfen sie fest auf morgen abend erwarten, denn unser Sohn nimmt doch jedenfalls gleich ein eigenes Fuhrwerk.«

»Wenn er es nicht vorzieht, mit dem Dampfer nach Puerto Cabello zu gehen, um von da eine kürzere Landreise zu haben.«

»Ich glaube nicht; der Dampfer hat immer Aufenthalt in La Guayra. Dann erfahren wir auch Genaues über den Stand der Dinge im Osten, und ich glaube, die Sache ist schon jetzt zu einer Entscheidung gelangt. Ich wollte aber, sie wären da. Ich weiß nicht, seit gestern überkam mich eine gewisse Angst, der ich eigentlich keinen rechten Ausdruck geben kann.«

»Das schwüle Wetter, Sennora,« entgegnete der General, »die Küstenfahrt unseres Dampfers auf der kurzen Strecke zwischen Barcelona und La Guayra, noch dazu Wind und Strömung stets zugunsten, ist eine äußerst gefahrlose, und Sie haben nichts zu fürchten.«

»Aber die Landung in La Guayra ist so übel.«

»Nur bei stürmischem Wetter. Wenn es aber dort draußen stürmte, müßten wir doch hier auch etwas davon fühlen, und die Brise bewegt, wie Sie sehen, kaum die gefiederten Blätter der Palmen.«

»Nein, mein Kind,« meinte auch der alte Herr vom Hause, »du ängstigst dich da sehr nutzloserweise. Der eigentliche Krieg ist noch nirgends ausgebrochen: es kocht und gärt nur überall, und vor dem Wasser brauchst du keine Angst zu haben. Du hast diese Reise ja schon selber drei- oder viermal gemacht – aber da kommt der Kaffee. Ich glaube, wir setzen uns damit am besten hinunter in die Laube – der Orangenduft zieht so prachtvoll darüber hin und die Aussicht nach der Lagune wird man nie müde.«

Die kleine Gesellschaft brach dahin auf, und einen reizenderen Platz als diese von Passionsranken umwachsene kleine Laube gab es wahrlich nicht auf der ganzen Hacienda.

Um die Stelle zu erreichen, mußte man zuerst durch den Orangenhain gehen, dann aber öffnete sich auch plötzlich die Aussicht auf den weiten funkelnden Wasserspiegel, mit den blauen Gebirgszügen im Hintergrund, während die dazwischenliegende kurze Strecke, auf etwas tiefer liegendem Land, mit Bananen und niederen Fruchtbäumen bepflanzt war und einen prachtvollen Anblick gewährte. Alles hohe Holz war hier ausgehauen oder niedergehalten worden, um die Aussicht nicht zu beschränken, aber links und rechts hoben sich, wie eine hohe, dichte Mauer, kulissenartig die dem Kaffee beigegebenen Schattenbäume, mit korallenroten Blüten bedeckt, empor und rahmten dadurch das Bild der Lagune mit ihren schönen Ufern vollständig ein.

Dem General und seinem jungen Begleiter verging auch hier die Zeit so rasch, daß er ganz die Depeschen vergaß, die er noch zu schreiben hatte, als plötzlich ein fester Schritt hinter ihnen laut wurde, und Hauptmann Teja, von einem kleinen Jungen hierher geführt, um den Rand der Laube trat und die Gesellschaft militärisch grüßte.

»Die Herrschaften entschuldigen,« begann er sehr artig, »aber der Dienst zwingt mich, Sie zu stören – General, ich melde mich eingetroffen.«

»Ah, Hauptmann Teja!« rief der General, von seinem Stuhl emporspringend – »Caramba! ich habe ja wahrhaftig vergessen, Ihnen die Papiere zurechtzumachen; aber kommen Sie mit, oder warten Sie hier einen Augenblick, wenn es die Damen erlauben. – Ich bin gleich wieder da, und Sie sollen keine Viertelstunde aufgehalten werden. Sie haben auch noch Zeit,« setzte er mit einem Blick nach der Sonne hinzu, »Ihren Bestimmungsort vor Abend zu erreichen, und weiter bedarf es nichts. Die Ausführung muß doch bis morgen früh aufgeschoben werden. Sie entschuldigen mich wohl, meine Damen,« und mit den Worten verließ er rasch die Laube und schritt dem Wohnhaus zu.

Ein kleiner Bursche war indessen auf einen Wink der Hausfrau schon fortgelaufen, um eine Tasse für den neuen Gast zu holen, und Tejas Blick hing indessen staunend und bewundernd an der holden Erscheinung des jungen Mädchens, das, mit dem blauen Band der Reconquistadoren geschmückt, in Liebreiz und jungfräulicher Verschämtheit vor ihm stand. Aber er fühlte dabei, daß aller Augen auf ihn geheftet waren, und wie ein Mädchen fast errötend, stammelte er.

»Ich fürchte, daß ich die Herrschaften hier störe.«

Er hätte nicht gut etwas Ungeschickteres sagen können.

»Hauptmann Teja ist im Dienst,« nahm da, wie ihn entschuldigend, der Oberst Bermuda das Wort, denn ihm war das Anstarren der jungen Dame unangenehm geworden. »Der General wird augenblicklich zurückkehren.«

»Bitte, machen Sie um Gottes willen keine Umstände,« rief der alte Herr nun freundlich, denn er bemerkte die jetzt noch gesteigerte Verlegenheit des jungen Mannes. »Wir haben hier Feldlager. Wenn dem aber auch nicht so wäre, so ist uns auf unserer Besitzung doch jeder Offizier Ihrer Armee herzlich willkommen und darf sich nicht als Fremder hier betrachten. Da kommt auch Sinto schon mit einer Tasse. Bitte, nehmen Sie Platz, lieber Herr, und lassen Sie es sich bei uns gefallen.«

Teja hatte die erste Verlegenheit rasch überwunden und ärgerte sich schon, daß er sich so ungeschickt benommen – doppelt vielleicht, weil Oberst Bermuda Zeuge gewesen war. Aber daran war nichts mehr zu ändern, und Teja, aus einer guten und altspanischen Familie, viel zu sehr Weltmann, um sich lange befangen zu fühlen.

Er nahm dankend die ihm gebotene Tasse, und wie von selber entwickelte sich rasch ein Gespräch – zuerst über die prachtvolle Szenerie dieser Gegend, das aber auch, fast unbewußt, weiter führte und zu Vergleichen mit anderen Ländern.

Teja war, so jung er noch sein mochte, doch schon viel gereist und hatte manches ferne Land gesehen, besonders Mexiko, den Norden des südlichen Kontinents und die Westküste, überhaupt die altspanischen Kolonieen durchstreift, und die Familie fand bald Gefallen an den lebendigen Schilderungen, die er ihnen von eigentlich in ihrem Bereich liegenden und doch noch nicht von ihnen gekannten Ländern gab.

Bermuda amüsierte sich am wenigsten dabei. Es konnte ihm nicht entgehen, daß Rosa dem Spanier mit größter Spannung zuhörte, und er ärgerte sich außerdem, daß hier der junge, kaum bärtige Hauptmann über Sachen das Wort führte, über die er als Oberst nicht einmal mitreden konnte. – Und wo der General nur blieb! Er schrieb auch ewig an seinen paar Depeschen! – Endlich kam er. Teja sprang auf, um die Befehle zu empfangen, und war dann im Begriff, sich zu verabschieden.

»Sie wollen schon fort?« fragte Rosa in ihrer fast kindlichen Unbefangenheit – »o, wie schade – ich hätte so gern noch mehr über Peru gehört.«

»Ich will nicht, ich muß, Sennorita,« erwiderte der junge Mann freundlich, »aber wenn Sie es mir erlauben, kehre ich vielleicht bald einmal wieder hierher zurück, um das wenige, was ich Ihnen über jenes Land sagen konnte, zu ergänzen.«

»Das wäre zu hübsch.«

»Die Depeschen eilen, nicht wahr, General?« fragte Oberst Bermuda.

»Nicht übermäßig,« meinte dieser, mit dem Kopf schüttelnd. Der junge Kapitän aber, mit keiner Entschuldigung mehr, länger zu bleiben, grüßte wieder militärisch die Gesellschaft und sprengte wenige Sekunden später die breite Allee entlang hinaus auf den großen Weg, dem er in einem scharfen Trab gen Osten folgte.

»Wer war der junge Hauptmann, General?« fragte der alte Sennor Castilia, als die Hufschläge hörbar wurden – »er hatte etwas Vornehmes in seinem ganzen Benehmen und muß viel gesehen haben, so jung er ist.«

»Ein Spanier,« nahm Oberst Bermuda, der sich wieder zu Rosa gewandt hatte, das Wort, »der hier, Gott weiß aus welchem Grunde, in Venezuela seinen Aufenthalten genommen hat.«

»Aber kämpft er jetzt nicht mit für die gute Sache, Herr Oberst?« fragte das junge Mädchen.

»Er hat sich wenigstens dafür engagieren lassen,« meinte Bermuda, »und wir müssen nun abwarten, wie er sich benimmt. Ich selber traue den Spaniern nie weiter, als ich sie sehen kann.«

»Caramba, Sennor,« rief der alte Herr – »wir stammen alle von Spanien her, und sogar meine Eltern waren geborene Spanier, wenn ich selber auch auf diesem Boden geboren bin.«

»Das ist etwas anderes,« erwiderte Bermuda etwas verlegen, denn er selber, wenn auch ziemlich weiß, konnte seine teilweise indianische Abkunft nicht verleugnen. – »Wir alle aber sind von unserer Geburt an in venezuelanischer Luft großgezogen, von dem Boden ernährt worden und haben Liebe zum Lande selber, aber die Spanier sind uns nie freundlich gesinnt gewesen – sie hatten nie ein Herz für Venezuela, und deshalb – traue ich ihnen auch nicht!«

»Teja ist ein sehr brauchbarer und, wie ich glaube, auch treuer, junger Offizier,« sagte der ältere General ruhig. »Er verfügt auch über ziemlich viel Geld, und ich glaube, er ist aus guter Familie.«

»Ein Abenteurer, der von einem Land zum anderen streift,« bemerkte Bermuda, fest entschlossen, den Fremden nicht zu loben oder gelobt zu hören. »Man kann sich nie auf solche Leute verlassen, denn sie haben kein Vaterland.«

Rosa zog die Unterlippe ein wenig ein und klopfte mit dem kleinen Fuß den Boden – sie ärgerte sich, daß Oberst Bermuda so gar nichts für den Abwesenden zu sagen hatte, und doch gab sie sonst viel auf sein Urteil und unterhielt sich gern mit ihm. – Aber der General brach das Gespräch ab. Er hatte mit seinem Adjutanten noch manches zu besprechen, denn die verschiedenen Beschlüsse der heutigen Versammlung mußten ausgeführt werden, und verabschiedete sich von den Damen, um die Geschäfte in seinem eigenen Zimmer zu erledigen.



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