Friedrich Gerstäcker
Die Blauen und Gelben
Friedrich Gerstäcker

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Nahende Entscheidung

Am Montag morgen, nachdem die Ministerien die Feiertage über geschlossen gewesen waren, fand großer Umzug statt, denn sämtliche alte Beamte waren natürlich von den neuen Ministern entlassen worden, weil diese nicht ebenso viele Spione um sich haben wollten. Auch Horacio Enano – obgleich Falcon Präsident blieb – hatte seinen Abschied bekommen, und die erste Kunde davon eigentlich nur mit starrem Erstaunen hingenommen.

Falcon entließ ihn, der auf ihn selbst »ein ganzes Heer von Sonetten gedichtet« und durch die letzte Haussuchung (in der seine poetischen Versuche an die verschiedenen Ideale seiner Frau ebenfalls in die Hände gerieten) Höllenqualen von der Eifersüchtigen ausgestanden hatte – und er hatte doch nur Ideale besungen. –

Enano war ein braver, seelensguter Mensch, der wahrlich kein Wasser trübte und bis dahin mit fast alberner Verehrung an dem Präsidenten gehangen. Sah er doch gleichfalls in ihm ein Ideal – männlicher Schönheit sowohl wie männlichen Edelsinns, und Ideale waren nun einmal seine schwache Seite. Die Behandlung aber, die er in der letzten Zeit erlitten, und was er besonders nachher, teils bei seinen Kollegen, teils in der Stadt dulden mußte, streifte an das Unerhörte, und selbst der Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird. Enano war empört.

Seine Kollegen betrachteten ihn von dem Augenblick an, wo die Haussuchung, an die man allerdings nicht so rasch glauben wollte, bekannt geworden, mit Mißtrauen und behandelten ihn ebenso. Es ist wahr, man hatte gar nichts Verdächtiges bei ihm gefunden, ja, im Gegenteil die Entdeckung gemacht, daß er der anonyme Verfasser der Hymne auf den Präsidenten gewesen sei – aber ohne Grund läßt man bei niemand eine Haussuchung anstellen, am wenigsten bei einem in Diensten der Regierung stehenden Beamten, und wo ein Grund einmal vorgelegen hatte, konnte auch das rechte Vertrauen nur schwer wieder hergestellt werden. Das Wichtigste aber war, wenn sie mit ihm nach wie vor freundlich verkehrten, so konnten sie selber in üble Nachrede kommen, oder es auch vielleicht nur von ihren Vorgesetzten nicht gern gesehen werden, und in beiden Fällen durfte es ihnen schaden und brachte ihnen keinenfalls Nutzen – also war es viel besser und vorsichtiger gehandelt, sie ließen einen alten Bekannten und Freund fallen.

Das aber blieb noch nicht das Schlimmste, denn das hätte Don Horacio im Gefühl seiner Unschuld leicht ertragen, aber der Spott in der Stadt!

Wo er sich blicken ließ, nahmen ihn einzelne beiseite und fragten ihn geheimnisvoll: wie es draußen im Lager der Blauen stände, was Monagas zu tun gedächte, und wie bald sie »auf den Sieg der guten Sache« rechnen dürften?

Andere wieder machten ihm zärtliche Vorwürfe, daß er sein Herz von dem »Besten seiner Zeit« abgewandt habe. Wieder andere fragten ihn, wann sein nächstes Gedicht erscheinen würde, und ob sie nicht eine Abschrift, und zwar ein Autograph, erhalten könnten; kurz, die ganze Stadt hatte ihren Scherz mit ihm, und Don Horacio war zu klug, um das nicht zu fühlen, und mußte sich deshalb ärgern. Sein gutes, vertrauensvolles Herz war mit Bitterkeit bis zum Rand gefüllt, und eine eigene Genugtuung war es, mit der er an diesem Morgen zum letztenmal zum Ministerium hinaufging, um sich noch einige Kleinigkeiten, sein Eigentum, herunterzuholen. Neulich war ihm dazu keine Zeit geworden.

Als er hinaufkam, fand er übrigens seine Kollegen schon in vollster Arbeit und bei einer Beschäftigung, wie sie vielleicht bei solchen Gelegenheiten einzig und allein in Venezuela vorkommt: um nämlich das Ministerium zu plündern, als ob sie es eben erobert hätten, und es gleich nachher anzünden wollten.

Es waren fünf Beamte, die da oben gewöhnlich zusammen gearbeitet hatten. Enanos vier Kollegen mußten sich aber auch schon eine Zeitlang im Bureau befinden, trotzdem, daß es kaum acht Uhr morgens sein konnte, aber um zehn Uhr trafen die neu Angestellten ein, und bis dahin sollte natürlich alles »in Ordnung« sein. Sonderbar war nur, was die Herren unter Ordnung verstanden.

Der eine hatte den größten Teil des noch vorhandenen Papiers vor sich auf dem Tisch liegen und schnürte es zusammen; in das übrige schienen sich die anderen geteilt zu haben. Das noch vorhandene Siegellack war ebenfalls schon beseitigt, und einer hob gerade eine der etwas lockeren Steinplatten im Boden auf, um die Tinte aus dem Tintenfaß (die anderen waren schon zum Mitnehmen gereinigt) darunter zu gießen, damit er nicht unterwegs Flecken davon bekäme.

Horacio kam ihnen, wie es schien, nicht besonders gelegen, aber nicht etwa, weil sie sich vielleicht vor ihm geniert hätten, sondern weil er doch wahrscheinlich auch mit ihnen teilen wollte, und das schädigte sie dann natürlich. Er blieb auch, wirklich erstaunt, einen Augenblick in der Tür stehen und sah ihnen zu, ging dann aber plötzlich auf einen hageren und sehr langen Mann zu, denselben, der sich gerade mit dem Tintenfaß beschäftigte und es auswischte, und sagte:

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Don Serafino, daß Sie sich die Mühe geben; das aber ist mein Eigentum. Ich habe es mit heraufgenommen, weil ich daran gewöhnt bin.«

»Ihr Eigentum, Don Horacio? Hm,« erwiderte der Mann, »das ist mir sehr unangenehm, denn ich bin dann mit dem Papier zu kurz gekommen. Der Staat schuldet mir drei Monate Gehalt, und ich sehe keine Möglichkeit, es unter den jetzigen Verhältnissen und mit dem Umsturz alles Bestehenden beizutreiben.«

»Ich habe in den letzten Monaten ebenfalls nichts bekommen, Don Serafino,« erwiderte Don Horacio sehr förmlich, indem er sein Eigentum ohne weiteres an sich nahm, und Serafino etwas pikiert seine schwarz gewordenen Finger betrachtete. »Sie werden mich entschuldigen.«

»Gut,« meinte Serafino, »dann halte ich mich an die Tischdecke,« und seine Finger vorher etwas mit Papier abwischend, ließ er auch dem Entschluß die Tat folgen, zog die Tischdecke von schwarz und grünem Wollenstoffe, auf der er bis jetzt gearbeitet hatte, halb an sich, faltete sie zusammen, schlug sie nochmals und wieder um, bis er ein kleines Paket daraus gemacht hatte; dann legte er sie zu dem übrigen.

Horacio kämpfte mit sich. Sollte er die anderen beschämen, indem er stolz jede Selbsthilfe von der Hand wies? Aber was hätte er davon gehabt? Sie würden ihn nur heimlich ausgelacht haben, weil sie selber dadurch etwas mehr bekamen, und daß er sein noch schuldiges Gehalt nicht ausgezahlt erhielt, darauf hätte er das heilige Abendmahl nehmen wollen.

Er schloß seine Schublade auf, in der sich noch etwas Papier, mehrere Dutzend Kuverts, Siegellack, Nadel und Garn und verschiedene andere Dinge befanden, die im Bureau gebraucht werden. Er betrachtete die Sachen aufmerksam: war er noch unschlüssig, ob er sie doch vielleicht da lassen sollte? – Nein, er überschlug nur in Gedanken den etwaigen Wert der Kleinigkeiten, der sich kaum auf zwei Pesos belaufen konnte. Dann nahm er alles heraus, stopfte es in seine Taschen und wickelte, was nicht mehr hineinging, zusammen. Auf den Raub von Tischdecken, der von den anderen gewissenhaft nachgeahmt wurde, ließ er sich jedoch nicht ein – er war dafür zu stolz.

Als sie zusammen das Gemach verließen, das jetzt im wahren Sinn des Wortes leer stand, war Don Serafino der Letzte. Er blieb noch einen Augenblick wie überlegend in der Tür stehen, dann schob er alles, was er trug, unter den linken Arm, griff mit der rechten Hand den ihm nächsten Stuhl und folgte damit ruhig den anderen.

Unten, ehe sie durch das Portal schritten und das Ministerium verließen, mußten sie eine Schildwache passieren. Diese ließ die Vorderen auch ruhig vorbei, als aber Don Serafino kam, sagte der Soldat:

»Wo wollen Sie mit dem Stuhl hin?«

»Ich will ihn zum Tischler bringen,« erwiderte der Beamte mit äußerster Milde, »er wackelt so.«

Der Posten ließ sich aber auf derartige Spitzfindigkeiten nicht ein.

»Stühle dürfen diesmal nicht mitgenommen werden,« sagte er kurz, »ist strenger Befehl von oben.«

»Dann bitte, nehmen Sie Platz,« sagte Serafino, aufs äußerste gekränkt, daß man selbst einen gemeinen Soldaten aufgetragen hatte, auf sie acht zu geben. Damit setzte er den Stuhl neben der Wache nieder und verließ empört das Gebäude.

Etwa anderthalb Stunden später wurden die neuen Beamten eingeführt, der eine konnte gleich den Stuhl wieder mit hineinnehmen, der noch draußen stand. Als sie aber an die Arbeit gingen, zeigte sich – was sie freilich gar nicht anders erwartet hatten – daß nicht ein einziger Bogen Papier, kein Tintenfaß, keine Feder, kurz, nichts vorhanden war, was sie zur Erledigung ihrer Geschäfte notwendig brauchten.

Dieser Fall kam, wie gesagt, nicht unerwartet, und Ähnliches war in den letzten Jahren schon verschiedene Male aufgeführt. Die Leute wußten sich auch zu helfen, schickten einen in die Buchhandlung, um das nötige Material herbeizuschaffen, und gingen indessen in dem großen, öden Saal auf und ab spazieren.

Der Abgesandte erreichte indessen seinen Zweck nicht so leicht, als sie vielleicht erwartet haben mochten. Als er in die deutsche Buchhandlung trat, saß der »Prinzipal« selber im Laden auf dem Ladentisch und rauchte seine Zigarre. Zu tun war wenig oder nichts, und er hatte freie Zeit genug.

»Sennor,« begann der Beamte, »ich möchte Sie bitten, mir für das Finanzministerium Papier – Sie wissen schon welches, Kuverts, Siegellack und eine Schachtel voll Stahlfedern zu geben, auch fünf Tintenfässer und ein halb Dutzend Federhalter. Sie haben ja wohl verschiedene.«

»Gewiß hab' ich das,« erwiderte der Deutsche, ohne sich jedoch von seinem Sitz zu rühren, »aber wie ist's damit? Und er rieb dabei den Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zusammen.

»Bitte, schreiben Sie es nur für das Ministerium auf,« lautete die Antwort.

»Ah, hm!« machte Herr Rothe – »wird wohl nicht angehen?«

»Aber der Staat wird Ihnen doch für ein paar Bogen Papier gut sein.«

Der Deutsche schüttelte mit dem Kopf. »Nicht für eine Stahlfeder. Wer ist der Staat? – Kenne ich ihn – ist mir noch nicht vorgestellt. Wer ist denn jetzt Finanzminister?«

»Aber haben Sie denn das nicht in der Zeitung gelesen? Dr. Antonio Parejo.«

»Ja, der war es am Mittwoch, und heute haben wir schon wieder Montag. Ist er's noch?«

»Nun gewiß – und wird es auch hoffentlich bleiben.«

»Abwarten, Amigo – aber Dr. Parejo ist mir gut genug, bringen Sie mir von ihm einen Zettel, daß er die Sachen auf seinen eigenen Namen haben will, und Sie können kriegen, was Sie wollen. Ministerium kenn' ich gar nicht und borgen – gibt's nicht.«

»Das ist nicht übel,« meinte der Beamte erstaunt. »Jetzt hat das Finanzministerium von Venezuela nicht einmal für zehn Pesos Kredit.«

»Guter Freund,« fragte lachend Rothe, »Sie sind wohl nicht von hier, daß sie sich darüber wundern? Da werden Ihnen noch ganz andere Dinge passieren.«

»Aber so geben Sie mir die Sachen wenigstens jetzt mit. Ich bringe Ihnen die Anweisung her.«

»Lieber Herr,« erwiderte Rothe, ohne sich aber von der Stelle zu rühren, »Sie werden nachher zu beschäftigt sein, um alles zusammenzupumpen, was Sie brauchen, so daß Sie vielleicht keine Zeit hätten wieder herzukommen. Bringen Sie nur erst die Anweisung, nachher können Sie das Papier und was Sie sonst brauchen, erhalten. Verstanden?«

Der Beamte antwortete nicht; er drehte sich auf den Fersen herum und verließ den Laden in der Absicht, seinen Kredit anderswo zu eröffnen; aber er mußte wohl keinen rechten Erfolg damit gehabt haben, denn nach einer Stunde etwa kehrte er wieder zurück, brachte die gewünschte Anweisung zurück und erhielt nun, was er verlangte.

Was man befürchtet hatte, geschah. Das Gerücht, daß die gelben Truppen in Victoria zur Revolution übergegangen wären, bestätigte sich nicht; es war überhaupt nirgends etwas Bedeutendes geschehen, das Ganze nur ein blinder Lärm gewesen, und alle die guten Vorsätze, die Falcon in der ersten Angst gefaßt hatte, verschwanden wieder dermaßen vor seinem alten Übermut, daß die neuen Minister wohl einsahen, sie könnten unter seiner Regierung das Land nicht versöhnen. Noch in der nämlichen Woche gab das Ministerium seine Entlassung ein, die auch ohne weiteres angenommen wurde.

Eine ganze Weile hatte jetzt der Staat Venezuela gar kein Ministerium, und die kleinen Quälereien der Kammer der Abgeordneten wurden in solcher Weise fortgesetzt, daß sich das Haus endlich auflöste, denn es sah deutlich genug, daß man hier nur mit den Deputierten des Volks ein unwürdiges Spiel trieb, ohne daß sie selber das geringste nützen konnten.

Falcon ließ sie auch mit dem größten Vergnügen gehen, denn er bekam dadurch vorderhand einen Ärger weniger, und so lebte er – durch die Untätigkeit der Reconquistadoren unterstützt – sorglos in den Tag hinein.

Der vom vorigen Ministerium geschlossene Waffenstillstand, aus dem es einen vollen Frieden heranzubilden gehofft hatte, war erfolglos abgelaufen, dauerte aber trotzdem in Wirklichkeit noch fort, denn es schien fast, als ob sich jede Partei scheue zuerst loszuschlagen.

Es mag sein, daß die, nur von seiner Regierung abhängigen Generale dem Präsidenten vorgelogen hatten, die ungeordneten und mit Lanzen bewaffneten Scharen der Blauen würden nie imstande sein, Caracas zu nehmen. Überall äußerten sich die Offiziere wenigstens dahin, daß sie sich auf nichts mehr freuten, als auf den Augenblick, wo sie das »Gesindel« in die Nähe der Stadt gelockt hätten, um sie dann gleich alle beisammen zu haben und mit einem Schlage zu vernichten. Falcon hielt sich ebenfalls vollkommen sicher, und es beunruhigte ihn nicht einmal, daß sich die aufs äußerste gereizten Abgeordneten, die er schmählich und unwürdig behandelt hatte, jetzt über das ganze Land zerstreuten und in ihrer Schilderung, wie man mit ihnen, den »Abgeordneten des Volks«, verfahren, nur einen neuen Zündstoff zu dem schon im Übermaß vorhandenen Material liefern mußten. Er vertraute auf die Bajonette seiner ziemlich gut bewaffneten Soldaten und hielt sich in der Hauptstadt für unüberwindlich.

Aber ein neues Ministerium mußte er haben, denn er konnte die Geschäfte nicht besorgen, und das bekam er endlich auch nach vieler Mühe. Arvelo, der wirklich das Beste des Landes wollte, entschloß sich noch einmal einzutreten und einen letzten Versuch zu machen, und Bruzual übernahm das Portefeuille des Krieges. Kaum aber hatte Falcon sein Ministerium zusammen, so ließ er auch durch dasselbe einen Designado oder Stellvertreter für sich ernennen, um seinen Lieblingswunsch endlich auszuführen – seine Reise, und in der Stadt hielten die Soldaten jetzt wieder Paraden und marschierten mit klingendem Spiel auf und ab, als ob die ganze Revolution niedergeschlagen oder doch beendet sei – das aber war eine Täuschung.

Am Sonntag, dem dritten Mai herrschte keine Sabbatstille in Caracas. Die Straßen waren außerordentlich belebt, und die Leute steckten die Köpfe zusammen und flüsterten miteinander, denn das Militär befand sich unleugbar in einer außergewöhnlichen Bewegung – bei Falcon war Ministerrat, und einzelne Generale sprengten herüber und hinüber in der Stadt.

Daß irgend etwas irgendwo vorging, war außer allem Zweifel, aber was und wo? – Von draußen bekam man keine Nachricht und nur dumpfe Gerüchte liefen um, die aber niemand so recht glauben wollte. Es war schon soviel gesprochen, so oft erzählt worden, daß »die Blauen kämen«, und hatte sich doch zuletzt immer als falsch erwiesen, ja, man munkelte sogar schon davon, daß die Eifersucht zwischen den beiden angesehensten Führern der Reconquistadoren die ganze Revolution in zwei Teile zu zersplittern drohe.

Plötzlich erzählte man aber ganz bestimmt: die Blauen lägen in Las Ajuntas, einem kleinen Ort, nur wenige Leguas von Caracas entfernt, wo zwei Bergwasser zusammen fließen und die Guayra bilden.

Ein Eseltreiber sollte die Nachricht in die Stadt gebracht haben, da aber die Regierungstruppen gar nicht Miene machten, die Vorstädte zu besetzen, um dort einen etwa anrückenden Feind zu empfangen, so wurde dem Gerücht auch von vielen Seiten widersprochen.

Die Nacht verging ruhig, aber schon mit Tagesgrauen am nächsten Morgen sprengten Kuriere, vom Süden kommend, in die Stadt hinein und mußten wichtige Nachrichten gebracht haben, denn plötzlich wirbelten Trommeln und schmetterten die Trompeten – Offiziere jagten nach allen Richtungen durch die Straßen, und auf der Plaza sammelten sich die verschiedenen Korps in Kolonnen, als ob sie direkt zum Angriff geführt werden sollten.

Jetzt konnte die Ursache dieser Bewegung kein Geheimnis mehr bleiben, ja, die Offiziere selber verbreiteten sie:

Die Blauen hatten wirklich die Frechheit gehabt, bis Las Ajuntas, das die Regierungstruppen nicht besetzt hielten, vorzudringen, und man hoffe jetzt nur, daß sie sich verleiten ließen, in das Tal von Caracas vorzudringen. In Las Ajuntas waren nämlich die Berge zu nah, und die Rebellenschwärme konnten sich, wenn angegriffen, dort leicht hineinwerfen, was die Verfolgung und Aufreibung sehr erschwert hätte.

Die Offiziere besonders schienen vortrefflicher Laune, und insofern auch mit vollem Grund, als ihnen doch nun eine Abwechselung in dem nachgerade unerträglich werdenden monotonen Kasernenleben geboten wurde. Man hatte schon bis zum Ekel einen Kampf mit den Rebellen besprochen, ihrer aber noch immer, wie es hieß, nicht habhaft werden können – denn wo sie standen, dahin ging man eben nicht. Jetzt kamen sie endlich selber, und sogar Falcon schien eine Beruhigung darin zu finden. Bekamen die Rebellen nämlich – was gar nicht anders zu erwarten war – recht tüchtige Schläge, so wußte er, daß er wieder auf lange Zeit Ruhe vor ihnen hatte. Sehr lange konnten sie sich außerdem nicht in ihren Quartieren halten, denn sie sogen ja das Land vollkommen aus, und das Volk wurde ihrer dann von selber überdrüssig. Wenn man sie nur noch ein klein wenig näher nach Caracas hätte bekommen können – aber der ganze Tag verstrich – ausgesandte Boten kehrten immer wieder mit der Nachricht zurück, daß sich auf der Straße, selbst bis nach Los dos caminos hin, nicht das geringste von ihnen blicken ließe, und es sei sehr wahrscheinlich, daß sie vielleicht beschlossen hätten, das kleine, dazu vortrefflich gelegene Las Ajuntas zu verschanzen, um dann vielleicht bei einem späteren Angriff den Rücken gedeckt zu haben.

Das durfte man nicht gestatten. General Colina war schon außer sich, daß Falcon nur so lange zögerte, und setzte es auch gegen Abend wirklich durch, daß er den Befehl der Angriffskolonne gegen den Rebellenschwarm erhielt.

In der Nacht durfte man natürlich nicht wagen von Caracas aufzubrechen, denn der ganze Weg, zuerst mit seinen zahlreichen Geländen und Büschen, später mit dem kupierten Terrain, eignete sich vortrefflich zu einem Hinterhalt und also gerade zu der Kriegführung, die den untergeordneten Scharen der Rebellen am besten zusagte. In der Nacht aber sollten alle nötigen Vorbereitungen beigeschafft werden, um die Expedition zu begleiten. Waren doch die kleinen Ortschaften zwischen Caracas und Las Ajuntas, in denen gerade Colina solange mit seiner Division gewirtschaftet hatte, dermaßen ausgesogen und von dem nötigsten entblößt, daß man sich fest darauf verlassen durfte, kaum noch hier und da Futter für die Tiere, geschweige denn Nahrungsmittel für die Menschen zu finden.

Falcons ganze Heeresmacht in Caracas bestand, da er sich durch die Besetzung von Calabozo noch geschwächt hatte, aus wenig mehr als etwa dreitausend Soldaten. Die Stärke des Feindes kannte man allerdings nicht genau, denn wenn auch die ausgesandten Kundschafter sie auf tausend Mann taxierten, so schien selbst das schon sehr übertrieben. Colina verlangte auch in der Tat nur sechshundert Mann regulärer Truppen und versprach, damit Las Ajuntas in zwei Stunden zu nehmen und die Rebellen auseinanderzusprengen. Bruzual aber war vorsichtiger, weil er recht gut wußte, was von einer ersten Entscheidung der Waffen abhing, und bestand darauf, daß er eine Division von tausend Mann mitnahm, damit auch selbst die Möglichkeit einer Niederlage außer Frage gestellt sei. Hatten sie dann Las Ajuntas rein gefegt, so sollte Colina zweihundert Mann in den dort hochgelegenen Häusern einquartieren. Sie konnten zugleich als Vorposten für die Stadt gegen Südosten dienen; mit dem übrigen Heer aber hatte er sich gleich wieder nach Caracas zurückzuziehen und sich auf keine zu weite Verfolgung in die zerklüfteten Berge einzulassen.

Die Soldaten lagerten mit ihren Waffen, und eine dumpfe Schwüle lag über der Stadt. Wußte man doch gut genug, daß jetzt die Entscheidung nahe, und daß ein Sieg der »Gelben« die Soldateska nur noch übermütiger machen und jede Aussicht auf eine gütliche Schlichtung des Streites hinausschieben, wenn nicht ganz zerstören würde.

So verging ein Teil der Nacht, aber schon um drei Uhr wurden die Bewohner von Caracas aus ihrem Schlaf aufgestört, denn der kriegerische Lärm begann von neuem. Colina wollte nicht heimlich aus der Stadt hinausmarschieren, denn er wußte recht gut, wie wenig Sympathieen die Bewohner derselben für die Regierung hatten. Nein, das Volk sollte jetzt hören, daß El Cólera auszog, um die frechen Banden zu züchtigen, die es wagten, ihm, und wenn auch nur aus der Ferne, Trotz zu bieten.

Es war eine prachtvoll mondhelle Nacht, als die Militärmusik auf der Plaza einen lustigen Marsch begann und damit in die stillen Straßen der Stadt einmarschierte.

Wie das da drinnen schmetterte und rasselte, und die hin und her galoppierenden Pferde über das Pflaster klapperten! Die Schläfer fuhren erschreckt von ihrem Lager empor; die Hunde bellten, die Hähne fingen an zu krähen – die Esel in den verschiedenen Ställen, die den Tag über zum Wasser- oder Futterholen benutzt wurden, schrieen und antworteten einer dem anderen, kurz, es war eine halbe Stunde lang ein entsetzlicher Lärm. Endlich aber, als die kriegerischen Töne schon lange in weiter Ferne verklungen waren, und die Hähne merkten daß sie den Tag viel zu früh angezeigt hatten, als die Hunde nicht mehr bellten, beruhigten sich auch die verschiedenen Esel. Hier und da stieß wohl noch eins oder das andere dieser in Venezuela arg mißhandelten Geschöpfe eine Art von schluchzendem Seufzer aus – dann schwieg auch das, und wieder totenstill wie vorher lag das schlummernde Caracas.


In dem kleinen freundlichen Ort Chacao, unfern von Caracas und an der Straße nach Las Ajuntas, hatten die Bewohner in den letzten Tagen etwas freier aufatmen können, seitdem nämlich Colina die Truppen, die dort gelegen hatten, in die Stadt gezogen. Was hätte er auch da draußen länger gesollt, der Platz war ausgesogen bis zum äußersten, und nur die wenigen Lebensmittel, die einzelne Bewohner noch hier und da vor den überall herumsuchenden Soldaten versteckt hatten, dienten jetzt dazu, sich am Leben zu erhalten, bis sie wenigstens einige Gartenfrüchte ziehen konnten.

Die Regenzeit war vor der Tür – ja hatte schon zum Teil, ob auch nur noch in einzelnen Schauern begonnen, und dann und wann zogen schwere Gewitterwolken über das Tal hinweg. Setzten erst die Regen ordentlich ein, dann wuchs ja auch alles mit fabelhafter Schnelle, und die armen Menschen waren wenigstens gegen den Hunger geschützt.

Am Abend des vierten Mai, während in Caracas die Trommeln wirbelten und die Soldaten aufmarschierten, lag der kleine Ort noch still und friedlich im Schein der untergehenden Sonne. Man wußte allerdings, daß die »Blauen« gerade auf dieser Straße vorgerückt waren und sogar Las Ajuntas besetzt hatten, aber mit der dieser Menschenrasse eigenen Sorglosigkeit kümmerte man sich noch wenig darum. In Caracas lag viel Militär; die Reconquistadoren würden sich hüten, bis hierher zu kommen, wo sie einem Angriff so leicht ausgesetzt waren, und die »Gelben« blieben wohl ebenfalls in ihrer Stadt. Jedenfalls vergingen noch viele Tage, vielleicht Wochen darüber, ehe von einer oder der anderen Seite die Feindseligkeiten begonnen wurden, und weshalb hätte man sich heute schon Sorgen darüber machen sollen? Die schlimme Zeit kam immer noch früh genug heran.

In der kleinen freundlichen Wohnung, aber hinter dem Hause, am Eingang in den jetzt frisch geplünderten Garten, der kaum noch das geringste Grün zeigte, und nur erst an einigen Beeten wieder frisch aufgegraben worden, saß Tadeos Frau auf einer hölzernen Bank und neben ihr Felipe, der Einarmige, der sich hier vollkommen zu Hause zu fühlen schien und behaglich mit dem Rauch einer der ordinären venezuelanischen Zigarren die balsamische Luft verunreinigte.

Vor ihnen aber im Garten stand der alte blödsinnige Mann, der Perdido – wie er sich selber genannt – hatte ein kleines Grabscheit in der Hand und grub damit an einer etwas abgelegenen Stelle eine kleine Grube, wobei er still vor sich hin ein altes Kinderlied summte.

Felipe war eben erst eingetroffen und wollte eigentlich wieder zurück nach der Lagune, hatte aber den Umweg nicht gescheut, um seine Tante, Tadeos Frau, einmal wiederzusehen und ein Paar Stunden mit ihr zu plaudern.

Tadeo war nicht zu Hause, sondern nach Caracas hineingegangen, mußte aber jedenfalls noch heute abend zurückkehren, und Felipe störte das auch sehr wenig. Es blieb sich ziemlich gleich, wann er die Lagune erreichte, und er war noch nicht einmal recht mit sich einig, ob er überhaupt schon morgen früh dahin aufbrechen solle.

Seiner Tante hatte er indessen von Caracas erzählt, wie es dort zugehe, und was für einen Spektakel die Soldaten machten, und daß sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, hier bald durchmarschieren würden, um nach Dos Caminos zu gehen, damit sie den Blauen besser auf die Finger sehen könnten, und seine Tante seufzte dabei recht aus voller Brust und bat den Himmel, das Unheil solchen trostlosen Zustandes doch recht bald von ihnen zu nehmen, denn das Land gehe ja dabei zugrunde – und die Bevölkerung auch.

Felipe, der den alten Perdido schon seit langen Jahren kannte, wie er harmlos sein Wesen trieb und eigentlich wie ein großes Kind behandelt wurde, hatte ihm eine ganze Weile zugesehen, endlich fragte er:

»Aber Tante, was macht denn der Perdido eigentlich? Er ist ja heute einmal recht scharf an der Arbeit.«

»Ach,« seufzte die Frau, »er hat jetzt fast jede Woche etwas anderes, womit er sich beschäftigt. Augenblicklich scheint er sich in den Kopf gesetzt zu haben, daß seine Manuela, von der er immer spricht, schwer krank danieder läge und sterben würde, und da wolle er ein Grab graben, damit er sie dort hineinlegen und verstecken könne. Sonst fände sie ihre Mutter wieder und nähme sie fort.«

»Rein verrückt, murmelte Felipe vor sich hin, »und wie hübsch er singen kann!«

»Ach, wir wollen Gott danken, daß er singt,« sagte die Frau, »vor einiger Zeit hatten wir einmal rechte Sorge, als die Soldaten noch hier waren, Tadeo mußte ihn sogar ein paar Tage einsperren und war auch schon in der Stadt und hatte sich Medizin für ihn geholt – aber am nächsten Morgen zogen die Soldaten ab, und von da an war er wieder ganz ruhig und suchte sich nur eine oder die andere Beschäftigung.«

»Wie lange habt ihr den Alten nun schon bei euch?«

»O, du lieber Gott, der Tadeo muß ihn schon an die elf Jahre füttern.«

»Und was kriegt er dafür?«

»Er hat's gleich auf einmal bekommen – und wir haben uns hier, als wir vom Orinoco herüberzogen, die kleine Hacienda dafür gekauft. Ja, wenn uns die Soldaten nicht ruiniert hätten, wär's ja schon recht, aber Sorgen machte uns der Mann immer. Der Tadeo hängt nun einmal an ihm – er war früher sein Brotherr, und da er jetzt im Elend ist, will er ihn nicht verlassen.«

»Hat er denn keine Familie?«

»Ich weiß es nicht – der Tadeo spricht nicht gern davon, und als ich ihn heiratete, hatte er ihn schon in Pflege.«

»Perdido ist doch eigentlich ein merkwürdiger Name.«

»Ja, so heißt er auch gar nicht – den Namen soll er sich selber gegeben haben. In Bolivar, wo er früher ein reicher Kaufmann war, hieß er Castilia.«

»Ja, derer giebt's viel in Venezuela,« erwiderte Felipe, »an der Lagune wohnt auch eine Familie mit dem Namen und in Victoria auch. Sie sind aber nicht verwandt untereinander.«

Der alte Mann hatte indessen sein kleines Grab fertig gegraben, schob jetzt seinen Spaten wie einen Grabstein dahinter in die Erde und setzte sich dann daneben auf den Boden, wo er die Hände faltete und sich vorn überbeugte, als ob er betete. Felipe, der ihm zugesehen hatte, schüttelte mit dem Kopf, sagte aber nichts.

»Habt Ihr denn gar nichts mehr zu trinken hier im Haus?« fragte er endlich nach einer Weile, »nicht einmal ein bißchen Papelonwasser?«

Die Frau schüttelte traurig mit dem Kopf. »Selbst der Zucker ist ausgegangen,« seufzte sie, »und ein paar Tage haben wir schon den Kaffee so trinken müssen. Der Tadeo will eben nicht borgen gehen, obgleich er überall Kredit hätte. Er bringt aber gewiß heute Geld aus der Stadt mit – er ist eben hinein, um welches zu holen. Lieber Gott, wenn nur erst einmal der Krieg vorbei wäre, dann könnten wir uns ja schon helfen – aber so ist's ein Jammer.«

»Hat der Tadeo Geld in der Stadt ausstehen? Wohl bei den Kaufleuten?« fragte Felipe, »da sieht's aber jetzt auch windig aus, denn die geben nicht gern her, was sie haben.«

»Ach, es ist ja so wenig, was wir brauchen,« seufzte die Frau, »aber ich weiß nicht, ob er's von einem Kaufmann bekommt – eine reiche Frau in der Stadt besorgt's ihm, glaube ich.«

»Eine Frau?«

»Ja – Corona heißt sie – du kennst sie wohl nicht.«

»Die Sennora Caramba? – Gewiß kenn' ich sie – gut genug. Aber was hat er mit der zu tun?«

»Caramba heißt sie nicht,« sagte lächelnd die Frau – »welcher Mensch heißt Caramba – Corona!«

»Ja, ich weiß wohl – die Generalin.«

»Möglich, daß ihr Mann General war – jetzt ist sie, glaub' ich, Witwe.«

»Hm,« sagte Felipe, mit dem Kopf schüttelnd – »hat er Euch nichts weiter davon gesagt?«

»Nein, gar nichts – ich wußte nicht einmal das, aber vor acht Tagen, wie es uns auch schon so knapp ging, war Tadeo krank, und ich sollte an seiner Stelle gehen und der Frau nur sagen ich käme vom Tadeo, es ginge ihm schlecht, und er bäte sie um das Versprochene – und da sagte er mir, wie sie hieße und wo sie wohnte – aber nachher gereut' es ihn wohl wieder. Ich mußte zu Hause bleiben, und wie er nach zwei Tagen besser war, ging er selber – er traf sie aber nicht. Er ist jetzt schon ein paarmal umsonst drin gewesen –«

»Und wo wohnt sie?«

»Nicht weit von der Plaza – das vierte oder fünfte Haus von der Ecke.«

»Stimmt – Caramba –«

»Wer ist denn die Frau? Wohl eine recht vornehme Dame.«

»Hm – ich weiß nicht,« meinte Felipe, »in der Pulperia, wo ich wohnte, erzählten sie wunderliche Geschichten von ihr. Sie ist nicht aus Caracas und von wo anders hergezogen, und soll dabei geizig sein wie der Böse – daß die Geld gibt ist merkwürdig.«

»Der Tadeo hat ihr vielleicht früher einmal Früchte oder Kartoffeln verkauft,« sagte die Frau, »und dann das Geld nachher nicht bekommen.«

»Das ist eher möglich,« erwiderte Felipe, »dann wird er's aber jetzt wohl auch nicht erhalten.«

»O, doch,« rief die Frau, »neulich hat er einmal eine ganze Reihe Fuertes (harte Taler) mitgebracht.«

»Eine Reihe Fuertes? Von der Frau?«

»Ja, das weiß ich nicht – aber aus der Stadt war's.«

»Wird wohl wo anders hergewesen sein: die gibt keine heraus. Aber wo der Tadeo nur bleibt. Ist er denn schon lange fort?«

»Seit heute morgen – ich weiß es auch nicht. Er wird sie wohl wieder nicht zu Hause getroffen haben.«

»Wenn er Geld holen wollte,« meinte lachend Felipe, »gewiß nicht. Wo geht denn jetzt der Perdido hin?«

Der alte Mann war aufgestanden und schritt den Garten hinab.

»Nicht weit,« sagte die Frau, »nur bis an die Gartentür. Dort bleibt er stehen und horcht, als ob er auf jemanden wartete.«

»Aber es wird schon dunkel.«

»O, da bleibt er wohl noch eine Stunde stehen, nachher kommt er ins Zimmer, holt sich sein Essen, und legt sich dann ruhig in seine Chinchorra.«

»Und läuft er nicht einmal fort?«

»Nein, gewiß nicht – er denkt nicht daran.«

Die beiden saßen noch eine ganze Weile auf der Bank zusammen in dem prachtvollen Mondlicht, als es plötzlich an die Haustür pochte und, als die Frau öffnete, Tadeo auf der Schwelle stand –

»Wieder nichts,« sagte er, indem er sich den Schweiß von der Stirn trocknete – »jetzt bin ich schon zum drittenmal umsonst gegangen.«

»Aber ich denke, du wolltest es heute in der Stadt abwarten, bis sie käme –«

»Ich glaube gar nicht, daß sie aus war,« sagte der Mann finster – »es war Licht in der Stube – durch die geschlossenen Läden konnte ich es erkennen. Wer ist da bei dir?«

»Guten Abend, Tadeo,« rief Felipe, indem er vortrat und ihm die harte Hand reichte – »bin einmal herübergekommen, um zu sehen, wie es euch geht.«

»Schlecht geht's,« erwiderte der Mann kopfschüttelnd und mit einem recht tiefen Seufzer – »recht schlecht, Felipe – du bist zu keiner günstigen Zeit gekommen, denn ich habe keinen Real im Haus, um uns auch nur Abendbrot zu schaffen.«

»Dann kann ich vielleicht aushelfen,« meinte der Bursche gutmütig, »ich habe die Zeit über in Caracas ganz hübsches Geld einbekommen, herumschleppen mag ich's doch nicht gern mit mir, denn es ist jetzt zu viel Soldatenvolk unterwegs, und bei euch wird's schon wieder einmal besser werden, dann kommt mir's nachher zugute.«

»Ich borge nicht gern. Felipe –«

»Das ist nicht geborgt. Ihr sollt mir's nur aufheben.«

»Aufheben? Ich müßt's gleich forttragen um etwas zu essen zu haben. Wer sollte in jetziger Zeit Geld aufheben.«

»Na, hungrig sitzen wollen wir hier nicht. Ich habe zwar nur einen Arm, aber die Leute können mich doch überall gebrauchen, und ich verdiene immer, was ich nötig habe. Ihr müßt aber tüchtig gelaufen sein. Der Schweiß steht Euch ja auf der Stirn.«

»Der Teufel ist in der Stadt los,« sagte Tadeo, »und Colina wieder auf den Beinen, ich weiß nicht, ob sie nicht schon hinter mir dreinkommen. Deshalb bin ich so gelaufen – möchte die Frau nicht hier allein haben, wenn die Bande durchzieht. Wo kommst du denn her?«

»Ich ging heute morgen auch von Caracas fort,« antwortete Felipe, »bin aber den Tag über noch in Mariperez bei dem Compadre geblieben. Der Spektakel war schon heute morgen, aber ich glaubte nicht, daß sie herauskommen würden.«

»Heute abend war's bestimmt. Die ganze Macht ist auf den Beinen, Colina galoppiert auf seinem Maultier herüber und hinüber. Er will mit tausend Mann ausrücken und die Blauen aus Las Ajuntas hinaustreiben.«

»Caramba, also geht's los. Ich wollte beinah', ich könnte dabei sein.«

»Daß sie dir den anderen Arm auch wegschießen, nicht wahr?« sagte die Frau – »ihr Männer seid schreckliches Volk – und das viele Blut, das jetzt wieder fließen wird. O, die armen Mütter!«

Felipe zuckte die Achseln – »was kann's helfen,« meinte er – »aber jetzt, Onkel, schafft einmal was zu essen herbei – und gleich für morgen mit, denn nun will ich auch erst abwarten, wie die Geschichte ausfällt, damit ich denen an der Lagune 'was Neues erzählen kann. Geht aber lieber gleich, denn, wenn der Colina hier durchgegangen ist, wird er verwünscht wenig zurücklassen, auf das ein anderer Mensch noch beißen kann.«



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