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Drittes Kapitel

Mrs. Bellew ordnet ihr Konto

Mrs. Bellew saß auf ihrem Bett und strich die Seiten eines Briefes glatt; neben ihr stand ihr Schmuckkasten. Sie entnahm ihm ein Amethysten-Halsband, einen Anhänger aus Smaragden und einen Brillantring; hüllte alles in Watte ein und tat es in ein Kuvert. Die übrigen Schmuckstücke ließ sie eines nach dem andern in ihren Schoß fallen und betrachtete sie nachdenklich. Dann endlich legte sie zwei Halsbänder und zwei Ringe in den Schmuckkasten zurück, tat das übrige in eine kleine, grüne Schachtel, nahm diese und das Kuvert und verließ das Haus. Sie rief eine Droschke herbei, fuhr zu einem Postamt und setzte ein Telegramm auf:

›Pendyce. ›Stoiker-Klub.‹ Erwarte dich sechs–sieben Atelier. H.‹

Vom Postamt fuhr sie zu ihrem Juwelier; und gar mancher, der sie vorbeifahren sah mit den geröteten Wangen und dem glühenden Blick, gerade als ob ein Feuer in ihr brannte, bedauerte im stillen, daß er nicht wußte, wer sie war, noch wohin sie fuhr ...

Der Juwelier nahm die Schmuckstücke aus der grünen Schachtel, wog eines nach dem andern und prüfte jedes sorgsam durch seine Lupe. Er war ein kleines Männchen mit gelbem, runzeligem Gesicht und spärlichem Bart; und nachdem er in Gedanken die Summe bestimmt hatte, die er zahlen wollte, sah er seine Kundin scharf an, im Begriffe, eine kleinere Ziffer zu nennen. Mrs. Bellew saß da, die Ellbogen auf den Ladentisch, das Kinn in die Hand gestützt, und blickte ihn unverwandt an. Unwillkürlich entschloß er sich, ihr die richtige Summe zu sagen.

»Nicht mehr?«

»Nein, gnädige Frau; das ist das äußerste.«

»Gut; aber Sie müssen mir das Geld sofort bar auszahlen.«

In den Augen des Juweliers zuckte es.

»Die Summe ist sehr groß«, sagte er, »ganz außergewöhnlich groß. Ich habe eine so große Summe gar nicht im Hause.«

»Dann, bitte, schicken Sie jemanden danach. Sonst muß ich zu einem andern gehen.«

Der Juwelier rieb sich nervös die Hände.

»Entschuldigen Sie einen Augenblick; ich will mit meinem Teilhaber reden.«

Er ging; und von ferne warfen er und sein Teilhaber ihr mißtrauisch beobachtende Blicke zu. Dann kam er mit gezwungenem Lächeln wieder zu ihr. Mrs. Bellew saß noch so da, wie er sie verlassen hatte.

»Es trifft sich günstig; ich denke, wir können's grad eben noch machen, gnädige Frau.«

»Geben Sie es mir, bitte, in Banknoten, und dann auch ein Blatt Briefpapier.«

Der Juwelier brachte ihr beides.

Mrs. Bellew schrieb einige Zeilen, schloß sie mit dem Papiergeld in den dickbauchigen Briefumschlag, den sie mitgebracht hatte, schrieb die Adresse darauf und siegelte ihn zu.

»Besorgen Sie mir, bitte, einen Wagen.«

Der Juwelier rief eine Droschke heran.

»Nach dem Chelsea Themseufer!«

Der Wagen führte sie davon.

Wieder sahen sich in den Straßen, die von lebhaftem Verkehr erfüllt waren, die Leute nach ihr um. Als der Kutscher sie an der Albert-Brücke absetzte, besah er abwechselnd die Münzen in seiner Hand und die Gestalt seines Fahrgastes, und während er seinem Standplatz zufuhr, blickte er sich noch einigemal nach ihr um.

Mrs. Bellew schritt rasch eine Straße hinunter, bis sie, um eine Ecke biegend, an einen kleinen Garten gelangte, in welchem drei Pappeln in eine Reihe standen. Ohne zu zögern, öffnete sie eine grüne Gittertür, ging den Kiesweg entlang und machte vor der ersten von drei grünen Türen halt. Ein junger Mann mit einem Bart, der den Eindruck eines Künstlers machte, und der hinter der letzten der grünen Türen stand, beobachtete sie mit verständnisvollem Schmunzeln. Sie zog einen Hausschlüssel hervor, steckte ihn ins Schloß, öffnete die Tür und trat ein.

Der Ausdruck ihres Gesichtes schien den Künstler auf einen Gedanken zu bringen. Er machte seine Tür weit auf, trug Leinwand und Staffelei heraus, und nachdem er sie so aufgestellt hatte, daß er die Ecke, an der die Frau verschwunden war, im Auge behalten konnte, begann er zu zeichnen.

Ein alter, steinerner Springbrunnen mit drei steinernen Fröschen stand nahe jener Stelle im Garten, jenseits davon war ein blühender Brombeerstrauch und wieder ein Stück weiterhin die grüne Tür, auf die ein schräger Sonnenstrahl fiel. Der Künstler arbeitete eine Stunde, dann trug er seine Staffelei wieder ins Haus, um seinen Tee zu nehmen.

Bald nachdem er fort war, kam Mrs. Bellew heraus. Sie schloß die Tür hinter sich und hielt inne. Dann nahm sie den dickbauchigen Briefumschlag aus ihrer Tasche, schob ihn in den Briefkasten an der Tür, bückte sich, hob ein Zweigstückchen auf und klemmte es in den Schlitz, um das geräuschvolle Herunterfallen der Klappe zu verhindern. Nachdem sie das getan, fuhr sie mit beiden Händen über Gesicht und Brust, als wolle sie etwas von sich fortwischen, dann ging sie. Vor der Tür draußen wandte sie sich nach links und schritt wieder dieselbe Straße hinauf, der Themse zu. Sie ging langsam, mit einem gewissen Behagen um sich blickend. Ein- oder zweimal blieb sie stehen und atmete tief auf, als könnte sie nicht genug Luft haben. Sie ging bis zum Ufer und blieb da stehen, die Ellbogen auf die Brüstung gestützt. Zwischen dem Daumen und Zeigefinger der einen Hand hielt sie einen kleinen Gegenstand, auf den die Sonne fiel. Es war ein Schlüssel. Langsam, mit einem gewissen Behagen streckte sie die Hand aus über dem Wasser, löste Daumen und Zeigefinger und ließ den Schlüssel fallen.

 


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