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Drittes Kapitel

Die frohe Stunde

Es war die Stunde zwischen Tee und Abendessen, da der Geist des Herrenhauses, im Bewußtsein eines guten Gewissens, im Halbschlummer ruhte.

Nachdem er gebadet und sich umgekleidet hatte, ging George Pendyce mit seinem Wettbuch ins Rauchzimmer. In einer Ecke, in der er durch einen hohen Wandschirm aus gepreßtem Leder vor Zug und Belästigung geschützt war, ließ er sich in einem Lehnstuhl nieder und verfiel in leisen Schlaf.

Wie er dasaß, die Beine gekreuzt, das Kinn in die Hand gestützt, die geschmeidige Gestalt lässig gestreckt, ging ein leiser Wohlgeruch von Seife von ihm aus, als ob in dieser vollkommenen Ruhe seine Seele ihren natürlichen Duft ausatmete. Seine Phantasie, die an der Grenze des Traumlandes angelangt war, durchbebten leise Regungen von Heldentum und kühnem Streben – der Ausklang von körperlichem Wohlbehagen nach einem langen Tag im Freien, des Gefühls, geborgen zu sein vor allem, was unangenehm und gefahrdrohend ist. Stimmen weckten ihn.

»George ist kein schlechter Schütze!«

»Hat sich beim letzten Anstand unerhört blamiert; Mrs. Bellew stand bei ihm. Wie Rauch zogen sie über ihm her; er konnte ihnen nicht einmal mit einem Streifschuß beikommen.«

Das war Winlows Stimme. Nach kurzem Schweigen ließ sich Thomas Brandwhite vernehmen.

»Es ist verkehrt, die Damen teilnehmen zu lassen an der Jagd. Ich tue es nie. Was meinen Sie, Sir James?«

»Falsches Prinzip – ganz falsch!«

Darauf ein Lachen – Brandwhite lachte – das Lachen eines Menschen, der seiner selbst nie ganz sicher ist.

»Dieser Bellew ist ein toller Kerl. Er heißt hier in der Gegend der Desperado. Säuft wie ein Loch und reitet wie der Deibel. Sie trieb's damit auch ziemlich wild. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß in einer jagdliebenden Gegend immer so ein Paar existiert. Haben Sie ihn mal gesehen? 'n hagerer, hochschulteriger Bursch mit 'nem bleichen Gesicht, kleinen, dunklen Augen und rotem Schnurrbart.«

»Ist sie noch jung?«

»Dreißig oder zweiunddreißig.«

»Wie kam es, daß sie auseinandergingen?«

Man hörte das Anstreichen eines Zündholzes.

»Sie kennen ja die Redensart vom Kessel, der ebenso schwarz ist wie der Topf.«

»Man merkt, sie läßt sich gern bewundern. Diese Eitelkeit hat schon manche Frau zugrunde gerichtet!«

Winlows gleichmütige Stimme wurde wieder vernehmbar.

»Sie hatten, glaube ich, ein Kind, das dann starb. Und danach – hm – da gab's irgendeine Affäre, soviel ich weiß, aber man ist nie ganz dahinter gekommen. Bellew mußte infolgedessen den Abschied nehmen. Sie ist schlechter Laune, wenn sie nichts Aufregendes erlebt, erzählt man; läuft gern auf dünnem Eis, muß immer einen haben, der hinter ihr herläuft. Wenn der arme Teufel schwerer ist als sie, plumps, bricht er ein.«

»Schlägt nach ihrem Vater. Ich habe den alten Cheriton im Klub gekannt – einer von der alten Sorte von Landedelleuten; heiratete mit sechzig seine zweite Frau und begrub sie mit achtzig. Den alten ›Sekt und Piquet‹ nannten sie ihn; hatte mehr uneheliche Kinder als irgendeiner in Devonshire. Ich sah, wie er Points von einer halben Krone setzte in der Woche, ehe er starb. Da liegt's im Blut. Was wiegt George? – hahaha!«

»Da gibt's wirklich nichts zu lachen. Brandwhite! Wir können noch eine Partie machen bis zum Dinner, wenn Sie spielen wollen, hm, Winlow?«

Stühle wurden gerückt, Fußtritte scharrten, und eine Tür fiel ins Schloß. George war wieder allein; ein kleiner, roter Fleck brannte ihm auf jeder Wange. Vorbei waren jene leisen Regungen von Heldentum und kühnem Streben, vorbei jene Empfindung ehrlich verdienten Wohlbehagens. Er erhob sich, verließ seinen stillen Winkel und schritt auf dem Tigerfell vor dem Kamin hin und her. Dann zündete er sich eine Zigarette an, warf sie fort und zündete eine frische an.

›Auf dünnem Eis laufen!‹ Das sollte ihn nicht zurückhalten! Ihr Geschwätz sollte ihn nicht zurückhalten, auch nicht ihr Höhnen; es würde ihn nur um so rascher vorwärts treiben.

Er warf die zweite Zigarette fort. Es geschah sonst nicht, daß er um diese Stunde des Tages den Salon betrat; aber heute ging er hinüber.

Als er leise die Tür öffnete, sah er den langgestreckten, behaglichen Raum von großen Petroleumlampen erhellt. Mrs. Bellew saß am Klavier und sang. Die Teetassen standen noch auf einem Tisch am andern Ende des Zimmers; aber man war fertig. So weit wie möglich von den andern entfernt, im Erker, spielten General Pendyce und Bé Schach. Mitten im Zimmer saßen, nahe einer der großen Lampen, Lady Malden, Mrs. Winlow und Mrs. Brandwhite beieinander, ihre Gesichter dem Klavier zugewandt. Und auf all diesen Gesichtern lag ein leiser Unwille oder ein Staunen, etwa wie: ›Wir haben uns eben über so interessante Dinge unterhalten; es war nicht recht, uns zu stören.‹

Vor dem Kamin stand mit gespreizten Beinen Gerald Pendyce. Ein wenig abseits, die dunklen Augen auf die Sängerin geheftet, saß mit einer Stickerei im Schoß die Frau des Hauses, und auf ihrem Kleidersaum lag Roy, der alte Skyeterrier.

»Hätt' ich gewußt, ehe ich geküßt,
Daß Liebe so falsch und flüchtig ist,
Mit silbernem Schloß in güldnen Schrein
Hätt' ich mein Herz geschlossen ein.
O wehe, wehe! Lieb' und Treu'
Sind nur gut, solang sie neu.
Doch wenn sie alt geworden und grau,
Vergeht die Lieb' wie Morgentau.«

Das war das Lied, das George beim Eintreten hörte, und es klang bebend und ersterbend zu Ende mit den letzten Akkorden des schönen Flügels, der ein wenig verstimmt war.

Er starrte die Sängerin an, und obgleich er nicht musikalisch war, kam doch ein Ausdruck in seine Augen, den er hastig zu verbergen suchte.

In der Mitte des Zimmers ließ sich ein leises Gemurmel vernehmen, und vom Kamin her rief Gerald hinüber: »Schönsten Dank! Das war famos!«

Aus dem Erker hörte man die Stimme von General Pendyce: »Schach!«

Mrs. Pendyce nahm ihre Stickerei, auf die eine Träne getropft war, wieder zur Hand und sagte leise:

»Ich danke Ihnen, Liebste; das war wunderschön!«

Mrs. Bellew erhob sich vom Flügel und setzte sich neben die Hausfrau. George zog sich in den Erker zurück. Er verstand von Schach absolut nichts – ja, er konnte das Spiel im Grunde nicht ausstehen; aber von hier aus vermochte er, ohne daß es auffiel, Mrs. Bellew beobachten.

Die Luft war drückend und von süßem Duft erfüllt; man hatte eben erst ein Scheit Zedernholz in die Glut geworfen. George vernahm die Stimme seiner Mutter und Mrs. Bellews, ohne zu verstehen, wovon sie sprachen; er hörte Lady Malden, Mrs. Brandwhite und Gerald über einige Gutsnachbarn reden und Mrs. Winlow, die abwechselnd beipflichtete und widersprach – all diese Stimmen mischten sich zu einem behaglichen, ein wenig einschläfernden Gesumme, das nur ab und zu durch General Pendyces Ausruf: »Schach!« oder ein vorwurfsvolles: »Aber Onkel!« von Bé unterbrochen wurde.

Ein Gefühl des Zorns stieg in George auf. Warum durften diese alle sich so zufrieden und gemütlich fühlen, während in seinem Innern jenes unaufhörliche Feuer brannte? Und er heftete seinen finsteren Blick auf sie, die ihn nach ihrer Pfeife tanzen ließ.

Eine ungeschickte Bewegung seines Armes brachte den Schachtisch ins Wanken. Und der General rief ihm zu: »Gib acht, George! Aber – aber!«

George ging zu seiner Mutter hinüber.

»Laß sehn, was du da machst, Mutter!«

Mrs. Pendyce lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und reichte ihm mit einem Lächeln froher Überraschung ihre Arbeit hin.

»Lieber Junge, davon verstehst du nichts! Es soll ein Besatz für mein neues Kleid werden.«

George betrachtete die Handarbeit. Er verstand wirklich nichts davon, aber indem er sie drehte und wendete, atmete er die warme Nähe der Frau ein, die er liebte. Beim Hinabbeugen berührte er Mrs. Bellews Schulter; sie rückte nicht fort; ein leiser Druck schien den seinen zu erwidern. Da hörte er die Stimme seiner Mutter:

»Oh, meine Nadel! Es ist wirklich lieb von dir, aber vielleicht –«

George gab ihr die Arbeit zurück. Mrs. Pendyce nahm sie mit einem dankbaren Blick wieder. Es geschah zum erstenmal, daß er für ihre Beschäftigung irgendein Interesse zeigte.

Mrs. Bellew hatte einen Palmenblatt-Fächer zur Hand genommen, um ihr Gesicht vor dem Kaminfeuer zu schützen. Langsam sagte sie:

»Wenn wir morgen gewinnen, sticke ich Ihnen etwas, George!«

»Und wenn wir verlieren?«

Mrs. Bellew hob die Augen, und unwillkürlich beugte George sich nach vorn, so daß seine Mutter nicht sehen konnte, welche eigentümliche Zauberkraft in diesem Blicke lag.

»Wenn wir verlieren«, entgegnete sie, »bin ich erledigt. Wir müssen gewinnen, George!«

Mit einem kurzen, verlegenen Auflachen blickte er hastig nach seiner Mutter hin. Mrs. Pendyce zog wieder ihre Nadel durch den Stoff, und auf ihrem Gesicht lag ein halb betroffener Ausdruck.

»Das war ein sehr eindrucksvolles Liedchen, das Sie da gesungen haben, Liebe!« bemerkte sie.

Mrs. Bellew entgegnete: »Die Worte sind so wahr – finden Sie nicht?«

George fühlte ihren Blick und versuchte, ihm standzuhalten; aber diese halb lächelnden, halb drohenden Augen schienen ihn zu drehen und zu wenden, wie er der Mutter Stickerei in seinen Händen gedreht und gewendet hatte. Und wieder huschte über Mrs. Pendyces Antlitz jener halb betroffene Ausdruck.

Plötzlich hörte man die laute Stimme des General Pendyce:

»Was denn – patt? Ach Unsinn, Bé, Unsinn! Aber doch, hol's der – es ist richtig!«

Das lebhafte Stimmengewirr aus der Mitte des Zimmers übertönte diesen lauten Ausbruch. Gerald ging zum Kamin und warf ein frisches Zedernscheit ins Feuer. Eine Rauchwolke kam hervorgeschossen.

Mrs. Pendyce lehnte sich lächelnd in ihren Stuhl zurück und zog die schmale, feine Nase kraus.

»Köstlich«, sagte sie, aber ihre Augen wandten sich dabei nicht ab vom Gesicht ihres Sohnes, und noch immer lag in ihnen jene leise Unruhe.

 


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