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Fünftes Kapitel

Tanz bei Mrs. Pendyce

Mrs. Pendyce hielt an der Gewohnheit fest, von Zeit zu Zeit die Gutsnachbarn zu einem Tanzabend einzuladen – ein gewagtes Unternehmen in einer Gegend, wo die Gemüter – manchmal auch die Füße der Bewohner – für derbere Aufgaben geschaffen sind. Die erforderlichen männlichen Teilnehmer zu finden, machte ihr die größte Schwierigkeit, denn wenn auch die Unlust der Herren am Tanz eine fast nationale war, so fand man doch selten ein weibliches Wesen, das nicht gern tanzte.

»Ach, tanzen! Wie hab' ich es geliebt! Oh, der arme Cecil Tharp!« Und mit einem eigenen leisen Lächeln wies sie auf einen stämmigen, rotwangigen Jüngling, der eben mit ihrer Tochter tanzte. »Er tritt Bé alle Augenblicke auf den Fuß, und er hält sie so krampfhaft fest, als fürchte er, lang hinzuschlagen. Nein, so ein Tolpatsch! Ein Glück, daß sie so gutmütig und kräftig ist. Da kommen George und Helen Bellew. Der gute George ist nicht ganz so geschickt wie sie, aber er tanzt immer noch besser als die meisten andern. Ist sie heute nicht wieder bildhübsch?«

Lady Malden nahm das Lorgnon mit dem Schildpattstiel vor die Augen.

»Ja, aber sie ist eine von den Frauen, die man nie ansehen kann, ohne zu bemerken, daß sie einen – hm – na, einen Körper hat. Sie ist gar zu – zu – Sie verstehen, nicht wahr? Sie wirkt fast – fast wie eine Französin!«

Mrs. Bellew war so nahe vorübergekommen, daß ihr meergrünes Kleid mit einem Rascheln die Füße der beiden Damen streifte, und ein Duft wie von einem Blumenbeet entströmte ihm. Mrs. Pendyce zog die Nase kraus.

»Oh, sie ist viel hübscher. Ihre Figur ist so reizvoll«, meinte sie.

Lady Malden überlegte.

»Eine gefährliche Person! James ist ganz meiner Meinung.«

Mrs. Pendyce zog die Brauen hoch; ein ganz klein wenig Hochmut lag in dieser leisen Bewegung.

»Sie ist entfernt verwandt mit mir«, bemerkte sie. »Ihr Vater war ein ganz prachtvoller Mensch. Sie sind eine alte Devonshire-Familie. Die Cheritons von Bovey sind schon im Twisdom-Almanach erwähnt. – Ich freue mich, wenn junge Leute sich amüsieren.«

Ein Lächeln ließ die feinen Fältchen um ihre Augen ein wenig schärfer hervortreten. Unter ihrer lavendelfarbenen Seidenbluse, die mit schwarzem Samtband garniert war, schlug ihr Herz etwas rascher als sonst. Sie dachte an einen Abend in ihrer Jugend, da ihr alter Spielkamerad, der junge Trefane von den Ulanen, fast die ganze Zeit nur mit ihr getanzt hatte, und wie sie dann an ihrem Fenster die Sonne aufgehen gesehen und leise geweint hatte, weil sie mit Horace Pendyce verheiratet war.

»Mir tut eine Frau immer leid, die so tanzt wie Mrs. Bellew. Ich hätte so gern einige Herren aus der Stadt herauskommen lassen, aber Horace will immer nur die Gutsnachbarn haben. Das ist den jungen Mädchen gegenüber nicht sehr fair. Nicht so sehr wegen des Tanzens, als um der Unterhaltung willen; die dreht sich immer nur um das erste Treiben und die Fuchsjagd von gestern und die morgige Hühnerjagd und ihre Foxterriers (wenn ich auch an den guten Hunden sehr hänge) und um die nächste Golfpartie. Mir erscheint, das alles zeitweise geradezu trostlos.« Wieder blickte Mrs. Pendyce mit ihrem geduldigen Lächeln ins Zimmer hinein, und zwei feine Fältchen erschienen auf ihrer Stirn zwischen den schön gewölbten Brauen, die noch dunkelbraun waren. »Sie verstehen offenbar nicht, vergnügt zu sein. Ich habe die Empfindung, daß sie sich im Grunde gar nichts daraus machen. Sie warten mit Ungeduld auf den nächsten Morgen, wo sie wieder hinaus können, um irgend etwas umzubringen. Selbst Bé ist so!«

Mrs. Pendyce übertrieb nicht. Die Gäste, die Worsted Skeynes am Abend nach dem Rutlandshire-Handicap beherbergte, gehörten fast ausnahmlos dem Landadel an, angefangen von der Ehrenwerten Mrs. Gertrude Winlow, die wie eine Statue in zarten Farben sich im Tanze drehte, bis zu dem jungen Tharp mit seinem glatten Gesicht und dem blonden, kraftvollen Kopf, der so tanzte, als ob er sich auf einen Steeplechase-Sprung vorbereitete. In einer Ecke saß der alte Lord Quarryman, der Master der Meute, in eifriger Unterhaltung mit Sir James Malden und Pastor Hussell Barter.

Mrs. Pendyce sagte zu Lady Malden gewandt:

»Ihr Gatte und Lord Quarryman sprechen über Wilddiebe; ich erkenne es an ihren Handbewegungen. Ich muß gestehen, ich habe eine gewisse Sympathie für Wilddiebe.«

Lady Malden ließ ihr Lorgnon sinken.

»James beurteilt sie durchaus gerecht. Das ist ein ganz hinterlistiges Vergehen. Je bösartiger das Vergehen, desto notwendiger seine Ausrottung. Es scheint mir grausam, Menschen wegen Brot- oder Rübendiebstahl zu bestrafen, wenngleich das natürlich auch sein muß, aber mit Wilddieben habe ich kein Mitleid. Viele tun es einfach, weil ihnen das Jagen Freude macht!«

Mrs. Pendyce lenkte ab.

»Sehen Sie, jetzt tanzt Hauptmann Maydew mit ihr. Er tanzt gut. Halten sie nicht famos Schritt? Wie vergnügt sie aussehen! Ich freue mich, wenn die Leute sich amüsieren! Es gibt so furchtbar viel unnötigen Kummer und Schmerz in der Welt. Ich glaube wirklich, es kommt alles nur daher, daß einer dem andern keine Zugeständnisse machen will!«

Lady Malden blickte sie, die Lippen kräuselnd, von der Seite an; aber Mrs. Pendyce, aus dem Geschlecht der Totteridge, fuhr fort zu lächeln. Es lag nicht in ihrer Natur, auf die krittelnde Neugier ihrer Mitmenschen zu achten.

»Helen Bellew«, fuhr sie fort, »war als Mädchen entzückend. Ihr Großvater war ein Vetter meiner Mutter. Wie ist sie danach doch gleich mit mir verwandt? Jedenfalls ist mein Vetter Gregory Vigil, von den Hampshire-Vigils – ihr Großcousin. Kennen Sie ihn?«

»Gregory Vigil?« entgegnete Lady Malden. »Mit dem dichten, angegrauten Haar? Ich hatte mit ihm im V. U. F. K. zu tun.«

Aber Mrs. Pendyce war mit ihren Gedanken beim Tanzen.

»Ein so lieber Mensch! Was ist das – der –«

Lady Malden sah sie forschend an.

»Verein zur Unterstützung von Frauen und Kindern natürlich! Sie haben sicherlich davon gehört?«

Mrs. Pendyce lächelte immer noch.

»Ah ja –etwas sehr Wohltätiges! Was hat sie für eine prachtvolle Figur! Wahrhaftig wohltuend! Ich beneide jede Frau mit einer solchen Gestalt; man sollte glauben, so etwas kann nie alt werden. ›Verein zur Hilfe für Frauen‹? Gregory hat so viel Interesse für diese Sachen. Aber mir scheint, er hat kein rechtes Glück dabei; haben Sie das nicht auch bemerkt? Letztes Frühjahr hat er sich lebhaft für eine Frau interessiert. Ich glaube, sie hat getrunken.«

»Sie trinken alle«, meinte Lady Malden; »das ist das allgemeine Übel.«

Mrs. Pendyce runzelte die Stirn.

»Die meisten Totteridges waren große Trinker«, sagte sie. »Sie haben ihre Gesundheit damit zugrunde gerichtet. Kennen Sie Jaspar Bellew?«

»Nein.«

»Es ist so schade, daß er trinkt. Einmal war er bei uns zum Dinner, und ich glaube fast, er war schon berauscht, als er kam. Er führte mich zu Tisch; seine kleinen Äugelchen haben mich fast versengt. Auf dem Heimweg fuhr er seinen Dogcart in einen Graben. So etwas spricht sich so rasch herum. Es ist zu schade um ihn. Er ist ein ganz interessanter Mensch. Horace mag ihn allerdings nicht.«

Der Walzer war zu Ende. Lady Malden nahm ihr Lorgnon wieder vor die Augen. Dicht neben ihnen ging George mit Mrs. Bellew vorüber. Sie waren bald außer Hörweite, aber der leise Wind ihres Fächers hatte das bauschige Haar über Lady Maldens Stirn berührt und den Flaum auf ihrer Oberlippe.

»Warum lebt sie nicht mit ihrem Manne?« fragte sie unvermittelt.

Mrs. Pendyce zog die Augenbrauen ein wenig in die Höhe.

›Getraust du dich etwas zu fragen, was eine wohlerzogene Frau unbeantwortet läßt?‹ – schien sie zu sagen, und eine leise Röte färbte ihre Wangen.

Lady Malden zuckte ein wenig; aber als würde es ihr durch eine Explosion in ihrer Seele gewaltsam zum Munde hinausgetrieben, so sagte sie:

»Man braucht sie nur anzusehen, um zu merken, wie gefährlich sie ist!«

Mrs. Pendyce errötete wie ein junges Mädchen.

»Jeder Mann ist in Helen Bellew verliebt«, sagte sie eifrig. »Sie hat so unglaublich viel Temperament. Mein Vetter Gregory hat sie seit Jahren geliebt, obgleich er ihr Vormund ist oder Sachwalter oder wie das sonst heißt. Eine ganz romantische Geschichte. Wenn ich ein Mann wäre, ich würde mich auch in sie verlieben!« Das Rot schwand aus ihren Wangen, und sie nahmen wieder ihre gewohnte Färbung an – die einer welken Rose.

Wieder hörte sie im Geiste die Stimme des jungen Trefane: ›Margery, ich liebe Sie!‹ und ihre eigene, halb geflüsterte Antwort: ›Armer Junge!‹ Und wieder blickte sie rückwärts in jenen Park ihres Lebens, durch den sie schon so lange gewandert und in dem jeder Baum Horace Pendyce war.

»Wie schade, daß man nicht immer jung bleibt!« sagte sie leise.

Durch die Tür des Gewächshauses, die nach dem Park hin weit geöffnet stand, sah man, wie der Vollmond die ganze Landschaft mit mattem, goldenem Licht überflutete, und in diesem Licht erschienen die Zweige der Zedern wie schwarz hingemalt auf die graublaue Himmelsleinwand; alles da draußen war wie in kühlen, stummen Zauber gehüllt, und nicht weit ab schrie ein Käuzchen.

Pastor Hussell Barter wollte eben, um ein wenig Luft zu schöpfen, das Gewächshaus betreten, als der Anblick eines Paares, das von einer großen Palme halb verdeckt war, ihn innehalten ließ. Dicht aneinander geschmiegt blickten sie ins Mondlicht hinaus, und Barter erkannte in den beiden Mrs. Bellew und George Pendyce. Bevor er noch näher treten oder sich zurückziehen konnte, hatte George sie an sich gerissen. Sie schien ihren Kopf nach hinten zu neigen und dann ihr Antlitz ihm näherzubringen. Der Mond beleuchtete ihr Gesicht und die runde, weiße Biegung des Halses. Der Pfarrer von Worsted Skeynes sah auch, daß sie die Augen geschlossen und die Lippen halb geöffnet hatte.

 


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