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22. Kapitel.

In atemloser Spannung saß Anita am Lager des Mannes, der einst ihre Welt ausgemacht, den sie dann verloren und nur wiedergefunden, um ihn erst recht von neuem zu verlieren, da der grausige Sensenmann, der keine Gnade kennt, wenn er nach einem Opfer begehrt, seine unerbittlichen Fangarme nach ihm ausgestreckt hatte. Aber trotz dieser klaren Erkenntnis, trotz dem Bewußtsein, daß er sie ohne ihr Wissen zum Mitschuldigen an einem Verbrechen gemacht, indem er sie zum Werkzeug erwählt, das jene verhängnisvollen Schriftstücke oder Dokumente dem italienischen Generalstabsmajor Conte Foschi überbracht hatte, war das Mitleid, welches sie für ihn empfand, jetzt größer als die Entrüstung, die sie berechtigterweise gegen ihn hätte im Herzen tragen können, denn selbst ohne den deutlichen Hinweis des Arztes sah und fühlte sie, daß es ein Sterbender war, der da hilflos vor ihr lag, und der Groll schwand dahin angesichts dieser Erkenntnis, angesichts der merklich zunehmenden Schwäche des Kranken. Mit nie geahnter Deutlichkeit fühlte sie auch, daß es gerade, weil sie ihn geliebt und im Grunde ihres Herzens ja noch liebte, ihre heilige Pflicht sei, ihn zu dem Geständnis zu bewegen, welches jenen andern freisprach von aller Schuld, damit, wenn der Tod ihm die müden Augen schloß und er vor seinem göttlichen Richter stand, wenigstens das Möglichste geschehen war, um sein Gewissen zu entlasten. Still und in sich gekehrt war er eine lange Weile dagelegen, und ihr war bange, sie fürchtete, daß die Zeit, die im Hinblick darauf, daß er ein Sterbender war, als doppelt kostbar bezeichnet werden mußte, verrinnen könne, ohne entsprechend ausgenützt zu werden, und liebevoll beugte sie sich zu ihm nieder und sprach in herzlichem Ton: »Ettore, sprich, ich flehe dich an! Bei der Erinnerung an die schönen Stunden beseligender Liebe, die wir einst durchlebt, sprich die Wahrheit, entlaste dein Gewissen, wenn irgend etwas dich bedrückt!« Ein herbes Lächeln umspielte seine Lippen, während er mit matter Stimme flüsterte: »Die Wahrheit! Diese seriöse Dame sollst du vor allem heilig halten, Anita! Du sollst mir sagen, was der Doktor meint, wie es mit mir steht, denn nur wenn ich das Bewußtsein habe, daß nichts mehr zu gewinnen, nichts mehr zu verlieren ist, nur dann will ich reden. Also sprich, sage mir, was der Doktor, mit dem du so lange verhandelt hast, dir mitteilte!«

Ein Schauer lief durch ihre Gestalt. Was sollte, was mußte sie tun? Beging sie nicht einerseits eine ungeheure Grausamkeit damit, ihm zu sagen, daß er ein dem Tode Geweihter sei, und dürfte sie anderseits ihn über die Wahrheit hinwegtäuschen und es dadurch verhindern, daß er jenes Bekenntnis ablege, durch welches einem Schuldlosen die Möglichkeit geboten wurde, wieder hocherhobenen Hauptes unter seine Nebenmenschen zu treten, befreit von einer Last, die ihn nun schon seit langem zu Boden drückte?

»Ettore, du weißt,« sprach sie endlich, sich zu ihm niederbeugend, »solange Leben da ist, läßt sich die Hoffnung auf Genesung nicht absprechen, aber wenn die Last, die dein Gemüt bedrückt, von dir genommen ist, würde diese vielleicht rascher vorwärts schreiten, also sprich! Der Gedanke, damit ein gutes Werk zu tun, wird dir das, was du zu sagen hast, erleichtern!«

»Oder mich auf die Richtstätte bringen,« stieß er voll Bitterkeit hervor.

»Das gewiß nicht, ich gelobe es dir,« beteuerte sie eifrig.

»Ich verstehe dich, du wirst von dem Geständnis eines Sterbenden erst dann Gebrauch machen, wenn jener aufgehört hat zu sein. Gut denn, menschliche Richter, menschliches Urteil vermag mir dann weder zu schaden, noch zu nützen und von diesem Gedanken ausgehend, lege ich meine Beichte vertrauensvoll in deine Hände, mache damit, was du als recht erkennst, aber,« fügte er mit zuckenden Lippen hinzu, »tue es erst, wenn ich nicht mehr bin. Lange wirst du ja auf das Ende nicht mehr zu warten haben, und es ist bester so, denn es ist mir alles fehlgegangen im Leben und ich habe nichts Gutes mehr zu erwarten. Rücke ganz nahe an mich heran, damit ich nicht laut zu sprechen brauche, denn alles strengt mich an, und es ist ja nicht wenig, was ich dir zu sagen habe!«

»Arme Anita,« sprach er, ihre Hand festhaltend und bestrebt, sie an seine Lippen zu ziehen. »Arme Anita, du hättest ein besseres Los verdient, und ich habe schlecht an dir gehandelt; ja, ja, ich war von Kindheit an ein böser Strick, der das Schöne liebte und nach dem Besitz desselben strebte, unbekümmert darum, ob er Anspruch darauf erheben konnte oder nicht. Doch, damit du alles verstehst, muß ich weit ausholen, denn ich habe dir ja viel zu sagen. Mein Vater, der gleich mir österreichischer Offizier gewesen, hat noch in seiner letzten Krankheit den Wunsch geäußert, auch ich solle es werden, er starb, als ich noch ein kleiner Junge war, und meine Mutter, die von Geburt eine Reichsitalienerin gewesen, weilte mit mir viel bei ihren Angehörigen in Italien. Später, als ich dank dem Umstande, daß ich von Vaters Seite her verwaist war, einen Freiplatz in den militärischen Schulen erhielt, hatte sie nur mehr nominell ihr Domizil in Görz, um ihre kleine, bescheidene Pension dort leichter beheben zu können, sie weilte aber den größten Teil des Jahres bei den Verwandten jenseits der schwarzgelben Grenzpfähle, wo auch ich alle längeren Urlaube zu verbringen pflegte. Meine Spielkameraden während meines Urlaubes waren somit Italiener. Ich dachte und fühlte gleich ihnen, und kehrte ich dann in den militärischen Zwang zurück, so fühlte ich mich um so unglücklicher, als bei den Verwandten das Leben viel bequemer, viel reicher, viel angenehmer war, als in der strengen Zucht der militärischen Anstalt. Die Jahre schwanden dahin, und wenn ich gegen Ende der Schulzeit es auch nach und nach mit Mühe gelernt hatte, mich halbwegs in die Verhältnisse einzufügen, so tat die Ferienzeit noch immer das übrige, um mich wieder gar und gänzlich aus den Angeln zu heben und die Liebe zu Italien und allem, was ich dort sah und hörte, von neuem anzufachen. Ein oder zwei Jahre vor meiner Ausmusterung war es, als ich meiner Mutter gegenüber einmal ganz unverhohlen den Wunsch äußerte, lieber in italienische Dienste zu treten. Sie erschrak darüber nicht wenig, und die Folge davon war, daß sie meine nächsten Urlaube mit mir nicht mehr in Italien, sondern im steierischen Hochgebirge zubrachte. Es sollte dies vermutlich eine Radikalkur vorstellen, die mir die Liebe zu dem Heimatland meiner Mutter austreiben sollte, aber die Kur kam zu spät, und eben weil ich nicht mehr dort sein sollte, wo ich stets gern geweilt, wuchs meine Sehnsucht immer mehr und mehr. Die Zeit verging, ich wurde gemustert; ich machte meinen Dienst, aber ich lebte mich in das Regiment ebensowenig ein, wie ich mich je in den Anstalten eingewöhnt hatte. Meine gute Mutter, die sich, wie ich glaube, gar nie von dem Schrecken erholt hat, den mein Wunsch, in italienische Dienste zu treten, ihr bereitet hatte, tat ihr möglichstes, um jeden Kontakt zwischen mir und den italienischen Verwandten zu lösen, aber es gelang ihr dies nur scheinbar, denn wenn ich auch, um Szenen und Vorstellungen zu vermeiden, fast nie von dem Lande und den Menschen sprach, denen mein Herz gehörte, so stand ich doch ohne Wissen meiner Mutter stets in regem Verkehr mit ihnen. Dann starb meine gute Mutter, und es ist traurig, es sagen zu müssen, daß ich ihr Hinscheiden fast mit einer Art Erleichterung empfand, denn nun war ich ja frei, wenigstens teilweise frei; nun hinderte mich niemand, so oft ich einen Urlaub erlangen konnte, nach meinem geliebten Italien zu fahren und mich dort heimisch zu fühlen. Freilich hatte ich es mit der Zeit einsehen gelernt, daß ich ja noch nicht die Macht hatte, mich loszulösen von der Heimat meines Vaters, denn dafür, daß ich einen Freiplatz in allen militärischen Anstalten genossen, mußte ich meine zehn Jahre Militärdienstzeit abdienen, bevor ich ein freier Mann werden konnte. Ich trug um so schwerer an dieser Fessel, als ich das Schöne, den Luxus über alles liebte, und nur zu gut begriff, daß meine Mittel als Offizier mir niemals gestatten konnten, diesen zu genießen, während ich als freier Mann in einem andern Lande, in einem andern Berufe vielleicht imstande gewesen wäre, Reichtümer zu erwerben. Aber was sollte ich machen? Ich schleppte also die klirrende Kette weiter und begnügte mich damit, jede Urlaubszeit in dem geliebten Süden zu verbringen. Daraus erwuchsen aber mir neue Gefahren. Verzeih', Anita, wenn ich dir mit dem, was du jetzt hören wirst, besonders wehe tue, aber es muß zur Komplettierung des Ganzen gesagt werden. Ich lernte in Italien ein Mädchen kennen, das mein Herz wie meine Sinne in Bande schlug, aber Elena Taloti war arm gleich mir; an eine Vereinigung konnten wir somit nicht denken, und doch war es diese, die wir mit der ganzen Leidenschaft junger Herzen anstrebten. Zu jener Zeit war es, da die Versuchung mit Allgewalt an mich herantrat. Alle Schätze des Erdballs hätte ich der Geliebten zu Füßen gelegt, und ich besaß nichts, nichts von alledem, was sie begehrte.

Da führte der Zufall mir einen italienischen Offizier in den Weg, und ich kam öfter mit ihm zusammen. Zuerst warf er gesprächsweise einmal hin, daß sich wohl ein schönes Stück Geld verdienen ließe, wenn man der italienischen Regierung gewisse Pläne verschaffen könne, die für diese von höchstem Wert seien. Ich fing natürlich diese Bemerkung auf und grübelte darüber nach. Ein andermal gab er mir nähere Daten, um welche Pläne es sich eigentlich handle, und nannte mir einen fabelhaft hohen Preis, der für Auslieferung dieser Dokumente bezahlt würde. Das war ja für mich und die Geliebte die Rettung, die Zukunft, das Glück! Freilich zauderte ich noch eine Weile; ein letzter Rest von Pflichtgefühl flüsterte mir zu, daß ich mich deklassiere, aber selbst diese Erkenntnis versank in nichts vor dem Gedanken der Vereinigung mit der Geliebten. Der Versucher ebnete mir alle Wege, und mit einem namhaften Angeld, das die Regierung mir bezahlte, reiste ich einige Tage später nach Österreich zurück und hatte, das begriff ich selbst in dieser Stunde gar wohl, mit diesem Schritt die Verbrecherlaufbahn begonnen.

Die ersten Wochen nach meiner Rückkehr verwendete ich dazu, zu sondieren, die Sachlage genau ins Auge zu fassen, und durch kluges Forschen unter den Kameraden gelang es mir nicht allzu schwer, in Erfahrung zu bringen, daß der Hauptmann des Generalstabes Robert von Marfen die rechte Hand des Generalstabschefs Oberstleutnant von König sei, und daß er diesem Marfen, der ein kluger Kopf und ein vorzüglicher Zeichner sei, die schwierigsten Arbeiten zu übertragen pflegte. Natürlich war ich sofort fest entschlossen, mich in irgend einer Weise an Marfen heranzuschlängeln, und der Weg hiezu schien mir nicht schwer. Scherzweise hatte man mich oft den Don Juan des Regiments genannt. Lächerlich, nicht mehr, wenn man bedenkt, zu welcher Jammergestalt ich jetzt herabgesunken bin. Damals war ich wirklich noch ein ganz verfluchter Kerl, du mußt dich ja selbst daran erinnern, kleine Anita, denn zu jener Zeit hatten wir uns ja schon längst gekannt. Marfen nun hatte eine sehr schöne, junge Frau, in die man sich leicht verlieben konnte, ich freilich hielt mich damals an Elena gebunden und war tändelnd auch in dich verliebt, meine kleine Anita; aber ich sah Frau von Marfen doch als Mittel zum Zweck an und dachte, durch sie und durch die Huldigung, die ich ihr darbringen wollte, mir leicht Einlaß in ihrem Hause zu verschaffen. Das weitere sollte sich dann finden. Du, mein armes Kind, glaubtest zu jener Zeit noch auf meine Treue schwören zu können, und ließest dir nicht träumen, daß du mir damals schon nur ein flüchtiger Zeitvertreib gewesen, daß du nur meine Sinne berauschtest und mein Herz bei Elena Taloti weilte, welche die Gefährtin jener glänzenden Zukunft werden sollte, die ich mir durch meinen Vaterlandsverrat zu erkaufen hoffte. Mein armes Kind, während ich jetzt mit dir spreche, weitet sich mein Blick, ich sehe in die Zukunft, ich fühle und begreife, daß meine Tage, vielleicht meine Stunden gezählt sind, und ich will, ehe ich in das Nichts, welches vielleicht meiner harrt, oder in das Jenseits eingehe, in dem die Vergeltung mich ereilt, klaren Tisch machen, ich will unumwunden alles bekennen, was nun so weit, so unermeßlich weit hinter mir liegt, so zwar, daß es mir vorkommt, als ob es ein andrer sei, dem all das widerfahren, was ich erlebte. Und zu diesem Bekenntnis, zu dem Bekenntnis meiner Schuld und meiner Vergehen gehört auch das Geständnis, daß ich auch mit dir, mein armes Kind, gespielt, daß ich nie, wie du geglaubt, ernstlich daran dachte, dich zu meinem Weibe zu machen, sondern nur das gefügige Werkzeug in dir sah, welches ich zu meinen verräterischen Plänen benützen konnte. Lasse ich jetzt alle Schleier sinken, zeige ich mich, so wie ich wirklich gewesen, so geschieht es nur, um dir damit einen Dienst zu erweisen. Du sollst einsehen, daß du keine Ursache hast, mir nachzutrauern, sollst wissen, daß ich dir gegenüber nichts andres gewesen bin als der selbstsüchtige Egoist, der dich ausgenutzt, weil er dich brauchen konnte. Dieser Teil meines Bekenntnisses sei der Dank dafür, daß du mich nicht bei Lebzeiten an den Pranger stellst, wie ich es verdienen würde, sondern dich mit dem schriftlichen Bekenntnis begnügst, das einen Schuldlosen freispricht von jedem Unrecht. Doch, nachdem ich in meiner Beichte eingefügt, was dich betrifft, laß mich zu der Hauptsache zurückkehren. Ich setzte alles daran, um als Intimer im Hause Marfen Aufnahme zu finden, und ich erreichte, was ich wollte. Obzwar man allgemein behauptete, daß der Hauptmann großen Hang zur Eifersucht habe, legte er meinem häufigen Verkehr im Hause nichts in den Weg, entweder weil er sich seiner Frau allzu sicher fühlte oder weil er mich für zu unbedeutend hielt, um mich ernstlich als einen Rivalen anzusehen. In der ganzen Stadt galt ich bald als der bevorzugte Kurmacher der schönen Frau von Marfen, nur ihr Gatte schien das nicht zu ahnen. Ich meinerseits tat mein möglichstes, um den Leuten den Gedanken nahezulegen, daß ich tatsächlich der Bevorzugte sei, denn es paßte dies ganz ausgezeichnet zu meinen Plänen. Ich kam und ging ganz ungeniert in dem Hause aus und ein, und es kam mehr denn einmal vor, daß ich in der Wohnung auf die Rückkehr der gnädigen Frau oder des Herrn Hauptmannes wartete, wenn gerade beide außer Haus waren. Natürlich benützte ich solche Gelegenheiten, um mich genau über alles zu orientieren. Es hatte sich auch herausgestellt, daß der Diener des Hauptmannes nicht nur ein Mann von meiner Kompagnie, sondern auch ein Bursche war, der aus dem Görzischen stammte, dem meine Mutter in seiner Kindheit manche Wohltat erwiesen und der infolgedessen ihr und mir sehr anhänglich war. Durch diesen Burschen nun, den ich schlau und in unauffälliger Weise auszuholen verstand, erfuhr ich die Zeit, in welcher der Herr Hauptmann in seinem Zimmer eingesperrt zu arbeiten pflegte, und in seiner täppischen Biederkeit zeigte mir Tonio, so hieß der Bursche, eines Tages mit einem gewissen Stolz die Schreibtischlade, in der sein Gebieter seine »schönen, kunstvollen Zeichnungen« aufzuheben pflegte. Von jener Stunde an war ich ein gemachter Mann; ich wußte, wo ich finden würde, was ich zu suchen hatte, und war wohl darauf bedacht, keine Zeit zu versäumen. Eine Dienstreise Marfens benützend, kam ich eines Tages in sein Haus zu einer Zeit, da auch seine Frau nicht zugegen war, und harrte angeblich ihrer Rückkehr, benützte aber diese Frist, um mit einem Nachschlüssel die bezeichnete Lade zu öffnen, steckte die auf Reißpapier angefertigten Pläne zu mir, schloß vorsichtig das Schubfach und eilte, den Dienstleuten sagend, meine Zeit erlaube mir nicht, länger auf die gnädige Frau zu warten, schleunigst in meine Wohnung, wo ich das Paket versiegelte, das ich dir zur Übergabe an den Grafen Foschi einhändigte. Marfen weilte noch immer in der Ferne. Die Liebesidylle, die ich inzwischen mit der schönen Frau inszenierte, hatte insofern Früchte getragen, als sie, die sich immer als unverstandene Frau fühlte, sich weder mit dem Gatten noch mit der Schwiegermutter gut vertrug, sich leicht dazu bereden ließ, das Haus ihres Gatten zu verlassen und an meine leidenschaftliche Liebe zu glauben, die, von südlicher Glut durchtränkt, ihrer Natur viel homogener war, als die schwerfällige, ernstere Charakterveranlagung Marfens; mir aber paßte diese Liebesepisode vorzüglich, weil ich der Überzeugung war, daß durch den vernichtenden Schlag in seinem Eheleben Hauptmann von Marfen für eine Zeitlang wenigstens von dienstlichen Dingen ganz abgelenkt werden würde, der von mir begangene Diebstahl nicht so leicht einer Entdeckung ausgesetzt war. Zeit gewonnen, alles gewonnen, sagte ich mir, und reiste mit der schönen Marfen von Triest ab.

Segen hat mir die ganze Geschichte allerdings nicht viel eingetragen, da ich nie eine wirkliche Neigung für die schöne Ola empfunden; daher ward ich ihrer auch sehr bald müde und trachtete, Ereignisse herbeizuführen, die den Bruch mit ihr zur Folge haben mußten. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen; sie verlangte von mir, da ich sie aus ihrem Milieu gerissen, die erforderlichen Subsistenzmittel, um weiter zu leben; da bei mir aber die Liebe zum Gelde größer war, als die zu ihr, und ich mich schwer von ersterem trennte, gab ich ihr wertlose Schecks oder, richtiger gesagt, Schecks auf die Banca Veneziana in Venedig, behob aber das Geld, das dort auf meinen Namen deponiert war, selbst schon früher. Bevor nun Ola diese Entdeckung machte, hatte ich schleunigst Venedig verlassen, um zu Elena zu eilen, um dort, mit reichen Mitteln versehen, die einzige wahrhaft Geliebte meines Herzens in die Arme zu schließen. Aber die Stunde der Vergeltung sollte auch für mich schlagen. Als ich das Haus ihrer Mutter betrat, erfuhr ich, daß sie mir die Treue gebrochen und vor wenigen Wochen einen andern geheiratet hatte, mit dem sie in die Fremde gezogen. Daß ich damals nicht wahnsinnig geworden bin, das begreife ich kaum, übrigens, im Grunde genommen war ich es ja doch, denn um mich zu betäuben, stürzte ich mich wie toll in einen Strudel der Vergnügungen und warf mit vollen Händen das Geld hinaus, das ich um den Preis meiner Ehre erworben hatte. Natürlich nehmen alle Mittel, und wenn sie auch noch so reichlich sind, ein Ende, wenn man sie derartig zum Fenster hinauswirft wie ich es getan habe. Und wie schnell das gehen kann, das sollte ich an mir selbst erfahren. Mehrmals gab Graf Foschi das Geld willig, aber endlich war auch seine Geduld erschöpft, und er wies mich energisch zurück, mir erklärend, daß ich längst überzahlt sei und ich weder von ihm noch von seiner Regierung weiterhin auch nur das geringste mehr zu erwarten habe. Da packte mich die Verzweiflung. An das Wohlleben gewohnt die lange Zeit hindurch, in der ich mir viel mehr gewährt hatte, als ich dies eigentlich gesollt, war ich nicht imstande, mir irgend etwas zu versagen, warf mich dem Spiel in die Arme und hatte anfangs Glück. Dann aber, als Göttin Fortuna mir verdrossen den Rücken wandte, glaubte ich, sie mit Gewalt an meine Fersen fesseln zu können, und – – dadurch bin ich in die verzweifelte Lage gekommen, in der du mich siehst. Man ertappte mich, als ich dem Glück ein wenig nachhelfen wollte, und die Folge davon war, die schwere Wunde, an der ich jetzt dahinsieche. Um alles, was hinter mir lag, habe ich mich, als ich seinerzeit in Triest den Staub von den Füßen schüttelte, nicht mehr gekümmert, und so kam es, daß ich erst viel später durch einen Zufall erfuhr, daß Hauptmann von Marfen des Verbrechens verdächtigt wurde, welches ich begangen. Jetzt freilich, jetzt ist alles einerlei, und ich ermächtige dich, wenn ich aufgehört habe, zu sein, jenen Gebrauch, den du für angezeigt findest, von dem Bekenntnisse zu machen, das du hier zu Papier gebracht hast. Schluß, denn ich bin am Ende meiner Kräfte!«

Ettore Baldoni hatte, während er seine Beichte ablegte, unzähligemale, von Erschöpfung überwältigt, innegehalten, und dadurch war es Anita möglich geworden, seinen ganzen erschütternden Bericht, der so recht deutlich zeigte, wie er schrittweise immer tiefer und tiefer gesunken, niederzuschreiben.

»Ettore, nicht wahr, du erlaubst, daß ich den Doktor und Fräulein Severe hereinrufe, damit sie sehen, wie du das Schriftstück unterzeichnest und dann auch selbst als Zeugen ihre Namen daruntersetzen?«

Er nickte bejahend, und sie flog zur Tür des Nebenzimmers und rief die beiden herein. Man stützte ihn mit Kissen, Anita drückte ihm die Feder in die Hand und verfolgte in atemloser Spannung die zitternde Bewegung seiner Finger. »Ettore Baldoni? Ist denn das der Cavaliere Boschetti?« flüsterte Elvira Severe in ratloser Verblüffung.

»Ja, mein Ehrenwort darauf, das ist er,« entgegnete Anita und fügte noch hastig hinzu, wie, um den Sterbenden zu entschuldigen, »Familienverhältnisse zwangen ihn, eine Zeitlang einen andern Namen anzunehmen, aber in Wirklichkeit ist er Ettore Baldoni.« Ihre Augen weiterten sich angstvoll, denn sie sah nur zu deutlich, wie, nachdem sie das Schriftstück wieder an sich genommen und es zusammenfaltete, seine Hände sich ruhelos in jener bei Sterbenden so häufig vorkommenden Weise hin und her regten, und sie wußte, daß dies der Vorbote des nahenden Endes sei.

»Wie lange kann es noch dauern?« fragte sie leise den Arzt, mit ihm in die Fensternische tretend. Dieser zuckte die Achseln:

»Minuten, Stunden, länger keinesfalls. Es wäre Zeit, den Priester zu rufen.«

Tränen perlten langsam über ihre Wangen, aber sie wischte sie hastig hinweg und trat an das Krankenlager.

»Ettore, willst du –« hub sie an, aber sie sah die Veränderung in seinen Zügen, das Wort erstarb ihr auf den Lippen. »Doktor, helfen Sie, ihm, wird schlecht!« rief sie, sich eiligst an den Arzt wendend. Dieser beugte sich über den Sterbenden, sah das ruckweise Beben seines Körpers und drückte ihm sanft die Hand auf die Augen; so stand er ein paar Sekunden da, dann richtete er sich langsam auf und sprach leise:

»Ettore Baldoni ist eingegangen in das dunkle Reich des Schattens; Gott sei seiner Seele gnädig!«


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