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15. Kapitel.

In der Pension Luzius rief die plötzliche Rückkehr der Baronin Thorn einiges Befremden hervor. Während der Zeit ihres Fernseins hatte man ja, wie das so zu gehen pflegt, nach und nach auf sie vergessen, sich wenig mit ihr befaßt, und da Frau Luzius zufällig in letzterer Zeit einige Pensionäre bekommen hatte, die sie als vollwertig zu erkennen Gelegenheit fand, dünkte ihr die Anwesenheit der Baronin nicht mehr gar so wichtig, kam sie ihr daher auch mit einem weniger großen Aufwand von Liebenswürdigkeit entgegen. Ola hatte somit die Empfindung, daß sie ihr fremd geworden, was nicht sonderlich zu ihrem Behagen beitrug. Dazu kam auch noch das beängstigende Gefühl, daß ihre Geldmittel schließlich nicht mehr gar so lange ausreichen würden, und daran knüpfte sich die Frage: »Was dann?« Die Zukunft lag düster und grau vor ihr, denn der Gedanke, nach einer Aussöhnung mit dem Gatten zu streben, hatte nichts Verführerisches für sie. War es ja doch nicht die Liebe, welche diese Versöhnung herbeiführen konnte, sondern nur die zwingende Notwendigkeit, die Existenzfrage. Bei Robert von Marfen mochte die Liebe eine Rolle spielen, bei ihr sicherlich nicht; trotzdem sah sie aber keine anderen Weg, sich vor Not zu schützen, als zu jenen zurückzukehren, den sie so schmählich verlassen. Als Lückenbüßer beschloß sie endlich, eine Begegnung mit dem Cavaliere Roselli herbeizuführen, einerseits, weil sie hoffte, durch ihn etwas über Ettore Baldoni zu erfahren, dem falschen Marchese Torre, anderseits auch, weil sie sich die Frage aufwarf, ob es sich denn nicht vielleicht der Mühe verlohnen könne, sich mit Roselli einzulassen, der ihr möglicherweise ein nützlicher Freund werden konnte oder vielleicht auch in der Lage war, ihr zu ermöglichen, daß sie in der guten Venezianer Gesellschaft Fuß fasse, und ihr auf diese Art vielleicht die Möglichkeit zu bieten, sich eine gesicherte Existenz zu verschaffen. Im Grand Café International am Lido würde sich ihr ohne Zweifel Gelegenheit geben, mit Roselli zusammenzutreffen, und sie beschloß, diese Gelegenheit ehebaldigst zu suchen. An einem schönen, sonnenhellen Nachmittag machte sie besonders sorgfältig Toilette, denn sie war viel zu sehr Weltdame und sich ihrer eigenen physischen Vorzüge bewußt, um sich nicht zu sagen, daß ein fesselndes Exterieur eine wesentliche Hilfskraft sei, wenn man bei einem Manne etwas erreichen will. Und erreichen, entweder in der einen oder in der anderen Hinsicht, wollte sie ja eben etwas bei dem Cavaliere Roselli. Sie war eben im Begriff, ihr Gemach zu verlassen, um die Fahrt nach dem Lido anzutreten, als das Stubenmädchen eintrat und ihr ein umfangreiches Schreiben überbrachte. Ein Diener vom österreichischen Konsulat habe es gebracht, berichtete das Mädchen, und Ola von Thorn fühlte, wie ihr das Blut zum Herzen drang. Was konnte das zu bedeuten haben, wer wußte, daß sie hier sei, wer sandte ihr gerade hieher eine Botschaft? Sie hatte Mühe, ihre äußere Fassung zu bewahren, solange das Mädchen, welches, wie sie zu fühlen glaubte, sie mit neugierigen Augen betrachtete, im Zimmer weilte, und als dieses infolge eines kurzen: »Es ist gut. Sie können gehen!« das Gemach verlassen hatte, fand sie die Lösung für die Neugierde des Mädchens in der Adresse des Briefes, denn da stand ganz klar und deutlich zu lesen: »Frau Ola von Marfen, geborene Freiin von Thorn.«

Ihr Inkognito hatte also aufgehört zu bestehen, man hatte ihre Spur verfolgt und sie offenbar gefunden. Was würde nun weiter ihrer harren? Eine Sekunde lang fühlte sie sich fast versucht, das Schreiben, welches sie in den Händen hielt, ungelesen zu zerreißen, aber was war damit gewonnen? Nun, da man eine Fährte gefunden, die zu ihr führte, würde man ein zweites, ja vielleicht ein drittes Mal ihr schreiben, denn jedenfalls wollte man etwas von ihr, und eine Behörde pflegt in solchem Falle nicht nachzugeben, sondern ihr Ziel unentwegt zu verfolgen. Rasch entschlossen, löste somit Ola das umfangreiche Konsulatssiegel und faltete den Brief auseinander. Er enthielt nur wenig knapp und klar verfaßte Zeilen:

 

»Euer Hochwohlgeboren!

Da die österreichischen Behörden in Erfahrung gebracht haben, daß Sie vor Jahresfrist in Gesellschaft des ehemaligen österreichischen Leutnants Ettore Baldoni den Hafen von Triest verlassen haben, und zwar auf dem Lloyddampfer »Graf Wurmbrand«, werden Sie ersucht, sich bezüglich Auskünften morgen vormittag zwischen 10 und 11 Uhr in dem österreichischen Konsulatsgebäude einzufinden.

Der Konsul: Erich von Fries.«

 

Das war alles, und doch riefen diese Worte einen Sturm der Erregung bei Ola hervor. Erstens war es ihr peinlich, daß ihre Spur überhaupt von heimlichen Behörden entdeckt und bis nach Venedig verfolgt worden war, und zweitens empfand sie es jetzt nach allem, was ihr widerfahren, geradezu als Beleidigung, ihren Namen mit jenem Baldonis in Kontakt gebracht zu wissen.

Die praktische Geldfrage mit ihrer betrügerischen Lösung hatte den kurzen Liebesrausch erfolgreichst aus ihrem Leben hinweggezaubert, und wenn sie sich jetzt überhaupt noch im Geiste mit Baldoni beschäftigte, so waren es doch nur mehr Rachegedanken, die sie erfüllten. Trotzdem hätte sie diese Rache eventuell gern allein durchgeführt, aber andern Rede und Antwort stehen zu sollen und selbst mit dem Manne verwoben zu werden, gegen den sie nur mehr glühenden Haß empfand, das paßte ihr ganz und gar nicht. Trotzdem war sie klug genug, zu begreifen, daß sie der Aufforderung, beim Konsulat zu erscheinen, sich nicht gut entziehen könne, selbst nicht durch eine Abreise, denn man hatte ihre Spur bis hieher verfolgt, so würde man sie auch jetzt nicht aus dem Auge verlieren, würde man es erfahren, wohin immer sie sich wenden möchte, und sie dann auch anderwärts molestieren. Es hatte also keinen Zweck, der erhaltenen Aufforderung aus dem Wege zu gehen, und man mußte in den sauren Apfel beißen, ob man nun dazu Lust hatte oder nicht.

Bei einer Fahrt nach dem Lido, die sie unternommen, um sich von unliebsamen Gedanken abzulenken, traf sie Roselli.

»Cavaliere, ich grüße Sie,« rief sie ihm, freundlich mit der Hand zuwinkend, entgegen, und er, der hervorragende Frauenkenner, der sich stets rühmte, daß kein Weib ihm zu widerstehen vermöge, beeilte sich, ihrem freundlichen Gruß Folge leistend, an ihre Seite zu treten.

»So, allein, schönste der Frauen, wo ist denn Torre, der Glückliche, der sich Ihrer Gunst erfreut?«

»Torre, Marchese Torre?« meinte sie mit unbefangenem Lachen, »der ruht in der Gruft seiner Ahnen und legt keinen Wert mehr auf Frauengunst und Liebe!«

»Was soll das heißen, Baronin?« fragte er mit allen Zeichen höchster Verwunderung.

»Was das heißen soll? Ich dachte, Sie wüßten es, und meinte, Sie spielten mit dem Herrn, der sich Marchese Torre nannte, unter einer Decke. Ist das nicht der Fall, so soll es mich freuen, aber Sie werden begreifen, daß ich, da ich ihn immer mit Ihnen zusammensah, meine Zweifel hege.«

»Ich kann nur beteuern, Baronin, daß ich Sie nicht verstehe, daß ich Ihnen dankbar wäre, wenn Sie mir in kurzen, klaren Worten sagen wollten, um was es sich handelt.«

»Das ist leicht geschehen, Cavaliere. Der Herr, den ich und, wie es scheint, auch sie als Marchese Torre gekannt haben, führte diesen Namen unbefugterweise. Es gibt überhaupt keinen lebenden Marchese Torre mehr, und jener, der sich so nannte, ist nur ein räudiges Schaf der Familie, der auch nicht den Schatten eines Anspruches auf den vollklingenden Titel besitzt. Das habe ich durch einen Zufall erfahren, nachdem ich von ihm in der schnödesten Weise geprellt wurde. Sie werden es also begreiflich finden, daß ich nicht sonderlich für ihn eingenommen sein kann.«

»Da muß ein Irrtum obwalten, das kann ja gar nicht sein.«

»Es waltet kein Irrtum ob, und die Sache verhält sich haarklein so, wie ich es Ihnen gesagt habe. Der angebliche Marchese Torre ist der gewesene österreichische Leutnant Ettore Baldoni, der mein, ich muß es leider zugestehen, sehr schwaches und törichtes Herz so sehr in Bande geschlagen, daß ich mit allem, was früher gewesen, gebrochen und mich dazu habe verleiten lassen, mit ihm in die Ferne zu ziehen. Er gaukelte mir in leuchtenden Farben eine glänzende Zukunft vor, erzählte mir, daß er der Erbe seines Oheims, des Marchese Torre sei, der plötzlich gestorben und ihm alle seine Reichtümer hinterlassen habe. Ich Törin habe seinen Worten blinden Glauben geschenkt, reuelos bin ich mit ihm aus der Heimat geflohen. Um unsere Spuren für den Fall einer Verfolgung leichter zu verwischen, haben wir an Bord des Schiffes, das uns von Triest herüberbrachte, gar nicht zusammen verkehrt, haben wir, gleich Fremden, uns kaum angesehen. Ich fuhr nach Ankunft direkt in die Pension Luzius, die er mir empfohlen, und er war tagelang, ich weiß nicht wo. Als er sich dann zu mir gesellte, war er schon nicht mehr Ettore Baldoni, sondern nannte sich Marchese Giuglio Torre. Wir verkehrten viel zusammen, aber ich glaubte bald zu bemerken, daß eine große Wandlung in seinem Benehmen gegen mich eingetreten sei, und ich fragte mich mit einigem Befremden, ob es denn möglich und denkbar, daß die große, elementare Leidenschaft, die er für mich empfunden, schon nach so kurzer Zeit erloschen sei. Unwillkürlich drängte sich mir dann auch die Frage auf, ob, wenn diese Leidenschaft nur eine erheuchelte Komödie gewesen, er irgend einen andern, mir gänzlich unbekannten Grund gehabt habe, um mir Liebe vorzugaukeln, und worin dieser Grund zu suchen gewesen wäre. Darüber zerbreche ich mir den Kopf, ohne bisher der Lösung des Rätsels nähergekommen zu sein. Es ist vielleicht sehr töricht von mir, Cavaliere, daß ich Ihnen all das erzähle,« fügte sie mit bitterem Lächeln hinzu, »denn wer bürgt mir dafür, daß Sie nicht doch sein Freund sind, der sich im stillen über mich lustig macht, weil er längst in die Pläne und Absichten des vermeintlichen Marchese Torre eingeweiht war. Aber ich habe nun einmal das Gefühl, daß ich reden muß, daß ich an der Entrüstung und dem Zorn ersticke, die in mir toben, und so sei Ihnen denn alles gesagt, auch die Schlußkadenz, die dem Faß den Boden ausgeschlagen. Er wurde immer kühler, immer zurückhaltender gegen mich, und als ich durch Zufall von seiner Absicht erfuhr, Venedig zu verlassen, und ihn deshalb zur Rede stellte, kam es zu einer ziemlich erregten Auseinandersetzung zwischen uns; schließlich beteuerte er mir, daß er selbstverständlich während seiner Abwesenheit in reichlichster Weise für mich sorgen werde und gab mir mehrere Schecks, von denen er jeden auf den Betrag von zweitausend Lire ausfüllte. Außerdem hat er mir tausend Lire in Bargeld gegeben und die Versicherung ausgesprochen, daß er in längstens drei Monaten wieder hieher zurückkehren werde. Alles, was er bei dieser letzten Unterredung zum besten gab, hat sich als Lüge erwiesen, denn als ich mich nach seiner Abreise zur Bank begab, um die Schecks einzulösen, stellte es sich heraus, daß dieses ein Ding der Unmöglichkeit sei, weil er keinerlei Depots mehr bei der Bank hatte, sondern diese schon vor Tagen an sich genommen. Woher er überhaupt Geld besessen, das er bei der Bank behoben, ist mir allerdings unklar, jetzt, da ich in Castell Largo, dem Besitz des verblichenen Marchese Torre, in Erfahrung brachte, daß er überhaupt nicht dessen Erbe sei und nicht den Schatten eines Rechtes besitze, seinen Namen zu führen. Jetzt erst, da ich all das weiß, grüble ich unablässig nach, welchen Vorteil er glaubte daraus schöpfen zu können, daß er mich dazu verleitete, mein Heim und meine Familie zu verlassen. Liebe war sicherlich nicht der Impuls, der ihn dazu gedrängt; aber was sonst? Wollen Sie mir helfen, Cavaliere, das zu ergründen? Nur wenn Sie sich dazu herbeilassen, kann ich glauben, daß Sie nicht mit ihm unter einer Decke stecken, sondern es ehrlich und aufrichtig mit mir meinen!«

In merklicher Erregung bot ihr Roselli die Hand.

»Sie können auf mich zählen, Baronin. Ich begehe, wenn ich Ihnen zur Seite stehe, eigentlich keinen Treubruch an dem Mann, den ich bisher nur als Marchese Torre kannte. Es verbindet uns ja keine langjährige Freundschaft, der Zufall hat uns hier in Gesellschaft zusammen geführt, und es entspann sich zwischen uns zwar ein ziemlich lebhafter Verkehr, aber ich nahm damit kein Obligo auf mich. Oberflächliche gesellschaftliche Beziehungen sind es gewesen, die zwischen uns bestanden, weiter nichts. Sie aber, schönste der Frauen, haben im Augenblick, da ich zum erstenmal das Glück hatte, in Ihre herrlichen Augen zu blicken, mein Herz im Sturm erobert, und ich gestehe ehrlich, daß ich grenzenlosen Neid gegen den Mann empfand, der, wie ich glaubte, durch Bande der Liebe mit Ihnen vereinigt sei. Nun, da Sie mir reinen Wein eingeschenkt, will ich mir nicht nur die Aufgabe stellen, alles zu ergründen, was Sie von ihm zu erfahren wünschen, sondern, es soll auch mein höchstes Streben sein, Sie zu lehren, leichten Herzens jenes Unrecht zu vergessen, das er Ihnen zugefügt, weil Sie nach und nach zu der Überzeugung kommen müssen, daß ein anderer da ist, der mit jedem Pulsschlag seines Herzens auf Ihr Wohl bedacht ist und nichts sehnlicher wünscht, als Ihre Liebe erlangen zu können.«

»Cavaliere,« erwiderte die Baronin, indem sie Roselli unverwandt ins Antlitz blickte, »Sie müssen begreifen, daß ich nach den Erfahrungen, die ich gemacht, skeptisch geworden bin und mich nicht geneigt fühle, schönen Worten sofort Glauben zu schenken. Beweisen Sie mir Ihre Neigung, indem Sie mir helfen, zu ergründen, was Baldoni veranlaßt hat, mir jene Liebeskomödie vorzuspielen, und dann, dann reden wir weiter.«

»Sie stellen mich vor eine schwere Aufgabe, Baronin, wie soll ich das ergründen können? Der Mann ist fort von hier, ich ahne nicht, wo ich ihn zu suchen habe. Wie kann ich Fäden anknüpfen, die zu dem Resultat führen, welches Sie anstreben?«

»Das Wie ist Ihre Sache, nur so viel steht fest, daß eine Freundschaft zwischen Ihnen und mir nur dann möglich ist, wenn Sie meinen Wunsch erfüllen. Überlegen Sie also, ob Sie die Absicht haben, es zu tun, und wenn Sie mit sich selbst im klaren sind, dann lassen Sie mich das weitere wissen. Ich will Ihnen sogar mit offenem Visier entgegentreten, will Ihnen bekennen, daß ich heute eine Aufforderung des österreichischen Konsulats erhalten habe, mich morgen früh dort einzufinden, um in Angelegenheiten Ettore Baldonis Auskünfte zu erteilen. Sollte ich nun in die Lage versetzt sein, auf dem Konsulat Dinge zu erfahren, die uns auf die Spur Baldonis bringen, so werde ich keinen Anstand nehmen. Ihnen davon Mitteilung zu machen, damit Ihnen die Aufgabe erleichtert wird, die ich an Sie stelle. Und nun adieu für heute, Cavaliere, meine Adresse kennen Sie; wenn Sie mir eine Mitteilung zu machen haben, die des Erzählens wert ist, so suchen Sie mich dort auf. Wenn aber nicht, so ersparen Sie sich diese Mühe, denn Sie würden nur verschlossene Türen finden.«

Er zog ihre schlanken Finger an die Lippen und entfernte sich dann raschen Schrittes.


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