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17. Kapitel.

Ola von Thorn schloß kein Auge in der Nacht, welche ihrer Unterredung mit Cavaliere Roselli gefolgt war. Quälende Gedanken wogten in ihr auf und nieder, ohne daß sie so recht eigentlich imstande gewesen wäre, sie zu ordnen.

Mit ruhiger Vernunft gestand sie sich freilich, daß sie durch ihr Grübeln nichts besser mache, daß sich nichts anderes erübrige, als den Dingen ihren Lauf zu lassen und in allem, was sie redete, möglichst vorsichtig auf der Hut zu sein. Aber trotz all dieser weisen Eingebungen überlegender Vernunft graute ihr doch vor dem kommenden Tag, der möglicherweise so manche peinliche Erörterung mit sich bringen konnte, der sie gern ausgewichen wäre. Aber ändern ließen sich die bestehenden Tatsachen nun einmal nicht, und so blieb denn nichts übrig, als möglichst nach Ruhe und Besonnenheit zu ringen und der Dinge zu harren, die da kommen würden. Sie wollte auf ihren Glücksstern bauen, der, wie sie sich selbst einredete, ihrem Leben noch nie untreu geworden.

*

Eine sehr ruhige, selbstbewußte, einfach geschmackvoll gekleidete Dame war es denn auch, die zur festgesetzten Stunde auf dem Konsulat erschien, und die erhaltene Vorladung zeigend, den Diener aufforderte, dem Herrn Konsul zu melden, daß sie, der erhaltenen Weisung Folge leistend, erschienen sei.

Nach einigen Augenblicken wurde sie in ein großes, geräumiges Gemach geführt, an dessen einem Fenster ein mächtiger Schreibtisch stand, vor dem ein Mann in mittleren Jahren saß, sich dann erhob und, mit einer Verbeugung auf sie zutretend, sprach: »Entschuldigen Sie, gnädige Frau, daß ich Sie zu mir bemühen mußte, aber Amtspflicht geht vor Ritterpflicht, und es ist mir von höherer Stelle die Weisung zuteil geworden, einige Fragen an Sie zu stellen, deren wahrheitsgemäße und gewissenhafte Beantwortung unerläßlich erscheint. Ich erlaube mir, mich Ihnen vorzustellen: Konsul von Fries. Bevor ich unser Gespräch eröffne, muß ich Sie bitten, meine Gnädigste, in mir die Amtsperson sehen zu wollen, der es obliegt, die gewissenhafte Erfüllung der ihr übertragenen Mission zu erreichen. Wenn ich dabei energischer vorgehen muß, als Ihnen möglicherweise angenehm oder lieb, so bitte ich, darin durchaus keine persönliche Ranküne gegen eine mir vollkommen fremde Dame sehen zu wollen, sondern sich klarzumachen, daß ich nur meine Pflicht und eben nichts als diese im Auge halte, weshalb alle persönlichen und gesellschaftlichen Rücksichten beiseite geschoben werden müssen. Die Triester Behörde hat in Erfahrung gebracht, daß Sie ungefähr vor Jahresfrist gleichzeitig mit dem zu jener Zeit flüchtig gewordenen Leutnant Baldoni am Bord des Lloyddampfers »Graf Wurmbrand« Triest verlassen haben. Wissen Sie mir nichts näheres über diesen Herrn zu sagen?«

Ein spähender Blick des Beamten streifte die Frau, die hochaufgerichtet vor ihm stand und deren wie in Stein gemeißeltes Antlitz auch nicht einen Funken von Erregung zeigte.

»Ich kannte Leutnant Baldoni allerdings flüchtig, traf ihn während meines Aufenthaltes in Triest da und dort in Gesellschaft, weiter wüßte ich aber nichts über ihn zu sagen. Während der kurzen Überfahrt nach Venedig sah ich ihn kaum; wohin er sich, dort angelangt, begab, weiß ich nicht, ich selbst weilte eine Zeitlang am Lido und nahm dann in der Pension Luzius Quartier, wo man mich offenbar zu finden wußte, folglich scheint man meinem Tun und Lassen nachgespürt zu haben,« fügte sie mit einem Anflug von Bitterkeit hinzu.

»Und sonst wissen Sie mir nichts über Leutnant Baldoni zu sagen?« fragte der Beamte sie scharf musternd.

»Nichts!« lautete die mit ruhiger Bestimmtheit gegebene Antwort.

»Dann dürfte Sie manches interessieren, was ich Ihnen mitzuteilen habe, meine Gnädigste. Vor allem aber bitte ich, mir bekanntgeben zu wollen, wieso Sie hier unter dem Namen Baronin Thorn angemeldet sind, während Sie in Wirklichkeit doch die Gemahlin des Herrn Hauptmanns von Marfen sind?«

»Ich dachte, das wären meine Privatangelegenheiten, die mit dem Leutnant Baldoni gar nichts zu tun haben. Und Sie, Herr Konsul, haben mir doch eben erst gesagt, daß ich vorgeladen wurde, um wegen des Leutnants Baldoni Aufschlüsse zu erteilen, die ich eben nicht in der Lage bin, zu geben, weil ich nichts weiter von ihm weiß.«

»Trotzdem, meine Gnädigste, muß ich Sie darauf hinweisen, daß, da bisher keine gerichtliche Scheidung zwischen Ihnen und Ihrem Herrn Gemahl ausgesprochen wurde, Sie nicht berechtigt waren, sich unter anderem Namen anzumelden als dem seinen, und Ihr Vorgehen somit in das Gebiet der Falschmeldung gerechnet werden müßte, die, wie Sie wissen, stets streng geahndet wird. Ich kann Ihnen somit nur den Rat erteilen, das begangene Unrecht jetzt noch dadurch gutzumachen, daß Sie der irrtümlichen Meldung eine richtige auf dem Fuße folgen lassen.«

»Und wenn ich nun meine Gründe hätte, die es mir wünschenswert erscheinen lassen, mit Herrn von Marfen nichts mehr zu tun zu haben, weshalb ich auch nicht gewillt bin, seinen Namen weiter zu führen? … Wer kann mich dazu zwingen?«

»Überlegen Sie Ihre Worte, gnädige Frau, und gestatten Sie mir, Ihnen zuvor einige Einzelheiten mitzuteilen, die Sie vermutlich dazu veranlassen dürften, Ihre Anschauung zu modifizieren. Sie behaupten nichts von Leutnant Baldoni zu wissen, die Behörde aber hat in Erfahrung gebracht, daß dieser Leutnant mit dem Marchese Torre identisch sei, der monatelang in Gesellschaft der schönen Baronin Ola Thorn in der Pension Luzius gewohnt hat. Ja, mehr noch; es besteht ein bestimmter Verdacht, daß wichtige Dokumente, die aus dem Schreibtisch des Hauptmanns von Marfen entwendet wurden und wegen deren Verlustes er in gerichtliche Untersuchung kam, im Besitz des Leutnants Baldoni sind, und dieser Mann, der dem Diebstahl der Papiere nicht als Unbeteiligter gegenübergestanden zu sein scheint, wird nun steckbrieflich verfolgt. Da es nachgewiesen ist, daß er mit Ihnen vielfach intim verkehrte, werden Sie einsehen, daß es Leute geben kann, die es nicht als Unmöglichkeit betrachten, anzunehmen, daß auch Sie jener Dokumentenangelegenheit nicht vollkommen fremd gegenüberstehen, daß sie mindestens um die Tatsache gewußt haben müssen, daß die Schriftstücke, die im Hause Marfen fehlten, sich im Besitze des Leutnants Baldoni befanden, wenn Sie auch über die Wichtigkeit dieser Papiere vielleicht nicht orientiert sein mochten.«

»Mein Herr, wie dürften Sie es wagen, eine solche Mutmaßung auch nur anzudeuten?« erwiderte die Baronin erbleichend. Der Beamte aber zuckte die Achseln.

»Ich muß es wagen, meine Gnädigste, denn meine Instruktion geht dahin, im Falle Sie jede nähere Beziehung mit Baldoni leugnen sollten, auf einer Durchsuchung Ihrer Wohnung und Ihrer Effekten zu bestehen.«

»Das ist eine Infamie!« rief sie zornbebend. Er aber antwortete gelassen:

»Sie haben nicht das Recht, die Behörde anzugreifen, die einzig und allein danach strebt, die Unschuld eines Mannes festzustellen, den man zwar »wegen Mangels an Beweisen« freigesprochen hat, dessen ganze Existenz aber durch einen Verdacht zerstört ist, der um jeden Preis als falsch erwiesen werden soll!«

»Was in aller Welt kann ich aber damit zu tun haben? Man wird doch nicht glauben …« Sie brach ab, und der Beamte sah sie mit einem spöttischen, überlegenen Blick an.

»Wäre es so unerhört, zu mutmaßen, daß eine Frau, die imstande ist, Mann und Kind um eines Liebesabenteuers Willen zu verlassen, aus sinnlicher Leidenschaft für ihren Galan, von diesem verführt, auch zum Werkzeug wird, das bereit ist, den Gatten zu verderben? Wer bürgt dafür, daß Sie nicht unter hypnotischem Einfluß gestanden und taten, was Baldoni Sie tun hieß? Jedenfalls besteht dieser Verdacht, und da es sich nicht um eine geringfügige Nebensächlichkeit, sondern um Schriftstücke von hoher Bedeutung handelt, die Baldoni entwendet hat, um großen pekuniären Vorteil daraus zu ziehen, um sie an ein Nachbarland zu verkaufen, dem kein Mittel zu schlecht ist, wenn der eigene Gewinn auf dem Spiele steht, so werden Sie sich schon der Unannehmlichkeit der angedeuteten Hausdurchsuchung unterziehen müssen, ja, mehr noch, es wäre Ihre Pflicht, dieselbe zu verlangen, um dartun zu können, daß, wenn sich nichts Gravierendes bei Ihnen findet, man doch den Glauben Raum geben kann, daß Sie zwar dem Gatten die Treue gebrochen, aber wenigstens seine militärische Ehre nicht wissentlich und willentlich in den Staub getreten haben.«

»Und meine Ehre? Soll die denn gar nichts gelten? Wie steh' ich da, wenn es bekannt wird, daß bei mir eine Hausdurchsuchung stattfand?«

»Für uns besteht gar kein Grund, gegen Sie besonders glimpflich vorzugehen, aber um den Namen Marfen zu schützen, den Sie nun einmal tragen, bin ich bereit, möglichst diskret zu sein. Zufällig kenne ich Hauptmann von Marfen und seine Mutter seit langen Jahren; mein Stiefbruder, Hauptmann von Büsing, ist Marfens Freund, und durch ihn weiß ich, wie schwer heimgesucht er von der Treulosigkeit seiner Frau gewesen ist, wie er in seiner Güte und Schwäche immer noch zweifelt, an dieselbe glauben zu müssen. Ich fühle und weiß daher, daß ich in seinem Sinne handle, wenn ich den mir gewordenen Auftrag einer Hausdurchsuchung zwar nicht umgehe, weil ich das als Beamter weder kann noch darf, aber die Sache doch möglichst schonungsvoll durchführe. Sie werden also, auch damit Sie nicht Zeit haben, Vorhandenes verschwinden zu lassen,« fügte er ironisch hinzu, »in meiner Gesellschaft in die Pension Luzius zurückkehren, und ich werde einen meiner Beamten mitnehmen, dem ich den Auftrag erteilen werde, in Ihrer und meiner Gegenwart all Ihre Effekten zu durchsuchen, damit wir wenigstens in Erfahrung bringen, ob noch etwas von dem zurückgewonnen werden kann, was dem Hauptmann von Marfen in so verräterischer Weise geraubt wurde.«

»Es gibt keine Worte, um die Entrüstung, die in mir lebt, zu schildern. Wie dürfen Sie es wagen, mir einen Diebstahl, einen gemeinen Verrat zuzumuten, selbst wenn Sie glauben, daß ich meinem Gatten die Treue gebrochen,« rief Ola in höchstem Affekt.

»Sie haben ja recht, das eine muß nicht immer mit dem andern Hand in Hand gehen, aber es kann der Fall sein, und jedenfalls haben Sie das Recht verscherzt, besondere Empörung an den Tag zu legen. Lassen Sie Fakta sprechen, das wird am überzeugendsten wirken. Findet man nichts Gravierendes bei Ihnen, so steigt allerdings die Möglichkeit Ihrer Unschuld, erwiesen ist diese aber noch lange nicht. Jene Papiere, nach denen wir fahnden, wurden ja jedenfalls nicht nur zum Zeitvertreib entwendet, sondern wer immer die Tat beging, hatte damit ein bestimmtes Ziel im Auge, und sind Sie eine Mitschuldige gewesen, so liegt der Gedanke nicht fern, daß Sie beizeiten dafür Sorge trugen, die Spuren Ihrer Mitschuld zu verwischen. Vielleicht aber finden wir doch eine Handhabe unter Ihrem Besitz, die uns darauf hinweist, wo wir die weitere Spur der ohne Zweifel mit Zweck und Absicht entwendeten Schriftstücke zu suchen haben.«

»Ich sehe Ihrem ganz unqualifizierbaren Vorgehen mit höchster Gemütsruhe entgegen,« entgegnete Ola, »das heißt, ich kann nicht sagen mit Gemütsruhe, denn ich bin empört, aber mit dem ruhigen Bewußtsein, daß man bei mir keinerlei Handhabe finden wird, die ein Licht in diese ganze, mir vollkommen unverständliche Geschichte werfen könnte. Wollen Sie denn nicht wenigstens die Gewogenheit haben, deutlich zu reden und mir zu sagen, um was es sich handelt?«

»Einstweilen fühle ich mich zu dieser Deutlichkeit ganz und gar nicht ermächtigt. Lassen Sie uns aber weiter keine Zeit verlieren, begeben wir uns nach Ihrer Wohnung, und wenn das Ergebnis dessen, was sich dort finden oder nicht finden wird, ein für Sie günstiges ist, dann erwirken Sie vielleicht das Recht, Fragen zu stellen. Lassen Sie uns jetzt Ihre Wohnung aufsuchen, alles andere findet sich.«

In ohnmächtiger Wut preßte Ola die Lippen aufeinander, aber sie begriff, daß sie im Moment nichts andres tun könne, als sich fügen. Der Konsul trat einen Augenblick unter die Tür des Nebengemachs, um einem seiner Untergebenen die Weisung zu erteilen, ihn und Frau von Marfen zu begleiten.

*

Mit größter Umsicht hatte der junge Beamte, den der Konsul mit seiner Aufgabe bekanntgemacht, nachdem Ola ihm ihre Schlüssel übergeben, in allen Kasten und Fächern, die sich im Gemach Frau von Marfens befanden, Umschau gehalten, ohne auch nur die geringsten verdächtigen Indizien zu finden. Mit spöttisch triumphierender Miene sah die schöne Frau seinem Tun zu, und ihr Selbstbewußtsein stieg, je untrüglicher sich zeigte, daß die beiden Herren nicht fanden, was sie suchten. Herr von Fries leitete gewissermaßen nur mit den Blicken alles, was sein Organ zu tun hatte, und als das letzte Schubfach durchwühlt war, ohne daß man auch nur den geringsten Verdacht hätte feststellen können, wandte Herr von Fries sich an den jungen Unterbeamten und sprach verabschiedend: »Ich danke Ihnen, Sie haben getan, was Ihres Amtes war, und können gehen; selbstverständlich ist es, daß Sie strenge Diskretion zu wahren haben. Ich verweile noch einen Augenblick, weil mir eine Rücksprache mit der Dame geboten erscheint.« Der junge Mann entfernte sich mit ehrfurchtsvoller Verbeugung, und Herr von Fries und Ola standen einander allein gegenüber. Spöttischer Triumph verriet sich in dem ganzen Wesen der letzteren.

»Nun, sind Sie überzeugt, daß ich Ihr ganzes Vorgehen unmöglich verstehen kann, und wollen Sie mir gefälligst endlich bekanntgeben, um was es sich handelt?«

Der Konsul stand einen Augenblick lang regungslos da und blickte in tiefem Ernst vor sich hin. »Eigentlich,« sprach er nach kurzer Pause, »habe ich die Aufgabe, die mir oblag, erfüllt, und es erübrigt mir nur, das Resultat dessen, was man von mir forderte, der Behörde mitzuteilen, die mir ihre Aufträge erteilte, aber,« fügte er nach erneutem kurzen Zögern hinzu, »ich stelle mir anderseits die Frage, ob, wenn ich offener vorgehe, als mir von Amts wegen zukommt, ich der Sache, die mir anvertraut wurde, nicht einen größeren Dienst erweise, als wenn ich mich in undurchdringliches Schweigen hülle, und deshalb will ich ein Experiment wagen, will Ihnen reinen Wein einschenken und Ihnen sagen, um was es sich handelt, um Sie doch vielleicht zu bewegen, in einer guten Sache unsere Verbündete zu werden. Sie fragten mich vorhin, um was sich all das drehe. Wußten Sie denn wirklich nicht, daß Ihrem Herrn Gemahl wichtige Pläne zur Ausfertigung übertragen wurden?« Die Augen des Konsuls waren unverwandt auf die junge Frau gerichtet, aber frei und offen begegnete sie seinem Blick, während sie langsam erwiderte:

»Mein Mann hat dienstliche Angelegenheiten nie mit mir besprochen, ich wußte nur, daß er wichtige Arbeiten auszuführen hatte, wenn er sich stundenlang in sein Zimmer einsperrte. Das ist allerdings häufig der Fall gewesen. Da ich aber für die langweiligen Vorgänge des Dienstes nie besonderes Interesse hatte, kümmerte ich mich nicht weiter um alles, was mit diesen im Zusammenhang stand. Besonders in der letzten Zeit unseres Beisammenseins war mein Mann unzugänglicher denn je, und ich wich ihm aus, wo ich konnte. Diese Unzugänglichkeit war es,« fügte sie mit bitterem Lächeln hinzu, »durch die ich mich zu einer Torheit hinreißen ließ, die ich seither, wie ich offen eingestehe, bitter zu bereuen gelernt habe.«

»Es freut mich, gnädige Frau, diese Worte aus Ihrem Munde zu vernehmen, denn vielleicht werden Sie nun, wenn Sie alles wissen, leichter zu bewegen sein, uns hilfreiche Hand zu bieten. Ich will Ihnen, so kurz gefaßt als möglich, die Tatsachen offenbaren. Hauptmann von Marfen hatte im Auftrag des Ministeriums wichtige Pläne auszufertigen. Man verlangte die Ablieferung derselben zu einer Zeit, da der Hauptmann, vermutlich infolge seelischer Aufregungen, schwer erkrankt war. Eine durch seinen Generalstabschef, Oberstleutnant von König, vorgenommene Suche nach den Plänen erwies sich als erfolglos, und man mußte die Genesung Hauptmann von Marfens abwarten, um Aufschlüsse zu erhalten. Diese aber wirkten niederschmetternd, denn als der Hauptmann selbst wieder seinen Schreibtisch durchsuchen konnte, stellte sich heraus, daß die Pläne verschwunden seien, und die Wichtigkeit derselben ließ natürlich den Verdacht erstehen, daß sie gestohlen waren. Eine Verheimlichung der Sache war undenkbar, sie mußte zur Anzeige gebracht werden, und die Folge derselben war die gerichtliche Untersuchung gegen Hauptmann von Marfen, die zwar mit einem Freispruch endete, aber nur mit einem Freispruch »aus Mangel an Beweisen«. Als gebeugter, gebrochener Mann hat der Hauptmann sein Pensionierungsgesuch eingereicht, was ihm auch bewilligt wurde, und so ist eine schöne, hoffnungsvolle militärische Laufbahn zu vorzeitigem Abschluß gekommen. Ich frage Sie nun, gnädige Frau, ich frage Sie auf Ehre und Gewissen, können und wollen Sie uns behilflich sein, die Wahrheit an das Tageslicht zu ziehen, den Schuldigen zu finden, die niederschmetternde Last eines schmählichen Verdachtes von den Schultern des Mannes zu nehmen, der unter dem zweifachen Leid, das ihn betroffen, zusammenbrach?«

In tiefster, deutlich zutage tretender Erschütterung hatte Ola den Worten Herrn von Fries' gelauscht. Als er nun schwieg und die Blicke fragend auf sie richtete, schluchzte sie plötzlich laut auf und schlug die Hände vor das Gesicht. »Mein Gott, mein Gott, das habe ich nicht gewollt, nicht gedacht, nicht geahnt!« stieß sie in klagendem Ton hervor. »Bei Gott, das nicht!«


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