Bruno Frank
Cervantes
Bruno Frank

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Ritter

Es klopfte respektvoll. Beim dritten Pochen erst hob er den Kopf von seinem Manuskript. Eintraten Gambalon und Polarte.

Der Sklave Seiner Majestät, der noch immer auf seinen Abtransport wartete, kam mit Kratzfüßen näher. Hinter ihm Herr Polarte, »Sünder mit dem, was man braucht«, völlig bartlos und haarlos, den Körper von den Auspeitschungen ein wenig verzogen. Sie waren auf einem Bittgang.

Es handelte sich da um einen gewissen Boffy, der heute im Hof mit dem Strick zu Tode gebracht worden war. Sie sammelten für sein Grab.

»Euer Gnaden wissen es ja,« erklärte Gambalon sehr gewählt, »die Vorurteile der Menschen sind äußerst verschieden. Diesem ging es um seine Bestattung. Da ihm leider ein christliches Begräbnis versagt bleibt, wünschte er außerhalb der Mauer einen Stein mit einer würdigen Inschrift. Marmor aus Filabres war' ihm das Liebste. Aber die Preise sind hoch.«

Cervantes griff in die Lade und spendete von dem Geld, das ihm Gutierrez zurückgelassen.

Aber sie gingen noch nicht. Sie verspürten das Bedürfnis, die Bemühung zu rechtfertigen.

»Es ist schade,« nahm Herr Polarte in der Fistel das Wort, »daß Euer Gnaden nicht sahen, wie er gehenkt wurde! Es lohnte der Mühe. Das Armesünderhemd stand ihm so gut, als wär' es nach Maß angefertigt, und er war auf das Feinste frisiert. Den Pater bat er mit Höflichkeit, sich nur auszusprechen, und lobte sehr, was der ihm da 360 erzählte. Dann stieg er würdig die Leiter hinauf, weder in Katzensprüngen noch auch zu langsam, zog sich die Falten des Hemdes nach hinten und legte sich selber den Strick um den Hals. Man konnte tatsächlich nicht mehr verlangen.«

»Genug!« unterbrach ihn da Gambalon, »genug jetzt geredet! Du störst Seiner Gnaden die Inspiration.« Und schon bei der Türe: »Es bleibt doch dabei? Heute nacht nach dem Ave?«

»Ja, kommt nur,« sagte Cervantes.

Da die Beiden ihn einmal unterbrochen hatten, rückte er seinen Stuhl an das offene Fenster und ruhte. Der Blick ging über das breite Ufergelände und über den Fluß. Drüben, über Triana, verfärbte sich der Himmel in purpurnen und smaragdenen Streifen, da die Sonne ging.

Er hatte sie vierzig oder fünfzig Mal untergehen sehen aus diesem Fenster. Lange würde seine Haft nicht mehr dauern. Zwar jene Eingabe war niemals abgesandt worden. Aber seit Kurzem befand Freund Gutierrez sich in Madrid, um seine Angelegenheit dort zu bereinigen.

Cervantes war ihm dankbar dafür. Wahrhaftig, so half ein Freund! Aber wenn er sich selber fragte – die Befreiung eilte ihm nicht. Ihn hätte die Aussicht nicht erschreckt, in diesem Zimmer ein Jahr lang abgesondert zu leben oder auch drei, und hier sein Werk zu vollenden.

Alles kommt in der Kunst auf den Ausgangspunkt an. Sein Ausgang war gut. Er war auf gesegnetem Wege.

Längst schon war Don Quijote nicht der 361 einfache Narr mehr, dem die Ritterbücher das Hirn verrückt haben. Er war ein höher Besessener. Unsinn trieb er noch immer wie zehn Verrückte, doch seine Rede war weise.

Längst zog er nicht mehr allein. Neben ihm auf seinem Eselein trabte schon Sancho Pansa, der Triviale, gebacken aus derbstem Mehl. Kopfschüttelnd und dennoch gläubig, aus Gewinnsucht halb und halb aus einer dumpfen Verehrung für den Adel der Illusion, zog der künftige Stadthalter hinter ihm drein, und sein dicker Bauernrücken verschmerzte die Prügel.

Längst schon hatte der Schloßhauptmann, der ein Kneipwirt war, Don Quijote zum Ritter geschlagen, der entsetzliche und unerhörte Kampf gegen die Windmühlen war überstanden, die edle Rosinante an den grausamen Stutentreibern gerächt, die schmerzhaften Abenteuer im verwunschenen Kastell klaglos verwunden, schon trug Don Quijote statt seines Papphelms den goldenen Zauberhelm des Mambrinus, der ein blankes Rasierbecken war...

Die Quelle war aufgebrochen und strömte. Eine Flut von Geschichten, Gesichten, schwoll um ihn her. Was er auf dreißigjähriger Irrfahrt geschaut und vernommen hatte, das erlebte jetzt seinen Tag. In dem Rahmen, den sein glücklicher, erster Griff gespannt hatte, war für alles Raum, für Sklavengeschichten, Liebesgeschichten, Landfahrergeschichten, alles fügte sich ein wie im glücklichen Traum.

Und wie es in glücklichen Träumen eine 362 Gewißheit ohne Worte gibt, so kannte er ohne Wort alle die verborgenen Züge unter Don Quijotes magerem Gesicht. Sie lugten hervor, doch er rief sie nicht an. Sich selber nicht, der doch aus dem Spiegel zuerst heruntergestiegen war in dies Buch. Don Juan d'Austria nicht, letzten törichten glänzenden Ritter, der nach Kronen griff wie ein schwärmender Knabe. Und auch den mönchhaft Schweigenden im Escorial nicht, der in diesen Herbsttagen verloschen war, und für dessen lebenslange, gewaltige Illusion die Gefangenen in diesem Hause noch immer bezahlten.

Er schrieb einfach ein lustiges Buch, das die Ritterromane verspottete... Würde man kommen und fragen? Würde man hinter seinem Hidalgo den Geist Spaniens erkennen, der großmütig blind hinter Gewesenem her war, während ringsum die Welt zu neuer Wirklichkeit aufwachte? Er zuckte die Achseln. Es gab nichts zu erklären. Fabel und Sinn waren eins, wie eine Frucht und ihr Duft.

Cervantes war glücklich. Er wußte, was ihm geschenkt worden war. Dies war vor ihm nicht in der Welt!

Schon war Name und Ruf seines Ritters hinausgedrungen über die Zelle. Erste Bestätigung stellte sich ein, erster seltsamer Vorglanz zukünftigen Ruhmes.

Es war vermutlich sein Wärter gewesen, der zuerst die Nachricht verbreitete, im obersten Stockwerk sitze ein Herr, der schreibe bei Tag und bei Nacht an einem Ritterroman. Besucher kamen. Nicht von den harmlosesten. Gerade die 363 schärfsten Galgenvögel aus der »Eisenkammer« und der »Pestilenz« stiegen herauf, um nachzusehen, was der einhändige Herr da zusammenphantasierte.

Und er ließ sich nicht bitten. Er hielt sich nicht für zu gut. Er gab was zum Besten. Sein Ruf ging durchs Haus. Raufbold, Kuppler und Bandenräuber, sie würdigten seine Scherze. Sie kamen in Gruppen, in Haufen. Drei Wochen war es jetzt her, da hatten sie sich zum ersten Mal als Publikum hier vereinigt, zusamt ihren Damen. Damals las er den Kampf mit den Windmühlen vor. Am nächsten Tage kannte ihn halb Sevilla. Der Gefängnisdirektor erschien in Person, mehr einem betrübten, feinen Gelehrten ähnlich als dem Ausbeuter, der er war, und erbat sich das Manuskript des Kapitels für einige Stunden. Völlig unbescholtene Herren aus der Stadt ließen sich abends mit einschließen, um an einer Vorlesung Teil zu haben.

Heute aber waren sie unter sich. Kein Stadtbesuch störte. Kaum war im Haus der plärrende Betchor verklungen, so war Miguels Zimmer schon voll. Sie drängten sich an den Wänden, sie kauerten auf dem Boden, die Tür mußte offen bleiben, man sah noch draußen im Gang Gesicht an Gesicht. Kaum blieb für Cervantes, der neben zwei Kerzen saß, ein klein wenig freier Raum.

Es war ihm willkommen, daß er sie heute unvermischt vor sich hatte. Es gab dafür einen Grund.

Er wartete freundlich, bis alles ruhig war. Im flackernden, tanzenden Licht ging sein Blick über 364 wilde Bärte, Kahlköpfe, verwegene Frisuren. Von zerrissenen Hanfschuhen, die ihm die Nächsten entgegenstreckten, über gelbe Strumpfhosen, riesige rote Kniebänder zu geschlitzten Wämsern, groben Decken, aus denen die Nacktheit hervorsah, zerzupften wallonischen Kragen. Dazwischen leuchtete grelles Karmin von den Gesichtern der Damen und die Bleiweißschminke ihrer offenen Brüste.

»Wie Don Quijote viele Unglückliche befreit, die man gegen ihren Willen führt, wohin sie nicht wollen.«

Es war die Geschichte von den zwölf Galeerensträflingen, die, mit langer Kette an den Hälsen aufgereiht, unter scharfer Bedeckung dem Hafen zuwandern. Die Don Quijote aufhält und ausfragt und zu befreien beschließt: »denn mein Ritteramt macht mir's zur Pflicht, die Gewalt zu bekämpfen und allen Hilflosen beizustehen. Und, es könnte doch sein, liebe Brüder, daß bei dem einen von euch die Folter, bei dem andern die Not, Mangel an Protektion bei dem dritten und bei den übrigen ein ungerechter Spruch des Gerichts an allem die Schuld trägt.«

Und da natürlich die Eskorte ihre Gefangenen nicht gutwillig herausgibt, legt er die Lanze ein und wirft den Polizeioffizier des Königs zu Boden. Dies ist das Signal, Aufruhr bricht los, die Wächter sind überwältigt und die Sträflinge frei.

Beifall wollte sich rühren... Cervantes hob die verstümmelte Hand. Seine Geschichte war nicht zu Ende.

365 Er las den Schluß. Las, wie die Befreiten ihrem närrischen Befreier keineswegs danken, wie sie ihn verhöhnen, ihn mit Steinen überschütten, ihm seinen goldenen Helm um die Rippen schlagen, ihm und Sancho auch noch die Mäntel stehlen und auseinander laufen...

»Der Esel, Rosinante, Sancho und sein Herr blieben allein auf der Walstatt zurück. Der Esel stand mit hängendem Kopf in tiefen Gedanken da und schüttelte von Zeit zu Zeit die Ohren, als glaubte er, der Steinregen daure immer noch fort. Rosinante, die ein Steinwurf zu Boden geschlagen hatte, lag neben ihrem Herrn dahingestreckt. Sancho stand im bloßen Wamse da, zitternd aus Angst vor der Polizei. Don Quijote aber wollte vor Unmut fast vergehen, daß die, denen er sich hilfreich erzeigt, ihn nun so häßlich behandelten.«

Jubelgeschrei erhob sich, als er kaum geendet. Ein tosendes Lachen ließ die Flammen der Kerzen erzittern. Sie johlten. Sie schlugen sich auf die Schenkel. Die Damen vollends waren ganz außer sich. Begeistert kreischend warfen sie die Arme um ihre Nachbarn und schmatzten sie ab. Wahrhaftig, das war ein Erfolg!

Es war nicht ganz der, den Cervantes erwartet hatte. War dies denn möglich! Ihr eigenes Schicksal ward ihnen vorgeführt – und Einer im brüchigen Panzer, der sich ihrer annahm. Aber sie hatten nichts als ein Johlen für ihn. Johlend gaben sie ihren Elendsgenossen recht, die ihn steinigten. Cervantes hatte nicht übertrieben; sie bewiesen es ihm. Und es fror ihn bei dem Beweis.

366 Er war aufgestanden. Er hielt eine Kerze hoch und ließ ihren Flackerschein hingehen über diese Zuhörerschaft. Ganz vorn auf dem Boden saß Gambalon, Sklave Seiner Majestät, seit Wochen zum Abtransport an der Halskette fertig. Er hatte sich vor Vergnügen hintenüber geworfen, daß er einem der Weiber im Schoße lag, und riß noch immer lachend den Mund auf, man sah ihm bis in den Schlund...

Ungern brachen sie auf. Ihre Stimmen verhallten. Durch's weitoffene Fenster zog ihr Dunst ab.

Ein reiches Herbststernenzelt war funkelnd ausgespannt. Über Triana war der Himmel noch hell vom verschwundenen Tag.

Schon lächelte er über sich selbst. Was warf er ihnen denn vor? Daß sie lachten? Über Don Quijote sollte gelacht werden. Worüber beklagte er sich!

Einst aber, er nahm es sich vor, sollte die unverlarvte Wahrheit dennoch hervortreten in seinem Buch, einem jeden verständlich. Einmal würde er sprechen. Ganz spät, ganz zuletzt, nach hundert Abenteuern, tausend Seiten, sollte das Zauberwort aufklingen. Auf die rückwärtige Schwelle des weiten Baus wollte er einen winzigen Schlüssel niederlegen zu seiner innersten Kammer...

Einmal geht es zu Ende mit Don Quijote. Die Freunde sind um ihn. Schluchzend redet Sancho zu ihm von neuer Ausfahrt, neuen Taten. Da aber zergeht vor den Augen des Unenttäuschbaren der lange Traum, und er spricht:

367 »Langsam, Ihr Herren, nur langsam! Es gibt in den Nestern vom vorigen Jahr keine Vögel in diesem. Don Quijote von der Mancha bin ich nicht mehr. Ich bin wieder Alonso Quijano, den man einst den Guten genannt hat.«

Ja, so sollte nach Jahr und Tag sein Buch einmal enden, mit diesem einfachen Schlüssel- und Zauberwort gut.

Noch war über Triana der Himmel ein wenig erhellt. Und er sah seinen Ritter riesig und hager dahinreiten, immer dem Schimmer nach, durch Raum und Jahrhundert – seines Kleppers Hufe stolpernd auf spanischem Grund, aber das edle und lächerliche Haupt ganz nahe den Sternen.

 


 


 << zurück