Bruno Frank
Cervantes
Bruno Frank

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Die Heimkehr

Die vier Königsschiffe lagen zur Ausfahrt bereit im Hafen von Algier.

Tagelang hatte man Kisten und Säcke in ihre Bäuche verladen, Hassan-Venezianos unermeßlichen Gewinn aus dreijähriger Generalpächterschaft. Die Galeere, die er selber besteigen wollte, die größte von allen, hochbordig, die Flanken über und über mit goldenen Schriften bedeckt, an der purpurnen Poppa den flatternden Halbmond, lag schon vollzählig bemannt der Kaimauer an. Von den zwei Landungsbrücken des Schiffs wurde nur eine benutzt. Die andere, die mit einem roten Teppich belegt war, blieb frei und erwartete Hassan. Von ihr lief der rote Teppich weiter über den Platz, an der Großen Moschee vorbei zum Tor der Djenina, wie eine Straße aus Blut.

Auf einer der Bänke nahe dem Hauptmast war Cervantes angekettet neben den Rudersklaven, doch zuinnerst am Gang, da er nicht taugte, den Riemen zu führen. Als er sich auf das Datum besann, fand er den 19. September. Es wurde Nacht. In der Morgenfrühe des 20. würden sie segeln. In ihm war ein dunkles Gelächter über diese Gesetzmäßigkeit.

Um ihn auf den Bänken und zwischen ihnen fanden die Ruderer hockend und kauernd den Schlaf. Die Eisen klirrten. Ihn hatte man nur mit seiner Silberkette gebunden. Er schlief nicht. Er sah seine Lage... Er hatte getrotzt wie ein Knabe, hatte die eigene Rettung oftmals verschmäht, sich aufgeworfen zum Retter für Viele. Nun war es zu spät. Algier versank. War er jetzt nach Stambul 197 verschwemmt, so ließ sich keine Heimkehr mehr absehen. Irgendwo im weiten türkischen Reich zu verkommen, schien ihm bestimmt.

Er wußte genau, was geschehen war. Seitdem der Tag von Hassans Abberufung bekannt geworden, hatte sich die trinitarische Brüderschaft doppelt bemüht. Fray Juan Gil, Generalprokurator des Ordens, war selbst nach Algier gekommen und hatte in zäher Verhandlung viele von Hassans Sklaven losgekauft. Knapp waren die Mittel, um jede Dublone wurde gefeilscht. Doch endlich waren mehr als hundert Christen frei. Längst wohnten sie wieder überm Meer, in ihren Dörfern und Städten.

Den Miguel de Cervantes herzugeben, weigerte sich König Hassan. Er spielte mit dem Generalprokurator. Er erhob den einhändigen Mann mit gewaltigen Sprüchen, pries seinen Mut, seine Seelenstärke, seine Gelehrsamkeit, sein feines Betragen. Die alte, ausgediente Sage von Miguels hoher Abkunft mußte wieder heran. Würden tausend Dukaten bar auf das Brett gezählt, so ließe sich vielleicht reden, und selbst dann wäre der Handel noch schlecht...

Der neue Tag war heran, blaustrahlend und köstlich. Ohne Unterlaß, durchdringend, schmetterten von allen vier Schiffen die Trompeter das Abschiedssignal. Geschütz erdröhnte. Cervantes blickte aufs Ufer zurück, das von Menschen bunt war. Er sah ein letztes Mal die blendende Mauer der Großen Moschee, die düster gedrungene Djenina, von deren Dach die goldene Laterne 198 verschwunden war, die pyramidisch weiß aufschießende Kasba; und fast war es ihm, als ließe er mit diesem Ort vieler Leiden eine Heimat zurück.

Zwei Schiffsleute machten Halt vor ihm. Der eine bückte sich und löste die Silberkette von der Bank. Sie bedeuteten ihm, zu folgen.

Unter der Purpurbespannung der Poppa saß der scheidende König, prächtig gewandet wie niemals zuvor, eine mit Juwelen besetzte, kurze und krumme Hiebwaffe auf seinen Knien.

Hassan sah den Cervantes nicht an. Er schien seine Gegenwart nicht zu bemerken. Er blickte über seinen Leoparden hinweg auf das Meer, das ihn fortführen sollte von seiner Herrschaft.

Ein Janitscharen-Aga in Weiberrock und Küchenmütze, der sich neben dem König hielt, tat den Mund auf:

»Cervantes, Ihr schuldet den Offizieren an Bord neun Dublonen.«

Das war nach altem Herkommen die Steuer, wenn ein Ruderer frei wurde. Den Brauch kannte jeder. Cervantes kannte ihn auch. Und so wußte er denn, daß er frei war.

Er sagte: »Ich habe kein Geld.« Und dies war sein erstes Wort in der Freiheit.

»Gib Deine silberne Kette,« sagte der Aga. »Wir werden sie in neun Stücke zerreißen.« Seine Antwort klang wie vorher beredet und ausgemacht.

Cervantes legte die Kette ab. Er wartete. Da niemand mehr sprach, wandte er sich weg und 199 beschritt die Laufbrücke. Es war die nächste, die mit dem Königsteppich. Kaum hatte er das Ufer erreicht, so ward sie zurückgezogen. Das Ende des roten Teppichs glitt ab und klatschte ins Wasser. Ein Schreien erhob sich am Kai, das die schmetternden Trompeten hoch übertönten, und er sah, daß König Hassans Schiff fuhr.

Als der Befreite eine Stunde danach vor den Generalprokurator trat, der im Hause des Kaufmanns Torres Quartier genommen, empfing ihn der Mönch ohne Güte. Hassan, erfuhr er, hatte sich in letzter Stunde mit fünfhundert Dukaten zufrieden gegeben. Der trinitarischen Brüderschaft schuldete Miguel nun also fünfhundert Dukaten. Er stellte den Schuldschein aus. Dies war sein erstes geschriebenes Wort in der Freiheit.

»Beinahe hätte ich Bedenken getragen,« sprach Fray Juan Gil, »den Orden für Euch in Anspruch zu nehmen, da mir an Eurer Würdigkeit Zweifel gekommen sind. Ihr werdet Euch zu rechtfertigen haben.«

Zu rechtfertigen? Gegen wen wohl? Gegen den Stinkenden!

Man hatte den Dominikaner losgekauft. Alsbald, um ihn für Ausgestandenes zu entschädigen, war er in Spanien zum Mitglied der Heiligen Inquisition ernannt worden. Ungeschwächt saß der Groll dem Übelgeratenen noch im Blut. Das Töpfchen Butter war unvergessen. Vor allem aber fürchtete er, sein Verrat werde bekannt werden, wenn Cervantes zurückkehrte. Er kam ihm also zuvor. Der in der Djenina noch Angekettete ward 200 Gegenstand seiner giftigen Anklagen. Verhöhnung der Religion, Hinneigung zur Afterlehre des Propheten, aber Betrug auch, Unzucht und wüstes Treiben jeder Art warf er ihm vor. Den Generalprokurator, der sich um Miguels Auslösung bemühte, erreichte ein Befehl der Heiligen Kammer, zuvörderst alle jene Anklagepunkte zu erforschen.

Laut sprach in Algier die öffentliche Stimme für den Beschuldigten. Die Abfahrt nach Stambul drohte. Juan Gil erlegte den Kaufpreis. Aber Rechtfertigung zu Händen der Inquisition mußte sein. Zu seiner eigenen Entlastung mußte der Mönch sie verlangen.

So also begannen die Jahre der Freiheit für Miguel Cervantes. Statt freudig heimzukehren ins Vaterland, mußte er wochenlang das allzubekannte Pflaster noch treten, mußte sich Zeugnis auf Zeugnis erbetteln, mußte umständlich, in demütig geölter Sprache dartun, daß er kein Ketzer sei, kein heimlicher Moslem, kein Fälscher, kein Hurer, kein Knabenschänder. Ein getreuer Sohn seiner Kirche vielmehr und von guten Sitten. Ein langes, gewundenes, gesalbtes Schriftstück kam so zu Stande. Zeugen nach Zeugen marschierten darin auf. Las es einer, der den Cervantes nicht kannte: nicht einen mutigen, frohherzigen, freien Mann hätte er daran erkannt, sondern einen ängstlich korrekten Ducker und Schleicher. Dies aber wurde verlangt. Dies war die Waffe, den Stinkenden zu bekämpfen.

Mitte Oktober erklärte der Generalprokurator 201 Juan Gil sich befriedigt. Am vierundzwanzigsten segelte Miguel Cervantes nach Spanien ab. Fünf Jahre und einen Monat war er in Algier gewesen. Sein Herz war ohne Freude, mühsam nur hoben Hoffnungen noch ihre Flügel.

Das kleine Schiff des Kapitäns Anton Frances trug außer ihm noch fünf andere, spät erst befreite Gefangene. Fray Juan Gil fuhr selber auch mit.

Glatt ging die Fahrt von statten und rasch. Was war dies für ein bescheidenes Rinnsal, das das Sklavenland abtrennte von der spanischen Küste! Ein guter Wind brachte sie schon am zweiten Abend in Sicht. Eine mächtige Bergkuppe hob als das Erste sich aus der Flut.

»Der Mongo,« sagte Meister Frances zu Cervantes, der sich neben ihm hielt. »Schlägt Euch das Herz?«

Es schlug Cervantes nicht höher. Die Wochen des Wartens, Bittens, Protokollierens, hatten ihn mehr erschöpft als jemals Gefahr und Entbehrung.

»Mongo?« fragte er nur. »Wo also fahren wir ein?«

»In Denia, wo ich zuhause bin,« sagte der Schiffer.

Miguel erinnerte sich nicht, den Namen gehört zu haben. Es mußte ein winziger Hafenplatz sein.

Ob ihn jemand von den Seinen erwartete? Die Schwester Andrea vielleicht? Der taube Vater? Er wollte sich freuen auf das Wiedersehen. Er wollte sich auch zwingen, an Zukunft und Ehren zu glauben. Noch war er nicht alt.

202 »Ist der König wohl in Madrid, Meister Frances, wißt Ihr es zufällig?«

»Nicht in Madrid. Der König ist an der Grenze von Portugal. Seine Königin liegt dort krank an der Pest. Vielleicht ist sie inzwischen schon tot.«

Die Königin? Welche Königin? Stand die Zeit still? Hatte er gestern sein Totengedicht verfaßt...

»Welche Königin?« fragte er laut.

»Welche!« Der kleine, bauchige Mann mit der hellblauen Schärpe sah ihn aus gescheiten Augen von der Seite an. »Die Österreicherin, seine Vierte, mit der er zehn Jahre verheiratet war. Habt Ihr das nicht gewußt?«

Cervantes gab keine Antwort. »Ist Don Juan d'Austria bei ihm?« fragte er wieder.

»Don Juan – warum?«

»Der war mir einmal gewogen.«

»Don Juan d'Austria ist tot.«

Es traf Cervantes wie ein Schwerthieb. Aber warum? Doch nicht, weil mit Don Juan eine vage Hoffnung zerbrach. Oder weil sie beide vom gleichen Alter gewesen, und nun war das stürmende Leben des Andern schon aus. Was ging er ihn sonst an, der eitle prächtige Herr, dies letzte leere Glanzbild spanischer Ritterschaft...

Der Schiffsherr gab Auskunft. Er war gut unterrichtet.

Ein Jammer wahrhaftig! So große, vielfache Pläne und dies das Ende. Afrika, Griechenland, Genua, nichts schien ihm zu hoch, er griff danach: nach der Krone von Frankreich, der Krone von England. Endlich hatte man ihn zu den 203 Niederländern gesandt. Unbestimmt schimmerte auch hier eine Krone. Er scheiterte. Er mußte scheitern. Vielleicht – aber nur eine Andeutung war dies im Munde von Meister Frances – hatte man ihn darum entsandt. Mit dreiunddreißig wurde er müd wie ein Greis. Schon war seine einzige Bitte die um ein Grab neben den Gebeinen seines Vaters, des Kaisers. Damit seien alle seine Dienste bezahlt.

»Das ist ihm gewährt worden?«

»Das ist ihm gewährt worden.«

»Und starb er in Spanien?«

»In Flandern, Don Miguel. In einer Hütte auf freiem Feld, mitten unter seinen Soldaten.«

»Das war gut.«

»Ja...« sagte Anton Frances etwas gedehnt, »das war gut. Seine Haut war übrigens schwarz, als er starb, wie vom Brande geröstet. Und die ihn öffneten, fanden sein Herz wie ausgedörrt.«

»Aber jetzt liegt er im Escorial?«

»Man mußte den Körper in Stücke teilen. In vier Stücken kam er heimlich nach Spanien zurück. So verhaßt war er schließlich. Ja, jetzt liegt er im Escorial.«

Es dunkelte. Die armen Lichter von Denia waren ganz nahe. Und es war Cervantes, als beträte er nach zwölf Jahren sein Heimatland durch eine Hintertür.

 


 


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