Bruno Frank
Cervantes
Bruno Frank

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Zweites Buch

Erster Abend

Die Wohnung war herzbeklemmend. Die Eltern in bescheidenen Umständen zu finden, hatte er erwartet, aber nicht eine Unterkunft wie diese drei dunklen Löcher zu ebener Erde, deren glaslose Fenster auf einen wüstliegenden Hof hinter der Calle de Atocha hinaussahen.

Es gab ein Festmahl zu Ehren von Miguels Heimkunft, ein warmes Abendessen; er erinnerte sich, welch auszeichnende Seltenheit das bedeutete. Der dicke Fleisch- und Gemüsebrei, den man mit beinernen Löffeln aß, duftete stark nach Kohl und Knoblauch. Es gab sogar Wein. Die Trinkbecher paßten nicht zu einander. Dieser kleine Umstand tat Miguel, unvernünftiger Weise, besonders weh.

Weh tat es auch zu sehen, mit welcher Gier der Vater sich über den Teller hermachte, er schien über dem Festgericht beinahe den Anlaß vergessen zu haben. Er war ganz weiß geworden, ein knochiger, kleiner Alter mit fahrigen Bewegungen, nahezu völlig taub. Miguel erschrak, wenn er brüllen mußte, um verstanden zu werden. Da ihm einfiel, dies sei vielleicht nicht die rechte Methode, dämpfte er seine Stimme und bewegte krampfhaft ausdrucksvoll seine Lippen, aber nun war das Ergebnis noch schlechter. Eingeschüchtert schwieg er bald ganz. Die Mutter, die ebenfalls kleiner geworden und schon eine Greisin schien, obwohl sie die Mitte der Fünfzig kaum überschritten hatte, nickte ihm oftmals zu und bekam dabei Tränen in ihre großen, nachtdunklen, herrlichen Augen, 208 die im Flackerlicht der zwei Kerzen erglänzten.

Bruder Rodrigo wiederzusehen, hatte er sich gefreut. Aber Rodrigo war fort. Eingereiht in sein altes Regiment, war er mit dem König in Portugal oder »auf den Inseln«, man wußte nicht recht auf welchen. Er bekam einsilbige Auskunft über Rodrigo, so als wäre der unter Mißhelligkeiten von den Seinen geschieden. Die Mutter begann von Luisa zu erzählen... Miguel erschrak. Die Existenz dieser im Kloster verschwundenen Schwester hatte er gleichsam vergessen, mit genauer Not erinnerte er sich ihres geistlichen Namens: Sor Luisa de Belen. Eindringlich fragte er nun, um der Mutter eine Freude zu machen. Die Mutter richtete sich auf im Erzählen, sie schien größer und jünger zu werden.

Luisas Kloster, genannt La Imagen, war eines von der strengsten Regel. Seine Nonnen, barfüßige Karmeliterinnen, lebten nach den Vorschriften der großen Teresa von Avila. Von grobem Tuch war ihr Kleid, ihr Lager eine Matratze aus Stroh, Brot und gesalzener Fisch ihre Nahrung, ihr langer Tag Gebet und Arbeit. Kein Geschenk, keine Freundlichkeit war erlaubt, sie durften einander nicht einmal die Hände reichen im Kloster. Unter dieser Regel lebte Luisa schon viele Jahre. Sie war eine besonders gottesfürchtige Nonne, hoch angesehen für ihre Sinnesart. Als im vorigen Jahr die alte Teresa nach Toledo gereist war, da hatte sie eigens den Umweg gewählt, um in Alcala die fromme Schwester Luisa von Bethlehem zu sehen. Und ihrer verhältnismäßigen 209 Jugend zum Trotz hatte man sie heuer zur Subpriorin ihres Klosters erwählt.

Miguel Cervantes betrachtete seine Mutter. Die wundervollen Augen erstrahlten, während sie von den verdienstlichen Entbehrungen ihres Kindes berichtete. Er war lange von Spanien fortgewesen, doch wie gut begriff er auch heute noch, daß nicht er und nicht Rodrigo, sondern allein diese Entrückte in der Klosterzelle die mütterlichen Wünsche stillte... Das Unbedingte! Das fast Unmögliche! Das war sein Volk. Dieser Teresa und denen, die ihr folgten, genügte nicht Kirchengläubigkeit, auch die strengste nicht. Durch Glut und Verzückung wollten sie Wunder erzwingen gleich denen der Heiligen in christlicher Frühzeit. Zerreißen mußten alle Dämme kühler Vernunft und gelassenen Lebens. Einsame Kasteiung stieß die Pforten des Himmels ein. Grenzenlose Vereinigung mit Gott war das Ziel.

Miguel verstand seine Mutter. Der asketische Wandel der Barfüßerin war ihr Stolz und ihr Trost. Er war in ihren Augen Ausgleich und Sühne für das weltliche Leben ihrer anderen Kinder: der zwei Söhne, die auf ihren soldatischen Wegen gewiß zu wenig ihres Heils gedachten, und ihrer ältesten Tochter, für die ganz sicherlich ein Gleiches galt.

Sie war da. Andrea saß mit bei Tische. Sie war eine Frau von 36 oder 37 Jahren, voll gewachsen, ein wenig schwer schon, mit regelmäßigen Zügen, deren Teint nur leider von der Schminke ziemlich verdorben war. Ihre Kleidung zeigte modischen 210 Schnitt: eng und streng Taille, Ärmel und Krause, der Reifrock gewaltig gebauscht, mit Bändern, Borten und aufgenähten Perlen alles überreichlich versehen. Nur hielt diese Eleganz einer genaueren Prüfung nicht stand, alles Material war billig und halbecht und alles schon abgetragen.

Auch von ihr wußte Miguel nur wenig. Eines Tages hatte ein Brief nach Neapel ein Töchterchen erwähnt, das jetzt acht oder zehn Jahre alt sein mochte. Auch der Vater, ein Herr Figueroa, war darin flüchtig genannt worden, so daß Miguel die Schwester eine Weile für verheiratet halten konnte. Aber ein paar Jahre später hieß seine kleine Nichte auf einmal Costanza de Ovando. Daraus hatte der schweifende Soldat geschlossen, daß Andrea mit mehreren Männern nacheinander in einer Art wilder Ehe lebte. Es verhielt sich aber noch anders mit ihr; zu vielerlei Schicksal hatte Miguel kennen gelernt, um sich da leicht zu täuschen. Bei dieser müden Frau war die Liebe zum Handwerk geworden, er spürte es deutlich. Es gab ihm einen Stich... Trug er nicht Schuld hieran, eine Mitschuld zum wenigsten? Ein Teil der Lösegelder, er wußte es doch, war von Andrea gekommen.

Mit einem vollen, herzlichen Blick sah er sie an. Sie schlug die Augen nieder und wurde flammendrot über das schwere Gesicht. Genau so war sie vorhin errötet, als Rodrigos Name gefallen war. Hatte der sich sittlich entrüstet in seinem recht schlichten Sinn und hatte ihr Szenen gemacht? Und fürchtete sie jetzt ein Gleiches? 211 Gewiß, es war so... Da saß sie in Angst vor ihm, dem älteren Bruder. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Er ergriff Andreas Hand und umschloß sie fest mit der seinen. Andrea, ohne Übergang, fing sofort an laut zu weinen und lehnte sich schluchzend an seine Brust. Mißtrauisch schaute der Vater zu der Gruppe herüber und erkundigte sich schreiend nach dem Anlaß. Niemand antwortete. Die Mutter bewegte murmelnd ihre Lippen.

Nach Tische schaute sich Miguel in der Wohnung um. Da war wenig zu sehen. Das Licht seiner Kerze flackerte über einen spärlichen Zufallshausrat, über die lieblos gehaltenen Möbel von Leuten, die häufig den Aufenthalt wechseln. Schließlich winkte ihn der Vater mit geheimnisvoller Miene beiseite und öffnete eine kleine Kammer. Miguel stand erstaunt vor primitiven medizinischen Apparaten und mancherlei Fläschchen. »Mein Laboratorium,« sagte der Alte mit Stolz, »das hättest Du auch nicht geglaubt, daß ich in meinen Jahren noch die Wissenschaft wechsle.«

Als Rechtskonsulent hatte er in der Tat kein Auskommen mehr gefunden. Nachdem er nacheinander in Sevilla, in Burgos, in Valladolid vor der Überzahl gelehrter Konkurrenten das Feld geräumt, war er im unsoliden Madrid zu seinem kühnen Entschlusse gelangt. Aderlaß und Purgieren und die Namen von fünfzehn Medikamenten, das ließ sich auch im Alter zur Not noch erlernen. Das Geschäft gehe ganz gut, vertraute er 212 seinem Sohne an. Sein Geheimnis sei die enorme Billigkeit seiner Behandlung. Aderlaß zwei Realen, um diesen Preis arbeite in Madrid kaum ein Bader. Reichtümer natürlich seien so nicht zu gewinnen – Reichtümer etwa nach Art der hochbetitelten Schwindler, deren Kuren unter der Einatmung von verdampftem Gold ja garnicht erst anfingen. Und größte Heimlichkeit, natürlich, sei auch vonnöten.

Miguel hätte sich am liebsten gleich auf das Lager geworfen und seine Augen in die Tücher versteckt, um nichts mehr zu sehen. Diese armen, hilflosen Menschen hatten große Geldsummen für ihn aufgebracht! Sie und die Schwester, die soeben an seiner Brust geweint hatte, zum Dank für seine Verzeihung. Verzeihung? Wahrhaftig, er hatte viel zu verzeihen! Hatte er sich nicht wirklich allerhand zu gute getan auf seine standhaften und verwegenen Großtaten draußen in farbiger Welt, und inzwischen war es denen hier um seinetwillen so ergangen, daß sie nicht vier gleiche Trinkbecher besaßen, um sie auf den Festtisch zu setzen.

Nur diese ungleichen Becher und der Wein standen jetzt noch dort. Sonst war abgeräumt. Man erwartete, daß er erzähle. Er kam sich wie ein Verbrecher vor. Und als er sah, daß die Mutter, die jetzt neben ihm saß, auf seine linke Hand niederblickte, zog er den glorreichen Stummel zurück und versteckte ihn hinter seinem Rücken. 213

 


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