Bruno Frank
Cervantes
Bruno Frank

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Lepanto

Er schlug die Augen auf, weil die Sonne mit voller Gewalt sein Gesicht traf. Er wußte nicht, wo er war. Es war alles ganz still, das Schiff fuhr nicht mehr. Sein Fieber war fort, aber die Schwäche so groß, daß seine Hand sich nicht zur Faust ballen konnte.

Mit schwerer Mühe richtete er sich endlich auf, gelangte auf seine Kniee und brachte den Kopf in die Luke. Volle, blendende Klarheit war plötzlich da.

Man war zur Schlacht aufgefahren. Zwei Flotten lagen sich gegenüber, jede sauber abgeteilt nach Geschwadern. Es war alles so lautlos und reglos, als befände man sich in einem Gemälde. Konnte dies Wirklichkeit sein, was, angeordnet wie im Spiel, abgezirkelt und farbig sich darbot auf spiegelndem Meer, unter einem glasblauen Himmel? Natur selber hielt ihren Atem an, um den Kampf nicht zu stören.

Er schaute aus sonnenschmerzenden Augen. Diese Schlachtordnung war so klar, so simpel, als hätte ein ordnungsliebendes Kind sie erdacht. Da sein Schlafgelaß Vorderschiffs lag, die »Marquesa« aber nahe dem Zentrum, sah er alles wie aus einer Theaterloge.

Dies gegenüber sollte die türkische Flotte sein. Als Halbmond angeordnet erschien sie, die Mitte vorgewölbt. In genau entsprechender Kreislinie lag ihr gegenüber die Armada der christlichen Völker, alle Galeeren eng aneinander, die scharfen Schnäbel dem Feind zugestreckt. Das hier nach links hin mußten venezianische sein, er sah's an 88 den Löwenstandarten und an den dünneren Rudern. Vor ihnen aber, die Breitseite gegen die Türken, lagen in geschlossener Reihe Fahrzeuge von anderem Typus. Das waren die sechs Galeassen der Markusrepublik, die vielberedeten großen Schlachtschiffe, fünfzig Meter lang, gewaltig bemannt, bestückt mit dreißig gegossenen Kanonen, jedes Ruder so schwer, daß kaum sieben Mann es regierten. Miguel hatte die plumpen Ungeheuer vor Korfu schon bemerkt und auch vernommen, daß der ritterliche Großadmiral sich über sie lustig machte. Sie könnten nicht wenden, sich nicht bewegen, so wurde sein Ausspruch kolportiert, solch schwimmende Festungen aufzuführen, heiße Gott lästern, und wo denn noch Ruhm und Ehre des christlichen Kampfes sei, wenn man da aus 180 Geschützen losdonnere, statt Mann an Mann mutig zu streiten. Miguel hatte Don Juans Äußerung wohl begriffen. Wahrhaftig, von Ehre und spanischem Rittertum standen diese Galeassen weit ab. Aber da harrten sie nun, den Tod noch verschweigend.

Überall war die Mannschaft an Bord angetreten wie zur Parade. Helm lag an Helm, Schild und Harnisch erglänzte, in Schwert und Lanzenspitze brach sich das Licht, man stand bereit wie zur Landschlacht. Überall waren die Segel gerefft, Flaggen gehißt auf den Masten. Unverwandt schaute man auf den Feind, der zum Ergreifen, zum Hassen nahe lag.

Seine Schiffe waren im Bau von denen des Abendlands nicht unterschieden. Doch bunter, 89 barbarenprächtig, war diese Flotte zu schauen. Gold waren die riesigen, dreifachen Buglaternen, golden und silbern, in ihrer geheimnisvollen Schrift, erschimmerten an den Bordwänden die Sprüche des Propheten, ein Wald von Fahnen, in Asiens wilden Farben gestreift und besternt, überhing die Armada. Überall, von jeder Laterne und Flaggenspitze, stach der Halbmond plastisch in die leuchtende Luft.

Die Kriegsvölker harrten, in Massen gedrängt gleich den Christen, in Turban und Tarbusch und bunt gebauschten Gewändern, mit krummen Säbeln bewehrt, mit Spießen, Äxten und metallbeschlagenen Streitkolben, viele mit Bogen und Pfeil.

Aber im Zentrum als vorderstes, einen Respektstreifen Wassers um sich, lag ihr Admiralsschiff. Cervantes sah es blinzelnd mit jeder Einzelheit. Unter der Prophetenfahne der Alte, im grünen Turban und silbernen Kleid, den mondgekrönten Stab in der Rechten, mußte ihr Oberherr sein, der Kapudan-Pascha. Er schien geradeaus zu starren – auf das Befehlsschiff der Christen hin. Gewiß stand Don Juan d'Austria dort, blendend gerüstet.

Miguel schmerzte der Hals von den Drehungen, die Augen vom Lichte. Die Gedanken schweiften ihm ab.

Dies war die Bucht von Korinth. Das Ziel war bekanntgegeben. Hier fiel der Schlag, die Entscheidung. Was für ein Schlachtort! Das Land hier zur Rechten, keine Meile entfernt, war der 90 Peloponnes, und dort zur Linken – es konnte nur ein paar Stunden sein hinüber nach Delphi. Er dachte daran, er sicher allein von den Tausenden. Er dachte an mehr. An diesen Gewässern lag Actium. In dieser Nacht, seiner Fiebernacht, mußten sie daran vorübergefahren sein. Es ging um die Welt jetzt wie damals... Oktavian führte die Kräfte des Westens heran, die des Ostens Antonius, hier war der Scheitelpunkt, hier maßen sie sich. Aber Kleopatra floh, Antonius ihr nach, das Reich begrabend im Schoß der Ägypterin. Hier fiel auch heute das Los zwischen Osten und Westen, zwischen dem Mond und dem Kreuz.

Er ließ sich zurücksinken, todmüd vor Schwäche. Gewiß, auf diesen beiden Flotten, unter Unzähligen, war er der Einzige, um dies zu denken. Doch auch der Einzige sicher, der an solchem Jahrtausendtag tatenlos, geringer als ein Weib, auf dem Lager verblieb, unfähig auch nur die Hand auszustrecken und Helm und Schild zu ergreifen, die neben ihm lagen. Ihn hatte Gott geschlagen, wahrhaftig – mit diesen Anfällen der Krankheit, deren letzter ihn nun um den Sinn seines Daseins brachte. Er war zum Kämpfer verdorben, wie er zum Priester verdorben war, ein Elender, nicht gewürdigt vom Himmel, sich Verdienst zu erwerben und einzugehen als ein Streiter für Gott in die Herrlichkeit.

Und wie zur Bestätigung erscholl jetzt von Deck durch die dünnen Bretter herunter eine Stimme. Es war eine Priesterstimme, Cervantes vernahm jedes Wort. Generalabsolution wurde 91 erteilt, das Deck schlitterte, sie knieten alle. In diesem Augenblick sanken auf zweihundert Schiffen vierzigtausend Streiter zu Boden und lauschten der Botschaft, die Vergebung verhieß für alle Sünden und die Pforten weit auftat zur Herrlichkeit jedem, der heute fiel im Kampf für den Glauben. Cervantes lag, die fieberschwachen Hände gefaltet, und unter den Lidern seiner geschlossenen Augen drangen Tränen ohnmächtiger Sehnsucht, ohnmächtigen Zornes hervor. Der Priester sprach, in lateinischen Worten erst, danach auf Spanisch. Dann Stille. Er vernahm, wie die Mannschaft sich vom Boden erhob. Ein Kanonenschuß dröhnte. Da gab das Admiralsschiff das Zeichen. Tosendes Schreien erhob sich, von allen Schiffen zugleich: Victoria! Victoria! Viva Cristo! Die Galeere fuhr. Es hatte begonnen.

Heulen, Kreischen und Krachen eines Weltuntergangs drang ins Gelaß. Tausendstimmig, hoch gilfend, das Allah-il-Allah-Geschrei, verschlungen vom gleichzeitigen Donner aus hundert Geschützen. Das waren die Galeassen. Splittern der Ruder, die aneinanderstießen, zu seinen Häupten Klirren und Stampfen der Mannschaft, Mutgeschrei und Kommandos. Pulverdampf schlug herein zur Luke. Das Schiffchen schwankte, lag auf der Seite, war wieder flott.

Er wandte sich um aufs Gesicht, verschloß die Ohren mit seinen Händen. Aber es riß ihn empor, er mußte zur Luke. Von der spielerischen Ordnung draußen war nichts mehr zu sehen, er schaute ins wilde Gemisch der entbrannten 92 Schlacht. Da aber sah er vor sich, zur Linken, das venezianische Flaggschiff...

Durch andringende Geschwader hindurch suchte es seinen Weg nach der feindlichen Mitte. Der Alte unter der Löwenflagge, der aufgerichtet stand an der Poppa, war ihr Generalkapitän, war Venier. An ihn hingen sich Cervantes' Augen, seine Augen wurden groß und starr. Aber er sah nicht die gebietende Stirn des Mannes, die mächtigen Brauen, nicht wie seltsam sein weißer Kinnbart erzitterte bei den Kommandorufen. Er sah nicht sein Gesicht. Er sah nur sein Kleid: den Goldmantel über dem Panzer, auf dem Haupt das flache Barett. Das war nicht Venier der Generalkapitän, es war Bragadino der Gefolterte. Seine Tracht war es, Amtstracht der Venezianer. Kein Schiff zog vorüber – da kam das monströse, wackelnde Reittier und darauf die augenlose Hautpuppe, die sie vor den blutigen Augen des Sterbenden johlend vorüberführten.

Eine pressende Woge von Erbarmen, Entsetzen und Racheverlangen durchschwemmte sein Blut. Gleich würde das Herz aufhören zu schlagen unter der Last. Aber es schlug gewaltiger... die Sehnen spannten sich ihm, er war kein Geschwächter mehr, kein Ausgeschlossener, nicht länger ohnmächtig zum Kampf! Er erhob sich auf seine Kniee, er stülpte den Helm auf, faßte Stoßschwert und Schild und stürzte nach oben.

Noch war die »Marquesa« nicht in den Kampf gelangt. Ungelichtet stand noch die Mannschaft, schlagbereit, ausspähend, zwischen den rudernden 93 Sklaven. Der Raum war eng, das ganze Schiff keine fünf Schritt breit, man hielt sich auf dem Laufgang zwischen den Bänken, auf ihnen selbst, auf dem kleinen Dach an der Spitze, unter der korbartigen Bespannung der Poppa. Dort war der Hauptmann Urbina aufgepflanzt. Cervantes drängte sich durch. Urbinas braves Gesicht ging ins Bläuliche, der Helm saß ihm schief. »Was willst denn Du,« rief er dem Nachzügler entgegen, »ich denk', Du bist krank, geh zur Mutter!«

Ein betäubendes Krachen verschlang seine Worte. Ruder zerbrachen. Bord stieß auf Bord. Die »Marquesa« wurde geentert... Vorderschiffs nickten Turbane über dem Rand. Schon waren die Ersten auf Deck. Alles schlug und stieß sich dorthin, man stieg auf die Hände der brüllenden Sklaven. Die Angreifer stürzten ins Meer. Spanier stürzten mit, Leib rang mit Leib in den Wellen, an Rettung und Flucht dachte keiner. Einer, der auf dem Rücken schwamm, mit den Füßen stoßend, spannte den Bogen, Cervantes sah es, er sah sich als Ziel genommen, der Pfeil schwirrte ab, ein Mann neben ihm stürzte, durchs Auge geschossen. Da traf auch den Schützen ein Ruder und schlug ihn zu Tod. Die »Marquesa« schwamm frei.

Auflösung rings und Getümmel. Kein Plan, kein Gesetz. Regelloser und wütender Mord. Von fünfhundert Schiffen zugleich feuern Geschütze und Mörser, Arkebusen, Trombonen. Schiff um Schiff wird geentert, fünfmal ein jedes und zehnmal. Der Dampf der sechs Galeassen verdunkelt 94 den Himmel. Ritterlich oder nicht – sie hausen übergewaltig. Mittag ist Nacht. Die sprühenden Funken zusammenschlagender Schwerter und Schilde, von Handkeule, Hellebarde und Dolch leuchten wie ein Gewitter. Niemand erkennt mehr, wer Feind und wer Bruder ist. Auf einem Türkenschiff weht plötzlich die Heilandsflagge, auf einer römischen Galeere kommandiert ein Ägypter. Die aufgewühlte See ist bedeckt mit blutigem Schaum. Schon stehen viele Schiffe in Brand, andere sinken, und über Trümmer und Leichen und im Tod sich verbeißende Ringer hinweg sausen die Ruder. Allah- und Cristo-Gebrüll, Wehrufe, Klatschen der Peitsche auf Sklavenrücken, hetzendes Pfeifengeschrill und Trompetengeschmetter.

Die »Marquesa« ist abseits geraten, in freieres Wasser. Nur schwächere Fahrzeuge umschwirren sie hier, Felucken, Tartanen, die leichte Mühe ihr fernhält. Ein Ausblick tut sich auf in das Zentrum der Schlacht.

Dort wird entschieden. Die beiden Admiralsschiffe liegen fest aneinander, die Feldherren selber sind handgemein. Hoch sind die Borde ihrer Schiffe, schwer übersteigbar. Sie werden überstiegen, wieder und nochmals. Die Mannschaft des Kapudan-Pascha ist Sultansgarde, sind Janitscharen, jeder kennt die seltsamen Mützen. Gnadenlos wühlen die krummen Säbel. Don Juans Elite sind Arkebusiere. Aber das kunstreich bediente Gewehr ist ihnen nichts nütze, sie greifen zum Handstahl. Der Admiral ficht unter ihnen im Silberharnisch. Seine feine Krause hat er auch 95 jetzt, obwohl nicht sein Seidentrikot, das würde platzen. Er haut zu und stößt vor und er wütet mit Lust. Er ist kein Feldherr – ein mordender Knabe. Cervantes kann sehen. Alles sieht er.

Da erhebt sich um ihn gewaltiges Rufen. Die »Marquesa« greift an. Urbina hat den Verstand verloren, was will er gegen die schwimmende Burg! Vor ihm die hohe, vergoldete Galeere mit der Purpurstandarte am Bug – es ist das Staatsschiff von Alexandrien. Das will er entern! Aber die »Marquesa« ist niedrig, kaum sind die Bretter geworfen, stürzen die Türken in Klumpen herunter auf ihr Deck. Es gilt. Wie es gilt! Aufruhr und wildes Gemeng, Cervantes im Haufen, und blind schlägt sein Schwert. Neben seinem Kopf ist plötzlich der Kopf des einst gezüchtigten Gallego. Jetzt lacht er. Seine Tierzähne leuchten beim Morden. Er schreit Cervantes was bestialisch Freundliches zu, ein feines Schlachten sei das, so wünschte man's immer! Und Cervantes freut sich, daß ihn das Vieh anerkennt, und schämt sich, daß er sich freut. Gnadenlos ist der Kampf. »Heilige Mutter Gottes!« stöhnt einer, den es getroffen hat. »Gott hat keine Mutter, Du Hund,« schreit der Moslem und gibt ihm den Rest. Kurze Theologie! denkt Cervantes noch. Da beißt und zerreißt ihn ein Schmerz, der Schild entfällt ihm. Es ist die Hand, seine linke. Kugelzerschmettert, als ein blutender Lappen, hängt sie herunter. Er hat nicht Zeit für die Hand. Die Seinen sind drüben.

An neuer Stelle, mit List, ist das Staatsschiff erklettert, bluttropfend, in der Rechten das Schwert, 96 drängt er mit übers Brett. Schon spürt er nichts mehr. Nackte Halbmenschen pressen sich um die Gerüsteten: den Ruderern hat man die Ketten abgerissen, Waffen gegeben, Freiheit verheißen, nun taumeln sie auf in den Tod.

Mann ringt an Mann. Wo die Waffe zerbrochen ist, mordet die Faust. Reihenweis stürzen die Türken ins Meer. Ihre Purpurflagge wird von der Stange gerissen, johlend schwingt sie ein Spanier, ihm fährt ein Dolch in die Gurgel, andere packen das blutfarbene Tuch. Victoria! schreien sie, Victoria, vence Cristo! Ihnen gehört das Schiff.

»Das nenn ich doch den Geschundenen rächen!« Miguel spricht es laut, an die türkische Bordwand gelehnt. Die Hand, um die ein Fetzen gewickelt ist, brennt vom höllischen Feuer. Aber ihm ist leer und hell, ihm ist frei. Ringsum wird noch geschossen, ihm gilt das nicht... Da fliegen fast gleichzeitig zwei Kugeln in seine Brust. Die erste ist nichts, er fühlt es sofort, matt kommt sie, durchschlägt kaum den Koller. Aber die zweite dringt ein. Er weiß noch: es ist nicht das Herz. Und wie er niedersinkt an der Wand, reißt ihm ein tosendes Siegesgeheul nochmals die Augen auf... Dort in der Ferne, auf hoher Lanze, das blutende Haupt mit dem Bart, es ist das Haupt des Kapudan-Pascha. Sie haben ihn. Don Juan hat ihn. Es ist aus.

Dies war die Schlacht im Griechischen Meer, genannt nach dem Orte Lepanto, der den Alten Naupaktos hieß. Sie hatte drei Stunden gedauert. Zehntausend Osmanen waren gefallen, 97 achttausend gefangen, hundert Galeeren erobert, fünfzig zerstört, stolz an Geschütz und an Fahnen die Beute. Zwölftausend christliche Rudersklaven standen frei aus ihren türkischen Ketten auf. Der Sieg war vollkommen.

Im Vatikan der Papst vergoß Freudentränen, schon sah er Jerusalem christlich. Venedig, vom Alp erlöst, lebte auf zu verdoppelter Weltlust. König Philipp allein blieb kühl, Türkenblut war nicht Ketzerblut, und allzu siegreich war Don Juan.

Der Nimbus des Halbmonds war dahin, seine Macht fast zerstört, sein Reich war zu brechen. Man tat aber nichts. Die Liga zerfiel. Lepanto blieb ohne Folgen. 98

 


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