Bruno Frank
Cervantes
Bruno Frank

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Dali-Mami

Von Spanien her kam der Sturm. Sie hatten Marseille hinter sich und auch schon die Rhonemündung. Auf einem Landvorsprung wurde ein Dörfchen sichtbar, dessen graue Kirche, zinnenbewehrt, mit einer Art Wachtturm, sich ausnahm wie eine Festung. Ein Bootsmann nannte den Namen: Les Saintes Maries.

Auf dieser Höhe fiel der Südwest sie an. Er kam mit Stößen von solcher Gewalt, daß in einem Augenblick das kleine Geschwader auseinandergetrieben war. Die »Sonne« fand sich allein. Ein kalter, schräger, peitschender Regen fegte das Deck. Alles polterte die schmale Treppe hinunter. Oben verharrten nur der Kapitän und zwei Maate. Die Ruderer zogen sich die Mäntel über den Kopf und legten sich geduckt mit aller Macht ins Zeug, denn das kleine Schiff wurde mit fast unwiderstehlicher Gewalt der Küste zugetrieben. Es wurde immer finsterer, nun blitzte es auch, und ein krachender Donnerschlag folgte.

Unbehagen herrschte im Bauch des Fahrzeugs. Man wurde hochgehoben und niedergeschleudert, dann lag man seitlich, daß alle aufeinander kollerten, die Frauen stöhnten, Kinder heulten erbärmlich. Die Luft wurde immer schlechter.

Ein wilder Stoß. Ein Zusammenprall. Nun war man auf einen Felsen gerannt! Es war das Ende. Doch ein zweiter Stoß folgte, furchtbarer noch und aus anderer Richtung... Ein paar Männer stürzten an Deck, mit ihnen Cervantes. Sie kamen nicht weit. Die Treppe war schon besetzt, 133 Pistolenmündungen starrten, es krachte ein Schuß, ein Spanier sank um, schlug nach hinten, die Anderen mit sich reißend, zurück in den untern Raum, den schon Jammern und Schreien erfüllte.

Widerstand war nicht möglich. Kaum einer hatte seine Waffen zur Hand. Wer sie hatte, konnte sie nicht gebrauchen im engen Raum. Cervantes gelang es, das Deck zu erreichen. Hier ward er Augenblicks niedergerissen, gebunden und wie ein Stück Vieh zur Seite geworfen. Unweit sah er den Kapitän der »Sonne« in seinem Blute liegen, auch ein paar von den Matrosen hingen tot überm Ruder. Der Sturm war gesunken, dünn fiel der Regen. Das Deck war angefüllt mit schwerbewaffneten Korsaren, die durcheinander brüllten.

Unter Deck Schüsse, Gepolter und Schreien. Dann tauchte aus der Treppenluke ein Passagier nach dem andern hervor, die Arme auf den Rücken gedreht. Seinen Bruder Rodrigo sah er nicht. Ein untersetzter Mensch, hinkend, in reicher Kleidung, die klatschnaß an ihm niederhing, eine Agraffe am Turban, schien das Kommando zu haben. Er führte eine sonderbare Keule in der Hand, eine Art von elastischem Totschläger, mit dem er seinen Befehlen freigebig Nachdruck verschaffte.

Cervantes richtete sich mühsam auf in seinen Stricken und spähte über den Schiffsrand. Die »Sol« war doppelt geentert worden: zwei Schiffe, durch Haken und Dreggen gehalten, lagen backbords und steuerbords an. Ein drittes Kaperschiff 134 hielt sich ganz in der Nähe. Sie mochten aus den Schlupfwinkeln des Rhône-Deltas hervorgebrochen sein.

Es hatte zu regnen aufgehört, die Sonne kam durch. Der hinkende Kommandant legte eine Hand über die Augen und spähte umher. In diesem Augenblick fiel ein Kanonenschuß. Eines der spanischen Schiffe, Cervantes wußte es, führte zwei kleine Geschütze. Der Hinkende schrie einen Befehl. Man begann die Gefangenen über die Laufbretter zu treiben, auf die Raubschiffe. Da dies nicht rasch genug ging, griff man zur kürzern Methode. Man packte die Gebundenen bei Schultern und Füßen, gab ihnen Schwung und schleuderte sie hinüber. Auch Cervantes flog so. Mit dem Hinterkopf schlug er krachend auf die Ruderbank nieder und lag in Betäubung.

Als er sich sammelte, war das Fahrzeug in ruhiger Bewegung. Er lag auf dem Vorderteil, um ihn, geschnürt und aufgereiht wie Pakete, die Schicksalsgefährten, viele blutbedeckt. Das Wetter war klar und schön. Der Hinkende stand beim Mast, seinen Totschläger unter den Arm geklemmt, hielt ein Schreibheft in Händen, und machte sich mit angeekelter Miene Notizen. Er hatte ein feistes, weißes, keineswegs orientalisches Gesicht, das ein herunterhängendes Augenlid bösartig entstellte.

Unmittelbar neben Cervantes, zur Rechten, lag ein Jesuitenpater, mit einer Schramme auf der Stirn, der mit feiner, gesammelter Miene still vor sich hinblickte; auf seiner andern Seite eine 135 elegante Dame in mittleren Jahren, Frau eines Madrider Hofbeamten. Ihre Frisur war aufgegangen, ihre Schminke über das nasse Antlitz fleckig verstrichen. Die ganze Situation, obwohl bekannt und gefürchtet, hatte etwas so unwahrscheinlich Verrücktes, daß Cervantes zu seinem eigenen höchsten Erstaunen einen Lachkitzel aufsteigen fühlte. Er konnte auch nicht widerstehen. Er bog sich in seinen Fesseln und lachte. Beide Nachbarn drehten ihm ungläubig ihre Gesichter zu.

Nachmittag und Abend gingen hin. Niemand sprach. Niemand brachte den Paketen etwas zu essen. Alle Segel waren gesetzt, unverhältnismäßig große Segel für ein so kleines Fahrzeug. Man fuhr ohne Licht. Das habe ich alles ganz richtig beschrieben in Lucca, dachte Cervantes. Die Galiote flog nur so über das offene Meer, Kurs nach Süden. In drei Tagen war man in Algier... Zur Rechten mußte die spanische Küste liegen. Da hatten ihn Zukunft und Ehre erwartet. Die Briefe raschelten an seiner Brust. Er zwang sich, mit einer äußersten Anstrengung, daran nicht weiter zu denken. Dann wieder wollte es ihn bekümmern, daß Rodrigo nicht sichtbar geworden war. Doch ein Gefühl von vollkommener Bestimmtheit beruhigte ihn. Eine kühle Sternennacht war da und die Zeit zu schlafen. Sacht zog er seinen linken Arm aus der Schlinge und vermochte nun, sich bequemer zu betten. Unter Umständen war es nützlich, nur eine Hand zu besitzen. Er schlief ein. Er schlief gar nicht schlecht.

Am Morgen wurde man mit Fußstößen 136 geweckt. Man wurde jetzt ausgeraubt, und zwar methodisch. Zwei von den Freibeutern tasteten jeden der Wehrlosen ab, zwei andere hielten einen großen Sack offen, in den ohne Unterschied alles hineingestopft wurde: Geld, Mützen, Schmuck, Schnallen, Tücher, Dosen, Gürtel und Handschuhe. Der lahme Schiffsherr überwachte den Vorgang und sorgte dafür, daß kein Taler und kein Armreif daneben ging.

Einer der Handlanger, in grünem Hemd und überhängender schwarzer Kappe, kniete über Cervantes. Der blies ihm ins Gesicht, um seinen stinkenden Atem abzuwehren. Schnell war hier das Geschäft besorgt. Mit verächtlicher Gebärde hielt der Korsar ein paar Geldstücke und die kostbaren Papiere in die Höhe. Cervantes biß sich auf die Zunge, als die Fürstenbriefe in dem Allerweltssack verschwanden. Aus guter Überlegung sprach er kein Wort.

Die Beamtenfrau neben ihm hatte man aufstehen lassen. Sie jammerte und wand sich, als ihr der Sucher schonungslos über den Körper griff. Ihr Klagen klang nicht vollkommen echt, sogar jetzt noch war sie geziert. Aber Cervantes ertrug plötzlich seine Ohnmacht nicht mehr. Absonderlicher Weise vergaß er für diese wildfremde Komödiantin Beherrschung und Vernunft und stellte mit seinen gebundenen Füßen dem Korsaren ein Bein, so daß der in burlesker Art neben der Dame platt zu Boden schlug. Wütend richtete er sich empor, um auf den Angreifer loszustürzen, aber der Hinkende, grinsend über das weiße 137 Gesicht, schrie ihn grob an und gebot ihm offenbar, sich lieber mit der Arbeit zu sputen. Im Weitergehen warf er einen Blick ausgesprochenen Wohlgefallens auf Cervantes zurück.

Einer von der Mannschaft kam und teilte Nahrung aus: grauen Zwieback, der aus Gerstmehl und Hafermehl zusammengerührt sein mochte, und dazu eine Handvoll schwarzer Oliven. Den Gefangenen wurden die Fesseln gelockert, einige standen schon auf und reckten sich, was hatte die schwerbewaffnete Mannschaft auch zu befürchten.

Cervantes, dem das leidige Mahl nicht übel schmeckte, sah die Beamtendame mit Ziererei in ihren Zwieback beißen. Er bemerkte aber auch, zu seinem Schrecken, daß sie aus ihrem verschmierten Gesicht heraus mit ihm zu kokettieren begann. Dazwischen seufzte sie jämmerlich. Er beschloß, sich von der Stelle zu rühren und nach Rodrigo zu suchen.

Schon von Weitem sah er ihn, mit noch gebundenen Füßen, wohlbehalten unter der Reifenbespannung der Poppa sitzen. Der gute Junge streckte die Arme nach ihm aus. Aber zwei Mann von der Deckwache trieben Cervantes drohend an seinen Ort zurück. Er vermied die unmittelbare Nähe der Dame und ließ sich zwischen dem Jesuiten und einem sardinischen Arkebusier an der Bordwand nieder.

Mit prächtigem Wind segelte man gerade an einer felsigen Insel vorüber. Im Hintergrund einer Bucht, auf kreidigem Gelände, erschien eine 138 hübsche Stadt, ganz maurisch schon anzuschauen.

»Ibiza,« bemerkte der Jesuit. »Von hier aus hätte man es nahe hinüber ins Vaterland.« Cervantes nickte. Er sah sich bei Valencia ans Land steigen, Spaniens Boden berühren und küssen. Die Tränen wollten ihm aufschwellen. Er ward ihrer Herr, und sie kamen nicht wieder.

Es lag nicht in seiner Gewohnheit, sich selbst zu beobachten. Doch soviel hatte er festgestellt, daß ihn geringes Ungemach leichter erschütterte als großes. Irgendein Ärger, eine nebensächliche Widerwärtigkeit oder Kränkung, ging ihm tagelang nach. Schlug aber das Schicksal zu, traf ihn ein Unglück, so bot er die Stirn, fand sich ab und blieb ruhig. Sein Leben würde nicht in algerischen Ketten enden, er schwur es sich zu, er wußte es.

Gelassen blieb auch der Jesuit. Er freilich hatte Grund, für ihn war es ein Zwischenfall. Undenkbar daß ihn sein Orden im Stich ließ. In vier Wochen war das Lösegeld da, die Taxen für Kleriker waren festgelegt, es war ein Tarif. Er plauderte. Beiläufig nannte er auch den Namen des Schiffsherrn. Der Hinkende war Dali-Mami, der Albanier. Sie waren einem der berühmtesten von der Gilde in die Hände gefallen, übrigens auch einem der grausamsten. Der Jesuit bat Cervantes, sein Augenmerk auf die Rudersklaven zu richten, arme Teufel ohne kommerziellen Tauschwert, die nun bis zum Tode hier saßen. Dem einen fehlten die Ohren, dem andern ein Auge, Spuren flüchtiger Unzufriedenheit von Seiten Dali-Mamis. Ob 139 der Bericht stimmte, wonach dieser Reis gelegentlich einem trägen Ruderer den Arm abzuhauen und mit dieser Peitsche auf die übrige Bemannung einzuprügeln pflegte, wollte der Jesuit nicht entscheiden. Möglich war es durchaus, es gab da kaum Grenzen. Und am Beklagenswertesten schien, daß dieser Dali-Mami und nahezu alle seine Kollegen als Christen geboren waren, in Griechenland, Dalmatien, Italien und sonstwo, und daß eben diese Renegaten sich weit entsetzlicher aufführten als Türken und Mauren. Unausdenkbar die Strafen, die diese abtrünnigen Henker im Jenseits erwarteten...

Hier trat ein Mann der Besatzung auf Cervantes zu und bedeutete ihm mit auffälliger Höflichkeit, aufzustehn und zu folgen. Er führte ihn bis zum Hauptmast. Auf einer Holzkiste fanden sich hier ein Glas Wein und ein großes Stück kaltes Rauchfleisch bereit gestellt. »Dies schickt Euch der Reis,« sagte der Matrose, »Fleisch und Wein, den Ihr ja trinken dürft, da Ihr ein Christ seid.« Er grinste. Es schien wenig wahrscheinlich, daß das Raubschiff eigens für gefangene Katholiken Wein mit sich führte. »Übrigens könnt Ihr frei umhergehen an Bord, läßt Euch der Reis sagen.«

Nachdenklich trank Cervantes den starken Rotwein, nahm ein paar Bissen und beschloß, die größere Hälfte Rodrigo zuzuwenden.

Der Fähnrich war vollkommen heiter. Dankbar aß er. Er schien auch nicht im geringsten erstaunt über die Auszeichnung, mit der Miguel behandelt wurde, vielmehr lächelte er 140 bedeutungsvoll und gewissermaßen stolz unter seinen waldigen Brauen hervor. Cervantes ahnte nichts Gutes.

»Willst Du mir erklären,« fragte er stirnrunzelnd, »was das alles bedeutet: Fleisch und Wein und Dein kluges Gesicht.«

Seine Ahnung bestätigte sich. Es war zum Verzweifeln. Beim Sortieren der Beute waren die Dokumente gefunden worden. Der Reis ließ den Namen Cervantes ausrufen und zwar zunächst an der Poppa, dort wo Rodrigo in seinen Fußfesseln saß. Der meldete sich. Nein, nicht er sei Don Miguel, sein Bruder befinde sich vorn auf dem Schiff. Ganz richtig: ein Krieger mit einer Hand. Und allerdings könne man leicht aus dem Schriftstück ersehen, was das für ein Mann sei, nicht für einen Beliebigen schreibe der Oberbefehlshaber aller Christen an den spanischen König. Sie sollten sich hüten, dem Don Miguel de Cervantes Saavedra ein Haar zu krümmen, er rate ihnen gut! Was denn der Rang dieses Miguel sei, wurde zurückgefragt, für den die Oberhäupter der Christenheit korrespondierten... Rodrigo tat höchst geheimnisvoll. Aus seinen Andeutungen war jedenfalls auf einen sehr hoch gestellten Edelmann zu schließen, auf einen Granden in auserlesener Funktion. Und das, meinte Rodrigo, konnte sicherlich nur nützen. Miguel werde doch wohl mit ihm zufrieden sein.

»Unglücksmensch!« rief Cervantes, bereute aber sofort, legte dem Bruder die Hand auf die Schulter und fügte hinzu: »Du meinst es gut.«

Der Hinkende war nicht auf Deck. Cervantes 141 suchte und ward zu ihm eingelassen. In einer winzigen Kabine saß er an einem Tischchen und schrieb.

»Ihr seid der Grande, ich weiß schon,« sagte er nicht ohne Wohlwollen, »Euer Fall wird sich ja in kurzem erledigen.«

»Ich bin kein Grande, von mir ist nichts zu holen.«

Dali-Mami ging hierauf garnicht ein. »Zweitausend Dukaten, das wird Euch recht sein? Es ist kein Preis für einen Mann wie Ihr.«

»Nein, wahrhaftig, das schaff' ich bis morgen.«

»Bis nächsten Monat gewiß. Wollt Ihr gleich schreiben? Es wird sicher befördert.«

»Hört mich an, Kapitän,« wiederholte Cervantes, »Ihr irrt Euch. Ich bin kein Grande, ich bin nicht reich, ich habe keine Freunde, die ein Lösegeld zahlen können für mich. Ich bin ein völlig mittelloser Soldat, Gefreiter dem Rang nach.«

»Sehr glaubhaft! Für einen Gefreiten schreibt der Großadmiral an den König.«

»Ihr braucht ja den Brief nur zu lesen. Da findet Ihr alles bestätigt.«

»Wieso denn?« Dali-Mami nahm das neben ihm liegende Blatt zur Hand. »Hier steht eine dringliche, warme Empfehlung, nichts von Soldat, nichts von arm.«

»Das ist ein Blatt. Lest das ausführliche, das von dem Vizekönig.«

»Ah! der Vizekönig hat auch noch geschrieben. Und alles für einen Gefreiten. Ihr führt Eure Sache ja sehr geschickt.«

142 »Lest diesen zweiten Brief!«

»Ein zweiter ist garnicht da. Faule Ausflucht.«

»Laßt nach ihm suchen!«

»Der erste genügt mir.«

»Ihr seid ein Esel,« schrie Cervantes, »ein dickfelliger, blöder, bockiger Esel!« Es schien ihm viel wünschenswerter, jetzt auf der Stelle niedergehauen zu werden, als in korsarischer Sklaverei Jahre lang auf zweitausend Goldstücke zu warten, die niemals kommen konnten.

Der Reis war auch wirklich in die Höhe gefahren. Die Augen schmal vor Wut, den Mund wulstig vorgewölbt, packte er sein elastisches Eisen. Aber er setzte sich wieder zurecht und atmete nur einmal tief auf.

»Jetzt habt Ihr Euch vollends legitimiert,« sprach er befriedigt, »nur ein sehr großer Herr ist so frech.« Seine Stimme klang geradezu süßlich vor Selbstbeherrschung.

Cervantes verließ ihn. Oh Rodrigo, Rodrigo! Aber schon keimte eine dunkle Lust in seinem Herzen, an dem Schicksal, das so wild mit ihm spielte. Ja, er besaß die innere Freiheit, sich zu fragen, ob dies Schicksal ganz unverdient sei. Bezahlte er so vielleicht die grausame Art, mit der er im Scheiden von Lucca Güte und Liebe hinter sich gestoßen hatte, wie einer mit dem Fuß den Nachen hinter sich stößt, der ihn freundlich ans Ufer getragen hat? Verhielt es sich so, dann bezahlte er teuer. Weggerissen ins Weglose im Angesicht beinahe der Heimat, das endlich erlangte Unterpfand des Glücks sein Verderben, die Liebe 143 des Bruders Grab aller Hoffnung – er schwamm auf dunklem Meer, kein Nachen bot sich mehr dar. Nun denn, er bestand es! Wer verlernt hat, den Tod zu fürchten, ist stark.

Am vierten Mittag lag vor den Raubschiffen unter strahlendem Himmel eine hochaufsteigende Pyramide weißer, verschachtelter Häuser, von einer Zitadelle als Spitze bekrönt: die Stadt Algier. Ehrenschüsse und Freudengeschrei empfingen die Landenden, die Ankunft von Beuteschiffen schien ein Volksfest. »Zum Badistan! zum Badistan!« brüllten und sangen halbnackte Kinder.

Der »Badistan« lag ganz nahe dem Meer bei der Großen Moschee, ein hübsches Plätzchen, mit Pfählen und Zahltischen als Sklavenmarkt zweckdienlich ausgestattet. Unter allgemeiner Begutachtung wurden die Männer entkleidet, ein Berg von Garderobestücken türmte sich auf. Alles ging wie am Schnürchen, es war ein gewohnter, gesetzlicher Vorgang. Die übliche Kleidung ward ausgeteilt. Cervantes, Grande von Spanien, Schützling der Krone, erhielt was alle erhielten: das grobe Hemd, die plumpe Hose, eine Art Kaftan, der bis zu den Knien ging, ein paar Schlappen und eine rote Mütze. Auch eine kleine Wolldecke warf man ihm hin. Damit war er ausgestattet.

Alsbald begann die Versteigerung. Türken, Juden und Mauren bewegten sich zwischen der Ware und befühlten Schulter und Bein.

Cervantes ward abseits gehalten. Er stand nicht feil. Einige Herren von der Polizei, in langem grünem Mantel und weißem Filzturban, die auf 144 eisenbeschlagenen Schlappschuhen dröhnend daherkamen, führten ihn ab, ihn und drei Schicksalsgenossen ins unferne Bagno.

Ein großer, gewölbter, halbdunkler Raum, darin es feucht und muffig roch, nahm ihn auf. Dann beluden ihn die Grüngekleideten sorgsam mit Eisen und Ketten. Er begriff, daß er auch diese Auszeichnung seinem Bruder Rodrigo verdankte. Sein Zustand konnte nicht unbehaglich genug sein. Umso eifriger würde er die Beschaffung der zweitausend Dukaten betreiben. 145

 


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