Bruno Frank
Cervantes
Bruno Frank

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

El Sol

Nichts geschah in Neapel. Die Stadt war voll von lungernden Truppen. Gerüchte von bevorstehenden Kriegstaten kamen Tag um Tag auf und zergingen wie Seifenschaum. König Philipp hatte den Osten vergessen. Die ketzerischen Niederlande waren der Stachel in seinem Fleisch. Schon drohten Holland und Seeland kühn mit dem Abfall, im Angesicht der ganzen ungeheuren spanischen Monarchie.

In der wimmelnden Südstadt lebte Cervantes traurige Sommertage. Sein Geld ging zur Neige. Zwar wäre das kein Unglück gewesen, denn Bruder Rodrigo war ihm zur Seite, den frischen lombardischen Sold in der Tasche. Den kümmerte nichts. Er drang ihm auf, was er hatte. Vom ersten Tage an hing er mit einer kindlichen Abgötterei an dem Bruder, fand unvergleichlich, was er getan, und prophezeite ihm Großes. Miguel mußte oft lächeln, wenn er ihn ansah. »Ich bin eine Ausgabe von Dir in Duodez,« sagte er einmal – ein buchhändlerischer Vergleich, den der ungelehrte Rodrigo wahrscheinlich garnicht verstand, der aber zutraf. Der Fähnrich sah seinem Bruder ähnlich, nur war alles an ihm, Gliedmaßen und Züge, vergrößert und vergröbert, die hochgespannten Brauen buschten sich waldig, und die Adlernase sprang vor wie ein Berg.

Nach einem Monat hatte Cervantes es satt. »Ich reise, Rodrigo,« sagte er unvermittelt. »Hoffentlich geht bald ein Schiff.«

Rodrigo war sofort einverstanden. »Wir 118 reisen,« sagte er, »ausgezeichnet, mein Miguel. Nur sag mir, wohin.«

»Nach Spanien. Nach Hause. Du auch?«

Es war eine Bankerott-Erklärung. Nach sechs Jahren Abwesenheit, fünf Jahren Kriegsdienst, kehrte er heim, zum Krüppel geschossen, ohne Rang, ohne einen Dukaten, darauf angewiesen, in den Vorzimmern der Madrider Kanzleien zu sitzen, seinen Armstumpf zu zeigen und sich irgendein Ämtchen zu erbetteln. Von der prinzlichen Empfehlung war nicht ferner die Rede. Wenn ihm der Hauptmann Urbina begegnete, wurde sein rotes Gesicht noch röter und blickte beschämt zur Seite.

Mit der Heimfahrt übrigens traf es sich günstig. Man schrieb Mitte September. Am zwanzigsten waren drei Galeeren fällig nach Spanien; selten wagte ein einzelnes Schiff die Reise durch die bedrohten Meere. Cervantes meldete seinen Abschied dem Hauptmann. Der war verlegener als jemals.

Vom frühen Morgen an hielten sich die Brüder am Molo, in dessen Nähe die Schiffe ankerten. Das kleinste von den dreien, das ihnen bestimmt war, hieß etwas prahlerisch »El Sol«. Ihr Gepäck war gering, Waffen und Ledersack, das war alles. Andere Reisende fanden sich ein, eine farbige Gesellschaft. Das Militär überwog, aber es waren auch Beamte des Vizekönigs darunter, die heimkehrten, Kaufleute, Priester, Frauen und Kinder. Ein aufgeregtes Schwatzen und Lachen erhob sich. Fliegende Händler, aufdringlich, boten ihre Waren an, im seltsamen Wahn solcher Leute, der 119 Reisende wolle sich durchaus mit unnützem Kram noch beschweren. Zwei Spielleute, Trommler und Pfeifer, musizierten betäubend. Einige Herren ließen sich auf offenem Landungsplatz noch rasieren.

Gleich hinter dem Molo lag das mächtige, alte, aragonesische Schloß. Dort wohnte der Vizekönig, und dort als sein Ehrengast logierte auch wieder Don Juan d'Austria. Weit war Lepanto, weiter die Flottenparade, da Cervantes den Kaisersohn zum ersten Mal erblickt hatte in elegantester Pracht.

Rechts, jenseits des kleinen Bassins, wurde gemetzt und gehämmert. Es war das neue Kriegsarsenal, das da in die Höhe stieg. Cervantes ertappte sich darauf, daß er mit einer Art Neid zu den Maurern hinüberblickte. Die sahen etwas entstehen unter ihren Händen, die wurden gebraucht!

Der Kanonenschuß vom Inselkastell verkündete Mittag. Auf den Galeeren stiegen die Flaggen. Einer nach dem andern booteten die Passagiere sich ein. Eine klare Sonne strahlte hoch am Himmel, aber milder Dunst lag über der Bucht. Die Felsenwände des entfernten Sorrent lagen in blauen Schatten.

»Auf was warten wir noch, Bruder,« sagte Rodrigo und war aufgestanden. »Schiffen wir uns ein wie die Andern.«

Cervantes zögerte ohne Sinn vor dem endgültigen Schritt. War erst der italische Boden verlassen, schien ihm jede Hoffnung vorbei. Er wandte sich im Sitzen um und blickte zurück auf die hochgestaffelte Stadt. So verharrte er lang. Sie waren fast schon die Letzten.

120 Da sah er um die Ecke des Schlosses und über den Platz, der jetzt beinahe leer war, einen kriegerisch gekleideten Mann auf sie zueilen. Er legte die Hand über die Augen und erkannte den Hauptmann. Schon von Weitem rief er und schwenkte Papier in der Hand, der Helm saß ihm schief wie am Tag von Lepanto.

Die Trompeter auf den Galeeren bliesen das erste Zeichen. Der Ruderer winkte. Urbina, mit triumphierendem rotem Gesicht, war heran.

Da alles nichts gefruchtet hatte und die äußerste Stunde gekommen war, hatte er alle militärische Regel beiseite geworfen. Den Harnisch gescheuert, mit Schärpe und Ordenskreuz, begab er sich zu dem Schloß der Könige von Aragon. Aber hier verließ ihn der Mut. Fast zwei Stunden wanderte er auf und ab vor dem Triumphbogen, der nach der Landseite den Eingang bildete. Die ehernen Torflügel waren geschlossen, im linken stak eine Geschützkugel, und es quälte Urbina, daß er nicht wußte, wie die dahin gekommen war.

Als der Mittagsschuß hallte, war nicht mehr zu zaudern... Urbina fand den Feldherrn in seinem Salon, trübe beim späten Frühstück. Er kannte den Hauptmann. Er wußte, weshalb er kam. Es handelte sich um diesen gewissen Cerveedra oder wie er nun hieß, zum vierten Mal schon behelligte ihn die Quisquilie. Als ob es so angenehm gewesen wäre, dem königlichen Bruder im Escorial mit einer Bitte zu kommen!

Aus matten Augen, unter denen sich Säcke zu bilden begannen, blickte er auf zu dem Offizier. 121 Der legte seine Blätter auf den speisenbesetzten Tisch, zwischen die Teller. Der Einfachheit halber hatte er das Empfehlungsschreiben schon selber entworfen und zwar in doppelter Ausfertigung, einer ausführlichen und einer knappen. Die ließ er Don Juan zur Wahl. Untertänig, inständig jedoch erneuerte er seine Petition. Heute, gleich jetzt, segelte jener Tapfere, für den er bürge! Er fühle sich selber beeinträchtigt, von seinem Feldherrn an der Ehre verletzt, rief er zitternd vor Dringlichkeit, wenn sein Antrag wieder verworfen werde.

Keine Antwort kam. Apathisch kaute der Kaisersohn. Da tat der Hauptmann Urbina sein Äußerstes. Mit fliegenden Händen nestelte er sich sein Ritterkreuz von Santiago vom Hals und warf es scheppernd auf die Dokumente, zwischen Saures und Scharfes.

Der junge Herr sah auf und blickte in das ehrliche und erbitterte Gesicht. Dann winkte er seufzend dem servierenden Diener und unterschrieb mit dem dargereichten Kiel das nächste der Dokumente. Es war durch Zufall das kurze.

»Nun laßt mich essen,« sagte er matt, »und kommt mir nicht wieder!«

Aber als Urbina draußen war und glücklich wie ein Bräutigam die Treppe hinuntereilen wollte, stieg ihm entgegen mit militärischer Suite der Hausherr und Vizekönig, Grande von Spanien. Der Schwung des Erfolges riß den Hauptmann hin, alles dünkte ihn leicht. Er bog auf dem Podest sein Knie vor dem erstaunten Gouverneur, hob ihm das nicht unterzeichnete Blatt unter die 122 Augen und berichtete in fliegender Kürze seinen Fall.

»Gern,« sagte der Grande, »folgt mir nur bitte ins Zimmer.« Es mochte ihm schmeicheln, daß seine Fürsprache neben der des prinzlichen Großadmirals noch für nötig gehalten wurde.

Wenig erfuhr Cervantes von all dem. Schon blies die Trompete zum zweiten Mal. Er hielt die gefalteten Schriftstücke in der verbliebenen Hand, und die Tränen strömten ihm übers Gesicht. Rodrigo stand ehrerbietig daneben, beseligt auch er, aber garnicht erstaunt, es war ja nur selbstverständlich, daß für Miguel jedermann sein Bestes einsetzte. »Geleit' Euch die Jungfrau!« sagte der Hauptmann. Und das war alles.

Zur guten Zeit hatte sich ein Südwind erhoben und trieb das kleine Geschwader den richtigen Weg, am Kap Misenum vorbei, durch die Straße von Procida. Bald aber war Meeresstille. Eng beieinander sich haltend schlichen die drei Schiffe die italische Küste entlang gegen Norden. Das offene Meer ohne Not zu überqueren, wäre tollkühn erschienen.

So war es eine langsame, aber eine heitere Fahrt. Jedermann freute sich auf die Heimkehr, an Bord der »Sonne« schien kein Unglücklicher zu sein. Auch die Ruderer waren hier freie Matrosen, sie sangen sich auf ihren Bänken den Takt.

Von allen der Glücklichste war der Fähnrich Cervantes. Er konnte sich nicht sattlesen an den Dokumenten, die seines Bruders Ehre und Zukunft bedeuteten. Er wußte sie auswendig, er 123 zitierte sie jedermann. »Ein Soldat, der bisher vernachlässigt war, der sich aber durch seine Tapferkeit, Einsicht und tadellose Aufführung die allgemeine Achtung erworben hat,« wiederholte vor Kaufleuten, Mönchen und Frauen sein entzückter Baß.

Der so Gekennzeichnete saß meistens still in der Nähe der Poppa und las. Nur als das Schiff an Toskana hinauffuhr, las er nicht, sondern blickte lange aufs Ufer. Wenige Meilen landeinwärts lag das ummauerte Städtchen des Kaisers mit den Bäumen am Wall.

Genua kam in Sicht, auf Tage dann der prangende Streif der ligurischen Küste, hinter dem unvermittelt und zackig die Seealpen aufsteigen.

Es war in der sechsten Nacht. Kein Lüftchen ging. Aber Morgen um Mittag mußte Marseille doch erreicht sein und wieder nach einem Tag spanisches Land.

In ihre Mäntel gewickelt lagen die Brüder nebeneinander auf Deck. Rodrigo schlief schon. Wie Cervantes sich auf die rechte Seite wandte, um auch den Schlummer zu suchen, knisterten auf seiner Brust die Briefe an König Philipp. Dies war der Wohlstand, war Geborgenheit der Seinen, war vielleicht der Ruhm. Offen standen die Pforten des Lebens.

Um Mittag aber erhob sich aus Südwesten der Sturm. 124

 


 << zurück weiter >>